15.

Mittlerweile waren wir alle fünfzehn, und uns war klar, wenn wir nicht bald das erste Mal ins Studio gingen, würde der Karrierezug abgefahren sein. Die Bandgründung war knapp zwei Jahre her, und jetzt konfrontierte uns Lenny mit der Idee, zu seinem Freund Bela nach Langenhorn ins Studio zu fahren. Ins Garage Noise Road Studio.

Als wir das erste Mal dort waren, quollen uns die Augen über. Es handelte sich tatsächlich um ein professionelles Studio. Ein akustisch mit Schaumstoff und akkurat zurechtgeschnittener Pappe ausgekleideter Aufnahmeraum und, etwas erhöht und sogar akustisch getrennt, der Regieraum. Wie im Abbey Road Studio 2 schaute man aus der Regie auf die Musiker herunter. Zugegeben, der Raum war etwas kleiner, so insgesamt vielleicht fünfzehn Quadratmeter, bot aber mehr als genug Platz für unsere Instrumente und ein paar Mikrofonstative, die Bela routiniert aufgestellt hatte. Bei unserem ersten Treffen besprachen wir die technischen Details, und am darauf folgenden Wochenende sollten die Aufnahmen stattfinden.

Allerdings hatte keiner von uns eine Idee, wie man unsere Verstärker und das Schlagzeug von Othmarschen nach Langenhorn transportieren könnte. Auf keinen Fall wollten wir unsere Eltern fragen. Zögerlich bot ich den Jungs an, ich könne ja mal die Sicherheitstypen fragen.

Ohne Einwände fuhren sie unser Equipment in mehreren Ladungen nach Langenhorn. Um den Anschein zu erwecken, wir würden doch ganz schön viel selbst machen und unabhängig sein, wies ich die Herren an, uns eine Straße weiter vorn rauszulassen und das Equipment auszuladen. So schleppten wir es die letzten Meter selbst. Auf Belas Frage, wer denn die Typen seien und warum zum Teufel die nicht bis vor die Studiotür fahren würden, hatten wir uns auf die Formulierung Freunde von Johanns Eltern, die hier in der Gegend arbeiten müssen und keinen noch größeren Umweg fahren wollen geeinigt. Die Aufnahmen starteten also schon irgendwie umständlich, und das Wochenende wies uns dann künstlerisch in unsere Schranken.

»Alter, Johann. Du solltest doch deine Parts üben! Das ist doch total kacke, was du da spielst. Man erkennt überhaupt keinen Rhythmus. Und ehrlich gesagt auch keine einzige Note.« Daniel ging hart mit mir ins Gericht. Obwohl ich wusste, dass er recht hatte, entgegnete ich: »Digga, das ist Punk. Schnall das mal. Es interessiert doch keinen Schwanz, ob man da irgendeine Note hören kann. Das muss so richtig aggro klingen!«

Lenny mischte sich ein: »Unseren Fans ist das vielleicht nicht so wichtig, aber den anderen Musikern eben schon. Ich hab keinen Bock, auf ’ner Platte zu spielen, wo du deine Parts nicht im Griff hast.«

»Im Griff! So von wegen Gitarrengriff, ne?« Dennis saß auf seinem Gallien-Krueger Bass Combo und versuchte einen Witz zu machen.

»Ach, halt’s Maul, Dennis!«, fuhr ihn Lenny an. »Deinen Bass hört nachher sowieso keiner und deine bescheuerten Gags zum Glück auch nicht.«

»Ey!«, pöbelte Dennis zurück. »Da kümmert sich Bela schon drum, dass mein Bass richtig fett drückt nachher. Mach dir da mal keine Sorgen.«

»Jungs!«, mischte ich mich wieder ein. »Scheiß drauf. Echt! Ich geh einfach zu Bela in die Regie und spiel meine Parts nachher alleine ein. Dann geht’s schneller.« Alle sahen mich an. Ohne es geplant zu haben, schien ich einen zielführenden Vorschlag gemacht zu haben. »Gute Idee!«, ertönte Belas Stimme aus den Lautsprechern. »Und wenn du schon auf dem Weg bist, Johann, kannst du mir bitte von der Tanke einen Sixer Holsten mitbringen?«

Am Abend stellte sich heraus, dass wir das Equipment nicht im Studio lassen durften, weil die umgebaute Garage nicht sicher genug war. Endlich, am Montagabend, zwölf Fahrten später, mit den Typen im Auto und dem Equipment auf dem Schoß, das Wochenende über hin und her zwischen Othmarschen und Langenhorn, überreichte uns Bela das fertige Album.

»Hab das Beste rausgeholt«, sagte er, als er uns die Master-CD überreichte. »Wär geil gewesen, wenn die Gitarren besser gestimmt gewesen wären, aber – is halt Punk.« Wir nickten unsicher.

Zu Hause hatten wir schon Dutzende Cover kopiert und gefaltet. Aufschneider sollte das Album heißen. Auf dem Cover: ein Messer. Hinten drauf:

Danke an: Bela V. für die Aufnahmen im Garage Noise Road Studio und an Herrn C., B., M., R., P., V., S. und Sch. für den Transport.

Kryptisch genug, um noch Punk zu sein.