1977: Selten wurde ein Jahr so verherrlicht. Wie schon 1966 deutete man die doppelte Ziffer als Vorzeichen: Apokalyptiker aller Art, David Bowie bis hin zu den Reggae-Künstlern, deren Rhetorik überall zu hören war, wo sich Punks versammelten. Es war nicht nur das Jahr des Thronjubiläums der Königin, sondern auch das Jahr, in dem ein gewisser Marcus Garvey prophezeit hatte, dass die Apokalypse der Rastas stattfinden würde, das Jahr, in dem die auserwählten Jamaikaner befreit würden, um nach Afrika zurückzukehren. Für die Punks sollte es das Jahr sein, in dem sich Großbritannien seiner Gegenwart und Zukunft stellen musste.
Das neue Jahr wurde nicht von den Sex Pistols, sondern mit einem Auftritt der Clash in einem neuen Club in Covent Garden, dem Roxy, eingeleitet. The Clash verkörperten das polarisierende neue Jahr, in dem – wie Culture sangen – »the two sevens clash«. Sie waren die wahren Gewinner der Anarchy-Tour: Sie profitierten nicht nur von der Publicity, sondern ließen sich auch nicht in die Schlammschlacht hineinziehen. Zur Feier des Tages schneiderte sich Strummer ein weißes Hemd mit einem riesigen »1977« vorne drauf.
Im neuen Jahr entwickelten Glitterbest und ganz besonders McLaren eine Bunkermentalität. Waren sie vorher großzügig und unterstützend gegenüber neuen Gruppen, hielten sich die Sex Pistols jetzt abseits und zogen sich von dem inzwischen großen aufnahmebereiten Markt zurück. Sie unterschieden sich klar von den anderen Punkbands, mit denen sie früher einmal die Bühne geteilt hatten.
Glitterbest wollten ihre Sicht der Dinge mit einer zweiten Auflage der Anarchy in the UK-Flugschrift bekannt geben. Die Notizen für die unveröffentlichte Zeitschrift bleiben nach wie vor die klarste Formulierung ihrer Philosophie: »Niemand interessiert sich für die Wahrheit. Die Tatsache, dass das, was passiert, nicht endgültig, sondern spontan ist, sich von Tag zu Tag verändert, an euren Nervenenden sägt, Chaos bedeutet. Das ist das alltägliche Leben, das die Bands und die beteiligten Manager führen, und in vielerlei Hinsicht war das einer der Hauptfaktoren, die dazu führten, dass die SPs von EMI gefeuert wurden.«
Ein Großteil des Editorials von Glitterbest besteht aus wütenden Tiraden: »Das Establishment war in kleinem Maßstab bedroht worden, also verpassen sie einem Bezeichnungen für die historisch-soziologische Analyse und schnüren einen zu einem Päckchen zur kommerziellen Ausbeutung. Das Wesen der Rockindustrie, zu kontrollieren, was wir wann, wo und wieviel spielen, macht es Bands wie den SPs sehr schwer. Was diese Bands tun können, ist, Fans anzuregen, selbst zu denken und zu handeln.«
Die riesige Publicity rief unglaublich viele Leute auf den Plan, die auf den Zug aufspringen wollten: Agenten, Promoter, Journalisten, Plattenfirmen und alte Pub Rocker. Der Zug der Sex Pistols raste für die meisten zu schnell, aber Punk wurde nun unter dem etwas weniger belasteten Namen »New Wave« kommerzialisiert, ein Begriff, den McLaren Monate zuvor benutzt hatte, jetzt aber verachtete.
Die Sex Pistols hätten am Neujahrstag im Roxy spielen können, aber McLaren verweigerte seine Zustimmung. Als Veranstaltungsort war das Roxy in Ordnung, aber es wurde nicht von den richtigen Leuten geführt. »Als Billy und ich uns mit Chelsea vollaufen ließen«, sagt Tony James, »sagte Gene, dass er einen Ort wüsste, wo wir einen Gig spielen könnten. Er kannte den Besitzer. Also gingen wir hin, buchten einen Termin, änderten den Namen in Roxy Club und luden haufenweise Journalisten ein. Wir warfen Gene October raus und spielten am ersten Abend als Generation C.«
Der Manager der Gruppe war zu dieser Zeit Andy Czezowski. »Wir gingen los und sahen uns den Club an«, sagt er. »Er war schmutzig, dunkel, schäbig, stillos. Sie hatten rote Lampen, rote Samtstühle und ein Kunstledersofa. Er wurde von einem Kerl geführt, den wir den einarmigen Banditen nannten. Die Strichjungen aus der Gegend hingen dort ab. Wir boten ihnen Geld: Fünfzig Pfund im voraus, außerdem besorgten wir den ganzen Alkohol. Wir haben den Club vollkommen neu gestrichen. Wir mussten eine Kaution bezahlen, die ich nicht hatte, also liehen wir das Geld von Barry Jones, Bruce Oldfields Halbbruder. Er war nicht reich, aber er hatte eine Gitarre, die wir ins Pfandhaus trugen. Wir druckten die Handzettel und los ging’s. Sie bekamen ihr Geld, und wir hatten genug, um die Gitarre wieder auszulösen und eine zweite Show zu machen. Dann wollte ich, dass die Sex Pistols auftreten, aber Malcolm schob die Tatsache vor, dass sie vom GLC (Greater London Council) und allen anderen auf der Welt Auftrittsverbot hatten. Das entsprach nicht ganz der Wahrheit, war aber eine hübsche Geschichte. Es passte ihm einfach nicht, dass ich die Sex Pistols auftreten lassen wollte. Er wollte nicht, dass irgendjemand anderes aktiv wurde und die Lorbeeren bekam: Er wäre sich vorgekommen, als hätte er die Zügel aus der Hand gegeben.«
Das Roxy war ein Loch in einer tollen Gegend, der Neal Street in Covent Garden. Zu dieser Zeit bestand die ganze Umgebung aus baufälligen Obst- und Gemüselagerhäusern. Der Zerfall draußen entsprach dem innen: Das Roxy hatte oben einen kleinen Empfangsraum und eine Bar, das meiste aber passierte unten auf der Bühne und der Tanzfläche, die von Sitzbänken und Spiegeln umgeben war. Nach zwei Punkveranstaltungen war die Decke herabgefallen und lag überall auf dem Boden herum.
Nachdem die Clash und die Heartbreakers dort gespielt hatten war der Club aus dem Gröbsten raus. »Der erste Januar war der Beginn eines ›ständigen Samstagabends‹ im Roxy«, sagt Andy Czezowski.
»Dann kamen die Damned. Sie schuldeten mir Geld, weil ich sie kurzzeitig gemanagt hatte, also sagte ich: ›Wenn ihr am ersten Abend umsonst spielt, dann nehme ich mir das Geld, dass ihr mir schuldet, und ihr seid einen Monat lang jeden Montagabend gebucht.‹ Wir bekamen 50 Prozent, und es war ein Renner, es war der größte Abend, den wir je hatten.«
Das Roxy war ein Theater, in dem jeder die Wirklichkeit des »jeder-kann-es-tun«-Punkideals austesten konnte, zumal das neue Jahr einen wahren Ansturm an Gruppen erlebte, die direkt von den Sex Pistols inspiriert waren. Es war eine Löwengrube, wo unerfahrene Gruppen vor einem schwierigen Publikum aus Gleichgesinnten und Konkurrenten Eindruck schinden und gegen feindselige Reaktionen oder schlimmer, gegen die Stille aus dem Zuschauerraum ankämpfen mussten.
Von links nach rechts: Laurie Driver, Howard Pickup, T.V. Smith, Gaye Advert: The Adverts, Sommer 1977 (© Barry Blummer)
The Adverts waren typisch für die Gruppen, die die vakante Stelle der Sex Pistols ausfüllten. Am 28. Februar gaben sie ihr zweites Konzert im Roxy. Sie bestanden aus einem nichtssagenden Gitarristen und einem Schlagzeuger, der eine statische Bassistin und einen nervösen Sänger mit schmalem Gesicht begleitete. Die Gruppe war Ende 1976 von zwei Kunststudenten aus Torquay, T.V. Smith und Gaye Advert, gegründet worden. Nachdem sie die Sex Pistols gesehen hatten, fuhren sie nach London. »Es gab keinen Grund, warum wir uns Adverts nannten«, sagt Smith. »Jeder schien etwas damit anfangen zu können, es war ironisch. Wir hätten uns beinahe One-Chord-Wonders genannt. Ich arbeitete sehr hart an den Texten, und sobald wir auf die Bühne kamen, arbeitete ich daran, die Dämonen zu verjagen. Die Dämonen, die wir austrieben waren die, denen man begegnet, wenn man mit sich selbst leben muss, was auch alles um einen herum miteinbezieht – die politische und die soziale Atmosphäre, der Kampf mit der eigenen Persönlichkeit.«
Anfang 1977 zapften Bands wie die Adverts das kollektive Unbewusste an, bauten auf den Möglichkeiten auf, die durch die Sex Pistols entstanden waren. Punk war ein Stil geworden, dessen Elemente aber – steife Rhythmussektionen, überdrehte Gitarren und schroffer, beinahe ausdrucksloser Gesang – einen gewaltigen Gegensatz schufen zwischen der rigiden, einengenden Form und den wütenden Emotionen, die sich Luft verschafften.
Das Musikmachen wurde nach dem Grundy-Skandal zu einer leicht zugänglichen, aber hochgradig aufgeladenen Beschäftigungsform.
»Wir wollten, dass viele rotzige Bands unterwegs sind, die das Establishment untergraben«, sagt Smith. Punk war öffentlich, bewegte sich ganz absichtlich in der Welt. Von allen Gruppen aus dieser Zeitspanne waren die Adverts die sperrigste – kratzige Gitarren, holprige Rhythmussektion, oft nicht im Takt –, und sie waren zu schrecklichen Ausrutschern beim Tempo fähig. Indem sie über ihre Fähigkeiten hinausgingen, auf dem Drahtseil balancierten, waren sie mit ihrer Musik in der Lage, die Nöte und Freiheiten der Zeit auszudrücken.
»I wonder what we’ll do when things go wrong«, fragte sich Smith in »One Chord Wonders«, geschrieben in zwanzig Minuten. »Als wir gerade zur Hälfte mit unserem Lieblingssong durch waren, sahen wir hoch und stellten fest, dass das Publikum weg war.« Hier schimmerte Rosanovs Beschreibung des Nihilismus durch: »Die Vorstellung ist beendet. Das Publikum erhebt sich. Es ist Zeit, den Mantel überzuziehen und nach Hause zu gehen. Die Besucher drehen sich um: kein Mantel mehr und kein zuhause.«
Es war Musik von und für Ausgestoßene. »Die frühen Songs, wie
›Bored Teenagers‹, waren sehr persönlich«, sagt Smith. »Ich fühlte mich entfremdet, aber tut das nicht jeder Teenager? Das Fernsehen und alle wollen, dass sich der Teenager vorkommt, als sei er Teil ein und derselben Welt, dass er die gleichen Sachen kauft, die gleichen Platten hört. Aber so ist es nicht. Gottseidank kam das damals zum Vorschein.«
Hier war sie, die immerwährende Gegenwart, die stets der Idealzustand der Popkultur ist und jetzt ihren perfekten Ausdruck fand. Wie Richard Boon später schrieb: »Die Geschichte verbrannte. Jede Sekunde eine greifbare Bedrohung des Daseins, eine unumgehbare, ernsthafte Gefahr für Gesundheit und Anstand, ein Antrieb zum Handeln.« Die besten Platten aus dieser Zeit sind noch immer jene, die diese Intensität transportieren. Die Zeit schien beschleunigt, und die einzige Möglichkeit, den Augenblick festzuhalten, war in Form eines Schnappschusses. »In diesem Winter«, fährt Boon fort, »entstand das Gefühl, dass es wenigstens eine Platte sein sollte, wenn es schon nichts anderes gäbe. Die Buzzcocks waren ein Phänomen, verzweifelt, dilettantisch, ohne jede Erfahrung und ohne alle Hilfsmittel. Es schien einfach nur wert, diese Aktivität zu dokumentieren, vielleicht als Endergebnis, vielleicht als einziges Ergebnis.«
Im Februar veröffentlichten die Buzzcocks auf ihrem eigenen Label, New Hormones, ihre erste Platte, »Spiral Scratch«. »Damals gab es in Manchester kein Plattenlabel«, sagt Howard Devoto. »Es war eine Frage des Ehrgeizes. Aber wir hatten einfach ein bisschen Kleingeld, so dass wir uns ein Aufnahmestudio buchen und Platten machen konnten.«
Auf dem Cover von »Spiral Scratch« sind vier Jugendliche zu sehen, die sich aneinanderdrängeln, um ins Bild zu kommen, als wäre es ihre letzte gemeinsame Aufnahme. »Es gab ein Gefühl in der Gruppe und bei mir, dass die Platte teilweise das ›do it yourself‹ und die kulturelle Polemik, die aus der Kopiermaschine kam, illustrieren könnte«, sagt Boon. »Ich habe das Coverfoto mit einer Polaroidkamera, die ein echter Witz war, auf den Stufen irgendeiner Statue in Manchester Piccadilly aufgenommen: Sehr Walter Benjamin, eine Art Kunst-im-Zeitalter-ihrer-technischen-Reproduzierbarkeit-Witz.«
Auf der Hülle befanden sich Angaben zur Aufnahme: »Was da auf der Rückseite stand, entsprach der Wahrheit«, sagt Devoto. »Ich hab den Gesang live aufgenommen, und wir haben ein paar Mal overdubs gemacht. Das hat ungefähr drei Stunden gedauert, dann noch zwei fürs Abmischen.« Von Martin Hannet mit einem Hauch von Atmosphäre produziert, faßten die vier Songs (trotz Devotos Vorbehalten wegen seiner »falschen Micky-Maus-Cockney-Stimme«) die neue Ästhetik in Phrasen zusammen, die so unüberhörbar waren wie eine schrille verzerrte Gitarre aus einem Verstärker.
»I’m living in this movie, but it doesn’t move me«, leierte Devoto angewidert herunter. The Buzzcocks sprachen vom Leben wie von einem juckenden Ausschlag, »whining in the dining room«, von Freunden, »who keep me pissing adrenalin«. Das Schlüsselwort »Boredom« (Langeweile) bezog sich auf die englische Rezession:
»Now I can stand austerity but it gets a little much, when there’s all those livid things you never get to touch.«
»Ich fand Howards Texte sehr komisch«, sagt Boon. »Die Buzzcocks-Zeit mit Howard war schwer verdaulich für die Leute, weil diese Ideen viel Verwirrung stifteten. Der Humor war aus Punk verschwunden: ›Boredom‹ war Satire, es machte sich über die ganze Szene lustig. Es war irreführend. Als das Wort die Runde machte, war Langeweile als Gefühl bereits in Umlauf.«
Die Ausgelassenheit, mit der die Buzzcocks eine eigene Stimme fanden, verwandelte einen witzigen Anspruch in etwas Befreiendes:
»Boredom« war durch den sirenenartigen Klang eines perfekten, aus zwei Tönen bestehenden Gitarrensolos in zwei Hälften geteilt. »Ich hab einfach die zwei Töne gespielt, und wir haben uns tot gelacht, also sind sie drin geblieben«, sagt Pete Shelley. »Ich war vorher in diesen Sub-Heavy-Metalbands, Punk ist eigentlich aus schlecht gespieltem Sub-Heavy-Metal entstanden. Schnelle Riffs und durchgeknallter Gesang.«
Die Folgen von »Spiral Scratch« waren gewaltig. Die EP der Buzzcocks war genial, weil ihre Ästhetik den Produktionsbedingungen vollkommen entsprach. »Es war die erste echte Independent-Platte, die die Leute wirklich haben wollten«, sagt Geoff Travis von Rough Trade.
»Wir haben Hunderte davon bestellt, und das brachte uns auf die Idee, einen Vertrieb aufzubauen. Ich fand den Verarschungsaspekt bei den Sex Pistols mit der Vertragsunterzeichnung bei EMI brillant, aber meine romantische Ader sagte mir, dass man die Plattenindustrie völlig außen vor lassen sollte. Mit der Durchschlagskraft der Sex Pistols und der Clash hätten sie Platten vom LKW herunter verkaufen können. Sie mussten nicht durch die Majors vertrieben werden.«
1977 wurde Rough Trade zum Zentrum der kleinen Labels, Reggae-Vorveröffentlichungen und Fanzines. Am wichtigsten aber ist vielleicht, dass die Buzzcocks-Platte eine Lanze für den Provinzialismus brach. Während des Liverpooler Beat-Booms in den frühen 60er Jahren mussten die Gruppen nach London fahren, wenn sie Platten aufnehmen, und erst recht, wenn sie erfolgreich sein wollten. Sowohl Liverpool als auch Manchester verfügten in dieser Zeit über kleine, aber sehr aktive Musikszenen, die stolz auf ihre Autonomie waren, und »Spiral Scratch« zementierte das: Hier war eine Platte, produziert und hergestellt von einer ortsansässigen Gruppe, die eine ebenso große Wirkung erzielte wie die Bands aus London.
»In der zweiten Hälfte des Jahres 1976 gab es bei den Sex Pistols eine gewisse Entfremdung«, sagt Boon. »Wir waren jedoch weit entfernt von den Wandlungen, die sich unten in London vollzogen. Es war noch immer wichtig, die Verbindung aufrecht zu erhalten, aber das lokale Interesse wurde vorrangig. Wir versuchten Veranstaltungsorte zu finden und dort zu spielen, also sprachen wir die Leute vom Electric Circus an, einem Veranstaltungsort für Heavy Metal in einem stillgelegten Kino, weil wir das kleine Publikum, das es in Manchester gab, zusammen bringen wollten.«
Anfang 1977 entwickelte sich Manchester gleich nach London zu Englands Punk-City, und als die Hauptstadt mit Punk übersättigt war, auch zu seinem kreativsten Schauplatz. Vor allem wegen der Buzzcocks ging es hier weniger machomäßig und elitär zu. »Die Leute brachten Ideen ein«, sagt Pete Shelley, »es war nicht nur die Freiheit, die Musik zu machen, die man machen wollte, sondern auch, dass andere Leute mit anderen Ideen dazu kamen. Es war als würde man aufs College gehen. Die Leute lebten lieber wie Bohemiens, als sich anzupassen. Während dieser Zeit waren die Schwulenbars Orte, wo man hingehen und mit seinen Klamotten auffallen konnte, ohne zusammengeschlagen zu werden. Das war ungefähr die Zeit, in der ich anfing, zwei oder dreimal die Woche in die Ranch zu gehen, eine Schwulenbar. Alle tranken damals Carlsberg Special mit Strohhalm aus der Flasche. Es war eine sehr bisexuelle Zeit: Es trieben sich viele minderjährige Jungs herum, aber es gab auch viele Mädchen, fast wie in einem Jugendzentrum mit Alkohollizenz.«
»In Liverpool ging man in schwule Clubs wie den Bear’s Paw«, sagt Jayne Casey, Sängerin der ersten Punkband der Stadt, Big In Japan. »Damals hatte ich den Kopf total rasiert und trug Gummiklamotten aus SEX. Liverpool war kurz vor Punk eine sehr anständige Heterostadt: Man konnte kaum glauben, dass das die Stadt war, von der alles ausging. Die Leute wurden sehr aggressiv, wenn man ungewöhnlich aussah. Pete Burns und ich haben an einem Samstagabend in Birkenhead fast einen Aufstand ausgelöst: Eine Horde verfolgte uns und fing an, heftig auf uns einzuschlagen.«
»Im September 1976 machte Eric’s am Ende der Straße auf. Roger Eagle kam zu mir und sagte: ›Hier sind ein paar Eintrittskarten für einen Club, der nächste Woche aufmacht.‹ Die Runaways oder die Stranglers traten auf, ich weiß es nicht mehr genau. Es war als öffnete sich eine Tür, und es ging sofort ab. Die Sex Pistols spielten dort im Oktober, und das war das Aufregendste, was man je erlebt hatte, nicht mal wegen der Gruppe, sondern wegen der Leute, die zusammenkamen.«
Wie im Electric Circus in Manchester, versammelten sich im Keller in der Mathew Street Mitglieder zukünftiger Bands: Jayne Casey, Pete Burns von Dead Or Alive, Ian McCullough von Echo and the Bunnymen, Pete Wylie von Wah!, Julian Cope von Teardrop Explodes, Holly Johnson und Paul Rutherford von Frankie Goes To Hollywood. »Wir kamen alle aus repressiven Elternhäusern«, sagt Casey, »und wir entdeckten alle die Velvets, Warhol, Burroughs und das Leaving the 20th Century-Buch mit Texten der Situationisten. Es war sofort eine Verbindung da, und sie war sehr stark, weil wir alle unabhängig voneinander am gleichen Ort gelandet waren.«
»Ich bin immer mit dem Bus zu Eric’s gefahren, mit einem Teekessel als Handtasche«, sagt die Schauspielerin Margi Clarke. »Das Geld für den Fahrschein war im Kessel. Wir hielten uns für brillant, für den modischen Gipfel. Holly Johnson trug Tampon-Ohrringe und das obere Teil einer Cadbury’s Schokoladen-Geschenkverpackung auf dem Kopf. Ich hatte eine Kette aus einem Stück Holz gemacht, das ich durch einen Apfel gezogen hatte. Wenn mir jemand gefiel, sagte ich statt ›Willst du Feuer?‹, ›Willst du mal beißen?‹«
Trotz seiner Extravaganz, oder vielleicht gerade deshalb, brachte Liverpool zunächst keine starke Punkband hervor. »In Liverpool gab es sehr viel mehr Gewalt als in Manchester«, sagt Casey. »Damals ging man in Manchester die Straße entlang, und die Leute machten einem Platz, als hätte man eine ansteckende Krankheit, aber sie ließen keine Kommentare ab. In Liverpool gab es immer irgendwelche Idioten, die einen nicht mehr in Ruhe ließen, sobald man aus dem Zug ausstieg, und den Unterschied konnte man täglich erleben. Holly und ich mochten damals die Musik in Manchester lieber.«
Auftrittsorte zu finden war wegen der ablehnenden Haltung von Gemeinderäten und Veranstaltern von allergrößter Wichtigkeit. Bis zum Februar hatten sich der Electric Circus in Manchester und Eric’s in Liverpool zu Alternativen zu London entwickelt, die Punkbands aus ganz Nordengland anzogen. »In Newcastle passierte überhaupt nichts«, sagt Pauline Murray, »es gab keinen Ort, wo man spielen konnte. In den sechziger Jahren gab es den Club-A-Go-Go und die Animals, aber das war 1976 alles tot ... Also fuhren wir immer nach Manchester und Liverpool. Wir trafen Leute wie die Fall und die Buzzcocks. Damals begann man sich zu vernetzen. Wir gründeten Penetration, nachdem wir die Sex Pistols gesehen hatten. Ich hatte vorher nie etwas unternommen, um in einer Band zu spielen: Ich habe sie mir immer nur angesehen. Robert Blamire und ich trafen Gary Chapman im Herbst, wir waren achtzehn und fingen an, zweimal die Woche zu proben. Wir nannten uns Penetration nach dem Song von Iggy Pop, und wir hatten unser erstes Konzert im Middlesbrough Rock Garden im Oktober 1976.«
Die Entfernung zu London ließ diesen Gruppen Raum, sich zu entwickeln, da ihnen niemand von den Plattenfirmen hinterherrannte, um sie unter Vertrag zu nehmen. Anfang 1977 fiel das Scheinwerferlicht auf Punk: Wie bei Rap und House in den späten 80er Jahren war die Musikindustrie gezwungen, auf den Druck von »unten« zu reagieren, oder besser gesagt, auf die Leute, die tatsächlich die Musik und die entsprechende Kultur machten. Die Zeitspanne zwischen der Gründung einer Band und dem Unterzeichnen eines Plattenvertrags war lächerlich kurz. Nach dem ersten Auftritt berichtete die Presse über eine Band, und nach dem zweiten unterzeichnete sie einen Vertrag. Die Erfahrung der Adverts war typisch: »Nach unserem zweiten Auftritt im Roxy hatten wir einen Manager, Michael Dempsey«, sagt T.V. Smith, »und wenig später wollte Jake Riviera die Band bei Stiff unter Vertrag nehmen. Er sagte: ›Unterzeichnet bei mir, und ich mache euch arm.‹ Und weißt du was? Das hat er getan. Es war so einfach, einen Plattenvertrag zu bekommen, dass wir es nicht mal gemerkt haben.«
Auch die Presse und die A&R-Leute hatten es in den ersten vier Monaten 1977 leicht: Sie mussten lediglich ins Roxy gehen, das jetzt der Brennpunkt von Punk war, sehr zum Entsetzen von McLaren, der behauptete, der Club »halte Punk von der Straße fern«. »Ich kam immer so um halb acht an«, sagt Don Letts, der inzwischen als Haus-DJ eingeführt war. »Der Club war ungefähr bis eins geöffnet: Ich saß einfach da und legte die Platten auf, die ich mochte. Zu dem Zeitpunkt gab es praktisch keine Punkplatten, also spielte ich fast nur Reggae. Die meisten Gruppen waren grauenhaft.«
The Damned hatten sich ihre Anhängerschaft im Roxy aufgebaut, die auf 400 Personen anwuchs, an einem Ort, der angeblich nur 100 fasste. Andere Bands kamen von überall aus der Metropole und aus dem ganzen Land: die Cortinas, fünf Teenager aus Bristol; Wire, vier Kunststudenten aus Watford und Hornsey; Slaughter and the Dogs und die Drones aus Manchester; die Lurkers aus Fulham; Marco Pirronis Beastly Cads. »Wir wussten nicht, wie man das macht, in einer Band spielen«, erzählt er, »damals war es keine Frage der Kreativität. Man konzentrierte sich darauf, gleichzeitig anzufangen und gleichzeitig aufzuhören.«
Das Selbstverständnis des Roxy war auf den Augenblick ausgerichtet: Es war allen klar, dass es den Ort nicht lange geben würde und dass man die Geschichte in die Hand nehmen musste. Das Roxy war allerdings auch der Ort, an dem der Traum vom schnellen Einstieg schal wurde, wenn sich die Bands durch mangelnde Phantasie auszeichneten. Innerhalb eines Monats war Punk vakuumverpackt: Eine gummiartige Rhythmussektion, mit einem hektischen Schlagzeuger, einem Bassisten, der nach Art der Ramones ständig einzelne Töne wiederholte, einem Gitarristen, der seinen Verstärker auf 11 drehte, und einem Sänger, der wütende Texte bellte (über die Medien, das Fernsehen, Faschisten und ähnliches), und zwar so chaotisch, dass nur noch Slogans hörbar waren. Punk schien zu bedeuten, dass jeder mitmachen konnte: Das Roxy bewies, dass es tatsächlich so war.
Der englische Punk stand jetzt allen Scharlatanen, Posern und Genies offen, die sich von der Aussicht auf Medienrummel und einen Plattenvertrag anlocken ließen. Ebenfalls sehr früh auf den Zug aufgesprungen war ein ganzer Haufen von Aussteigern aus Max’s Kansas City, von Leee Black Childers herbeigerufen: »Ich rief Cherry Vanilla und Wayne County an und sagte: ›Verkauft eure Möbel und kommt schnell hier rüber!‹ Was wir in New York machten, führte zu nichts. Hier war es wegen der Medien zu einem Lebensstil geworden.« Mehr als je zuvor war London das Sprungbrett für Amerika, aber trotz einer starken Unterströmung von Neid, Konkurrenz und Feindseligkeit besaß New York noch immer einen Nimbus des Geheimnisvollen, der durch die Flut an Veröffentlichungen, die in den ersten drei Monaten des neuen Jahres herüberschwappte, noch verstärkt wurde. Wegen des Fehlens eigener Produkte wurden die Platten dankbar aufgenommen: die erste Single der Talking Heads, das erste Album von Blondie »Love Goes to Building on Fire«, »Marquee Moon« von Television und »Leave Home« von den Ramones.
»Im Februar kam Miles Copeland rüber und schnüffelte rum«, sagt Andy Czezowski. »Er hatte eine Agentur, und sein Bruder hatte eine in New York, also entschied er sich, Cherry Vanilla und Wayne rüberzubringen und sie im Global Village groß auftreten zu lassen. Er dachte, er könnte die Szene übernehmen, aber der Club zog das Angebot zurück, so dass er klein mit Hut wieder zu mir kommen musste: Er war für die Flugkosten aufgekommen, und jetzt hatte man ihn sitzen lassen, und der einzige Ort, der übrig geblieben war, war meiner. Wir machten einen Deal aus: Ich garantierte ihm 100 Pfund pro Abend, und wir hatten Cherry Vanilla und Wayne. Barry machte die Flyer, und Cherry bekam The Police als Vorgruppe.«
Obwohl das jetzt von Copeland subventionierte und beherbergte Sniffin‘ Glue sie begeistert aufnahm, hatte keine dieser Bands viel mit der neuen Ära zu tun. Alle besaßen etwas, das für sie sprach, ihre Erscheinung jedoch zeigte, wie die ursprüngliche Härte und Neuartigkeit bereits kommmerziellem Druck gewichen waren.
Zu Hause im Glitterbunker wurden diese Aktivitäten mit Besorgnis betrachtet. McLaren hatte seine Verbindung mit den Clash und den Heartbreakers noch nicht völlig aufgegeben. Noch am 18. Januar wurde ein die ganze Nacht dauerndes Treffen abgehalten in der Absicht, eine Art Schirmgruppe, eine Super-Punk-Organisation zu schaffen, aber jede weitere Woche machte deutlich, dass die Sex Pistols ihren Weg alleine gehen mussten. The Clash waren zu nahe, zu erpicht auf die Krone, während die Heartbreakers, denen Glitterbest die meisten Sympathien entgegen brachte, zu verzweifelt waren. Trotz seiner Weltläufigkeit war Childers unerfahren im Bandmanagement. »Sie haben Heroin in die englische Punkszene eingeführt«, seufzt er. »Als wir ankamen, fanden wir was die Drogen betraf eine sehr unschuldige Szene vor, aber das hat sich extrem schnell verändert.«
Die Heartbreakers trafen zu einem Zeitpunkt ein, als sich Punk schon in Rock’n’Roll verwandelt hatte, und sie drängten ihn in diese Richtung weiter. »Born to Lose« war einer ihrer Song-Slogans. Obwohl mit New Yorker Glamour und Loser-Ethik durchsetzt, ließ sie der stampfende, traditionelle Rock’n’Roll mehr noch als die englischen Gruppen wie Machos aussehen. Bevor das Interesse wieder erlosch, ließ Childers die Gruppe übereilt bei Track Records unterzeichnen. Anders als den Sex Pistols stand den Heartbreakers keine Abfindung durch die Plattenfirma zu.
Im Februar und März wurde die Musikindustrie rege. Die Independents waren am schnellsten: »Da waren ein paar schlaue Leute unterwegs«, sagt T.V. Smith, der sah, dass sich etwas tat, was kommerziell ausbeutbar war. »Die schlaueren Label wie Stiff kamen und sahen sich an, was los war, bevor die großen Jungs davon hörten.« Stiff bekam die Adverts; Miles Copelands Step Forward Label (vertreten durch Mark P.) bekam die Cortinas, die Models und Chelsea, während Chiswick in die Röhre guckte.
»Beinahe hätten wir The Jam unter Vertrag genommen«, sagt Roger Armstrong. »Wir hatten einen Termin im Studio für die Aufnahmen von ›In the City‹ reserviert. Als ich in Teds Wohnung eintraf, sagte er: ›Sie haben gerade abgesagt; sie unterschreiben heute Nachmittag bei Polydor.‹ Chris Parry war Bernie wegen der Clash ständig hinterhergelaufen, und Bernie spielte ihn gegen CBS aus. CBS nahmen die Clash an einem Tag unter Vertrag, Parry drehte sich um und ließ am nächsten Tag The Jam unterzeichnen. Anfang 1977 gab es eine ganze Menge A&R-Männer bei den Majors, die einfach ihre eigene Punkband haben mussten.«
Die anderen Firmen waren zögerlicher: Majors wie RCA, WEA und Phonogram waren vorsichtig, während EMI aus dem Rennen war. Decca existierte kaum noch. Chrysalis hatte, wie Phonogram, Punkbands durch Lizenzdeals, war aber vorsichtig. Die andere große Independent-Firma der 60er Jahre, Island begnügten sich zunächst mit Ultravox, einem interessanten Mischmasch aus Punk und Brian Eno und unterschrieben im Februar 1977 einen Vertriebsvertrag mit Stiff.
Die Firma, die die besten Angebote machte, war Track, die von ihren Büros in der Carnaby Street aus den Punkgruppen das Geld nur so hinterher warf. Zwei Monate lang hatten Fanzines, wie More-On, Sniffin‘ Glue und Ripped and Torn, Anzeigen der Firma im Blatt. Track war die wichtigste englische Independent-Firma in den späten 60er Jahren gewesen, mit einem außergewöhnlichen Namensverzeichnis, zu dem die Who, Jimi Hendrix, Arthur Brown, John’s Children und Thunderclap Newman gehörten. 1977 jedoch lag die Firma in den letzten Zügen.
»Mir wurde schnell klar, dass ich es mit Wahnsinnigen zu tun hatte«, sagt Childers. »Aber ich kam mit Track zusammen, weil sie es einem so leicht machten. Sie stellten Proberäume für Siouxsie and the Banshees und Sids Flowers of Romance zur Verfügung. Sie taten, was Miles tat, außer dass Miles länger durchhielt und ein Vermögen machte. Track dachte, es würde schnell gehen, wie bei den Beatles, aber die Heartbreakers waren nicht die Beatles, und weder Sid noch Siouxsie schienen besonders zurechnungsfähig zu sein.«
Der große Coup war die Vertragsunterzeichnung der Clash bei CBS, einem amerikanischen Unternehmen, dessen englische Filiale unabhängige A&R-Entscheidungen über die Förderung englischer Talente für den Weltmarkt treffen konnte. 1976 lag CBS mit einem Marktanteil von 16 Prozent bei den Singles nur hinter EMI, während sie sich mit 9 Prozent bei den Alben auf Platz drei hinter EMI und Polygram befanden. 1977 war Maurice Oberstein Direktor des Unternehmens, der einen ungewöhnlich großen Anteil am Zustandekommen des Vertrags mit den Clash hatte, weil er ihn trotz der ablehnenden Haltung des A&R-Mannes, Dan Loggins, durchsetzte. »Als die Sex Pistols und die Clash auftauchten, brach eine Art Hysterie in der Musikindustrie aus, da man mit dieser Musik nichts zu tun haben wollte. Es gibt da diese angeborene Angst vor dem Unbekannten. Ich war 15 bis 20 Jahre im Musikbusiness, bevor Punk kam, und hatte jeden Trend überlebt. Also fiel es merkwürdigerweise den älteren, erfahreneren Leuten in den Plattenfirmen leichter als den Gleichaltrigen, Punk anzunehmen. Die Gleichaltrigen fanden es sehr komisch.«
»Es scheint vollkommen normal: Ich hatte Elvis und die Beatles bei Ed Sullivan gesehen. Plötzlich gab es wieder eine Reihe von Schreihälsen. Die Plattenfirmen sind im Geschäft, um Geld zu machen, und ich sah das Potential, sah, dass diese Künstler auf unserem Label sein mussten und nicht auf irgendeinem anderen. Wir haben es nicht geschafft, die Sex Pistols unter Vertrag zu nehmen, also haben wir schließlich die Clash unterzeichnen lassen. Unsere Einstellung ihnen gegenüber war, dass sie einzigartig waren. Als soziales Phänomen haben mich die Clash nicht interessiert. Wir haben nur Platten gemacht.«
Der Vertragsabschluss der Clash mit CBS mit einem Vorschuss von 100.000 Pfund war ein wichtiger Moment. »Ich war sehr verärgert«, erinnert sich Mark P. »Ich habe mit Leuten wie Geoff Travis und Roger Armstrong gesprochen, und ich wusste, dass die Bands CBS nicht brauchten. Es entstanden genug kleine Plattenläden. Ich hatte mir bereits alles ausgedacht: Eine selbst herausgebrachte EP von ›1977‹, ›White Riot‹ und ›Career Opportunities‹, hätte etwas aufgebrochen. Es war ein Schlag, als sie unter Vertrag genommen wurden, denn das Musikbusiness hat sich nicht wirklich verändert. Aber wenn eine Band wie The Clash bei einem kleinen Label unterschrieben hätte, dann wäre alles sehr viel anders verlaufen.«
Im Gegensatz zu heute, wo Popbands gleichermaßen Geschäftsleute wie Geräuschemacher sein müssen, waren die Punkbands damals unglaublich naiv gegenüber der Industrie. Bedenkt man ihre Vorstellungen von Freiheit und Autonomie, scheint diese Naivität ebenso gewollt wie großartig. Die Clash waren immer davon ausgegangen, dass sie bei einer Major-Firma unterzeichnen würden, hatten jedoch keinerlei Ateil an den Verhandlungen: »Wir hielten uns vollkommen raus«, sagt Strummer, »wir haben Bernie alles regeln lassen. Wir waren wirklich die Leute, die wir sein sollten. Was wussten wir schon über Plattenfirmen und Verträge?«
Trotz ihres Feuers waren die Clash leichter assimilierbar als die Sex Pistols. »Sie waren nicht besonders schwierig«, sagt Oberstein, »alles was ich anfänglich tat, war, darauf zu setzen, dass sie einen Sound und eine Musik hatten, die sie machen wollten. Und sie gingen einfach ohne unseren A&R-Mann ins Studio, mit einem Produzenten und einem Techniker unserer Wahl, und machten ein Album, und es war ihr Album. Ich wusste, dass unsere übliche Heransgehensweise an ein gutes Album nicht unbedingt bedeutet hätte, dass es ein gutes Punkalbum wird.«
»Das ganze erste Album entstand an zwei Wochenenden«, sagt Roadent, »wir arbeiteten nur abends, in Blitzgeschwindigkeit. Alle Songs, die die Clash spielen konnten, wurden aufgenommen, und fertig war das Album, ungefähr fünfzehn Minuten lang.«
Um ihren Vertragsabschluss mit CBS zu feiern, tauchten die Clash nach zweimonatiger Pause für ein einmaliges Konzert im Roxy in Harlesden wieder auf. Im Gegensatz zu der Anything-goes-Atmosphäre des Roxy in der Neal Street beschlossen die Clash und ihr Manager, diesen »Abend der Tat« streng zu gestalten. Es spielten nur Punkbands aus dem inneren Kreis, und die Clash stellten ihr neues Equipment, ihren neuen Drummer Topper Headon und ihren neuen Look vor.
11.3.77 Auf dem Weg hoch nach Harlesden umklammere ich den Handzettel mit der Wegbeschreibung und quietsche in meinen 60er Jahre Röhrenhosen aus Vinyl, die ich gerade in Brighton für 3 Pfund gekauft habe. Drinnen, im höhlenartigen, feuchten Kino, legt Geoff von Rough Trade Reggae auf, und der große Steve aus dem Laden albert rum. Es ist nicht voll, als die Slits auftreten: eine anrüchige 14jährige Sängerin, eine phantastische Schlagzeugerin, die anderen beiden sind nicht da. passt wirklich nicht zusammen: Klingt wie Babygeheul. Ihr erster Auftritt.
Als nächstes: Subway Sect in schwarz und weiß. Der Gitarrist spielt den Rhythmus wie auf einer Leadgitarre à la Velvet »Live 69«, hält die Gitarre so hoch wie Gerry and the Pacemakers. Schriller Mülltonnendeckelsound mit einem unbeweglichen Sänger. Nicht viel Applaus. Alles, woran ich denke, als die Clash auf die Bühne gehen, ist, dass sie ihren großartigen Pollocklook zugunsten einer militaristischen Uniform mit Reißverschlüssen und Schulterstücken aufgegeben haben. Sie sehen aus wie Rockstars.
Am nächsten Tag stieg das erste Album der Damned, vertrieben durch Island, auf Platz Dreißig in die LP-Charts ein. Innerhalb einer Industrie, in der LPs wichtiger waren als Singles, war dies ein sicheres Indiz dafür, dass der Erfolg von Punk kein publicitygesteuerter Zufallstreffer mehr war. In der nächsten Woche veröffentlichten die Clash »White Riot« mit Polizeisirenen, zerbrochenem Glas und apokalytischen Schreien: so radiountauglich wie man es sich nur vorstellen konnte, nichtsdestotrotz erreichte es in der ersten Aprilwoche Platz Vierzig in den Charts.
Anarchy in the UK Nummer 2 schloss mit einer Widmung: für »Che, Durruti, die Watts-Unruhen, die Weathermen, die Angry Brigade, den ›72 Miners‹-Streik, den Levellers et al, Black Power, die Frauenbewegung, Gene Vincent«. Erschrocken und angeschlagen durch den Bruch, den sie vollzogen hatten, wollte Glitterbest die Sache noch weiter treiben und die Aggressivität der Sex Pistols in revolutionäre Aktivität verwandeln. Jetzt jedoch lag Punk in den Händen der Musikindustrie, die Bewegung hatte sich längst der Kontrolle von Glitterbest, McLaren und den Sex Pistols entzogen.
Die offizielle Unterzeichnung des A&M Records-Vertrag vor dem Buckingham Palace, 10. März 1977 (© David Hill)