Kapitel 16

Der Vater ist so ganz anders. Manchmal denkt Heinz, dass er ihn gar nicht mehr kennt. Und dann wieder fürchtet er, der Vater könne plötzlich wieder der Alte werden, und dann würde es schlimmer als vorher. Als Ida mit Heinz in der Nacht zum Schützhof gekommen ist, hat die Großmutter ein lautes Geschrei gemacht, hat ihm Maulschellen verpasst und ihn dann wieder an sich gedrückt. Dass sie das tun würde, hat er sich schon gedacht. Dann sind sie in die Küche, wo der Vater am Tisch gesessen hat, und Heinz hat scheußliche Angst gehabt, denn dass er jetzt eine ordentliche Tracht Prügel bekommen würde, das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Die Ida hat sich von der Großmutter nicht zurückhalten lassen, sondern ist mit in die Küche und hat sich vor den Vater gestellt, der sie ganz verblüfft angestarrt hat.

»Der Heinz ist freiwillig mit mir gekommen. Er bereut, was er getan hat, und wird alles ehrlich berichten. Das tut er, weil er darauf vertraut, dass sein Vater ihn liebt und ihm seine Dummheit verzeihen wird.«

Das war mutig von ihr, aber die Ida ist eine, die keine Angst kennt. Schon gar nicht vor seinem Vater. Gestimmt hat es nicht, was sie gesagt hat, denn er bereut nicht, dass er weggelaufen ist. Nur dass er die Julia überredet hat mitzugehen, und dass sie nun so schlimm krank ist, das ist ganz furchtbar für ihn, weil es seine Schuld ist.

Dann hat die Ida ihm auf die Schulter geklopft und ist gegangen. Da hat er gewartet, dass der Vater ihn anbrüllt und schlägt, aber das hat er nicht getan. Er hat nur gefragt: »Wo ist das Geld?«

Heinz hat die letzten Münzen aus der Hosentasche geklaubt, aber es war nur noch eine Reichsmark und zwanzig Pfennige. Die hat er vor den Vater auf den Küchentisch gelegt.

»Und der Rest?«

Er hat erzählt, dass er mit der Julia nach Amerika fahren wollte, dass sie aber um das Geld betrogen worden sind und dass er dann mit der Julia wieder zurückgefahren ist, weil sie so krank war und heimwollte. Das hat sich der Vater ganz ruhig angehört, nur die Großmutter hat immer wieder die Hände zusammengeschlagen und auf den Lehrer Hohnermann geschimpft. Am Schluss hat der Vater die eine Mark zwanzig genommen und in die Hosentasche gesteckt. Dann hat er nur gesagt: »Geh in deine Kammer!«

Da ist Heinz unheimlich zumute gewesen, weil er sicher war, dass der Vater sich seinen Zorn für den morgigen Tag aufhebt und dass es dann ganz schrecklich würde. Er hat zuerst nicht einschlafen können; erst nachdem die Großmutter mit einem Teller voller Butterbrote und Räucherschinken gekommen ist und ihm gesagt hat, dass er tüchtig essen soll, da ist er nach den ersten Bissen ins Bett gekrochen, und der Schlaf hat ihn übermannt. Am nächsten Tag ist der Vater am Morgen mit dem Hannes im Stall gewesen, und er hat ihn vor dem Schulgang nicht zu sehen bekommen. In der Schule hat er nur mit dem Kurt geredet, dem Bruder von der Julia. Der hat ihm erzählt, dass es der Julia ein wenig besser geht und dass seine Eltern gesagt haben, der Schütz Heinz dürfe nie wieder zu ihnen auf den Hof kommen. Das haben sie so bestimmt, obgleich die Oma Anni ganz schrecklich geweint hat.

Nach der Schule hat wieder seine Mutter am Dorfanger gestanden, das war ihm nicht recht, weil sie ihm ganz sicher auch Vorwürfe machen wollte. Aber zum Glück hat sie es nicht getan, sie haben nur von der Julia geredet, und danach ist er schnell davongelaufen. Auf dem Schützhof haben sie in der Küche beim Essen gesessen, und die Großmutter hat ihm den Teller bis zum Rand gefüllt. Aber er hat kaum etwas herunterbekommen, denn er hat darauf gewartet, dass der Vater ihn nachher verprügelt. Aber der Vater hat ihn bei Tisch nicht angeschaut und sich nur mit dem Hannes darüber unterhalten, dass der Saustall umgebaut wird und die Säue jetzt auf einem seiner anderen Höfe gehalten werden sollen. Und nach dem Mittagessen hat er anspannen lassen und ist nach Heringsdorf zur Marie Schäfer gefahren. Heinz hat sich sehr darüber gewundert und überlegt, ob er vielleicht gar ohne Strafe davonkommen wird, aber das hat er nicht so recht glauben können. Wahrscheinlich würde der Vater ihn sich am Abend vornehmen, und dann würde es schlimm werden. Er hat mit der Großmutter die Stallarbeiten verrichtet, dann hat er gewartet, dass sie in die Küche geht, und ist schnell hinüber zum Grossmannhof gelaufen. Aber die Grossmann Alma hat ihn gleich davongejagt, nur die Oma Anni hat ihn beim Hoftor rasch in die Arme genommen.

»Das machst niemals wieder, Bub«, hat sie ihn angefleht. »Wenn ich dich auf meine alten Tage verlieren müsst, dass überleb ich net.«

Er hat ihr gesagt, dass er jetzt dableibt. Und dass er morgen einen Obstsaft für die Julia vorbeibringt. Dann ist er schnell wieder hinüber in den Schützhof gelaufen, weil die Großmutter Gertrud schon im Hof gestanden und nach ihm gerufen hat.

»Da brauchst net mehr hingehn, Bub«, hat sie gemeint. »Die bleiben sowieso net mehr lang in Dingelbach.«

Sie hat erzählt, dass der Grossmann Fritz jetzt jeden Tag nach Rödelheim fährt, wo er eine Arbeit gefunden hat, weil sie sonst die Schulden nicht zahlen können.

»Dass die Alma mit dem alten Knecht Adam die Landwirtschaft wird bewältigen können, wenn der Fritz arbeiten geht – das glaubt doch keiner, der seinen gesunden Verstand beieinanderhat«, hat sie gesagt. »Und dazu müssen sie noch die zwei alten Weibsbilder durchfüttern, die zu keiner Arbeit mehr zu gebrauchen sind. Das Lenchen wird von Tag zu Tag wackeliger, und die Anni, die hat noch nie was in der Landwirtschaft getaugt.«

Heinz ist zornig auf die Grossmann Alma gewesen, weil er es ungerecht findet, dass sie ihn nicht zur Julia lässt. Die Julia würde sich gewiss freuen, wenn er sie besuchen käme. Und außerdem will er wissen, wie es ihr geht, denn er macht sich furchtbare Sorgen um sie. Ihr Bruder Kurt hat erzählt, dass die Julia wieder ganz gesund werden könnte, wenn sie ein halbes Jahr in einem Sanatorium in den Bergen verbringen dürfte. Aber das sei schrecklich teuer, und sie hätten kein Geld. Heinz hadert mit dem Schicksal, das den Reichtum so ungleich verteilt. Der Vater könnte der Julia das Sanatorium leicht bezahlen. Aber das wird er ganz sicher nicht tun. Er kauft sich lieber ein Automobil und wirft sein Geld für unnützes Zeug heraus, zu dem die Marie ihn anstiftet.

Am Abend sitzt Heinz in seiner Kammer und wartet auf das väterliche Strafgericht. Doch der Vater kommt zum Abendbrot nicht nach Hause. Als er später mit dem Gespann in den Hof fährt, geht er nur kurz zur Großmutter in die Küche, dann steigt er hinauf in die Elternschlafkammer und schlägt die Tür hinter sich zu. Da begreift Heinz, dass die Strafe dieses Mal anders aussieht. Keine Schläge, keine Verbote, er wird nicht einmal angebrüllt. Er ist für den Vater einfach nicht mehr da. Er geht auf dem Hof an ihm vorbei, er schaut ihn bei den Mahlzeiten in der Küche nicht an, er gibt ihm keine Anweisungen mehr, er kümmert sich nicht darum, wo er ist und was er treibt.

Das trifft ihn tief. So tief, wie er selbst es sich nicht hätte vorstellen können. Der Vater war hart zu ihm, hat ihn oft geschlagen, er konnte grausam sein, aber er ist doch sein Vater. Und er ist auch gut zu ihm gewesen, das fällt ihm jetzt wieder ein. Er hat ihm das Schwimmen beigebracht, er hat ihn gelehrt, was ein guter Bauer können muss, er hat immer gesagt, dass er einmal den Hof erben wird. Ja, er hat den Vater gehasst, er wollte davonlaufen und ihn nie wiedersehen. Aber jetzt versteht er auf einmal, dass man einem Vater nicht davonlaufen kann. Weil er in ihm steckt. Weil er eben sein Vater ist.

»Ach, der kriegt sich schon wieder ein, Bub«, sagt die Großmutter. »Dass du das Geld genommen hast, das hat ihn hart getroffen. Aber lass ein paar Wochen vorbeigehen, dann wird er sich schon besinnen.«

Doch Heinz glaubt ihr nicht. Wie der Vater das neue Auto am Backes zuschanden gefahren hat, da haben die Leut aus dem Dorf ihm geholfen, den Wagen in den Hof zu schieben. Außer sich vor Zorn ist der Vater da gewesen, er hat den Hannes geohrfeigt und die Großmutter angebrüllt, sie solle mit ihrem Gejammer aufhören. Aber zu Heinz hat er kein Wort gesagt, er ist an ihm vorbei ins Haus gelaufen, und wenn Heinz nicht schnell zur Seite gesprungen wäre, hätte der Vater ihn umgerannt. Geradeso, als wäre er gar nicht dagestanden.

Am nächsten Tag hat der Vater mit dem Hannes die Stute vor das kaputte Automobil gespannt, und sie sind nach Steinbach gefahren, wo es eine Werkstatt gibt, die Automobile reparieren kann. Der Hannes ist auf der Stute heimgeritten, aber der Vater ist mit der Bahn zurück nach Dingelbach gefahren, und am Nachmittag war die Marie mit ihrem Vater im Schützhof zu Gast. Sie haben lange im schönen Zimmer gesessen und Verhandlungen geführt, auch die Großmutter ist dabei gewesen, aber Heinz ist nicht hineingerufen worden. Wie er im Stall den Stuten neue Spreu gegeben hat, hat der Hannes zu ihm gesagt: »Da drinnen wird jetzt die Ehe ausgehandelt. Da wirst du leer ausgehen, Bub. Als Knecht kannst dich einmal verdingen, grad so wie ich. Weil die Stiefmutter dir nichts lassen wird.«

Heinz hat ihm gesagt, dass er ein »Schlechtschwätzer« sei, und ist aus dem Stall gelaufen, um sich im Hof in eine Ecke zu setzen. Da hat er mit dem Taschenmesser fest an einem Holzstück herumgeschnitten und konnte doch nicht verhindern, dass er auf einmal traurig wurde. Dem Vater davonlaufen, um in der Fremde sein Glück zu suchen – das ist eine Sache. Aber zu einem Fremden auf dem eigenen Hof zu werden – das ist etwas ganz anderes. Dann hat er sich damit getröstet, dass der Hannes ihm nur Angst machen will und dass ja die Großmutter mit im schönen Zimmer sitzt. Die würde so etwas niemals zulassen.

Weil sich niemand um ihn gekümmert hat, ist er vom Hof gelaufen und hinter dem Pfarrhaus gleich in die Wiesen und Äcker hineingestiegen. So hat er die Dorfstraße umgangen, wo immer seine Mutter steht, um ihn anzureden und zu umarmen. Er mag das nicht, weil es peinlich ist. Vielleicht kommt es daher, weil er jetzt fast zwölf ist und in zweieinhalb Jahren konfirmiert wird. Da ist er erwachsen und kein Schmusekind mehr. Wenn sie immer an der Dorfstraße steht, ihm Geschenke gibt und ihm schöntut, machen sich die Schulkameraden darüber lustig. Sie rufen ihm immer nach: »Mein kleiner Schmusebub. Mein Herzenskindchen. Mein Zuckerbübchen.«

Oder sie feixen: »Der Heini kackt Honig von den vielen Bonbons!«

Natürlich trauen sie sich das nur, wenn es Lehrer Hohnermann nicht hören kann. Sonst würde der zornig werden. Sie sagen es auf dem Schulweg oder wenn sie am Schützhof vorbeilaufen. Es tut ihm weh und macht ihn wütend, aber man kann nichts dagegen tun. Man kann sich prügeln oder zurückschimpfen – die Mäuler kann man ihnen nicht zubinden.

Er springt über den Bach und steigt durch die Stoppelfelder hinauf zum neuen Friedhof. Dort schaut er sich die Gräber an. Es sind vier neue dazugekommen, drei alte Leute aus dem Dorf sind gestorben und ein kleines Kind, das gerade geboren war. Dem Grossmann Herbert, der sich auf dem Dachboden aufgehängt hat, haben sie im Frühjahr einen Grabstein gesetzt. Der ist aus grauem Granit und nicht sehr groß, weil der Fritz, sein Sohn, kein Geld hat. In goldenen Buchstaben ist darauf zu lesen:

Herbert Grossmann

2.10.1860 – 13.4.1924

Sonst steht nichts dabei. Kein »Er ruhe in Gottes Hand« oder »Im Hoffen auf Christus«, wie es auf den anderen Gräbern eingemeißelt ist. Dass er sich umgebracht hat, haben sie aber auch nicht draufgeschrieben.

Es ist schön hier oben, die Herbstsonne wärmt, die Amseln scharren und picken in der Wiese, und drüben, wo jetzt ein Brunnen gemauert ist, sitzen Spatzen und Meisen auf dem Rand und zanken sich. Heinz steigt auf die Friedhofsmauer und schaut sich um. Fast alle Felder sind abgeerntet, nur der Hafer steht noch, und die Äcker, auf denen Kohl und anderes Gemüse wächst, leuchten grün. Am taubenblauen Himmel hängen ganz hinten über dem Taunus ein paar dünne Wolken. Die kommen nicht hierher, die ziehen weiter nach Osten.

Wenn der Vater nichts mehr von mir wissen will und ich später den Hof gar nicht bekomme, dann muss ich von hier fort, denkt Heinz. Vielleicht gehe ich dann doch nach Amerika. Aber ob es dort so schön ist wie hier in Dingelbach, das kann man nicht wissen. Vielleicht nehme ich die Julia mit, wenn sie wieder gesund ist. Er versucht, sich seine Farm in Amerika vorzustellen, aber die Farmhäuser, die Lehrer Hohnermann ihnen gezeigt hat, sind alle nur aus Holz und ziemlich rumpelig gewesen. Das Land ist flach bis an den Horizont und voll mit hohem Gras. Wenn man das glücklich umgepflügt hat, wächst es bestimmt wieder heraus, da hat man immer viel Gras zwischen dem Korn und keine gute Ernte. Es erscheint ihm jetzt längst nicht mehr so verlockend, nach Amerika auszuwandern. Viel lieber würde er hier in Dingelbach bleiben, weil er hierhergehört und es seine Heimat ist. Aber wenn der Hannes tatsächlich recht hat, dann muss er fort.

Er springt von der Mauer und läuft hinunter zum Bach, hockt sich ans Ufer und schaut in das vorübereilende klare Wasser. Mücken schwirren darüber, ab und zu gleitet eine grüne Libelle über die Flut, die hat durchsichtige Flügel, und es heißt, sie kann beißen. An den Baumwurzeln, die in den Bach gewachsen sind, bilden sich kleine Wirbel, die gluckern und plätschern. Er greift ins Wasser, um einen der flachen Steine hochzuheben. Und richtig: Zwei Krebse krabbeln eilig darunter hervor und verstecken sich unter den überhängenden Gräsern. Früher, als die Ida noch mit ihnen am Bach gewesen ist, haben sie manchmal Krebse gefangen. Die haben in die Finger gekniffen, das war aufregend. Hinterher durften die Gefangenen wieder zurück in den Bach, so hat es die Ida bestimmt. Aber jetzt kümmert sich die Ida ja nicht mehr um ihre Freunde.

Beim alten Friedhof an der Kirche sieht er den Kessel Willi mit dem Koppel Erich kommen, sie haben selbst gebaute Angeln dabei und wollen sie in den Bach hängen. Er steht auf und läuft den Weg entlang zur Brücke bei der Kirchgasse, weil er ihnen nicht begegnen will. Es kommt nichts Gutes dabei heraus.

Er überlegt, ob die Marie Schäfer und ihr Vater jetzt immer noch im Wohnzimmer sitzen und um den Ehevertrag verhandeln. Aber wenn sie inzwischen aufgebrochen sind, wird ihn höchstens die Großmutter vermissen. Dem Vater ist ja gleich, wo er ist und was er tut. Da kann er genauso gut hinüber zum Killinger Hannes in die Schmiede laufen und den Willibald mit einer Handvoll Hafer füttern. Vielleicht trifft er da die Ida, die reitet oft auf dem Willibald, da könnte er ein paar Worte mit ihr reden und auch dem Hannes einen »Guude« sagen.

Von der Brücke aus kann man die Grube sehen, die sie ausgehoben haben, um dort ein Haus zu bauen. Dass er dort einmal mit der Mama und dem Oskar wohnen würde, das hat er ohnehin nie geglaubt. Der Killinger Hannes ist ein lustiger Kauz, der hat manchmal verrückte Ideen. Einmal hat er erzählt, er würde auf seiner Wiese eine Scheune bauen. Dann war’s wieder ein Stall, weil er auf die Idee gekommen ist, Schafe zu halten. Aber das hat er alles nicht gemacht, sondern nur davon geredet. Da wird aus dem Haus gewiss auch nichts werden. Vielleicht macht er einen Kartoffelkeller in das Loch. Oder er lagert Dickwurz darin. Aber wahrscheinlich ist eher, dass er es irgendwann wieder zuschüttet.

Als er näher kommt, hört er die tiefe, zornige Stimme des Schmieds, die ist so laut, dass sie über das halbe Dorf hinwegtönt. Die Grube ist schon gut einen Meter tief ausgehoben, da sind sie fleißig gewesen, seit er das letzte Mal hier war. Jetzt steht dort der Killinger Hannes mit dem Oskar Michalski, und wie es aussieht, sind sie am Streiten.

»Ja, bin ich denn dein Depp?«, brüllt der Hannes und greift sich an die Stirn. »Erst kann’s dir net schnell genug gehen, und jetzt willst du auf einmal net mehr!«

»Es tut mir leid, Hannes«, sagt Oskar Michalski. »Es ist nun einmal so gekommen. Wenn du willst, zahl ich dir was für die Mühe, die ich dir gemacht hab.«

Das scheint den Killinger Hannes noch mehr auf die Palme zu bringen.

»Steck dir dein Drecksgeld in de Oorsch!«, tobt er. »Ich brauch’s net und ich will’s net. Geschuftet hab ich wie ein Gaul, die Schmiede hintangestellt, gebuddelt wie ein Maulwurf. Und warum? Weil ich will, dass du die Helga nimmst und ihr zwei mit dem Heinz zusammen ein Heim habt. Dafür hab ich mich abgerackert …«

Oskar Michalski steht ganz still da und lässt den Zorn des Killinger Hannes über sich ergehen. Er schaut recht mutlos drein, findet Heinz. Warum er dem Hannes die Idee mit dem Haus wohl ausreden will? Vielleicht hat er inzwischen ja gemerkt, dass man den Killinger Hannes nicht ernst nehmen kann und dass daraus eh nichts geworden wäre.

»Das hab ich auch einmal gewollt, Hannes«, sagt Oskar. »Lange Zeit hab ich darauf gehofft. Aber jetzt weiß ich, dass ich einer fixen Idee nachgelaufen bin. Und da geh ich lieber meiner Wege, bevor ich mich ganz und gar lächerlich mache.«

Der Hannes packt den Spaten, der neben ihm liegt, und stößt ihn wütend in die Erde. So tief, dass der Stiel richtig zittert.

»Fort willst du dich machen?«, schimpft er und schaut Oskar an, als wolle er ihn gleich auffressen. »Und die Helga, die lässt du allein? Pfui Deibel! Erst kommst du her, machst dem armen Mädel schöne Augen, dass sie ihrem Ehemann davonläuft. Und dann hast du auf einmal die Nase voll von ihr und gehst deiner Wege. Weißt du, was du bist? Ein Heiratsschwindler, ein ganz hinterhältiger. So einer bist du!«

»Denk von mir, was du willst, Hannes«, sagt Oskar und dreht sich um, weil er davongehen will. »Ich hab dir gesagt, dass es mir leidtut. Ändern kann ich es nicht.«

Der Killinger Hannes macht eine Bewegung, als wollte er den Oskar zurückhalten, aber dann fasst er stattdessen den Spaten und reißt ihn mit einem Ruck wieder aus dem Boden. Heinz glaubt schon, er wolle Oskar mit dem Spaten erschlagen, aber das tut er nicht. Stattdessen schmeißt er den Spaten so weit fort, dass er hinten in der Koppel vom Willibald landet.

»Da lauf nur davon, du Labbeduddel!«, brüllt er hinter Oskar her. »Die Helga, die bist du gar net wert! Die hat einen Besseren verdient wie dich! Aber wart nur. Wennst du sie net willst, dann nehm ich sie. Und das Haus, das tu ich bauen, und wenn du verplatzen tust! Dann wohn ich drin mit der Helga! Da wirst du dich noch umschaun!«

Oskar Michalski bleibt tatsächlich einen Moment stehen, wie er den Hannes so schimpfen hört. Aber dann geht er weiter, steigt über den Bach und setzt sich unter eine der alten Weiden, die längs des Bachlaufs stehen. Da hockt er, stützt die Ellbogen auf die angezogenen Knie und lässt den Kopf hängen.

Drüben zieht sich der Killinger Hannes jetzt grollend und schimpfend in seine Schmiede zurück, und man hört gleich darauf seinen Hammer auf dem Eisen klingen. Heinz überlegt, dass er jetzt besser nicht in die Schmiede geht, weil mit dem Hannes nicht gut Kirschen essen ist, wenn er seine Wut hat. Deshalb entschließt er sich, zu Oskar Michalski hinüberzulaufen, um ihn zu fragen, warum er jetzt seine Mama doch nicht heiraten will. Er steigt ein Stück weiter oben durch den Bach, und wie er auf Oskar Michalski zugeht, hebt der den Kopf. Froh schaut er nicht aus, als er Heinz sieht.

»Du bist das, Heini«, sagt er. »Du hast das wohl eben mitgehört, wie?«

»Ja«, gibt Heinz zu. »Aber dazu hat’s net viel gebraucht, weil der Hannes so laut gebrüllt hat, dass das halbe Dorf es hat hören können.«

Darauf gibt Oskar keine Antwort, aber er senkt wieder den Kopf und scheint recht bekümmert zu sein. Heinz setzt sich neben ihn und rupft einen langen Grashalm aus, dreht ihn in den Fingern und zerpflückt ihn in kleine Stückchen. Er hat Oskar lange nicht mehr gesehen, weil er die ganze Zeit über nicht vom Hof durfte. Früher hat er ihn gern gemocht, jetzt weiß er nicht mehr so recht, was er von ihm halten soll.

»Stimmt es, dass Sie fortwollen?«, fragt er und blinzelt zu Oskar hinüber.

»Du hast es ja gehört.«

»Schon bald?«

»Kann sein.«

Reden tut er nicht viel. Aber das liegt wohl daran, dass er traurig ist. Heinz lässt trotzdem nicht locker.

»Und wohin wollen Sie gehen?«

Jetzt dreht Oskar den Kopf zu ihm und lächelt ein bisschen.

»Das willst du wissen?«, fragt er. »Nun – auf jeden Fall weit fort von hier.«

Heinz überlegt einen Moment. Noch einer, der aus Dingelbach wegwill.

»Nach Amerika? Das ist ziemlich weit.«

Oskar macht eine ungeduldige Bewegung, er schaut jetzt streng, beinahe zornig aus.

»Hör einmal zu, Heinz«, sagt er. »Das war eine gewaltige Dummheit, was du da neulich gemacht hast. Ich hoffe, dass du das begriffen hast. Hast du nicht daran gedacht, was du deiner Mutter damit antust?«

Heinz ärgert sich. Er ist nicht gekommen, um sich Vorhaltungen machen zu lassen. Schon gar nicht von Oskar Michalski, der es selber nicht mehr in Dingelbach aushält.

»Meine Mama, die weint und jammert immer, aber trotzdem hat sie mich alleingelassen«, sagt er zornig. »Und mein Vater, der will nichts mehr von mir wissen. Für den bin ich nur noch Luft. Aber ich kann net davonlaufen, weil ich noch zu jung bin. Das ist ein Elend. Ich muss halt warten, bis ich alt genug bin.«

Oskar hört sich seine Rede stirnrunzelnd an. Dann schaut er milder drein, und schließlich schüttelt er den Kopf.

»Du irrst dich, wenn du glaubst, dass deine Mama dich nicht liebt«, sagt er in eindringlichem Ton. »Für deine Mama bist du der wichtigste Mensch auf dieser Welt, Heinz.«

Heinz wirft die Reste des Grashalms weg und reißt einen neuen aus.

»Dann hätt sie halt nicht vom Hof gehen sollen«, meint er böse. »Wenn sie dageblieben wär, bräuchte ich net wegzulaufen.«

»Hat es dir gefallen, dass dein Vater deine Mama schlägt?«, fragt Oskar vorwurfsvoll.

Was für eine dumme Frage! Wem sollte das wohl gefallen? Aber Heinz mag nicht nachgeben, der andere soll nicht recht haben.

»So was kommt halt überall mal vor«, meint er schulterzuckend. »Deshalb muss sie trotzdem nicht davonlaufen und mich alleinlassen.«

Oskar starrt ihn so eindringlich an, dass es ihm ganz unheimlich wird. Schlimmer als Lehrer Hohnermann, wenn er über einen Schüler entsetzt ist.

»Wenn du einmal eine Frau hast – würdest du die auch schlagen?«, will er von Heinz wissen.

Heinz stellt sich Julia vor, die so schwach ist und doch seine einzige Freundin.

»Nein«, gesteht er. »Niemals. Und schon gar nicht, wenn ich sie gernhabe.«

»Siehst du«, meint Oskar, und er lächelt wieder ein wenig. »Deine Mutter hatte alles Recht der Welt, davonzulaufen. Und nun hat sie nur noch dich. Darum musst du gut auf sie aufpassen, Heinz.«

Was für eine Zumutung! Er soll für seine Mama sorgen? Die ist doch erwachsen!

»Nein!«, wehrt er sich. »Die Mama, die soll auf sich selber aufpassen. Wenn Sie sie nicht haben wollen, dann nimmt sie halt der Killinger Hannes. Aber ich bleib net bei ihr …«

»Du weißt ja nicht, was du redest, Heinz«, ruft Oskar und packt ihn bei den Schultern. »Deine Mutter liebt dich über alles …«

Heinz macht sich zornig los und springt auf.

»Aber ich bin net ihr Hätschelbub, das kann sie vergessen«, ruft er. »Dass alle mich auslachen. Und überhaupt geht Sie das gar nichts an. Sie wollen meine Mama ja auch net haben.«

In seinem Zorn wäre er beinahe in den Bach gefallen. Im letzten Moment tut er noch einen weiten Sprung, holt sich bei der Landung nasse Füße und rennt die Kirchgasse hinunter, als sei jemand hinter ihm her.