Marc drehte durch.
Das war ein wirklich schöner Anblick.
Ich hatte es nicht geschafft, den Ausgang von diesem Kackmarkt zu finden. Den richtigen Ausgang, meine ich, denn es gab natürlich Tausende. Auch die Höhlenkneipe war weg, vom Erdboden verschwunden. Ich hingegen bewies einen nachvollziehbaren Schritt genialer Größe. Pepe Carvalho hatte sein weibliches Gegenstück gefunden.
Und das unter erschwerten Bedingungen. Denn in diesem Plastiksäckchen unter meinen Tampons lagen vermutlich einige Jahre, wenn nicht Jahrzehnte. Folter inklusive.
Das Fremdenverkehrsbüro. Gleich am Hafen und zu allen Auskünften bereit. Ja, da ging heute abend ein Schiff nach Ibiza. Autos mußten sich zwei Stunden vorher zum Reinbunkern einfinden.
Sicher auch der nachtblaue BMW mit Züricher Kennzeichen.
Haha.
Ein Hund schnüffelte an meinem Hosenbein. Ich hätte fast geschrien. Ich war nicht in der Lage, mich noch einen einzigen Zentimeter aus dem Café direkt neben dem Anlegekai fortzubewegen.
Die Autofähre war ein unförmiger Kasten aus abbröckelndem Weiß mit heruntergelassener Heckklappe. Der wartende Autopulk schien zu groß für das Schiff. Die ersten setzten sich langsam in Bewegung, die hydraulischen Bremsen der Trucks quietschten gequält auf. Kein nachtblauer BMW.
Wieder schnüffelte dieser Köter an mir herum. Dürr, hochbeinig und mottenzerfressen. Maskierter Drogenhund. Ich sah auf. Direkt vor meinem Tischchen standen zwei Guardias mit ihren schwarzen Lackmützen und blankgewienerten Pistolenhalftern. Sie standen mit dem Rücken zu mir und zeigten mir die feisten Hinterteile. Da hatte sich trotz Francos Tod wenig geändert. Panik. Das Rauchen von Marihuana war gestattet, aber nur der Besitz geringer Mengen. Was gering war, stand im polizeilichen Ermessen. Und, was ich im Tütchen hatte, war kein Tee und auch kein Gras. Der Ober brachte mir noch ein Glas Weißwein, beim Zahlen fielen mir die Münzen auf den Hund. Ich kannte mich mit dem spanischen Geld nicht aus, meine Hände zitterten, die Guardias rührten sich nicht, einer machte einen Schritt und trat mit seinem fetten schwarzen Absatz auf die dickste Münze. Nur noch ein güldener Rand linste hervor. Absicht? Der Hund versuchte, meine Hand mit seinen Wurmeiern zu überschleimen. Ich ließ die Münzen liegen und trank hastig mein Glas aus.
Eigentlich liebe ich Tiere.
Und ich habe noch nie Drogen genommen. So gut wie nie jedenfalls. Ich war immer mit gesunden Alkoholikern zusammen. In Tübingen galt das auch schon als Droge, und für meine Mutter ist der Trollinger eine Medizin. Die beiden Guardias latschten zur Anlegestelle hinüber und ließen das Geld zurück. Total unbestechlich. Ich wollte gerade noch einen Wein bestellen, da sah ich den BMW.
Er kam in einem Bogen hinter den Lagerhallen hervorgeschossen, schob sich mit einem kleinen Schlenker in eine Lücke direkt vor der Ladeklappe und hielt, als stünde er da schon seit Stunden. Kein Hupen, kein Fluchen. Nicht einmal die Guardias gingen schneller.
Immer noch saß Cupido am Steuer, Marc sprang heraus und sah sich suchend um. Ich duckte mich, wartete, bis er in die andere Richtung schaute und sprintete dann hin. Stellte mich direkt hinter ihn.
»Haste mal Feuer, Kleiner?«
Er fuhr herum und knallte mir eine. Das heißt, er wollte mir eine knallen, aber meine linke Hand fuhr im Reflex hoch und traf ihn am Knöchel. Er brüllte wie ein Stier. Das ist das gemeine an Karate, damit kann man ja locker Knochen brechen. Ich natürlich nicht. Ich umarmte ihn und tröstete ihn. Er heulte vor Wut. »Wo warst du? Wir haben dich überall gesucht! Wir wollten sogar schon zur Polizei gehen!« Er umarmte mich. »Bitte, tu das nie wieder. Okay?«
Seine Wut, Angst und Sorge rührten mich. Der Junge war verrückt, aber er liebte mich. Absolut und total. Er roch nach Meer, Ruß und Knoblauch. Ich küßte ihn. Okay, okay. Alles okay.
Cupido fuhr den BMW durch die Klappe, Marc und ich stiegen eine weiße Stahlleiter hoch wie in alten Emigrantenfilmen. Links und rechts Guardias. Ein weißer Steward, der unsere Tickets sehen wollte. Keiner schaute in meine Beuteltasche und suchte weiße Tüten unter den Tampons.
Auf meinem Ticket stand eine dicke Eins. Primera clase. Erste Klasse. Ich sah schon die Kabine vor mir wie im Traumschiff. Mahagoni und Flauschteppich. Ich kapierte zuerst nicht, als Marc mich in einen Saal mit Flugzeugsesseln schleppte. In allen Ecken dröhnten Fernseher, gleich dahinter war die Bar. Dort wartete Cupido.
Kein Speisesaal mit weißen Tischtüchern und einem Kapitänstisch, kein Orchester und kein Feuerwerk. Nur abgepackte Dörrbrote und Dieselstunk. Das Brummen der einsetzenden Motoren ließ meine Eingeweide vibrieren, ich tapste über Schuhe und ausgestreckte Fernsehbeine, wieder einmal auf der Suche nach dem Ausgang.
Es war eine windige Märznacht. Ich verbrachte sie über ein Stück salzverkrustete Reling gekrümmt und büßte für alle meine Sünden. Alle, auch die, die ich noch gar nicht begangen hatte.
Marc kam nicht vorbei. Schiffe haben den Vorteil von Inseln, man kann nicht so leicht verlorengehen, und akute Seekrankheit wird auch nicht in den abgelegensten Lehrbüchern unter Aphrodisiaka geführt. Jeder ist allein im Angesicht des Todes, und ich war nahe daran, mein junges und hoffnungsvolles Leben über Bord zu werfen.
Irgendwann mußte ich gegen jede Natur eingeschlafen sein, der silberhelle Tag fand mich hinter einer Taurolle, kalt, durchfeuchtet und vollgekotzt. Und alles war mir schnurz wie piepe. Ich schleppte mich an der Reling entlang zur nächsten Tür und stolperte über die Stahlkante. Vor der Señioratür warteten sie schon. Einige von ihnen sahen auch nicht besser aus, als ich mich fühlte.
Das lauwarme Salzwasser aus dem Hahn half nicht viel, aber als ich wieder rauskam, standen Marc und Cupido vor der Tür. Marc sah selbst leicht angeknautscht aus, hielt aber die Reisetasche mit T-Shirts, Wäsche und Parfumflakons in der Hand, Cupido hingegen hatte sich schon umgezogen und sah aus wie neugeboren. Frisch und rosig in arabischen Hängearschhosen und einem locker geschnittenen Seidenhemd.
Der Himmel färbte sich gelb und orange, und das Meer reflektierte die Kuppe des hochkommenden Sonnenbubbels. Direkt vor uns lag Ibiza. Weiße Häuser hoch um das Hafenrund. Oben die Burg. Die Wellen unter uns von einem tiefvioletten Tintenblau. Auf der Reling glitzerten die Salzkristalle.
Erst jetzt fiel mir die Tüte wieder ein. Ich kramte sie heraus und gab sie Marc. Der hielt sie erst mal verblüfft in der Hand und glotzte blöd.
»Was soll das denn?«
Cupido reagierte glücklicherweise, bevor alle Umstehenden ihre Meinung auch noch abgaben, riß Marc die Tüte weg und ließ sie in seinen arabischen Tiefen verschwinden. »Die hat sie nicht alle!«
»Gut möglich. Fünfhundert fehlen jedenfalls.« Ich ganz cool.
»Was war das eben?«
»Gute Frage. Hab ich mir auch schon gestellt. Also?« Marc und ich starrten uns an. Mein Vorsatz, das Tütchen ins Meer zu werfen, ließ sich jetzt nicht mehr so leicht verwirklichen. Nur über Cupidos Leiche. Die Sonne stieg höher.
»Wo hast du das her?«
»Von deinem Loddel in Barcelona. Der die Tasche zurückgebracht hat.«
»Ach so«, sagte Marc, und Cupido fragte nur:
»Wieviel?«
»Nur fünfhundert«, verkündete ich stolz, »er wollte fuffzigtausend Peseten, aber ich hab ihn um ein Drittel gedrückt.«
»Fünfhundert Peseten???« Cupido schaute mich an, verliebt, als wäre ich Pfirsich Melba in Person.
»Mark.«
»Ja«, Marc legte mir kurz den Arm um die Schulter.
»De-Mark.« Er ließ los und seufzte auf. Cupido ließ ein gemeines Hühnergackern los. Vermutlich sein morgendliches Spaniengelächter.
»Hähähähä! Der hat dich gelinkt! Dumme Pute, du hast den Dreifachpreis gelöhnt! Und das alles für nicht mal eine Socke voll!« Er schüttete sich wieder aus und pulte mit einer Reihe von ziemlich unanständigen Bewegungen etwas pulvrig-weißes aus seiner Tuareghose. Schnüffelte dran, leckte, verzog die Mundwinkel und zog dann das Restchen wie eine Prise Schmalzler durch die Nase hoch. Nickte. Zu Marc hin. »Ware B. Kein Einwand.«
Wir liefen in den Hafen ein, und auch hier standen sie wieder, die grünen, lackmützigen Guardias. Ich überlegte, ob ich ihnen nicht ein Zeichen geben sollte. Hier sind sie, die ihr sucht. Nein, nicht ernsthaft. Lieber hätte ich einem von denen die Waffe entrissen und Marc damit aufgeknüpft. Oder gevierteilt wie gehabt. Arschpack!
Unten am Pier standen nicht nur Bullen. Auch jede Menge normale Leute. Für die frühe Morgenstunde. Cupido stieß plötzlich einen schrillen Indianerschrei aus und winkte aus voller Brust.
Von unten antwortete ein Mädchen.
Sie winkte und hüpfte auf und ab und schien außer sich vor Freude. Verdattert schaute ich mich nach Cupido um, das hätte ihm ja niemand zugetraut. Cupido war verschwunden, nur noch Marc stand neben mir.
Das Schiff legte an, wir stiegen aus und stellten uns auf, um auf die Autos zu warten. Das Mädchen war Marc um den Hals geflogen, und er hatte sie herzinniglich abgebusselt. Er hatte mich vorgestellt, und wir hatten uns zähnegrinsend die Hand gegeben.
Puta de Madre. Die Frau war nicht nur hübsch, sie war schön. Und das sollte Cupidos Freundin sein? Ich hatte den Namen nicht verstanden. Sah sie nur jetzt hauteng an Marc gelehnt auf den BMW warten. Schmal wie ein Grashalm, dunkelbraun, in winzigen weißen Shorts mit einem ebenso winzigen Ringeltop, barfuß, mit langem dunklem Haar und einem wilden braunen Zigeunergesicht. Violette Augen und Wimpern bis rauf nach Winnipeg.
Leilah.
Endlich. Kling-Bong-Ziel. Leilah. Die Schwester von Cupido, wenn ich Li, den Thaibutler, richtig verstanden hatte. Ganz offensichtlich war sie mehr nach dem Vater geraten als nach Mutter und Bruder. Aber hier war kein Inzest im Spiel, sie hatte die Hand eindeutig auf Marcs Jeanshintern.
Es tat weh.
Es tat so gemein weh, daß ich selbst überrascht war. Krampf im Bauch und Eiskugel dort, wo das Herz sitzt. Angeblich. Jetzt bewiesen. Mein Herz war eine Kugel. Kalt, schwer und schwarz. Ich bekam keine Luft mehr. Schmerz. Richtig bösartiger Schmerz.
Leilah war jung. Siebzehn vielleicht.
Leilah war schön. Rassig schön, ganz objektiv.
Leilah war total lässig und in ihrem Element.
Leilah küßte Marc.
Schlabber-di-gabber.
Leilah. Allein schon der Name!
Marc küßte nicht zurück. Er hielt nur still.
Ich machte den Schritt nach vorn und mischte mich ins Geschehen. »Hallo, Leilah. Ich bin Helke Hahnhold.« Ganz nebenbei hatte ich auch noch meinen Nachnamen einfließen lassen; obwohl man sich ja in diesen Kreisen immer nur mit Vornamen vorstellt. Aber Leilah schien nicht überrascht.
»Ich weiß.« Sie gab mir eine schlaffe Fischflosse. Dann wieder zu Marc-nur-Marc. »Armin. Warst du dabei?«
Armin Havanna. Ich verstand nicht, was Marc faselte, ich sah ihn plötzlich vor mir, wie er mir Tragisches in die Augen dichten wollte und nach dem Römer griff. Nicht Li, das war Cupido. Nur ein Glas auf dem Tablett.
Und oben in der Villa die Badezimmerschränke voll mit Chemie. Für alle Fälle. Und für jedes Wetter.
Cupido kam mit dem BMW, und wir stiegen alle ein. Wir mußten einen Parkplatz suchen, dann erst konnten wir ins Café gehen, um zu frühstücken. Ich nahm nicht viel von meiner Umgebung wahr.
Blauer Himmel, knallwarme Märzsonne schon am frühen Morgen, Cafés, Palmen, Fischer und der salzige Hafenduft. Ich hätte juchzen müssen vor Freude. Leilah ging so nah neben Marc, daß sie eine Hand in seine Jeanstasche hängen konnte. Wir bogen nach links ab und kamen auf einen langen Platz. Die meisten Tische in dem Eckcafé waren noch leer, die Ober hatten weiße Fräcke an. Cupido pflanzte sich an einen Mitteltisch neben der Tür mit Blick auf die Straße und orderte das Frühstück. Wir setzten uns dazu, ich mußte mir einen Stuhl vom Nebentisch herumdrehen.
Cupido machte, was Marc sagte. Abhängigkeiten, eindeutig. Leilah saß jetzt auf Marcs anderer Seite und quatschte auf ihn ein. Sie ging offenbar auf ein Internat in Genf und war dort abgehauen. Nein, Hilda wußte Bescheid. Sie hatte mit ihr telefoniert. Hatte das mit Armin erfahren. Ja, Hilda dachte sich schon, daß Cupido den BMW hatte, und wohin er damit wollte. Er solle den Ölwechsel nicht vergessen, der sei überfällig.
Wieder gab es Milchkaffee und diese Zuckerschnecken, diesmal mit Sahne gefüllt. Cupido hatte nach dem Reinbeißen einen weißen Nikolausbart. Ich kannte mich mit diesen Superreichen nicht so aus, ein BMW immerhin schien wichtig genug, um an den Ölwechsel zu denken. Söhne, Töchter, Freunde. Welche Rolle spielte Marc. Der Liebhaber der Mutter? Er machte sich aus Leilahs Umklammerung frei und knallte Cupido die Hand auf die Schulter, daß dem die Schnecke in den Kaffee fiel. Sie lachten sich halbtot. Leilah saß daneben. Leicht säuerlich: »Habt ihr was mitgebracht?«
Cupido angelte das Tütchen aus seiner arabischen Unterwelt und warf es vor Leilah auf den Tisch. Es war offen, eine dünne Puderspur blieb auf dem blauen Leinentischtuch. Der weißbefrackte Ober brachte Champagner, Cupido ließ seine Serviette auf das Tütchen fallen. Seine Bewegungen waren weich und schnell. Ich verschluckte mich fast, aber der Ober hatte nichts gemerkt. Leilah nahm die Serviette vom Tisch, Cupido lehnte den Arm auf die Puderspur und schnüffelte danach seinen Arm ab. Wieder brachen er und Marc in brüllendes Gelächter aus. Sahen mich an, grölten wieder. Marc stand plötzlich auf und nahm Leilah bei den Schultern.
»Komm, setz du dich da rüber zu deinem Bruder. Ich muß neben meine Braut.« Er mußte sie mit Gewalt hochziehen, rückte nah zu mir hin und küßte mich. »Ich liebe sie nämlich«, verkündete er dem Kellner, der mit dem Goldpapier auf der Flasche kämpfte. Leilah sagte nichts. Sah knapp an mir vorbei. Bei der Verteilung von Humor hatte sie sich nicht gemeldet, vielleicht war sie auch einfach noch zu jung dafür.
Ich hob mein Glas. »Nasdrowje!«
»Salud«, sagten die anderen.
»Klaro«, stimmte ich zu. Die mit ihren ewigen Spanizismen.
»Scål«, grinste der Kellner und stopfte das Geld weg, das Cupido ihm zusteckte. Ich kuschelte mich wohlig in Marcs Arm und lachte herzlich mit.
»Helke!!!« Brüllen, Lachen. Ein Auto bremste quietschend, weil direkt vor ihm ein Moped stand. Suzuki-Puch metallicrot. »Helke!« Ich verstand immer noch nicht, schaute immer zu dem Auto, einem Taxi, das jetzt mit deutlichem Mißfallen um das Moped herumfuhr. Das Moped stand im absoluten Halteverbot und blieb da auch stehen. Der Typ, der dazugehörte, flankte lässig in unser Café rein und stürmte auf mich ein. »Helke! Was machst du denn hier! Mann, das freut mich aber!« Er riß mich aus meinem Stuhl, drückte mich und küßte mich und wollte mich nicht mehr loslassen. »Absolut super!« Er ließ mich endlich los und holte sich einen Stuhl. »Sagenhaft!!!« Knallte sich an unseren Tisch und strahlte mich an.
Ich hatte keine Ahnung, wer er war. Nicht mal so eine Andeutung von Erinnerung. Etwa Ende Dreißig, mittelgroß, mittelschlank, gleichmäßig geschnittenes Gesicht, volles Haar, mittelbraun, helle Hornbrille mit runden Gläsern. Weiße Leinenklamotten wie jenseits von Afrika. Dunkel gebräunt und des Spanischen mächtig, wie er bewies, als er beim Ober eine neue Flasche und noch ein Glas bestellte.
Marc, Cupido und Leilah schwiegen und starrten ihn an, als käme er von einem anderen Stern. Ich hätte ihn ja gern vorgestellt. Immerhin duzte er mich. Was natürlich auch wieder nichts besagte. »Und wie geht’s dir so?« fragte ich statt dessen lahm.
»Super. Was machst du denn hier?« Das hatte ich nun davon. Statt einer Information nur eine Gegenfrage.
»Dasselbe wie du!« Versuch.
»Was, du schreibst jetzt auch?« Reingefallen. Aber erster Hinweis. Ich lächelte geheimnisvoll. Er nahm dem Ober das Glas aus der Hand und füllte es mit dem Rest aus unserer Flasche. Cupido wollte etwas sagen, aber ein Blick von Marc hielt ihn zurück. Der Puchfahrer bekam davon nichts mit. Er nahm auch mein Glas, gab es mir in die Hand und stieß an seins. Gott, wollte er jetzt Brüderschaft mit mir trinken?! Nein. Er rutschte auf seinem Stuhl ein Stück seitlich runter und kniete nun mit einem schneeweißen Knitterleinenknie vor mir im Straßenstaub. »Tu’s nicht! Ich flehe dich an! Bitte!« Er mußte sein Glas wegstellen, um meine Hand zu ergreifen. Schauspieler war er keiner, soviel war klar, nicht mal Amateur. Hatte aber dauernd mit diesem Pathos zu tun. Theater, Film, Fernsehen, so was verhunzt auf Dauer jede normale Umgangsform. Schreiber also. Ich merkte, daß Marc neben mir deutlich nervös wurde. Ich legte ihm meine Hand aufs Knie. Das Knie zitterte. Ich versuchte, es festzuhalten, das Zittern ließ sich nicht beruhigen.
»Wer ist das eigentlich?« fragte Cupido an seiner Stelle. Ich ließ das Knie los.
»Ja, genau. Wer bist du. Hast du darüber schon mal nachgedacht?«
Der Schreiber lachte. Halb verlegen, halb hatte er aber auch mitbekommen, daß hier außer ihm noch andere saßen.
»Normalerweise fragt man«, murmelte Leilah, »und hockt sich nicht einfach dazu.«
Sein Lachen kam mir bekannt vor. Ich kannte ihn, das stand fest. Aber wo und wer? Und warum? Er hatte endlich einen guten Einfall. Verteilte seinen Champagner in unsere Gläser.
»Tut mir leid. Ich hab nur Helke gesehen.« Völlig unverdienter Balzblick. »Ich bin der Lutz.« Er hob sein Glas und grinste ranschmeißerisch, nur Leilah und Cupido reagierten.
»Salud.«
Lutz Lippert. Jetzt hatte es geklingelt. Meine Güte, der Kerl sah vollkommen anders aus, und dann noch in dieser Umgebung. Ich dachte, ich wäre weg aus München und Schwabing!
Das mußte ich laut gesagt haben. Lutz Lippert lachte sonor auf.
»Ach du liebe Zeit. Weißt du denn nicht, daß du hier von Ostern an halb München und ganz Schwabing triffst? Gute Einfalt, die kommen doch alle hierher.«
»Hierher?« Ich dachte zu langsam, ich dachte, ich wäre ganz woanders. »Nicht mehr in die Toscana?«
»Andere Richtung. Mehr Journaille oder Jugendbuch. Moderne Medien sind hier. Du doch auch, oder?« Wieder das Lachen, eine Oktave höher. Ich erinnerte mich. Balonders, Grünbek, die ganze Pest. Sie alle hatten Häuser auf Ibiza. Da traf man sich. Salud. Wehmütig dachte ich an Timbuktu oder Bukittinggi. Aber vielleicht war da auch schon alles belegt. Matte an Matte.
Marc und mein Rucksack. Ich wandte mich ihm zu und prallte vor seinen Vibrations zurück. Inzwischen hatte auch Lutz das gemerkt und wandte sich nur noch an Marc.
»Ich schreibe gerade etwas fürs Fernsehen«, sagte er sotto voce, ohne das schmutzige Wort Serie in den Mund zu nehmen. »Helke sollte die Hauptrolle übernehmen! Eine wundervolle Frau spielen, voller Witz und Menschlichkeit, wenn du verstehst, was ich meine.« Marc verstand nur zu gut. Er stand auf. Sah auf mich herunter.
»Wir müssen leider weiter. War nett, Sie kennengelernt zu haben.« Souverän. Ich sprang erleichtert aus meinem Stuhl, Lutz Lippert wollte mich festhalten.
»Aber ich brauche Sie!« Aha, plötzlich wieder Sie. Vielleicht hatte er aber auch noch mit Marc gesprochen, und das Sie klein geschrieben gemeint. Wir gingen zum Hafen zurück, Lutz wurde vom weißfrackigen Ober zurückgehalten.
Scål.
Der BMW stand im Parkverbot, direkt hinter einem weißen Range Rover mit schwarzem Rammgestänge, Suchscheinwerfern und Rallyeaufklebern. »Willst du?« Leilah warf Marc die Schlüssel zu, Marc fing sie und kletterte in den Rover. Cupido sah ein bißchen dümmlich aus, wenn er so nach oben schauen mußte. Seine Unterlippe stand halb offen. Die französischen Flohstiche hatten sich vermehrt.
»Und ich?«
»Du kommst mit dem BMW nach. Du mußt noch Öl wechseln. Klar?«
»Ja, aber das hat doch Zeit, oder?«
»Nein«, Marc winkte Leilah und mir zu, wir stiegen auch in den Rover, Leilah nach hinten. Marc machte ein Zeichen zu Cupido und ließ den Motor an. Der Rover ratterte los, und ich mußte meine Titten festhalten, weil sie sonst weggeflogen wären. Hocker-di-bocker. Cupido blieb hinter uns zurück, er schien zu winken. Wie einer, der um Hilfe ruft.
Wir bogen ab.