Kapitel 15

Dunkelheit.

Kälte.

Ich stolperte über einen Stein und krachte lang hin. Blieb liegen. Kontrollierte, ob alles noch dran war, und rollte mich zufrieden auf den Rücken. Über mir die Sterne. Schade, daß nicht August war. Dann hätte ich auf Sternschnuppen warten können.

Das Rauschen der Brandung war weit weg und doch nah. Ich lag hoch oben auf dem Felsen, unter mir nagten das Meer und die Ewigkeit. Knabber-knabber-crasch-bumm. Ich kicherte. Wenn ich mich aufrichtete, konnte ich in der Ferne Lichter sehen. Aber wozu aufrichten, wo es doch auch bequem ging.

Die Kälte war unangenehm. Dabei war es nicht wirklich kalt, sondern nur so widerlich feucht. Alles schien von Salz und Nebel durchtränkt. Ich dachte an das schöne dicke Sweatshirt in Hildas Auto.

Unter einem Busch schien der Sand etwas trockener, ich rollte mich darunter. Marc. Dem hatte ich es auch gegeben. Ihnen allen. Ich war unschuldig.

Unschuldig!

Die arme Wasserleiche.

Ich weinte.

Sah fasziniert, wie meine Tränen kleine Krater in den Sand unter mir schlugen. Mama. Oma. Friß, Vogel! Sie war trotz allem gestorben. So mühevoll. Und Heiko lebte ja noch.

Oder?

Genau. Ich rappelte mich wieder auf und taperte in Richtung der Lichter. Ich hatte rausgefunden, daß die hellen Stellen Fels waren, die dunklen meist Löcher. Nur nicht den Knöchel brechen oder so was Häßliches. Vorsichtig, langsam, ich hatte die ganze Zeit dieser Welt. Und meinen Beutelsack. Den hatte ich mir auch noch geschnappt. Nein, ganz blöd war ich nicht.

Ein scharfer Lichtstrahl und das Brummen eines Motors. Ich sprang auf die Seite und legte mich flach hinter einen Mastixbusch.

»Helke! Helke!«

Der Range Rover. Hilda und Jürgen. Sie fuhren weiter. Ich wartete noch einen Moment zur Sicherheit. Der BMW mußte noch durch, es gab nur die eine Straße. Ich blieb wachsam.

Und hätte ihn doch fast überhört.

»Hellemein!«

Lauter als der Motor, erst dann die anderen Geräusche. Ich lag flach neben der Straße, Hände und Gesicht am Boden.

»Hellemein!!« Langgezogener Schrei, hilflos. Ich lag dicht neben der Straße. Dann darüber Cupidos Lachen und die schrille Stimme von Leilah. »Hellemein!!!«

Ich bewegte mich nicht, dann waren sie vorbei, und gleich hinter ihnen noch eine ganze Reihe anderer Autos, Lichter, Dröhnen.

Ruhe.

Ich blieb unter meinem Mastixbusch liegen. Die Erde unter diesen Dingern soll besonders fruchtbar sein. Vielleicht bekam ich Zwillinge. Ich kniff die Augen zusammen, um unter den Sternbildern über mir die Zwillinge auszumachen. Ich fand nur den Morgenstern und die beiden Bären. Vertraut. Ich schloß die Augen.

Das Quietschen gehörte nicht her.

Die Brandung war monoton wie eine Autobahn, in den Mauern zirpten die Hasel- und anderen Mäuse ihre Liebeslieder, das Holz alter Sabinabäume knackte im Wind. Das waren die Geräusche der Nacht, selbst mein Kichern gehörte inzwischen dazu. Nicht aber dieses Quietschen.

Es kam näher.

Quiiiek-quiiiek-quiiiek. Sehr leise, gleichmäßig und nicht unfreundlich. Aber es mußte ein Mensch sein. Ein Feind. Jeder war ein Feind, ich konnte keinen von ihnen mehr ertragen. Ich tastete um mich, bis ich einen handlichen Stein fand, nahm ihn in die Hand, wog ihn und kroch halb um den Busch herum. Duckte mich und wartete.

Quiiiek-quiiiek-quiiiek. Und dann hörte ich auch den Atem, eine Art Schnaufen. Plötzlich war es taghell, ich mitten im Scheinwerferlicht wie Hägar auf der Laienbühne.

Ich schleuderte den Stein nach dem Spot, es wurde dunkel, irgendwo krachte der Stein auf anderes Geröll. Gelächter. »Leider eine Niete. Noch zwei Würfe frei!«

»Scheiße.« Ich stand auf und wischte mir die Hände ab, hielt meine Beuteltasche an mich gepreßt und vertraute ganz auf die rechte Handkante. »Mach das Licht noch mal an, ja!«

Es war eine ganz normale Stablampe. Drei-Tage-Bart-Andreas hockte auf einem rostigen Fahrrad und leuchtete meine ramponierten Leinenschuhe an.

»Kann ich dich ein Stück mitnehmen?«

»Haha.«

»Bin ich dir schuldig, oder«, er machte die Lampe wieder aus. »Muß Batterien sparen. Außerdem ist es nicht so dunkel, wenn man sich erst mal dran gewöhnt hat.«

»Kein Mond?«

»Nicht viel. Erst in zehn Tagen.«

»Und kein Licht am Rad?«

»Kaputt.«

Wir schwiegen. Das war immerhin schon eine lockere Unterhaltung. Ich dachte daran, wie ich ihn vor hundert Jahren in München mit meiner Ente abgeholt hatte. Dunkelheit schien unser Schicksal. Wie hatte Inge Ehrenberg ihn mir angepriesen? Athletisch, so eine Art Agassi, nur nicht so katholisch. Ich bekam einen Lachkrampf, verschluckte mich und keuchte unter Tränen. Er war so taktvoll, auch weiter seine Batterien zu schonen. Wartete, bis ich wieder ansprechbar war.

»Also, was ist. Willst du aufsteigen?«

»Auf dein Fahrrad?«

»Warum nicht.«

»Na ja, entschuldige mal …« Ich tastete nach dem durchgebogenen Drahtgestell über seinem Hinterrad. »Nein, danke!«

»Bald geht’s wieder bergab.«

»Noch schlimmer. Ich lauf lieber. Da drüben ist ein Dorf.«

»Gott, bist du blöd. Wir sind hier am Arsch der Welt. Und wo immer du hinwillst, es ist viele Kilometer weit weg. Und was du Dorf nennst, das sind ein paar Häuser, die Leute schlafen längst und machen keinem mehr auf, schon gar nicht einer von diesen Flippies wie dir.«

»Scheiße.«

»Setz dich schon drauf.«

»Das schaffst du doch nie!«

»Kommt auf einen Versuch an. oder?«

Ich zögerte. Die Vorstellung, hier mitten in der Nacht ganz allein zurückzubleiben, behagte mir nicht mehr, aber dieser dürre Gepäckträger auf einem Fahrrad ohne Licht schien auch nicht sehr einladend. Ich wandte mich um.

»Von da hinten kommt keiner mehr. Die sind alle abgefahren. Und der Rest bleibt über Nacht.«

»Zwei Polizeiautos.«

»Auch die.

Ich verstand. Der Rückweg war abgeschnitten, kein Nachschub zu erwarten. Der letzte Sani stand neben mir. Ich hatte mal eine Krankenschwester zwischen den Fronten gespielt.

»Warum lachst du?«

»Habe ich gelacht?«

»Hör zu, ich möchte hier nicht festwachsen. Ich frag dich auch nicht, warum du hier allein rumkriechst, statt mit einem deiner Freunde im Auto heimzufahren. Okay?«

Ich schwieg. Er zog seinen Pullover aus, faltete ihn zusammen und legte ihn als Kissen auf den Gepäckträger. Ich setzte mich rittlings drauf, hielt mich mit der linken Hand an seinem Athletenbauch fest und nahm die Stablampe in die rechte. Die Sporen gab ich ihm nicht, es war auch so schon mühsam genug, die Beine angewinkelt hochzuhalten.

Zweimal wären wir fast hingeknallt, aber dann schien er den Dreh rauszuhaben, und wir kamen voran. Nach meinen Berechnungen mußte es schon weit nach vier sein, lange konnte es also nicht mehr so dunkel bleiben. Ich beschloß, die Batterien zu verschwenden und ließ die Lampe brennen. Steine, Löcher, Sandkuhlen. Man hört auf, Schmerzen zu empfinden. Morgen hatte ich sicher ein gestaucht-gequetschtes Steißbein, aber im Moment fühlte ich mich munter. In Bewegung.

Ich begann zu singen. ›Ol’ man river‹. Ich würde sonstwas dafür geben, einmal in einem Western mitzuspielen. Marilyn Monroe! Ich natürlich die graumäusige Gegenspielerin, das schon. Ich kenne meinen Platz. Mein Cowboy begann zu schwitzen. Er war eben auch nur zweite Besetzung.

Immerhin hatte er keine weitere Bemerkung gemacht über mich hier allein in der Wüste. War ja auch nicht weiter aufregend. Ich wollte allein sein. Keinen von denen mehr sehen. Konnte sie nicht ertragen. Auch nicht Marc. Sein Gesicht, als ich Heiko niedermähte. Seine Berührung. Seine Nähe. Nein.

Ich hatte das Gefühl für Zeit und Schmerz verloren. Hing hinten auf dem Gepäckträger an dem schweißnassen Rücken geschmiegt und lauschte dem mühsamen Quieken der Kette. Oder was immer es war. Wie ein Motor. Wie sein Schnaufen. »Kannst jetzt ausmachen«, keuchte er kaum verständlich, und erst da sah ich, daß es vorbei war, überstanden. Silbergrau die Spitzen der Olivenbäume, grau gegen den grauen Himmel. Grau-grau-grau. Die wundervollste Farbe der Welt. Der Tag.

Und dann war der Huckelweg plötzlich zu Ende, noch eine weiche Sandkurve, und wir waren auf der Straße. Auf einer richtig geteerten Landstraße, glatt, eben, leicht bergab. In diesem traumhaft schönen Asphaltgrau. Wir lachten und schrien vor Freude, spreizten die Beine ab und ließen den Gaul laufen. Wir waren allein auf der grauen Kugel. Die Welt gehörte uns. Am Himmel die ersten Rosa- und Blautöne. Verschlafene Bauernhäuser am Straßenrand. Apartmentklötze in gewohnter Häßlichkeit. Das erste Auto ein grüner Müllwagen.

Wir jubelten nicht mehr. Müde krochen wir weiter. Schweigend im immer dichter werdenden Morgenverkehr. Dieselstinkende Busse, Taxis, Lieferwagen und frisierte Mopeds. Als er hielt, kam ich nicht von dem Ding runter. Ich konnte mich nicht bewegen, mein Hintern war eine einzige Brandblase. Direkt vor uns ragte ein Hotelklotz auf. Er lehnte das Rad gegen ein blaues Parkplatzschild und nahm meine Hand. »Komm.«

Ich trottete hinter ihm her. Die Fußsohlen, immerhin, hatten sich erholt. Ich war froh, daß er das Rad nicht abgeschlossen hatte, hoffentlich wurde es geklaut, ich wollte mich nie wieder da draufsetzen müssen.

Wir kamen an einem Grillplatz mit Meerblick vorbei, überall lagen noch verbogene Pappteller und leere Becher. Eine kleine Mauer, der Hotelstrand. Reihen von Sonnenschirmen und hohe Stapel mit blauen Liegen, von dicken Ketten umgürtet und verschlossen. Ein grobbeiger Sandstrand und eine sanfte Schaumlinie, die immer an Land wollte und sich doch nie weiter rauftraute.

Wir zogen uns aus und liefen ins Meer. Eiskalt und klar. Hinter den Hausskeletten kam die Sonne hoch wie Feuer über den Ruinen. Bei einem Rohbau schien sie flammenrot durchs Baugerüst. Ich drehte mich um und schwamm auf dem Rücken. Oben hing die rauchdünne Zitronenscheibe Mond. Nur ich und das Meer. Das Silbergrau färbte sich golden. Funkeln und Glitzern. Diamonds are the girl’s best friends. Ich tauchte unter und rubbelte mir die Haare mit Salzwasser durch. Kam wieder hoch.

Direkt vor mir Drei-Tage-Bart-Andreas. Schnaufend, prustend und spuckend wie ein Wal kam er gerade von einer mittleren Südpol-Expedition. »Das ist gut gegen Muskelkater«, kraulte er an mir vorbei. Genau, so war er. Alles hatte seine Nützlichkeit, oder es existierte nicht. Ich wäre gern noch im Wasser geblieben, aber jetzt war der Charme raus. Bei den Hotels erschienen die ersten Boys und putzten den Sand und richteten die Liegen in Reih und Glied aus, damit Düsseldorf & Co. alles wieder propper und wie gebucht vorfanden.

Als ich aus dem Wasser kam, unterbrachen sie ihr Kippensammeln für eine kurze Musterung. Dann sahen sie Andreas und unsere Kleiderhaufen, und tiefe Verachtung zeigte sich in ihren Gesichtern. Widerwillen vor diesem Pennerpack. Nur die Trägheit hinderte sie, nach dem Hoteldirektor, der Polizei und der Müllabfuhr zu rufen.

»Da steig ich nicht mehr drauf«, verkündete ich, als wir vor dem bedauerlicherweise nicht geklauten Fahrrad standen.

»Mir tut auch alles weh«, Drei-Tage-Bart-Andreas holte seinen flachgedrückten Pullover vom Gepäckträger. »Das ist ein Leihrad.«

»Kosten?«

»Vergiß es.« Er warf sich den Pullover über die Schulter und latschte los. Ließ das Rad einfach stehen. Das schien mir im blassen Morgenlicht ein Zeichen von Stärke.

Wir stapften auf der Straße nach Ibiza-Stadt. Latsch-latsch, die Heide blüht. Und kein Arsch hielt an. Das lag natürlich an der Kombination. Schöne junge Frau und alter Geier. Er bot mir denn auch an, im Busch zu warten, bis ich einen erwischte, aber ich lehnte das ab. Fair ist fair. Und so viele Autos in unsere Richtung kamen nun auch wieder nicht. Höchstens Touristen, die rauswollten aus dem Scheißnest. Heim zu Weißwurst und Melitta.

Blöde Witze.

Klappte großartig. Hin und her wie Pingpongbälle. Nach alldem, was wir gemeinsam durchgestanden hatten, hätte ich mich nie von ihm getrennt. Nicht um mein Leben. Ich sank auf ein Kreuzungsschild. »Gibt’s hier keine Busse?«

»Nur die U-Bahn.«

Wir lachten uns kringelig. Mit wem kann man das schon. Morgens kurz nach sieben auf einer Mittelmeer-Touristeninsel. Müde schleppten wir uns weiter. »Und was jetzt?«

»Genau. Kaffee oder Bier?«

»Also, meine Wunschliste ist: Ein Liter eiskaltes Mineralwasser, dann einen halben Liter Kaffee mit Milch, ein Knuspercroissant und dann möglicherweise ein Glas Champagner.«

»Ziemlich kompliziert. Für mich ein Pils und eine Hängematte. Nada más.«

»Aha.«

»Eben.«

»Und danach?«

»Ist das ein Angebot?« Er blieb stehen, und ich rannte auf ihn drauf. Er sah mich an. Grau und müde. Er gähnte herzergreifend.

»Du solltest dir die Amalgamfüllungen rausmachen lassen.«

»Also, was nun?« Immer noch gähnend.

»Das frag ich ja dich. Was hast du vor?«

»Zum Hafen. Kaffee, dann kannst du dir ein Taxi nehmen oder einen Liebhaber.«

»Und du?«

»Schiff und heim.«

»München?«

»Quatsch«, er schlurfte weiter. »Formentera. Da drüben.« Er hob eine schlaffe Hand und deutete vage übers Meer gen Süden. Ich wurde wach, packte ihn am Arm und hielt ihn fest.

»Ist das die andere Insel da drüben? So’ne flache?«

»Ja, warum?«

»Nimmst du mich mit?«

Er musterte mich, als sähe er mich hier zum erstenmal. Seine Augen waren nicht blau, wie ich gedacht hatte, sondern grün. Grabenfalten neben den Mundwinkeln. Er war kaum viel älter als ich, vermutlich sah ich im Moment auch aus wie vierzig. Ich wartete auf eine anzügliche Bemerkung oder einen dämlichen Witz. Aber er blieb ernst, nickte nur und ging wieder weiter. Munterer als vorher, so als würde die erfrischende Wirkung unseres Bades erst jetzt einsetzen.

Ich hatte an eins der alten Hafencafés gedacht, das hier war neu und weiß. Aber die federnden Plastikschalen nahmen meine wunde Kehrseite weich auf, der Kaffee war gut, das Wasser kalt und prickelnd, die Welt wieder beinahe menschlich. Vor uns auf dem Pier stauten sich Autos, unser Schiff wurde beladen. Wir hatten noch viel Zeit.

»Sag mal«, fing ich an, »macht das nicht verdammt viel Mühe, sich dauernd so einen Drei-Tage-Bart zu erhalten?« Er schlürfte an seinem Kaffee, nickte einem vorbeigehenden Spanier zu.

»Nicht sonderlich. Ich hab keinen großen Bartwuchs. Einmal die Woche reicht.« Er fuhr sich schnell mit der Handfläche über das Kinn. Kratzgeräusche. »Morgen.«

War das jetzt peinlich? Ich konnte ihn nicht einordnen. Ich hatte schon davon anfangen wollen, wie gemein das für die Frau ist, wenn sie von so einer Scheuerbürste geküßt wurde. Fragte mich gleichzeitig, ob er denn je Frauen küßte. Wechselte das Thema.

»Du bist Schriftsteller, hm?«

»Hm.«

»Dann mußt du immerhin einen Haufen Phantasie haben.«

»Ich schreib keine Fantasy.«

»Haha. Ich meinte Phantasie.«

»Ja, ja. Nein, nicht unbedingt. Genaue Recherche. Das ist wichtig. Verstehst du?« Er wandte sich mir zu, Milchschaum an der Oberlippe. »Die Fakten sind wichtig. Es muß stimmen!« Er bekam richtig was Missionarisches in den Blick. So hatte ich ihn auch eingeschätzt. Als Trockenfurz. Ich blieb aber höflich.

»Dann bist du eher Journalist.«

»Ja, genau.« Stolz.

»Beim Spiegel, vermutlich«, konnte ich mir nicht verkneifen. Er schob die Tasse weg und steckte sich eine Zigarette an. Frisch gekauft. Was mußte er all die Stunden gelitten haben. Er inhalierte gierig, schloß die Augen, atmete Rauch durch die Nase wie ein mittelalterlicher Drachen.

»Die haben auch schon mal einen Artikel von mir gebracht!« verkündete er. Ich hörte nicht richtig hin, sah nur den Rauchwölkchen nach.

»Da gibt’s nichts zu grinsen, verdammt!«

»Ich grins doch nicht«, kicherte ich. Er wurde böse.

»Du kannst auch abhauen!«

Richtig böse. Ich schwieg verdattert. Er beugte sich vor und paffte mir Celtas-Schwaden in die Nase. »Zurück zu deinen Scheißfreunden! Da rauf in die Luxusvillen und weichen Betten.«

»Ach, Gottchen, noch mal!« Das war ja die Proletariernummer, die hatte ich nun als allerletztes erwartet. Dieser blöde Pinscher! »Das Schiff da drüben gehört ja wohl nicht dir, oder? Ich meine, ich kann mir auch mein Ticket noch selber kaufen. Spiel dich hier bloß nicht so auf. Wieso drückst du dich denn immer bei diesen Leuten rum, wie? Weil’s Bier da billiger ist? Auch eine Recherche, haha!«

Jetzt war er an der Reihe, verdutzt aus der Wäsche zu glotzen. Ich winkte dem Kellner und bestellte mir einen Orangensaft und einen Pikkolo. Das schien er zu verstehen. »Schon dein Name«, giftete ich weiter, »Andrés! Bloß weil du in deinen Ferien mal in Spanien warst.«

»Ich hab mich nie so genannt. Und fang jetzt nicht an zu saufen, dann drehst du völlig durch!«

»Sag mal, bist du noch sauber?« Ich hätte ihm an die Gurgel gehen können und bedauerte nur, daß ich mir keinen dreifachen Cognac bestellt hatte. »Oder kommst du aus Tübingen?«

»Backnang. Dann will ich jetzt aber doch gern wissen, wieso du da weggelaufen bist.«

»Weggelaufen?« Ich kapierte nicht, aber Backnang erklärte einiges.

»Ja, weggelaufen. Vor wem?«

»Ich bin nicht weggelaufen. Mir gingen die nur auf die Nerven mit ihrer Hektik. Mit dem Lärm, dieser aufgedrehten Fröhlichkeit. Musik und so, nachdem man eben ein totes Mädchen unterm Haus gefunden hat. Das hat mich angekotzt. Davor bin ich weggelaufen, wenn du so willst. Backnang!«

»Ist das wahr?«

»Wahr! Nimm’s als Hörensagen.«

»Dann trink ruhig weiter. Dann hilft das nur.« Er bestellte für mich noch einen Pikkolo, für sich ein Bier. Sah mich nicht an. »Du scheinst ja echt bescheuert zu sein. Die waren so hektisch und überdreht, weil die sich wie blöd alles reingezogen haben, was noch da war. Aus Angst, ein Krümelchen zu verlieren. Als ob die Bullen auch nur an Koks denken, wenn sie wegen einer Leiche gerufen werden. Das ist ja nun mal eine ganz andere Richtung.«

»Koks?«

»Und der Typ ist natürlich reich. Und keiner von den Ausländern.«

»Wer war das Mädchen?«

»Keine Ahnung. Irgend jemand hat sich produziert und dabei seine Klamotten über Bord geworfen, jemand anderer sah sie da unten liegen und drehte durch. Die standen ja alle voll unter Strom. Das steckt dann an. Statt einen starken Scheinwerfer zu holen, klettern sie da runter.«

»Und das Mädchen?«

»Irgendwann angeschwemmt. Sie lag unter den Felsen in so einer Art Höhle. So was kommt hier öfter vor. Unfälle, Selbstmord, Drogen …«

»Mord.«

»Auch möglich. Logisch. Alles ist möglich. Sie muß erst mal identifiziert werden. Der Kleidung nach war sie eine Touristin. Ich bleib am Ball. Wenn’s eine Deutsche war, übers Konsulat.«

Irgendeine Tote. Nichts, was mich etwas anging. Unser Schiff trötete. Drei-Tage-Bart-Andreas stand auf. Wir gingen über die Pier und über ein Treppchen an Bord. Es war ein ganz gutes Gefühl. Als würde ich etwas hinter mir lassen.