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2. Februar 1920
Ich habe es getan, ich habe ihn mit nach Hause genommen. Bin ich jetzt eine glückliche Rosa? Was glaubst du, Albert?
Beim ersten Mal habe ich geweint. Beim zweiten Mal habe ich die Augen geschlossen und mir vorgestellt, du wärst es. So konnte ich es immerhin ein wenig genießen. Inzwischen macht’s mir Freude. Aber glücklich? Für ein, zwei Stunden vielleicht.
Ja, es tut mir gut, und Dr. Polanski ist ganz einverstanden damit, hat mich sogar gelobt. Und er tut mir gut, der schöne Heinrich. Er ist freundlich, charmant, klug und interessant. Und ja, er ist ein zärtlicher Liebhaber. Doch ihn lieben zu können, wird mir niemals gelingen. Lieben kann ich nur dich.
Heinrich ist eine schöne Blüte, aus der ich süßen Honig sauge, so lange das Leben sie mir gönnt. Ende des Monats wird er wieder nach Berlin gehen. Dann fliege ich zur nächsten schönen Blüte. Werde ich so die glückliche Rosa, die du dir gewünscht hast? Vielleicht.
Heinrich ist Leutnant gewesen, in den ersten Kriegswochen sogar Hauptmann. Wegen Befehlsverweigerung hat man ihn degradiert – ganz ohne Scham hat er davon erzählt. Welchen Befehl er verweigert hat, will er nicht sagen.
Gestern Abend ist er aus seinem Hotel zu mir gezogen. Er hat ja nicht viel Gepäck. Wenn Hagen davon erfährt, macht er mir eine Szene vor versammeltem Personal. Heinrichs Aktentasche musste ich in meinem Keller unter den Kartoffeln verstecken. Es kommt mir vor, als hätte er vor irgendjemandem Angst.
Das habe ich schon gespürt, bevor ich zum ersten Mal den Kolben seiner Waffe unter seinem Jackett gesehen habe. Hätte ich Dr. Polanski von der Waffe erzählt, hätte er mir wohl von diesem Liebhaber abgeraten. Es ist übrigens keine Pistole, sondern ein Revolver, wie er mir erklärt hat, so ein schwarzer amerikanischer mit einer Trommel. Den trägt er immer bei sich. Das gefällt mir nicht.
Und dem Willy gefällt der ganze Mann nicht. Er hat Heinrich mit sämtlichen Flüchen und Schimpfworten bedacht, die er von dir gelernt hat. Kannst du dir vorstellen, wie peinlich mir das gewesen ist?
Für den Mittwoch habe ich mir freigenommen. Mein Bruder wollte den Grund wissen. «Geht dich nichts an, hab ich gesagt.» Erst hat er gejammert, dann geschimpft. Als er laut wurde, habe ich ihn einfach stehenlassen. Hagen tut sich schwer damit, dass ich nicht mehr das Nesthäkchen bin, das nach seiner Pfeife tanzt.
Dir verrate ich den Grund: Heinrich hat mich zu einem Kabarettabend mit Otto Reutter in Barthels Hof eingeladen. Und danach nimmt er mich mit nach Gohlis, in eine der neuen Villen dort. Die gehört dem Kunstsammler und Fabrikanten Weingarten, der in Lindenau Maschinen herstellt. Ich bin gespannt auf seine Gemäldesammlung.
In der Fabrikantenvilla treffen wir uns auf eine Flasche Wein mit dem Sohn des Fabrikanten, einem Anwalt.
Heinrich hat mich gebeten, ihn zu begleiten. Er habe etwas Wichtiges mit diesem Anwalt zu besprechen, sagt er. Ich will gar nicht wissen, was.
Manchmal schaut er mich so verliebt an. Ich fürchte, er wird mir bald einen Antrag machen. Dann werde ich ihm sagen müssen, dass ich nur dich lieben kann. Und dass er für mich niemals mehr sein wird, als eine schöne Blüte voller süßem Honig.