Kapitel 11

SI­AN

La­to öff­net die Box­tür. Un­be­hol­fen stol­pert das Reh auf drei Bei­nen in die hin­ter­ste Ecke und kau­ert sich ins Stroh.

Vor­sich­tig le­ge ich die Brom­be­er­blät­ter, die La­to und ich im Wald ge­sam­melt ha­ben, auf das Heu.

Das Reh schreit, sei­ne Augen sind weit auf­ge­ris­sen, es hat noch immer To­des­angst.

Lang­sam wei­che ich zurück und ver­las­se die Box.

»Es braucht Ru­he. Je­de Art von Stress macht es schwä­cher.« La­to schiebt den Rie­gel vor die Tür und geht zu den Stroh­bal­len, die zwei Bo­xen weiter vor ei­ner lee­ren Pfer­de­box lie­gen. Er reibt sich über den Kopf. »Dav hät­te es er­schie­ßen sol­len. Wild­tie­re las­sen sich nicht zäh­men. Es hat dich beim Schie­nen fast k.o ge­schla­gen, was machst du, wenn ich nicht da bin, um es fest­zu­hal­ten?«

»Dei­nen Vater fra­gen.« Ich set­ze mich auf den ober­sten Stroh­bal­len.

La­to lacht. »Mach das und er er­schießt dich viel­leicht doch noch.«

Nein, wird er nicht. Un­ter die­ser düs­te­ren, un­durch­sich­ti­gen Fass­ade steckt immer noch der Mann, bei dem ich mich als Kind si­cher und ge­liebt ge­fühlt ha­be. Es ist merk­wür­dig. Nach all den Jah­ren er­in­ne­re ich mich nicht an sein Ge­sicht oder sei­ne Stim­me. Aber ich er­in­ne­re mich da­ran, wie ge­bor­gen ich mich da­mals in sei­nen Ar­men ge­fühlt ha­be. Viel­leicht ist die­ser Teil doch noch in ihm. Viel­leicht ist mei­ne Hoff­nung auch naiv. Aber ist es nicht ge­ne­rell so? Hoff­nung be­deu­tet, nicht zu wis­sen, dass alles gut wird. Es ist der Fun­ke Ver­trauen ins Uni­ver­sum, ins Schi­cksal – wie Mom sa­gen wür­de -, der uns weiter­kämp­fen lässt.

So­lan­ge al­so die Chan­ce be­steht, dass ir­gend­wo un­ter die­ser kal­ten, rau­en Scha­le noch der Mensch von frü­her steckt, will ich da­ran fest­hal­ten. Selbst, wenn er  …

»Er will mich an Min­kow ver­kau­fen.«

La­to er­starrt, aber ich bin si­cher, er ist nur ge­schockt, weil ich von dem Plan weiß. »Tu mir ei­nen Ge­fal­len und tu nicht so, als wüss­test du nichts da­von.«

Er stellt sich zwi­schen mei­ne Bei­ne und legt sei­ne Hän­de an mei­ne Hüf­ten. »Ich kann dich be­schüt­zen.«

»Vor dei­nem Stief­vater?«

»Vor Min­kow, Di­Res­ta, vor Dav  …«

»Di­Res­ta?«

Er zuckt mit den Schul­tern. »Vor allen bö­sen Jungs hier.«

»Was ist mit den Schul­den? Wenn er mich nicht aus­lie­fert, ist er dran. Er oder ich.«

La­tos Lip­pen strei­fen mei­ne und mein Herz schlägt schnel­ler. »Dav kann für sich selbst sor­gen.«

Ich le­ge ei­ne Hand an sei­nen Na­cken, um ihn nä­her zu mir zu zie­hen. »Du spielst den En­gel und er ist der Teu­fel. Willst du dich wirk­lich mit ihm an­le­gen?« Ich küs­se ihn sanft. »Wenn du mich be­schützt, stirbt Da­vi­on.«

»Wie ich schon sag­te  …« Er packt mei­ne Hüf­ten fes­ter und küsst mich zurück. »Ich be­schüt­ze dich.«

Sei­ne Wor­te schmei­cheln mir, aber ich kann selbst auf mich auf­pas­sen.

»Viel­leicht gibt es ei­ne an­de­re Lö­sung. Da­vi­on klam­mert sich an den letz­ten Stroh­halm.«

La­tos Blick ver­dun­kelt sich, er lässt mich los und weicht ein Stück zurück. »Er will dich an ir­gend so ei­nen schmie­ri­gen Ty­pen ver­kau­fen und du ver­tei­digst ihn? Ich dach­te, du wärst klü­ger.«

»Ich glau­be nur  …« Ver­dammt, das weiß ich selbst nicht. »Frü­her war er an­ders. Viel­leicht -«

»Kei­ne Ah­nung, wie er mal war, aber glaub mir, Da­vi­on ist ab­ge­fuckt und ich ken­ne viele ab­ge­fuck­te Leu­te.«

Er nimmt mei­ne Hand und zieht mich vom Stroh­bal­len.

»Hey.«

»Ich will dir was zei­gen.« Er stößt die Stall­tür auf, zerrt mich hin­aus in den strö­men­den Re­gen und stürmt in Rich­tung des Ge­hei­mein­gan­ges, wo ich vor ein paar Ta­gen Da­vi­on und Min­kows Leu­te be­ob­ach­tet ha­be. Seit­dem ha­be ich mich immer wie­der her­ge­schli­chen, um mehr über die Tun­nel her­aus­zu­fin­den, aber ich hat­te kei­ne Chan­ce, hin­ein­zu­kom­men, denn die Tür ist mit ei­nem Co­de ver­rie­gelt.

La­to zer­quetscht fast mei­ne Hand.

»Du tust mir weh, ver­dammt.«

Er lacht freud­los und zieht mich die schma­len Stufen hi­nab, die nach un­ten zur Mas­siv­holz­tür füh­ren. Oh­ne mich los­zu­las­sen, stellt er sich schräg, da­mit ich nicht se­he, wel­chen Co­de er ein­gibt.

Ein me­tal­li­sches Kli­cken er­tönt, dann öff­net sich die Tür ei­nen Spalt und La­to drückt sie auf. Küh­le Luft streift mei­ne Wan­gen, un­se­re Schrit­te hal­len durch das un­ter­ir­di­sche Tun­nel­sys­tem, das viel weiter reicht, als ich dach­te. Wir bie­gen nach rechts in ei­nen schumm­rig be­leuch­te­ten Gang und hal­ten vor ei­ner wei­te­ren Tür. La­to legt sei­ne Hand um den Griff, öff­net sie und schiebt mich in den Raum. Mei­ne Keh­le schnürt sich zu­sam­men. An ei­ner der schwar­zen Mar­mor­wän­de hängt ei­ne Art Werk­zeug­ab­la­ge. Der Grö­ße nach geord­ne­te Mes­ser mit glän­zen­den Klin­gen hän­gen ne­ben Skal­pel­len, ei­ner Axt und an­de­ren Fol­ter­werk­zeugen.

»Ich  … ver­steh nicht.« Ich ver­ste­he zu gut, aber mein Ver­stand wehrt sich ge­gen die Bil­der, die auf mich ein­schie­ßen.

La­tos Schuh­soh­len quiet­schen ge­spens­tisch auf den schwar­zen Flie­sen, er geht hin­über zur an­de­ren Wand und winkt mich zu sich. Zö­ger­lich ge­he ich zu ihm.

La­to schiebt ei­ne schwar­ze Flie­se bei­sei­te, ein klei­nes rech­te­cki­ges Fens­ter er­scheint und mein Herz setzt aus.

Blut­fle­cken be­de­cken die grell­wei­ßen Flie­sen, das kal­te Licht der Kunst­stoff­röh­re fla­ckert und wirft ge­spens­ti­sche Schat­ten auf den Boden. Der Mann, des­sen Ar­me an die Rück­leh­ne des Stuhls ge­bun­den sind, schreit und win­det sich, doch die di­cken Wän­de ver­schlu­cken sei­ne Schreie.

Blut strömt von sei­nem Ge­sicht über sei­ne Brust. Da­vi­on steht hin­ter ihm und zieht ein Skal­pell über sei­ne Wan­ge. Er wischt die be­hand­schuh­ten Hän­de an sei­ner Ho­se ab und tät­schelt dem Mann den Na­cken. Lang­sam, wie ei­ne Schlan­ge um­kreist er ihn, stellt sich vor ihn und rammt ihm das Skal­pell in den Ober­schen­kel. Der Mann schreit, doch kein Ge­räusch dringt zu uns.

»Will­kom­men in der Rea­li­tät, Si­an.« La­to schiebt die Flie­se über das Fens­ter. »Das ist der ech­te Da­vi­on Ca­ta­no.«

Wie ge­lähmt star­re ich auf die Wand. Das kann nicht sein. Kein Mensch ver­än­dert sich so sehr.

Was, wenn er immer so war? Du warst ein Kind  …

»Wa­rum  …« Mei­ne Stim­me klingt hei­ser. »Wa­rum tut er das?«

»Das pas­siert, wenn du ihm nicht ge­horchst.« Er streicht mir ei­ne Sträh­ne hin­ters Ohr. »Kei­ne Ah­nung, wie er frü­her zu dir und dei­ner Mom war, aber der Mensch, den du als Kind mal kann­test, ist tot. Er wird dich ver­kau­fen. Es ist ihm scheiß­egal. Wird Zeit, dass du auf­wachst.«

Sein Lä­cheln, sei­ne Um­ar­mun­gen, un­se­re Auto­fahr­ten, wenn er die Fens­ter her­un­ter­ließ und lach­te, wenn ich den Kopf hin­aus­streck­te und mei­ne Haa­re im Wind weh­ten  … Die Er­in­ne­run­gen da­ran ver­schwin­den zu­sam­men mit der Hoff­nung in ei­ner dunk­len La­che aus Blut.

Din­ge, die wir im Schutz der Dun­kel­heit tun, sind die Din­ge, die uns zu Mons­tern ma­chen.

Da­vi­on Ca­ta­no ist tot.

Er wird nicht nach­ge­ben.

Er wird mich nicht be­schüt­zen.

Es wird ihm nicht leid­tun.

Er wird mich opfern.

Ich sit­ze hier mit ihm in die­ser gott­ver­damm­ten Lod­ge fest und kann nicht ent­kom­men.

Es kos­tet mich alle Kraft, aber ich straf­fe die Schul­tern und he­be das Kinn. Noch immer emp­fin­de ich kei­ne Angst.

Alles, was ich füh­le, ist Wut.

Ei­ne Her­aus­for­de­rung.

Da­vi­on ist tot.

Aber ich wer­de über­le­ben.

***

So­bald am Abend La­tos und Da­vi­ons Zim­mer­türen ins Schloss fal­len, schlei­che ich nach un­ten, um zu tele­fo­nie­ren. Doch das Tele­fon ist ver­schwun­den. Wahr­schein­lich hat La­to Da­vi­on et­was ge­sagt – denn auch, wenn er vor­gibt, mich be­schüt­zen zu wol­len -, hel­fen wird er mir nicht.

Ich schlei­che zur Ga­ra­gen­tür und ha­be nicht viel Hoff­nung, als ich vor­sich­tig die Klin­ke her­un­ter­drü­cke, doch zu mei­ner Über­ra­schung ist sie – ge­nau wie die Tür mei­nes Zim­mers nicht ab­ge­schlos­sen.

Und das kommt dir nicht ko­misch vor?

Ich schie­be den Ge­dan­ken bei­sei­te, stel­le mei­ne Sport­ta­sche ab und schlie­ße die Tür hin­ter mir. Da­vi­ons Ran­ge Ro­ver parkt hin­ter mei­nem Au­di. Ich stür­me zum Wagen und rüt­te­le an der Tür, doch sie ist ver­schlos­sen. Hek­tisch zie­he ich das Han­dy aus der Je­ans­ta­sche und drü­cke auf die Taschen­lam­pen­app. Ich stür­me hin­über zu ei­nem Regal mit Ben­zin­ka­nis­tern und las­se den Licht­ke­gel da­rüber­glei­ten, doch der Wagen­schlüs­sel liegt nir­gend­wo. Auch auf dem klei­nen Tisch mit öl­ver­schmier­ten Tü­chern und al­ten Schrau­ben fin­de ich ihn nicht. Ent­we­der ist er ir­gend­wo im Haus oder Da­vi­on hat ihn mit in sein Zim­mer ge­nom­men, aber ich kann nicht zurück und ris­kie­ren, dass sie mich er­wi­schen. Schon jetzt steht mein Plan mehr als auf der Kip­pe, er hängt am Ab­grund. Soll­te ich den Wagen ge­star­tet be­kom­men, muss ich ei­ne Stra­ße fin­den, die aus Kilt­hor­ne Creek her­aus­führt. Der hin­te­re Teil der Haupt­stra­ße war heu­te Mor­gen be­reits über­schwemmt, es hat den gan­zen Tag ge­reg­net, viel­leicht steht sie mitt­ler­wei­le voll­stän­dig un­ter Was­ser und ich ha­be kei­ne Ah­nung, wie es mit den Stra­ßen in der Stadt aus­sieht.

Mir bleibt nur die­se ei­ne Chan­ce zur Flucht.

Ich leuch­te zur Werk­zeug­wand, neh­me ei­nen Schraub­schlüs­sel aus sei­ner Hal­te­rung und um­klam­me­re ihn fest. Hof­fent­lich däm­men die Wän­de das Ge­räusch. Mit aller Wucht don­ne­re ich den Schraub­schlüs­sel ge­gen das Fens­ter auf der Fah­rer­sei­te. Die Schei­be split­tert und bleibt im Rah­men hän­gen. So fest ich kann, drü­cke ich sie ein und tas­te dann hek­tisch nach in­nen. Ich zie­he den He­bel hoch und öff­ne die Tür.

Teil eins ist ge­schafft, aber das Schwie­rigs­te steht mir noch be­vor.

Ich stür­me zu mei­ner Ta­sche, wer­fe sie auf den Bei­fah­rer­sitz und glei­te hin­ters Lenk­rad. Für ei­nen Mo­ment blei­be ich still sit­zen und ver­su­che, mich an die Schrit­te zu er­in­nern, mit de­nen Sut­ton vor zwei Jah­ren den BMW un­se­res Direkt­ors kurz­ge­schlos­sen hat, um ihn vier Blö­cke weiter vor ei­ner Strip­bar zu par­ken. Die Ak­tion brach­te ihm ziem­li­che Pro­ble­me mit sei­ner Frau ein.

»Okay, zu­erst die Ka­bel su­chen.« Ich beu­ge mich vor, fas­se in den Hohl­raum hin­ter dem Lenk­rad und tas­te nach Ka­beln, aber fin­de kei­ne. Ich er­in­ne­re mich dun­kel da­ran, dass Sut­ton ein ro­tes und blau­es Ka­bel her­vor­ge­zo­gen hat, um den Wagen kurz­zu­schlie­ßen, aber wie ge­nau sie es ge­macht hat weiß ich nicht.

»Schei­ße. Ver­dammt!« Mit der fla­chen Hand schla­ge ich aufs Lenk­rad, mein Herz ver­fällt in ei­nen schnel­le­ren Rhyth­mus.

Ich muss hier weg ver­dammt.

Ich stei­ge aus dem Wagen, kra­me hek­tisch in der Ja­cken­ta­sche nach mei­nem Han­dy und ent­sper­re das Dis­play in der Hoff­nung, dass ein Wun­der pas­siert und es Emp­fang gibt. Doch als nur ein Bal­ken er­scheint und so­fort wie­der ver­schwin­det, ge­be ich auch die­sen Ver­such auf.

Ich zer­re die Sport­ta­sche vom Bei­fah­rer­sitz, wer­fe sie mir über die Schul­ter, lau­fe zum Ga­ra­gen­tor und drü­cke auf den Knopf.

Lei­se schiebt es sich hoch.

Küh­le Nacht­luft weht in mein Ge­sicht, Re­gen fällt auf die Pfüt­zen in der Ein­fahrt. Es gibt kei­ne an­de­re Mög­lich­keit, als zu lau­fen. Bis zur Stadt sind es acht­zehn Meilen. Wenn ich pro Mei­le ei­ne hal­be Stun­de lau­fe  …

Neun Stun­den Fuß­marsch im strö­men­den Re­gen, da­zu die über­flu­te­ten Stra­ßen  …

Ge­nau­so gut könn­te ich mir ei­nen Zie­gel­stein um die Fü­ße bin­den und in den See sprin­gen. Nicht si­cher, was ich tun soll, tre­te ich nach drau­ßen und bli­cke in die Wäl­der. Viel­leicht kann ich La­to mor­gen un­ter ei­nem Vor­wand da­zu brin­gen, mich in die Stadt zu fah­ren.

Von dort aus fin­de ich si­cher ei­ne Mit­fahr­ge­le­gen­heit, um von hier weg­zu­kom­men. Oder ich neh­me Da­vi­ons Waf­fe und  …

»Dach­test du wirk­lich, du kommst hier weg?«

Sei­ne Stim­me lässt mich zu­sam­men­zu­cken.

Ich fah­re he­rum und las­se die Sport­ta­sche sin­ken.

Da­vi­on sieht sich die ein­ge­schlag­ene Sei­ten­schei­be sei­nes Ran­ge Ro­vers an und kommt lang­sam auf mich zu. Er ist bar­fuß, trägt sei­ne schwar­ze Jog­ging­ho­se und ver­schränkt die Ar­me vor sei­ner nack­ten Brust, was ihn noch mus­ku­lö­ser und fins­te­rer wir­ken lässt.

In­stink­tiv wei­che ich zurück.

Re­gen rinnt über mei­ne Wan­gen, mei­ne Kla­mot­ten sind bis auf die Haut durch­tränkt und der ei­si­ge Nacht­wind weht mir ins Ge­sicht. Mei­ne Zäh­ne klapp­ern vor Käl­te, aber alles, an was ich den­ken kann, ist Flucht.

Ich muss hier weg.

So­fort. Egal wie.

»Die Schei­be wirst du be­zah­len.«

»Ich hät­te schie­ßen sol­len.«

»Das hät­test du.«

»Ich ha­be ge­se­hen, was du mit dem Mann im Tun­nel ge­macht hast.«

Er kommt nä­her, emo­tions­los sieht er mich an. Ob­wohl ich ren­nen möch­te, weiß ich, ich kann nicht ent­kom­men.

»Dann be­greifst du hof­fent­lich, dass ich dich nicht mehr be­schüt­zen wer­de.«

Ob­wohl es lä­cher­lich er­scheint, schnei­den mich sei­ne Wor­te wie ein Mes­ser. Sie sind nicht nur ver­let­zend, sie füh­len sich wie ein Ver­rat an mei­ner Mutter an. Mei­ner Mutter, die ihm da­mals sein Kind an­ver­traut hat. »Mom wür­de dich has­sen.«

Be­vor ich rea­gie­ren kann, schießt sei­ne Hand vor.

Er packt mei­ne Haa­re und schleift mich zurück in die Ga­ra­ge. Ich ho­le aus und don­ne­re mei­ne Faust ge­gen sei­ne Rip­pe, aber er zuckt nicht mal zu­sam­men. Er zerrt mich ins Haus, die Trep­pe hin­auf und stößt die Tür zu sei­nem Zim­mer auf. Oben an­ge­kom­men, schubst er mich aufs Bett. Ich lan­de auf dem Rü­cken, schie­ße hoch und krab­be­le zur Sei­te. Da­vi­on greift mei­nen Knö­chel und zieht mich zurück. Ich tre­te nach ihm, doch dann ist er auf mir.

Mein Jab trifft sein Kinn. Er stöhnt vor Schmer­zen.

Doch sein Ge­wicht auf mir drückt mich her­un­ter.

»Ich weiß, wie du mich an­siehst.« Er reißt die Knöp­fe mei­ner Ja­cke auf und schiebt ei­ne Hand un­ter mei­nen nas­sen Pull­over. Ge­dan­ken schie­ßen wie Pfei­le durch mei­nen Kopf.

Er will mir weh­tun. Er will mir klar­ma­chen, zu was er fä­hig ist.

Das soll­te dir Angst ma­chen.

Mein Herz rast, mein Ma­gen krib­belt. Wär­me brei­tet sich von mei­ner Brust bis in die Fin­ger­spit­zen aus und ver­treibt die Käl­te. Zum er­sten Mal seit Moms Tod spü­re ich mehr. Mehr als Neu­gier, mehr als ei­nen An­flug von Auf­re­gung. Zum er­sten Mal seit Moms Tod füh­le ich et­was.

Ich bin krän­ker als ge­dacht. Ir­gend­et­was in mir ist zers­tört und erst jetzt wird mir das Aus­maß da­von klar.

Trä­nen bren­nen in mei­ne Augen.

»Lass mich los!« Ich klat­sche ihm mei­ne fla­che Hand ins Ge­sicht.

Grob kne­tet er mei­ne Brust, sei­ne Lip­pen wan­dern über mei­nen Hals, er leckt den Re­gen von mei­ner Haut und sein war­mer Atem streift mein Ohr. »Pa­tri­cia wür­de has­sen, wie du mich an­siehst. Wie ihr klei­nes Mäd­chen die Bei­ne für Ice breit­macht.«

»Du kran­kes Arsch­loch!« Das Krib­beln in mei­nem Bauch schießt zwi­schen mei­ne Bei­ne. Ich zer­krat­ze ihm den Rü­cken und win­de mich un­ter ihm. Er ist nicht der ein­zig Kran­ke in die­sem wi­der­li­chen Spiel. Mom wür­de uns bei­de has­sen.

Da­vi­on drängt sei­ne Knie zwi­schen mei­ne Bei­ne und schiebt sie aus­ein­an­der, wäh­rend ich mei­ne Nä­gel in sei­nen Rü­cken kral­le und ihn krat­ze.

Ich will ihm ge­nau­so weh­tun wie er mir.

Wir sind wie zwei wil­de Tie­re, die um ihr Über­le­ben kämp­fen.

Tie­re, die ih­ren nie­de­ren In­stink­ten fol­gen.

Kei­ne Ver­nunft. Kei­ne Ta­bus.

Das war­me Krib­beln wird zu ei­nem Zer­ren. Ein so star­kes Zer­ren, das die Trä­nen end­lich über­lau­fen und über mei­ne er­hitz­ten Wan­gen rin­nen.

Immer und immer wie­der klat­sche ich ihm die fla­che Hand ins Ge­sicht. Ich zie­he mei­ne Kral­len über sei­nen Rü­cken und hof­fe, er blu­tet. Hof­fe, er spürt, was er mit mir macht.

Da­vi­on beißt in mei­nen Hals, mit ei­ner Hand kne­tet er mei­ne Brust über dem BH, wäh­rend die har­te Beu­le in sei­ner Jog­ging­ho­se ge­gen den Stoff mei­ner Je­ans drückt und ich schrei­en will.

»Klei­ne hei­ße Schlam­pe«, stöhnt er. »Min­kow hat kei­ne Ah­nung, was er be­kommt.«

Un­ser Atem dringt durch die Stil­le der Nacht, mein Herz häm­mert so hef­tig, dass mir schwin­de­lig wird, und Schweiß rinnt über mei­ne Wir­bel­säu­le.

Das Zer­ren zer­reißt mich. Ich will mehr.

Ich bäu­me mich un­ter ihm auf, pa­cke sein Haar und zie­he ihn zu mir. Hung­rig bei­ße ich in sei­nen Hals und schme­cke das Salz.

Lust.

Adre­na­lin.

Wut.

Hass.

Feu­er.

Le­ben.

So viel Le­ben.

Alles in die­sem Mo­ment.

Die Trä­nen bre­chen aus mir her­aus, wer­den zu ei­nem Sturz­bach und ich zer­bre­che.

Alles, was ich in den letz­ten Mo­na­ten zurück­ge­hal­ten ha­be, was in mir be­gra­ben war, bricht aus mir her­aus.

Da­vi­on schiebt mich von sich, packt mei­nen Ell­bogen und zieht mich vom Bett. »Geh  … Ich  …« Mit ei­ner Hand streicht er sich über den Bart. »Ich weiß nicht  …«

Mein Herz rast noch immer. Ich rin­ge nach Luft.

Was zur Höl­le tun wir?

Ich wi­sche mir die Trä­nen von den Wan­gen, zu­pfe mei­nen Pull­over zu­recht und stür­me zur Tür. »Du hast recht, du bist ein Mons­ter.«

Doch be­vor ich das Zim­mer ver­las­sen kann, drückt Da­vi­on sei­ne Hand ge­gen die Tür. »Ich wür­de dich nie …«

Ich dre­he mich zu ihm und klat­sche ihm mei­ne fla­che Hand ins Ge­sicht. »Fass mich noch ein­mal an und ich tö­te dich.«

Doch die Wahr­heit ist, nicht er macht mir Angst.

Am meis­ten er­schro­cken bin ich über mich selbst.