Kapitel 25

SI­AN

»Hey Ko­ro­nov!«, ruft sein Part­ner von der Couch her­über. »Bring mir noch was Bier vom Herd. Mir ist arsch­kalt.«

Doch Ko­ro­nov hört gar nicht hin. Er um­fasst mei­nen Un­ter­arm und wirft mich zu Boden. »Du hältst dich bes­ser, als ge­dacht.«

Ein hef­ti­ger Schmerz schießt in mein Steiß­bein und raubt mir für ei­nen Mo­ment die Luft. Aber der Schmerz von den Paket­bän­dern, mit de­nen sie mei­ne Hand­ge­len­ke ge­fes­selt ha­ben, ist schlim­mer. Mei­ne Haut ist auf­ge­scheu­ert und blu­tig, und die Mus­keln in mei­nen Ar­men füh­len sich an, als hät­te mich je­mand auf ei­ne Streck­bank ge­bun­den.

Zwei Ta­ge sind ver­gan­gen, seit La­to mir das Ge­heim­nis mei­nes On­kels ver­ra­ten hat und ver­schwun­den ist.

Mein Kopf dröhnt.

Ich will es nicht glau­ben, kann es nicht be­grei­fen. Alles er­scheint wie durch ei­nen Schleier.

Aber es er­gibt Sinn. All die Fra­gen. All die Lü­gen.

Zwei Ta­ge, in de­nen Pa­nik und Wut, Ver­zweif­lung und Hoff­nung in mir wü­ten.

Ge­nau­so lan­ge liegt Da­vi­on ver­letzt und viel­leicht immer noch be­wusst­los in sei­nem Haus.

Ich weiß nicht ein­mal, ob er noch lebt. Doch den Ge­dan­ken da­ran ver­drän­ge ich, denn sonst wer­de ich ver­rückt. Statt­des­sen kon­zen­trie­re ich mich auf mein Ziel.

»Was habt ihr mit La­to ge­macht?« Was zur Höl­le habt ihr mit mir ge­macht? Ich set­ze mich auf und ver­su­che, das Shirt her­un­ter­zu­zie­hen, das nur knapp über mei­nen Hin­tern reicht. Sie ha­ben mir mei­ne Je­ans und den Pul­li aus­ge­zo­gen, denn vor­ge­stern bin ich nur in die­sem Shirt und mei­nem Slip be­klei­det auf­ge­wacht und in Pa­nik ver­fal­len. Erst nach drei Ohr­fei­gen und ein paar Stun­den im Kel­ler wur­de ich ru­hi­ger. Zwi­schen mei­nen Bei­nen schmerz­te nichts und mein Slip fühl­te sich nicht nass an. Hät­ten sie mich an­ge­fasst, müss­te ich et­was mer­ken. Zu­min­dest glau­be ich das.

»Wo ist La­to?«, wie­der­ho­le ich und se­he auf zu den drei Män­nern, die auf ei­nem schi­cken Leder­so­fa sit­zen und über ei­ne Ko­mö­die im Fern­se­hen la­chen. »Was habt ihr mit ihm ge­macht?«

Ei­ner von ih­nen – Ko­ro­nov, den ich von sei­nem Be­such mit Min­kow in der Lod­ge ken­ne – schiebt sich ei­ne Hand­voll Pop­corn in den Mund und zuckt ge­lang­weilt mit den Schul­tern. »Wir brau­chen nur dich.«

Nein, das kann nicht sein. Ich will nicht glau­ben, was er sagt. Aber die Aus­sichts­lo­sig­keit, die mich seit dem Er­wachen in die­ser Hüt­te über­fällt, brei­tet sich wie die Eis­schicht auf ei­nem See in mir aus.

Da­vi­on wird nicht zu Hil­fe kom­men. La­to ist  …

»Ich ha­be Durst.«

Die bei­den ig­no­rie­ren mich und schie­ben sich weiter Pop­corn in die Mün­der, wäh­rend Ko­ro­nov laut­hals über ei­nen Witz im Fern­se­hen lacht und sich an sei­nem Bier ver­schluckt. Er prus­tet selbst noch, als der Blon­de mit dem Iro­ke­sen­schnitt sich flu­chend die Trop­fen aus dem Ge­sicht wischt.

»Ich ha­be Durst, ver­dammt.«

Ge­nervt at­met der Iro­ke­se aus, klopft sich die Krü­mel von der Je­ans und steht auf. Er nimmt ei­ne Was­ser­fla­sche vom Tisch, schraubt sie auf und packt mein Kinn. »Mund auf.«

Ich ge­hor­che und trin­ke has­tig. Er legt den Kopf schief und streicht mir mit der frei­en Hand über den Un­ter­schen­kel. »Wir ho­cken hier seit zwei Ta­gen und lang­wei­len uns mit den al­ten Schin­ken und Fast Food. Al­so mir wür­de ein bes­se­rer Zeit­ver­treib ein­fal­len.«

Ich tre­te nach sei­ner Hand. Er lacht.

»Die Klei­ne ist ta­bu«, ant­wor­tet Ko­ro­nov ge­lang­weilt, oh­ne den Blick vom Bild­schirm ab­zu­wen­den. »An­ord­nung vom Chef.«

Wie­der streicht der Pun­ker über mei­nen Un­ter­schen­kel, wie­der tre­te ich sei­ne Hand weg.

Er zieht die Fla­sche weg. »Wann kommt er?«

»Kei­ne Ah­nung. Mor­gen oder über­mor­gen. Der Hub­schrau­ber hat den Schnee nicht gut ver­kraf­tet.«

»Noch zwei Ta­ge.« Er seufzt und sieht mich ei­ne Wei­le an. »Er wird gar nichts mer­ken. Ich ma­che ganz schnell.«

Der gro­ße mit dem brei­ten Mund lacht. »Schnell glaub ich dir.« Er sieht mich an und hebt die bus­chi­gen Brau­en. »Bei der wär ich fer­tig, be­vor ich über­haupt drin wä­re.«

»Wer län­ger durch­hält, ge­winnt.« Der Pun­ker wirf ihm ei­nen her­aus­for­dern­den Blick zu und mein Herz häm­mert schnel­ler.

Ich muss hier weg.

»Schluss jetzt. Wir sind nicht zum Spaß hier.« Ko­ro­nov stellt den Fern­se­her lau­ter und klopft auf die freie Stel­le rechts von sich. »Setz dich wie­der.«

Ich hät­te nicht ge­dacht, ein mal froh über sei­ne An­we­sen­heit zu sein. Aber er scheint über den bei­den zu ste­hen, denn seit ich hier auf­ge­wacht bin, tun sie das, was er sagt.

Der Pun­ker schraubt die Fla­sche zu, sieht mich noch ein­mal an und steht auf.

»Ich wür­de sie aber wirk­lich un­heim­lich ger­ne vögeln.«

Ko­ro­nov schweigt.

Der Pun­ker greift zur Ge­säß­ta­sche sei­ner Je­ans und zieht sei­ne Waf­fe.

»Ko­ro­nov! Er hat ei­ne -«

Noch be­vor sein Kopf her­um­schnellt, drückt der Pun­ker ab. Ko­ro­novs Stirn platzt auf wie ei­ne Was­ser­me­lo­ne, die auf As­phalt trifft. Ge­hirn­mas­se und Blut sprit­zen auf den Ty­pen ne­ben ihn. Er­schro­cken weicht er zurück. »Schei­ße, spinnst du?«

»Dich hat sei­ne Be­vor­mun­dung doch auch ge­nervt, oder?« Der Pun­ker schiebt die Pis­to­le zurück in sei­ne Ge­säß­ta­sche.

»Aber wenn der Boss -«

»Die­ser La­to ist auf­ge­taucht und hat den gu­ten al­ten Ko­ro­nov kalt­ge­macht. Da­nach ha­ben wir ihn er­le­digt.«

Der Breit­maul­frosch grinst. »Klingt nach ei­nem Plan.«

»Al­so was ist jetzt mit der Wet­te?«

Nein. Ich rut­sche ich auf dem Boden zurück. Mei­ne Brust ver­engt sich und ich zer­re das Shirt über mei­ne Knie. Has­tig se­he ich mich nach et­was Spit­zem um. Wenn ich die Fes­seln los­wer­den wür­de, könn­te ich mich weh­ren. Denk nach. Bit­te denk nach.

»Das war dein Ernst?«

»Hast du sie dir mal an­ge­se­hen? Ich wet­te, die fühlt sich an wie war­mer Va­nil­le­pud­ding.«

Der an­de­re lacht und steht auf. »Ich mag Va­nil­le­pud­ding.«

Der Pun­ker dreht sich zu mir. »Herz­li­chen Glück­wunsch, Klei­ne. Du wur­dest so­eben be­för­dert.« Er öff­net den Reiß­ver­schluss sei­ner Je­ans und kommt auf mich zu.

Nein.

Nein.

Bit­te nicht.

»Min­kow tö­tet euch.«

»Min­kow weiß, wie un­ge­zo­gen du mit den bei­den Ca­ta­no-Jungs warst. Was habt ihr ver­an­stal­tet? Or­gien?«

Sein Part­ner lacht.

»Stehst du auf äl­te­re Män­ner? Ich wet­te, Ca­ta­no hat dei­ne klei­ne Mu­schi rich­tig ran­ge­nom­men. Man hört so Sa­chen, weißt du?«

Übel­keit brei­tet sich in mei­nem Bauch aus.

Ich wei­che zurück, aber die Wand stoppt mich.

»Kei­ne Sor­ge, Min­kow wird nichts auf­fal­len«, sagt der Punk.

»Okay.« Ich zwin­ge mich, ru­hig zu at­men. »Okay.«

»Okay? Ein­fach so?« Der mit dem brei­ten Mund run­zelt die Stirn. »Sie macht mit?«

»Klar macht sie das.« Der Pun­ker grinst. »Sie steht doch auf äl­te­re Ty­pen. Ca­ta­no hat gan­ze Ar­beit ge­leis­tet, was Klei­ne?«

Ich stre­cke ihm mei­ne Hän­de ent­ge­gen. »Ich will dich be­rüh­ren.«

Er reißt die Augen auf und sieht sei­nen Part­ner an. »Die kanns kaum er­war­ten.«

Er macht ei­ne Hand­be­we­gung, wo­rauf der an­de­re ihm ein Mes­ser vom Tisch reicht. Er setzt die Klin­ge an mei­ne Fes­sel und hält in­ne. »Du bist doch ein schlau­es Mäd­chen. Wir sind zu zweit und vier­mal so stark wie du. Al­so ver­such was und du lernst mich ken­nen.«

Has­tig ni­cke ich. »Ich will nur  … Ich will dich da­bei be­rüh­ren.«

Kaum fällt der Paket­bin­der zu Boden, don­nert mei­ne Faust auf sei­ne Na­se.

»Ahh Schei­ße!« Schrei­end stürzt er sich auf mich. »Fot­ze!«

Mein Ge­sicht fliegt zur Sei­te. Mei­ne Wan­ge brennt.

Ich ver­pas­se ihm ei­nen Tritt in die Ei­er und ei­nen Up­per­cut. Brül­lend, die Hand am Schritt, kippt er zur Sei­te.

Ich drü­cke mich hoch, aber mir wird schwarz vor Augen. In dem Mo­ment stürmt der an­de­re auf mich zu, packt mei­ne Ar­me und wirft mich zu Boden. Er setzt sich auf mei­ne Bei­ne, da­mit ich nicht wie­der tre­ten kann, und ver­passt mir ei­ne schal­len­de Ohr­fei­ge. Ich bäu­me mich un­ter ihm auf, aber sein Ge­wicht hält mich auf dem Boden.

»Schei­ße!« Die Wan­ge des Pun­kers leuch­tet rot. Sei­ne Na­sen­flü­gel be­ben. Er steht auf und leckt sich die blu­ti­ge Un­ter­lip­pe. »Du hast es mir ge­ra­de ein­fa­cher ge­macht. Halt ih­re Ar­me fest.«

Sein Part­ner geht von mir und hält mei­ne Hand­ge­len­ke über dem Kopf fest.

»Nein!«

Der Pun­ker schiebt sich die Je­ans zu­sam­men mit den Shorts von den Hüf­ten. Ich win­de mich, rei­ße die Bei­ne hoch und tre­te nach ihm, doch der Pun­ker packt sie und zerrt an mei­nem Slip. Kra­chend reißt der dün­ne Stoff.

»Nein! Nein!« Alles dreht sich. »Geh run­ter von mir!«

Bru­tal packt der Pun­ker mei­ne Knie und spreizt mei­ne Bei­ne, wäh­rend sein Part­ner mei­ne Ar­me ge­gen den kal­ten Boden presst.

»Nein!« Ich wer­fe den Kopf von ei­ner Sei­te zur an­de­ren, aber mei­ne Kraft lässt nach. »Nein.«

Trä­nen lau­fen über mei­ne Wan­gen, mein Herz sprengt mei­ne Rip­pen. Wie­der klatscht sei­ne Hand in mein Ge­sicht. Er spuckt auf sei­ne Fin­ger und schiebt sie in mich.

Nein. Nein. Nie­mals.

Das ist nicht echt.

Das ge­schieht nicht wirk­lich.

Tu was. Halt durch.

»Stopp! Min­kow!«

Ner­vös schielt er zur Tür.

»Min­kow ist mein Vater.«