Right!/ Here we go now/ A sociology lecture/ A bit of psychology/ A bit of neurology/
A bit of fuckology/ No fun!
John Lydon, improvisiertes Intro zu »No Fun« (Oktober 1976)
Im April 1976 wurde das erste Album der Ramones veröffentlicht. Neben der Patti Smith Group waren die Ramones die Vorhut der CBGB’s-Szene. »Es kostete sechstausend Dollar, die Platte zu machen«, sagt ihr Manager Danny Fields. »Die Herangehensweise stand längst fest, das Album machte nur noch die Aussage. Wie das Bild auf dem Cover, man stellte sie in die Gasse hinter dem CBGB’s und passte auf, dass der Fotoapparat scharf gestellt war. Sie hatten sich selbst erfunden, und sie hätten das Album wahrscheinlich auch für sechshundert Dollar machen können.«
»The Ramones« war ein Vergnügen für Formalisten. Die Mischung war einfach, aber kunstvoll. Ein minimaler Schlagzeugbeat (beide Kanäle) lieferte die Grundstruktur für den knappen Gesang (Zentrum); ein Bass transportierte sowohl die Melodie als auch minimale rhythmische Variationen (links), und der Gitarrensound (rechts) war lediglich ein verzerrtes, rhythmisches Gefüge. »The Ramones« klingt heute lächerlich simpel, damals war die Platte brutal und entzweite die Gemüter. Nachdem man sie gehört hatte, klang alles andere entsetzlich lahm.
Im Wettstreit um den Anspruch auf die »teenage news« der siebziger Jahre lag New York ganz klar vorn. »London, das Trendzentrum der Mod-Rebellion des vergangenen Jahrzehnts, ist diesmal nur schlechter Zweiter geworden«, schrieb Greg Shaw im April.
»Was die Musik und die reine Pop-Energie angeht, ist New York mit mindestens einem halben Dutzend der wichtigsten Bands für die kommenden Jahre mit Abstand das neue Mekka. Das Publikum in Paris ist das fortgeschrittenste und stellt vielleicht den wichtigsten Nährboden der neuen Welle von ›Straßen‹-Bands dar, von deren Kommen jedermann überzeugt zu sein scheint.«
Im Vergleich dazu waren die Sex Pistols nirgendwo: Alles, was sie Ende April vorzuweisen hatten, war ein einziger Presseartikel, ungefähr fünfzig eingeschworene Fans, ein paar Hausverbote in Clubs und eine geordnete Abfolge von Songs. Nach dem Fiasko im 100 Club musste etwas getan werden. Als sich McLaren in Mininbergs Wohnung in der Bell Street eingerichtet hatte, verschickte er jede Menge Fotos von Ray Stevenson und rief Tausende von Leuten an. Er hatte keinen festen Plan, nur ein paar Ideen und Obsessionen. Dazu gehörte, einen Bogen um die bereits feindlich gesonnene Rock-Szene zu machen. Mit Nils Stevenson erkundete McLaren das Soho seiner Jugend, um einen geeigneten Ort für ein Sex Pistols-Happening zu finden. Nach ein paar Fehlstarts entdeckte Stevenson das El Paradise.
Es war ein heruntergekommener Strip-Schuppen in der Brewer Street mit, McLaren zufolge, »einer Bühne, so groß wie ein Kasperletheater und ein paar verdammt dreckigen Sitzplätzen. Der ganze Laden stank wie ein Scheißhaus, aber wir fanden, er sah gut aus, weil er diesen tollen Eingang mit riesigen nackten Frauen in vergoldeten Rahmen hatte. Wir stritten mit der Mafia herum und trieben den Besitzer auf, was uns zwei Wochen kostete. Als wir ihn fanden, sagte er, wir könnten den Schuppen für hundert Pfund haben. Wir nahmen ihn. Wir machten Werbung, indem wir kleine Flugblätter herstellten, sie aufhingen und überall damit herumwarfen, im 100 Club, im Nashville und an solchen Orten.«
Frühe Sex Pistols-Auftritte waren niemals weit von einer Farce entfernt. »Es war typisch«, sagt Jordan. »Malcolm kriegt diesen Club und sagt den Leuten nicht, was wirklich los ist. Es gab überhaupt keine Alkohollizenz. Michael Collins und ich machten einen Punsch, der aussah wie Grapefruitsaft, der aber mit Tequila versetzt war. Wirklich starkes Zeug. Die Leute kamen, holten sich immer mehr und klappten schließlich zusammen. Nachdem der Abend zur Hälfte vorüber war, tanzten diese Malteser an und kontrollierten, ob wir uns an die Auflagen hielten, weil sie sonst die Lizenz einkassiert hätten. Die sind nicht ganz richtig im Kopf, diese Leute. Michael und ich schrien, ›Trinkt die Beweise‹, und ungefähr sieben von uns taten es.«
»Man stand in diesem Zimmer, das ungefähr die Größe eines geräumigen Wohnzimmers hat«, sagt Jonh Ingham, »und eine Bühne, die nicht breiter als zehn Fuß und vier Fuß tief gewesen sein kann, mit einem Spiegel dahinter. Die ganze frühe Pistols-Anhängerschaft war da: Jordan, Kate Crockford, Viv Albertine und dann die anderen wie die Arrows. Eine merkwürdige Ansammlung von Leuten. Ray Stevenson kam rein und stellte Scheinwerfer auf. Ich wurde wirklich zynisch: ›Was ist das denn für eine Scheiße? Wer ist der Idiot mit den Scheinwerfern?‹ Und dann gingen sie auf die Bühne. John hatte einen roten Pulli an, der zerrissen war, seine Haare standen hoch, und er trug eine alte Ben Franklin Brille. Ich mochte ihn sofort. Die Gruppe sah komisch aus, und ich musste lachen: John versuchte Johnny Rotten zu sein, aber er sah aus wie einem Comic-Heft entsprungen. Er war überhaupt nicht der Wahnsinnige, den man neun Monate später sah. Er sagte: ›Besser, euch gefällt, was ich hier mache, sonst verschwende ich meine Zeit.‹ Alle Songs klangen ähnlich, aber sie unterschieden sich auch ganz klar, einige waren auf jeden Fall gut und andere waren schnell vorbei. Man konnte die Band nicht intellektualisieren. Nicht analysieren. Ich hatte das Gefühl, dass hier etwas passierte, dass es etwas war, dem man folgen sollte, eine Bewegung. Damals hieß es nicht Punk. Malcolm bestand auf ›New Wave‹, wie der französische Film. Caroline Coon war da. Sie war Anhängerin. Sie wusste alles über die Pistols, weil sie ständig zu SEX ging.«
Coon und Ingham arbeiteten für die rivalisierenden Rockzeitschriften Sounds und Melody Maker, die mit dem New Musical Express eine Dreifaltigkeit bildeten. Die Existenz dieser drei Wochenblätter, die im Grunde von den Anzeigen der Musikindustrie abhängig waren, mag publizistisch eigenartig gewesen sein, aber sie hatten einen Einfluss auf den englischen Pop, der in keinem Verhältnis zu ihren Verkaufszahlen stand. Eine Übersicht über die Verkäufe, durchgeführt vom British Market Research Bureau (BMRB) 1975, zeigte, dass der MM oder der NME nur von zehn Prozent der tatsächlichen Leserschaft gekauft wurde. Die Wochenzeitschriften halten den Musikern, der Musikindustrie und den Pop-Fans einen Spiegel vor. Mit über fünfzig großformatigen Seiten, die 1976 jede Woche gefüllt werden mussten, waren die Zeitungen hungrig nach Material und verlangten nach einem extrem häufigen Wechsel von Artikeln und Autoren. Sie öffneten sich daher für Musiker und für junge Journalisten, die sich schnell einen Namen machen wollten.
Die Musikzeitungen waren und sind auf Neuheiten fixiert England ist ein kleines Land mit einem zentralisierten Medienapparat und einer strategischen Bedeutung für die Musikindustrie weltweit, die in keinem Verhältnis zur Größe des Landes steht. Die englische Musikindustrie ist nicht nur ein starker Exporteur, sondern auch ein wichtiges Sprungbrett für die amerikanische Musikindustrie. England reagiert schnell auf Neuerungen. Es dauert manchmal nur einige Wochen von der ersten Presseerwähnung in einem Wochenblatt bis zu einem Auftritt bei Top of the Pops, das bis zu ein Fünftel der Bevölkerung sieht. Aus der Perspektive der Plattenfirmen ist die von ihnen unterstützte Musikpresse am nützlichsten, wenn sie über neue Künstler schreibt und damit Entscheidungen über die »Förderung von Künstlern« bestätigt oder herbeiführt. Es gibt eine Flut von Journalisten aus den Wochenblättern, die als A&R-Verantwortliche (Artist and Repertoire) unterkamen oder Manager wurden. Aber das ist nur ein Eindruck und beruht nicht auf einer Untersuchung. Die Wochenblätter übertreffen sich selbst in turbulenten Zeiten, aber wenn die Musikindustrie stagniert, wird die wöchentliche Deadline zur zermürbenden Schinderei. Das erste Quartal 1976 war keine gute Zeit für die Musikpresse. Die neuen Gruppen wie Moon, Cado Belle, Racing Cars waren allesamt Handwerker im Pub Rock, eine »geschmackvolle« Mischung aus R&B, Rock und Soul, aber wenig legendär. Von den drei Zeitungen, hatte nur der NME eine Auflagensteigerung zu verzeichnen, ein Ergebnis seiner aufmerksamen Berichterstattung über die New Yorker Szene. Progressives hatte der MM nicht zu bieten und hielt sich nur mit seinen umfangreichen Kleinanzeigen über Wasser. Die Lage bei Sounds war verzweifelt: Ein Führungswechsel hatte über ein Zehntel der Auflage gekostet, die ohnehin nur ungefähr halb so hoch war wie die der Rivalen. Alles war offen.
»Ich hatte das Gefühl, als hätte ich nur zwei oder drei Konkurrenten«, sagt Ingham, damals fester Autor bei Sounds. »Nick Kent hatte zwei Jahre oder so, in denen er der beste war. Ich war als nächstes dran, also hab ich meine Chance ergriffen. Das war meine Einstellung. Eines Tages schlug ich den NME auf und las Spencers Besprechung der Sex Pistols. Der Name allein war schon phantastisch. Ich wollte sofort diese Band sehen. Ich befrachtete den Namen mit so vielen Vorstellungen. Ich hatte keine Ahnung, wie ich es anstellen sollte, sie zu finden. Ein paar Wochen später wollte Malcolm McLaren mit Vivienne Goldmann über die Sex Pistols sprechen. Er rief alle Zeitungen an und versuchte das Interesse der Leute zu wecken. Ich sprang darauf an und sagte Vivienne: ›Du wirst diese Band nicht mögen.‹ Ich rief ihn zurück. Er lud mich ins El Paradise ein. Ich sah sie und schrieb schnell eine Besprechung. Alan Lewis fragte: ›Wie war’s?‹ Ich fing an zu erzählen. Er sagte: ›Ich will ein Porträt.‹ Ich sagte: ›Moment mal, ich hab sie nur einmal gesehen. Ich will das nicht schreiben.‹ Aber er kümmerte sich nicht drum: ›Zeig’s mir, ich will ein Porträt.‹ Also rief ich Malcolm an und sagte, dass ich ein Interview machen wollte. Er nannte irgendein Café in der King’s Road. Aber dort traf ich nur Malcolm. ›Wo ist die Band?‹ fragte ich. ›Ich will erstmal mit dir sprechen.‹ Also fingen wir an zu reden, und er brachte die ganze Chose von oben bis unten. Ich bewunderte ihn ungeheuer, weil er erkannt hatte, wie sich die Frustration, die ich seit ein paar Jahren spürte, verpacken ließ. Was ist jetzt populär? Mach das Gegenteil. Die Leute tragen Schlaghosen? Also trägt man gerade geschnittene Hosen. Sie haben lange Haare? Schneide dir die Haare kurz. Die Leute nehmen Drogen? Die Sex Pistols nehmen keine Drogen. Ich sprach eineinhalb Stunden mit Malcolm. Er trug ein hautfarbenes Rollkragen-T-Shirt aus Nylon, eine Lederjacke und Röhrenhosen von SEX. Ich war wirklich beeindruckt, dass sich jemand so anzog. Wieder in der Redaktion, wollte man wissen, wie es war. Ich sagte: ›Das ist unglaublich.‹ Ich arrangierte ein Treffen mit den Pistols. Malcolm sagte mir, ich solle um 12.30 Uhr in die Denmark Street kommen. Ich kam dort Punkt 12.30 Uhr an, und da steht er mit Nils. ›Du bist zu spät. Sie sind schon weg.‹ ›Wie meinst du das? Du hast gesagt 12.30 Uhr.‹ ›Nein, ich habe 12 Uhr gesagt. Sie hingen hier zwanzig Minuten herum und sind dann weg, sie hatten es satt zu warten.‹ Also trafen wir eine weitere Verabredung um 19.30 Uhr. Ich bin bereits um 19.20 Uhr da und er steht da mit Paul, Steve und Glen. Malcolm sagt: ›Du kommst schon wieder zu spät.‹ ›Ach komm‹, sagte ich, ›hör auf. Das kenn ich schon. Du verarschst mich‹, und er fing an zu lachen. Ich hatte den ersten Test bestanden. Also gingen wir ins Cambridge, ein grässlicher Pub. Wir redeten schon auf dem Weg zum Pub über Bands, und sie stellten mir mindestens so viele Fragen wie ich ihnen. Als wir dort ankommen, sitzt John bereits mit zwei Mädchen in der Ecke, Tracey und Debbie. Steve und Paul sitzen neben mir: Ich verstehe mich gut mit ihnen. Das Interview beginnt, und Malcolm redet und redet, beantwortet wichtige Fragen, auch wenn sie an die anderen gerichtet sind. John sitzt einfach nur da, sehr höflich, sehr gelangweilt, während die anderen über ihn reden, als wäre er nicht vorhanden. Nach einer Weile fühle ich mich ein bisschen eingeschüchtert, denke aber gleichzeitig: ›Nein, kein 20jähriger wird mich einschüchtern‹, also sah ich ihm schließlich direkt in die Augen und sagte: ›O.k., jetzt hab ich es von allen anderen gehört. Und warum bist du dabei?‹ Es war wie eine Kameraeinstellung, wie ein bewegtes Bild. Er ist sehr normal. Nächste Einstellung, die Kilowatts werden eingeschaltet. Es gibt überhaupt keinen Übergang. Er schwadronierte einfach drauflos. ›Ich hasse Hippies‹, sagt er und funkelt mich an. Ich antworte doch tatsächlich: ›Ich bin kein Hippie. Ich hab mich nur nicht rasiert.‹ Die Tatsache, dass ich mich vor diesem Kind verteidigte, hat mich dann doch schwer beeindruckt. Sie hatten mich im Sack. Der Artikel war reine Propaganda. Viel nahm Bezug auf das, was Malcolm bei unserem ersten Treffen erzählte, aber wenn da zum erstenmal seit fünf Jahren Kids kommen, die zu den Who sagen ›Platz da‹, was hat es da für einen Sinn, musikanalytisch an die Sache heranzugehen, wenn völlig klar ist, dass diese Band Fünfzehnjährige ansprechen wird. Kein Fünfzehnjähriger will das lesen. Sie wollen die ganze aufregende coole Scheiße: Was für Klamotten haben sie an, wie klingen sie?«
Teenagers from London’s Shepherd’s Bush and Finsbury Park: »We hate everthing.«
Malcolm McLaren, (April 1976)
Heute versteht es sich von selbst, bis zu dem Punkt, an dem es langweilig wird, dass jede neue Popgruppe oder jeder Künstler ein vorgefertigtes Manifest vorweisen kann. Anfang 1976 jedoch bestanden die Schlüsselbegriffe entweder in einer sorgfältig konstruierten Authentizität oder in der Bescheidenheit des Musikers. Im direkten Gegensatz dazu gaben die Sex Pistols eine Explosion an Bedeutungen her, die verschlüsselt in ihrer Kleidung steckte, der Auswahl ihrer Songs, den in hartem schwarz/weiß gedruckten Action-Fotos, ihren fotokopierten Handzetteln und Presseveröffentlichungen und den aufrührerischen Slogans, mit denen Inghams Artikel durchsetzt war.
McLaren verfolgte weitreichende Ambitionen: Laut Ingham »will er eine polternde, laute anarchische Rock-Szene, wie wir sie seit Mitte der 60er Jahre nicht mehr gesehen haben.« Die Sex Pistols existierten, »damit der englische Rock endlich die siebziger Jahre bewältigen konnte.« Das zu tun bedeutete, sich die Pop-Theorie und das Selbstbewusstsein aufzubürden, die sich in England während der 70er Jahre entwickelt hatten. Sie waren »so sehr auf die Gegenwart eingestellt«, dass sie die Vergangenheit aufnehmen mussten.
Mitte der 60er Jahre war Pop modernistisch, schwelgte in einer immerwährenden Gegenwart, ohne Reflexion oder Theorie. In den späten 60er Jahren wurde Pop »progressiv«, eine Vorstellung, die noch immer eine vorwärtsgerichtete, einheitliche Bewegung impliziert. Stars der frühen Siebziger wie Bowie und Roxy Music durchbrachen diese lineare Bewegung mit einer Überfülle an Bezügen, die sie der bildenden Kunst, der Literatur und dem Hollywood-Kitsch entnahmen. Als neue Generation waren die Sex Pistols eine sorgfältig abgestimmte Mischung aus Authentischem und Konstruiertem. Die Mitglieder der Gruppe verkörperten eine Haltung, die McLaren mit einem ganzen Set von Referenzen versah: Die radikale Politik der späten sechziger Jahre, sexuelles Fetischmaterial, Pop-Geschichte und die sich gerade entwickelnde Disziplin der Jugendsoziologie.
»Ich hatte immer mit Kult zu tun«, sagt McLaren im Mai 1976 in einem Interview für Street Life. »Der heimliche Einfluss auf Leute, darum geht es vor allen Dingen in der Mode. Der Modemarkt hat die Kids im Moment in alle möglichen Fraktionen gespalten. Sie können modisch sein, entweder indem sie in die Portobello Road fahren oder eine Kette wie Take Six besuchen, weil Kommerz von Ausdifferenzierung lebt. Ich glaube, die Kids haben jetzt eine Sehnsucht danach, Teil einer Bewegung zu sein (wie die Teddy Boys der 50er Jahre und die Mods der Sechziger). Sie wollen sich einer Bewegung anschließen, die fest und stark ist und nach außen deutlich erkennbar ist, wie die Klamotten, die wir verkaufen.«
Das war sehr englisch. Amerika hatte sowohl den Rock-Journalismus aus der Taufe gehoben – mit den Arbeiten von Paul Williams in Crawdaddy und Robert Christgau in Village Voice – als auch den »New Journalism« von Tom Wolfe und Hunter S. Thompson. Wenn einen der neue Journalismus dorthin mitnahm, und »dort« bedeutete eine zeitlang Pop, dann nahm der Rock-Journalismus die Pop-Phänomene ernst, verlieh ihnen Bedeutung und einen Stellenwert in einer Sprache, die nicht weniger bombastisch war. Mitte der 70er Jahre stagnierten beide Ansätze in den Mainstream-Magazinen wie dem Rolling Stone, wo Popmusik inzwischen als abgeschlossene Einheit betrachtet wurde, losgelöst vom Rest der Gesellschaft.
Englischer Pop musste von Anfang an interpretiert werden: Ein kommerzieller und sozialer Prozess, den es zu meistern galt, noch bevor die Musik Wirkung erzielen konnte. Pop war fremd, die Speerspitze eines amerikanischen, kommerziellen Konstrukts, das Mark Abrams in The Teenage Consumer zusammengefasst hat und dessen demographisches Argument teilweise von Colin MacInnes in Pop Songs and Teenagers im Februar 1958 wieder aufgegriffen wurde. Das Lieblingsthema von MacInnes waren Outsider, wie die Teens es waren, eine verborgene Kultur, deren Rituale für Erwachsene undurchdringlich waren.
Wie McLaren bei seinen Streifzügen zu den West End Boys, den Teds, den Rockern und jetzt der verlorenen Generation der Siebziger beobachtet hatte, durchliefen die amerikanischen Pop-Produkte, die auf rasche künstliche Überalterung angelegt waren, eine Verwandlung, sobald sie England erreichten. Popstile wurden zu einer Art Erkennungszeichen, aufgepfropft auf ältere Methoden der sozialen Organisation wie den vielfältigen Codes der homosexuellen Welt und der territorialen Gebundenheit der Arbeiterklassegangs, etwas, womit man sich nicht nur eine Saison lang schmückte, sondern eine Lebensweise, eine Art, sich innerhalb eines unnachgiebigen, statischen Klassensystems eine eigene Identität zu schaffen.
Die nächste Phase war, Stil als Revolte zu interpretieren. Von den 60er Jahren an war englischer Pop mit Bedeutungen aufgeladen und wurde politisch, ästhetisch und sozial auf vielerlei Weise benutzt. War er einmal interpretiert, floss er wieder in den Pop ein. 1964 veröffentlichten Charles Hamblett und Jane Deverson seltenes Material, indem sie Teenager zu Wort kommen ließen, sogenanntes »vox populi«-Material. Der Aufhänger für die Studie Generation X waren die jüngsten Unruhen zwischen Mods und Rockern, die während der Osterfeiertage in Clacton begonnen hatten und die ähnlich wie die »Rock Around The Clock«-Unruhen 1956 durch aufgeblasene Presseberichte noch angefacht wurden.
Teenager hatten die Artikel über den »Aufruhr« gelesen und, angespornt durch die offizielle Mißbilligung, mehrere »Copycat«-Veranstaltungen inszeniert. In Generation X spielen sie die Rollen, die man von ihnen erwartet, indem sie Sätze aus den Medien wiederholen: »Ja, ich bin Mod und ich war in Margate. Es war großartig – der Strand war ein Schlachtfeld. Es war, als würden wir das Land erobern.« Als Auschnitt aus dem Buch tauchte dieser Satz im Oktober 1976 auf einem Flyer der Clash wieder auf.
Stanley Cohen behauptete 1972, dass jugendliche Subkulturen wie Teds und Mods der Öffentlichkeit meist im Zusammenhang mit Gewalt und Drogen vorgestellt wurden, über die sich die Medien »moralisch entrüstet« zeigten. Cohen entwarf anhand der »Schlachten« zwischen Mods und Rockern »einen archetypischen Kreislauf für das Aufkommen von Jugendkulturen in Großbritannien: der ›unbekannte‹ Ursprung des Kults in einer individuellen Handlung oder Aufmachung, die Bildung einer Gruppenidentität, die zunehmende Sichtbarkeit dieser Gruppe und schließlich deren Bekanntmachung durch die Medien gegenüber der Bevölkerung in abwertenden und vereinfachenden Begriffen.«
Die Medien betreiben auf diese Weise eine Selffulfilling Prophecy: Noch mehr Leute werden von einem Kult angezogen, dem sie sich unter den in den Presseberichten beschriebenen reizvollen Bedingungen anschließen. Der Kreislauf intensiviert sich. Nach dieser Definition war keine Jugendkultur »echt«; alle Kulte waren zu dem Zeitpunkt, an dem die Öffentlichkeit auf sie aufmerksam wurde, bereits wesentlich von den Medien vermittelt. Allerdings sind dies nur Schematisierungen dessen, was in der Popkultur wirklich geschah. (Die Theorie wurde durch die Clash, ausgeschnitten aus dem Buch Generation X, ebenfalls Teil ihrer künstlerischen Gestaltung: Auf ihrer ersten Single »White Riot«).
1973 arbeitete Pete Townshend an »Quadrophenia«, seinem zweiten »thematischen« Album. Die Handlung beruhte auf der eigenen Vergangenheit der Who als Mods 1964. Die Who waren nicht nur eine der brutalsten, sondern auch eine der befangensten und der eigenen Medienwirkung gegenüber bewusstesten Popgruppen gewesen. Die Platte verband Pop-Geschichte mit den aktuellen urbanen Rezessionserfahrungen. Zur gleichen Zeit spiegelten die brutale Prosa der »Guardian Angels«-Serie von Mick Norman und die Skinhead-Bücher von Richard Allen Entwürfe abweichender Jugendkulturen, wahre und imaginäre, auf genau jene Leute zurück, die drauf und dran waren, sich ihnen anzuschließen.
Besonders Allens Bücher waren hervorragende Beispiele für den Prozess, wie er in Folk Devils and Moral Panics beschrieben wurde. »Trotz seiner ausdrücklichen Verurteilung der Nachrichten«, schreibt Stuart Home, »ermutigten Allens Bücher die Jugendlichen, in den Stildiskurs der Medien einzusteigen.« Die politisch rechtslastigen Skinhead-Bücher verurteilten und verherrlichten gleichermaßen die Gewalt, die zum eigentlichen Thema der Boulevardpresse wurde. Noch wichtiger, die Höhepunkte der Bücher waren stets durch sensationelle Medienberichte markiert. In den frühen siebziger Jahren hatten die Medien alle Bereiche kulturellen und subkulturellen Lebens unter ihre Kontrolle gebracht.
Vivienne Westwood und Sid Vicious im Nashville, 23.April 1976 (© Kate Simon)
»Als wir John Lydon das erste Mal im Roebuck trafen«, sagt Paul Cook, »sagte ich zu ihm, dass in der Musik ja gerade nichts passiert und dass diese ganze Jugendbewegung irgendetwas braucht, um wieder in Gang zu kommen. Nach den Skinheads, Teds und Mods war seit 1970 alles irgendwie in Halbschlaf versunken, und jetzt hatten wir 1975. Fünf Jahre waren vergangen. « Keiner der Sex Pistols war ein Intellektueller (genau betrachtet nicht einmal McLaren), aber das mussten sie auch nicht sein. Sie steckten bereits mitten drin in der Medienwelt, der Jugendkultur und in der Pop-Geschichte.
Als es an der Zeit war, mit den Medien zu spielen, war die Band unter Anleitung von McLaren problemlos in der Lage, seinen Diskurs nachzuplappern. So wie sie die Medien reflektierten – in ihren Songs, Interviews und Klamotten –, so reflektierten die Medien die Sex Pistols, und zwar in einer engen Symbiose, die sehr schnell zu Verzerrungen führte, die aber den Stil für die folgenden zehn Jahre festlegte.
»Die Medien waren unsere Helfer und Liebhaber zugleich, und in dieser Tatsache lag der Erfolg der Sex Pistols begründet«, schrieben Malcolm McLaren und Jamie Reid in einem abschließenden Manifest, als die letzten Tage der Band angebrochen waren, »während Kontrolle über die Medien heute bedeutet, die Macht der Regierung, die Macht Gottes oder beides zu besitzen.«
McLaren hatte den ersten immens wichtigen Presseartikel über die Sex Pistols ausgezeichnet vorbereitet. Jonh Ingham und Sounds hatten nichts zu verlieren, aber auch nichts zu gewinnen, als sie den Sex Pistols eine wissende Unschuld andichteten. Ingham war keine fünfzehn mehr, genausowenig wie viele seiner Leser, aber indem er sich selbst und die Sex Pistols in dieses Alter hineinversetzte, schuf er eine klassische sich selbst erfüllende Prophezeiung. Er entwarf sich als Fan und die Gruppe als Speerspitze einer neuen Generation, was sie zu diesem Zeitpunkt nicht war. Aber aufgrund der engen Beziehung zwischen Popkultur und Medien schien es immer wahrscheinlicher, dass sie es werden würde.
Malcolm McLaren im Nashville, 23. April 1976 (© Kate Simon)
Zwei Tage nach dem Erscheinen des Sounds-Interviews gaben die Sex Pistols ihr zweites Konzert im Nashville. »Das war der Punkt, an dem sie anfingen, gut zu werden«, sagt Nils. »Sie spielten keine besonders anspruchsvolle Musik. Es ging nur darum, gemeinsam den Rhythmus zu halten.« Obwohl die Band jetzt so etwas wie einen Sinn für musikalische Disziplin und dank des Dazustoßens des erfahrenen Dave Goodman an der PA auch einen besseren Sound entwickelt hatte, wussten sie, dass Kompetenz allein noch nicht besonders aufregend ist.
Das Ereignis wurde extrem aufgebauscht, und der Pub war voller zukünftiger Punk-Rock-Bandmitglieder wie Tony James, Mick Jones, Adam Ant, Vic Godard und Dave Vanian, dazu Journalisten und Fotografen wie Kate Simon und Joe Stevens. Weder der Auftritt der Gruppe noch das Publikum waren sonderlich aufregend. Sie konnten die von Inghams Übertreibungen geweckten Erwartungen nicht einlösen. »Ich stand hinten und sah ihnen zu«, sagt Ingham. »Ich kannte ein paar der Songs wie ›No Feelings‹ und ›I’m Not Your Stepping Stone‹. Sie waren nicht sehr gut. Es war mitten in ›Pretty Vacant‹, als Vivienne einem Mädchen plötzlich ins Gesicht schlägt. Sie steht ganz vorne in der ersten Reihe. Der Freund des Mädchens stand zwei Meter davon entfernt, rauscht heran, schnappt sich Vivienne und fängt an, sie zu schlagen. Ich weiß nicht, ob Malcolm die ganze Sache beobachtete oder ob er einfach nur sah, wie irgendein Typ seine Freundin vermöbelt, aber als nächstes Bild sieht man, dicht hinter dem Kerl, Malcolm, dessen Faust herausschießt – ein klassisches Foto. John, mit seinem schadenfrohen Blick, sprang sofort von der Bühne runter und begann, Schläge auszuteilen. Steve kam nach vorne und versuchte sie auseinanderzubringen. Es war ein vollkommenes Chaos, aber sie spielten zu Ende. Vivienne sagte danach zu Caroline, dass ihr langweilig war, dass die Sex Pistols langweilig waren und dass sie beschlossen hatte, ein bisschen Leben in die Sache zu bringen. Also ohrfeigte sie dieses Mädchen völlig grundlos. Es war extrem elektrisierend. Bis dahin war es einfach nur ein weiterer Auftritt.«
Joe Stevens und Kate Simon fotografierten wie wild. Gewalt war damals sexy, das wurde sichtbar in der Art, in der Sid Vicious sich als Fan der Sex Pistols die Lippen leckte, als die Schlägerei begann, oder in Lydons schadenfrohem Blick. Außerdem war sie nachrichtenträchtig. Alle drei Musikzeitungen berichteten über das Ereignis, wobei der NME sogar eine kleine Sensationsmeldung brachte, ein aufgeregter Artikel des späteren Pet Shop Boys Neil Tennant. »Wie schaffen es die Pistols, eine eigene Atmosphäre zu schaffen, wenn die Musik versagt? Indem sie jemanden im Publikum verprügeln. Wie sonst?«
»Mit der Schlägerei im Nashville fing die ganze Publicity an und die Gewalt schlich sich ein«, sagt Paul Cook. Die Würfel waren gefallen. »Jede einzelne Pop-Explosion kam aus den Clubs, in denen sie vorbereitet wurde, herausgeschnaubt wie ein wütender junger Stier«, schrieb George Melly in seinem Buch Revolt into Style von 1969. Die Sex Pistols waren vor allem ehrgeizig, besaßen moralische Gewissheit, die genau richtig war für diese Zeit: »Ich hasse Scheiße«, sagt Johnny Rotten in Inghams Artikel, »ich hasse Pub-Bands. Ich will das ändern, damit es Rockbands gibt wie uns.«
John Lydon in Soho, April 1976 (© Ray Stevenson)