SIAN
»Hey Koronov!«, ruft sein Partner von der Couch herüber. »Bring mir noch was Bier vom Herd. Mir ist arschkalt.«
Doch Koronov hört gar nicht hin. Er umfasst meinen Unterarm und wirft mich zu Boden. »Du hältst dich besser, als gedacht.«
Ein heftiger Schmerz schießt in mein Steißbein und raubt mir für einen Moment die Luft. Aber der Schmerz von den Paketbändern, mit denen sie meine Handgelenke gefesselt haben, ist schlimmer. Meine Haut ist aufgescheuert und blutig, und die Muskeln in meinen Armen fühlen sich an, als hätte mich jemand auf eine Streckbank gebunden.
Zwei Tage sind vergangen, seit Lato mir das Geheimnis meines Onkels verraten hat und verschwunden ist.
Mein Kopf dröhnt.
Ich will es nicht glauben, kann es nicht begreifen. Alles erscheint wie durch einen Schleier.
Aber es ergibt Sinn. All die Fragen. All die Lügen.
Zwei Tage, in denen Panik und Wut, Verzweiflung und Hoffnung in mir wüten.
Genauso lange liegt Davion verletzt und vielleicht immer noch bewusstlos in seinem Haus.
Ich weiß nicht einmal, ob er noch lebt. Doch den Gedanken daran verdränge ich, denn sonst werde ich verrückt. Stattdessen konzentriere ich mich auf mein Ziel.
»Was habt ihr mit Lato gemacht?« Was zur Hölle habt ihr mit mir gemacht? Ich setze mich auf und versuche, das Shirt herunterzuziehen, das nur knapp über meinen Hintern reicht. Sie haben mir meine Jeans und den Pulli ausgezogen, denn vorgestern bin ich nur in diesem Shirt und meinem Slip bekleidet aufgewacht und in Panik verfallen. Erst nach drei Ohrfeigen und ein paar Stunden im Keller wurde ich ruhiger. Zwischen meinen Beinen schmerzte nichts und mein Slip fühlte sich nicht nass an. Hätten sie mich angefasst, müsste ich etwas merken. Zumindest glaube ich das.
»Wo ist Lato?«, wiederhole ich und sehe auf zu den drei Männern, die auf einem schicken Ledersofa sitzen und über eine Komödie im Fernsehen lachen. »Was habt ihr mit ihm gemacht?«
Einer von ihnen – Koronov, den ich von seinem Besuch mit Minkow in der Lodge kenne – schiebt sich eine Handvoll Popcorn in den Mund und zuckt gelangweilt mit den Schultern. »Wir brauchen nur dich.«
Nein, das kann nicht sein. Ich will nicht glauben, was er sagt. Aber die Aussichtslosigkeit, die mich seit dem Erwachen in dieser Hütte überfällt, breitet sich wie die Eisschicht auf einem See in mir aus.
Davion wird nicht zu Hilfe kommen. Lato ist …
»Ich habe Durst.«
Die beiden ignorieren mich und schieben sich weiter Popcorn in die Münder, während Koronov lauthals über einen Witz im Fernsehen lacht und sich an seinem Bier verschluckt. Er prustet selbst noch, als der Blonde mit dem Irokesenschnitt sich fluchend die Tropfen aus dem Gesicht wischt.
»Ich habe Durst, verdammt.«
Genervt atmet der Irokese aus, klopft sich die Krümel von der Jeans und steht auf. Er nimmt eine Wasserflasche vom Tisch, schraubt sie auf und packt mein Kinn. »Mund auf.«
Ich gehorche und trinke hastig. Er legt den Kopf schief und streicht mir mit der freien Hand über den Unterschenkel. »Wir hocken hier seit zwei Tagen und langweilen uns mit den alten Schinken und Fast Food. Also mir würde ein besserer Zeitvertreib einfallen.«
Ich trete nach seiner Hand. Er lacht.
»Die Kleine ist tabu«, antwortet Koronov gelangweilt, ohne den Blick vom Bildschirm abzuwenden. »Anordnung vom Chef.«
Wieder streicht der Punker über meinen Unterschenkel, wieder trete ich seine Hand weg.
Er zieht die Flasche weg. »Wann kommt er?«
»Keine Ahnung. Morgen oder übermorgen. Der Hubschrauber hat den Schnee nicht gut verkraftet.«
»Noch zwei Tage.« Er seufzt und sieht mich eine Weile an. »Er wird gar nichts merken. Ich mache ganz schnell.«
Der große mit dem breiten Mund lacht. »Schnell glaub ich dir.« Er sieht mich an und hebt die buschigen Brauen. »Bei der wär ich fertig, bevor ich überhaupt drin wäre.«
»Wer länger durchhält, gewinnt.« Der Punker wirf ihm einen herausfordernden Blick zu und mein Herz hämmert schneller.
Ich muss hier weg.
»Schluss jetzt. Wir sind nicht zum Spaß hier.« Koronov stellt den Fernseher lauter und klopft auf die freie Stelle rechts von sich. »Setz dich wieder.«
Ich hätte nicht gedacht, ein mal froh über seine Anwesenheit zu sein. Aber er scheint über den beiden zu stehen, denn seit ich hier aufgewacht bin, tun sie das, was er sagt.
Der Punker schraubt die Flasche zu, sieht mich noch einmal an und steht auf.
»Ich würde sie aber wirklich unheimlich gerne vögeln.«
Koronov schweigt.
Der Punker greift zur Gesäßtasche seiner Jeans und zieht seine Waffe.
»Koronov! Er hat eine -«
Noch bevor sein Kopf herumschnellt, drückt der Punker ab. Koronovs Stirn platzt auf wie eine Wassermelone, die auf Asphalt trifft. Gehirnmasse und Blut spritzen auf den Typen neben ihn. Erschrocken weicht er zurück. »Scheiße, spinnst du?«
»Dich hat seine Bevormundung doch auch genervt, oder?« Der Punker schiebt die Pistole zurück in seine Gesäßtasche.
»Aber wenn der Boss -«
»Dieser Lato ist aufgetaucht und hat den guten alten Koronov kaltgemacht. Danach haben wir ihn erledigt.«
Der Breitmaulfrosch grinst. »Klingt nach einem Plan.«
»Also was ist jetzt mit der Wette?«
Nein. Ich rutsche ich auf dem Boden zurück. Meine Brust verengt sich und ich zerre das Shirt über meine Knie. Hastig sehe ich mich nach etwas Spitzem um. Wenn ich die Fesseln loswerden würde, könnte ich mich wehren. Denk nach. Bitte denk nach.
»Das war dein Ernst?«
»Hast du sie dir mal angesehen? Ich wette, die fühlt sich an wie warmer Vanillepudding.«
Der andere lacht und steht auf. »Ich mag Vanillepudding.«
Der Punker dreht sich zu mir. »Herzlichen Glückwunsch, Kleine. Du wurdest soeben befördert.« Er öffnet den Reißverschluss seiner Jeans und kommt auf mich zu.
Nein.
Nein.
Bitte nicht.
»Minkow tötet euch.«
»Minkow weiß, wie ungezogen du mit den beiden Catano-Jungs warst. Was habt ihr veranstaltet? Orgien?«
Sein Partner lacht.
»Stehst du auf ältere Männer? Ich wette, Catano hat deine kleine Muschi richtig rangenommen. Man hört so Sachen, weißt du?«
Übelkeit breitet sich in meinem Bauch aus.
Ich weiche zurück, aber die Wand stoppt mich.
»Keine Sorge, Minkow wird nichts auffallen«, sagt der Punk.
»Okay.« Ich zwinge mich, ruhig zu atmen. »Okay.«
»Okay? Einfach so?« Der mit dem breiten Mund runzelt die Stirn. »Sie macht mit?«
»Klar macht sie das.« Der Punker grinst. »Sie steht doch auf ältere Typen. Catano hat ganze Arbeit geleistet, was Kleine?«
Ich strecke ihm meine Hände entgegen. »Ich will dich berühren.«
Er reißt die Augen auf und sieht seinen Partner an. »Die kanns kaum erwarten.«
Er macht eine Handbewegung, worauf der andere ihm ein Messer vom Tisch reicht. Er setzt die Klinge an meine Fessel und hält inne. »Du bist doch ein schlaues Mädchen. Wir sind zu zweit und viermal so stark wie du. Also versuch was und du lernst mich kennen.«
Hastig nicke ich. »Ich will nur … Ich will dich dabei berühren.«
Kaum fällt der Paketbinder zu Boden, donnert meine Faust auf seine Nase.
»Ahh Scheiße!« Schreiend stürzt er sich auf mich. »Fotze!«
Mein Gesicht fliegt zur Seite. Meine Wange brennt.
Ich verpasse ihm einen Tritt in die Eier und einen Uppercut. Brüllend, die Hand am Schritt, kippt er zur Seite.
Ich drücke mich hoch, aber mir wird schwarz vor Augen. In dem Moment stürmt der andere auf mich zu, packt meine Arme und wirft mich zu Boden. Er setzt sich auf meine Beine, damit ich nicht wieder treten kann, und verpasst mir eine schallende Ohrfeige. Ich bäume mich unter ihm auf, aber sein Gewicht hält mich auf dem Boden.
»Scheiße!« Die Wange des Punkers leuchtet rot. Seine Nasenflügel beben. Er steht auf und leckt sich die blutige Unterlippe. »Du hast es mir gerade einfacher gemacht. Halt ihre Arme fest.«
Sein Partner geht von mir und hält meine Handgelenke über dem Kopf fest.
»Nein!«
Der Punker schiebt sich die Jeans zusammen mit den Shorts von den Hüften. Ich winde mich, reiße die Beine hoch und trete nach ihm, doch der Punker packt sie und zerrt an meinem Slip. Krachend reißt der dünne Stoff.
»Nein! Nein!« Alles dreht sich. »Geh runter von mir!«
Brutal packt der Punker meine Knie und spreizt meine Beine, während sein Partner meine Arme gegen den kalten Boden presst.
»Nein!« Ich werfe den Kopf von einer Seite zur anderen, aber meine Kraft lässt nach. »Nein.«
Tränen laufen über meine Wangen, mein Herz sprengt meine Rippen. Wieder klatscht seine Hand in mein Gesicht. Er spuckt auf seine Finger und schiebt sie in mich.
Nein. Nein. Niemals.
Das ist nicht echt.
Das geschieht nicht wirklich.
Tu was. Halt durch.
»Stopp! Minkow!«
Nervös schielt er zur Tür.
»Minkow ist mein Vater.«