Kapitel 28

SI­AN

Er drängt mich zu Boden, rammt sei­ne Fin­ger in mich und leckt über mei­ne Lip­pe. Mit sei­ner an­de­ren Hand kne­tet er mei­ne Brust. Immer und immer wie­der drin­gen sei­ne Fin­ger in mich  …

Mein Herz rast. Ich rin­ge nach Luft und schlucke die auf­stei­gen­de Übel­keit hin­un­ter.

Alles okay. Alles gut.

Ich wi­cke­le die Ban­da­ge an mei­nem Hand­ge­lenk auf, strei­che et­was Cre­me auf die ro­ten Strie­men und ver­zie­he den Mund, als ein Bren­nen durch mei­nen Arm schießt. Die Wun­den an mei­nen Hand­ge­len­ken po­chen, aber wie der Rest mei­nes Körpers ver­hei­len sie gut.

Selbst die blau­en Fle­cke an mei­nen Ober­schen­keln und am Hals ver­blas­sen mit je­dem Tag.

Was nicht ver­blasst, sind die Flash­backs, die mich seit­dem ver­fol­gen.

Ich weiß nie, wann sie auf­tau­chen oder wa­rum sie über­haupt auf­tau­chen, denn die Män­ner ha­ben mich nicht  … nicht rich­tig  …

Ich wi­sche mit dem Är­mel über mei­ne Wan­ge, klap­pe das Buch auf mei­nem Schoß zu und se­he auf die Uhr auf mei­nem Han­dy.

Di­Res­tas Leu­te sind bei ihm, wa­rum be­ru­higt mich das nicht?

Aber er ist seit vier Stun­den un­ter­wegs, sei­ne Rip­pen sind ge­bro­chen und die Nacht bricht an. Die letz­ten Son­nen­strah­len tau­chen die Bergs­pit­zen in oran­ges Licht und las­sen den Schnee glit­zern. Der Wald wirkt fried­lich, aber das täuscht. Im Un­ter­holz, hin­ter je­dem Baum lau­ern Ge­fah­ren. Da­vi­on ist ei­ne da­von.

»Er hät­te dich mit­neh­men sol­len. Mir pas­siert schon nichts.« Ich krau­le Sa­to­ri hin­term Ohr, ste­he auf und wer­fe ein paar Holz­schei­te ins Feu­er.

Als könn­te ich auf ei­ne Nach­richt hof­fen, wi­sche ich übers Dis­play mei­nes Han­dys, aber na­tür­lich gibt es kei­nen Emp­fang.

»Das dau­ert viel zu lan­ge.«

Sa­to­ri hebt den Kopf und blin­zelt ver­schla­fen.

Ich at­me laut aus und ge­he zur Trep­pe. Zö­ger­lich le­ge ich mei­ne Hand auf das Ge­län­der und bli­cke hoch.

Ich ha­be Angst da­vor, das Zim­mer zu be­tre­ten. Angst, das alles wie­der hoch­kommt. Es ist erst ei­ne Wo­che her.

Ir­gend­wann muss ich mich dem stel­len, al­so lau­fe ich die Trep­pe hoch, blei­be ei­nen Mo­ment vor sei­nem Zim­mer ste­hen und drü­cke lang­sam die Klin­ke her­un­ter.

Der Ge­ruch sei­nes Dusch­gels schleicht in mei­ne Na­se. Sei­ne Bett­de­cke ist zurück­ge­schla­gen, als wür­de er nur kurz du­schen und da­nach wie­der ins Bett krie­chen. Auf dem Schreib­tisch ste­hen ein paar lee­re Co­la­do­sen. Sei­ne Sport­schu­he lie­gen vor dem Bü­cher­regal, ein Sta­pel mit Uni­bü­chern da­ne­ben.

Wenn es für mich schon so schwer ist, wie muss es dann erst für Da­vi­on sein? Bis­her hat er kein Wort über La­to ver­lo­ren. Nicht zu mir. Vor ein paar Ta­gen stand er über ei­ne Stun­de im Gar­ten in der Käl­te und tele­fo­nier­te mit sei­ner Frau. Es muss schlimm ge­we­sen sein, denn als er her­ein­kam, waren sei­ne Augen rot und er sprach den gan­zen Abend kein Wort mehr.

Ich ha­be kei­ne Ah­nung, was in Min­kows Hüt­te pas­siert ist, nach­dem ich ohn­mäch­tig wur­de.

Alles, was ich weiß, ist  …

Ich ge­he hin­über zum Schreib­tisch, schie­be sein auf­ge­klapp­tes Notiz­buch bei­sei­te und neh­me die lo­sen Zet­tel in die Hand. Doch es sind nur Schrei­ben von der Uni und Rech­nun­gen über Jagd­zu­be­hör.

Wahr­schein­lich be­wahrt er die Do­ku­men­te ir­gend­wo an­ders auf und ich su­che ver­geb­lich, aber La­to ist  … war ord­nungs­lie­bend, viel­leicht woll­te er sie in der Nä­he ha­ben.

Mein Blick glei­tet durch den Raum und bleibt ei­nen Mo­ment an sei­nem Bü­cher­regal mit den Thril­lern, Kri­mis und Che­mie­bü­chern hän­gen. Er­in­ne­run­gen fla­ckern auf.

Ich will ihm das Buch aus der Hand neh­men, aber er hält es fest. »Rui­nier es nicht, sonst muss ich dich tö­ten.« Er gibt es mir und sieht mich ernst an. »Ehr­lich. Ein Knick, ei­ne Wel­le und du bist tot.«

Wie ich hat er es ge­hasst, Bü­cher zu ver­lei­hen, aber er gab sie mir trotz­dem.

Ich set­ze mich vors Regal, strei­che mit ei­nem Fin­ger über sei­ne Uni­bü­cher und kaue an der In­nen­sei­te mei­ner Wan­ge. Trä­nen stei­gen in mei­ne Augen. Gott­ver­dammt.

La­tos Tod. Moms Lü­gen. Die Tat­sa­che, dass je­mand wie Min­kow mein Vater ist.

Die Er­in­ne­rung an mein letz­tes Ge­spräch mit La­to blitzt auf.

»Er ist es wirk­lich.« La­to zün­det das Holz im Ka­min an und sieht zu mir her­über. »Min­kow ist dein Vater. Bu­ford hat es her­aus­ge­fun­den.«

Ich de­cke Da­vi­on zu, tup­fe Sal­be auf die Platz­wun­de über sei­ner Augen­braue und ge­he zur Tür.

»Wo willst du hin?« La­to folgt mir.

»Ich will die Un­ter­lagen se­hen.«

Seuf­zend schiebt er mich bei­sei­te und öff­net die Tür. Er be­tritt den Flur, dreht sich zu mir und legt ei­nen Fin­ger an die Lip­pen.

»Was ist los?«, flüs­te­re ich, doch im sel­ben Mo­ment hö­re ich un­ten Schrit­te.

La­to schleicht zum Ge­län­der der Ga­le­rie und blickt her­un­ter.

»Da oben!«, brüllt je­mand.

La­to dreht sich um, will in Da­vi­ons Schlaf­zim­mer zurück, doch zwei Män­ner stür­men die Trep­pe hoch und ein Schuss hallt durchs Haus.

Immer wie­der den­ke ich an die­sen letz­ten Mo­ment mit La­to.

Da­ran, wie er ru­hig auf mich ein­re­de­te, als sie uns die Hän­de auf dem Rü­cken fes­sel­ten und uns mit ver­bun­de­nen Augen in den Kof­fer­raum ei­nes Wagens war­fen. Wie er wäh­rend der Fahrt sein Ge­sicht an meins brach­te und mir zu­flüs­ter­te, dass alles gut wird.

»Er ist dein Vater. Das wird alles ver­än­dern.«

Mei­ne Ge­füh­le be­fin­den sich auf ei­ner Ach­ter­bahn­fahrt. Seit Ta­gen wech­seln sie von Wut zu Trau­er, von Trau­er zu Wut und Reue.

Ich star­re auf das Regal, als wä­re ich nur wie­der hier, um mir neue Bü­cher von La­to zu lei­hen. Ganz un­ten, im letz­ten Fach ragt ein klei­nes wei­ßes Buch her­aus. Ir­gend­wie passt es nicht zum Rest der säu­ber­lich, nach Grö­ße sor­tier­ten Um­schlä­ge. Vor­sich­tig zie­he ich es her­vor und klap­pe es auf.

Meh­re­re zu­sam­men­ge­fal­te­te Blät­ter rut­schen her­aus. Ich fal­te das er­ste aus­ein­an­der. Das Papier ist ver­gilbt und ei­ne Ecke ist ab­ge­ris­sen.

Jo­seph,

Moms or­dent­li­che Schrift mit den wild ge­schwun­ge­nen »Fs« schlägt mir ent­ge­gen und Wut kocht in mir hoch. Lag der Brief in On­kel Jo­es Sa­fe?

Die Num­mer, die du mir ge­ge­ben hast, funk­tio­niert nicht. Seid ihr wie­der ein­ge­schneit? Wie auch immer, ich schrei­be dir, denn ich er­tra­ge dei­ne Stim­me nicht. Die Dro­hung, Si­an alles zu er­zäh­len, ist lä­cher­lich. Ich las­se mich nicht ein­schüch­tern. Du kommst nie wie­der an sie he­ran. Egal, was du her­aus­ge­fun­den hast. Da­vi­on wuss­te, es gab noch je­man­den, aber an ihn traust du dich nicht he­ran und es spielt auch kei­ne Rol­le mehr, denn ich ha­be mich von ihm ge­trennt.

Co­nan wird nie von sei­ner Tochter er­fah­ren. Si­an geht es gut oh­ne euch. Sie braucht kei­nen per­ver­sen On­kel, der sich heim­lich zu ihr ins Bett schleicht, um ihr zwi­schen die Bei­ne zu fas­sen. Bis heu­te wird mir so schlecht, wenn ich da­ran den­ke. Du per­ver­ses Schwein.

Sie braucht kei­nen Vater­er­satz, der mehr Zeit mit ihr ver­bringt als die eige­ne Mutter. Der sich zwi­schen mich und mei­ne Tochter drängt und ihr viel mehr gibt, als ich es kann. Sie braucht kei­nen Vater, dem Geld und Macht wich­ti­ger sind als An­stand. Hät­test du dei­ne pri­mit­iven De­tek­tiv­ver­su­che rich­tig an­ge­stellt, hät­test du dich nie in Co­nans Nä­he ge­wagt. Was fällt dir ein, mir hin­ter­her­zu­schnüf­feln und dich an ihn ran­zu­ma­chen? Wie pri­mi­tiv und lang­wei­lig muss dein Le­ben sein, wenn du dich wie ein Ver­rück­ter in sein Bad schleichst, um DNA zu steh­len?

Ein An­ruf bei Co­nan und du bist er­le­digt. Al­so halt dich zurück und lass mei­ne Fa­mi­lie in Ru­he.

- Pa­tri­cia

 

Ich star­re auf den Brief und le­se ei­ne Zei­le immer wie­der. Sie braucht kei­nen Vater­er­satz, der mehr Zeit mit ihr ver­bringt als die eige­ne Mutter. Der sich zwi­schen mich und mei­ne Tochter drängt und ihr viel mehr gibt, als ich es kann.

Hat sie sich des­we­gen da­mals von Da­vi­on ge­trennt? Aus Eifer­sucht?

Trä­nen der Wut und Ent­täu­schung lau­fen über mei­ne Wan­gen. Moms Wor­te klin­gen wie die ei­ner Frem­den.

Ich le­cke das Salz von mei­nen Lip­pen und ent­fal­te den an­de­ren Zet­tel. Wie der Brief mei­ner Mutter stammt er von vor drei­zehn Jah­ren. Doch die­ser hier trägt die An­schrift ei­nes La­bors.

»… Zu Ih­rer ein­ge­reich­ten DNA Pro­be von: Co­nan Min­kow. Dem­nach ist die Wahr­schein­lich­keit ei­ner Vater­schaft mit 99,5 % prak­tisch er­wie­sen.«

»Schei­ße.« Ich wi­sche mir mit der Hand über die Wan­gen und schüt­te­le den Kopf. Es stimmt wirk­lich. Der Ton, in dem La­to mir da­von er­zähl­te, be­vor Min­kows Män­ner uns hol­ten, ließ kei­nen Zwei­fel. Aber es direkt auf Papier zu se­hen, ist et­was an­de­res.

Es ist re­al. Die­ses mie­se Schwein ist mein Vater.

Ich fal­te die Brie­fe, ste­he auf, schie­be sie in die Ge­säß­taschen mei­ner Je­ans und neh­me mir Un­der the Skin – ei­nes von La­tos Lie­blings­bü­chern her­aus. Ich wer­de es le­sen und als Er­in­ne­rung in mein Regal stel­len.

Du fehlst mir .

»Si­an?« Da­vi­ons Stim­me hallt durchs Haus.

Ich schlie­ße die Zim­mer­tür hin­ter mir und ge­he nach un­ten.

Da­vi­on wirft sei­ne Win­ter­ja­cke über die Couch­leh­ne, dreht sich zu mir und run­zelt die Stirn, als er das Buch in mei­nen Hän­den ent­deckt. »Wo­her hast du das?«

Ich ge­he ei­nen Schritt nä­her.

Blut­sprit­zer zie­hen sich über sei­nen Na­sen­rü­cken und die rech­te Wan­ge. Als er mei­nen Blick be­merkt, wischt er sich über die Haut.

Sei­ne Hän­de sind voll mit ge­trock­ne­tem Blut.

»Alles gut?«

Er nickt.

»Ist es  … er­le­digt?«

Er legt ei­ne Hand un­ter mein Kinn und sieht mir fest in die Augen. »Er wird dir nie wie­der weh­tun.«

»Und sei­ne Leu­te? Wird je­mand kom­men, um sich zu rä­chen?«

Er nimmt mir das Buch aus der Hand, dreht es um und liest ein Stück der Be­schrei­bung. »Wo­her hast du das?«, fragt er, oh­ne auf­zu­se­hen.

»Aus sei­nem Zim­mer.«

Sein Kie­fer ver­spannt sich. Er geht hin­über zum Ka­min und wirft es hin­ein.

Ich stür­me zu ihm, zer­re an sei­ner Schul­ter und kann nicht fas­sen, was er ge­tan hat. »Das war eins sei­ner Lie­blings­bü­cher.«

Da­vi­on lässt mich ste­hen, geht in die Kü­che und wäscht sich das Blut von den Hän­den.

Ich kann mir nicht vor­stel­len, wie schwer La­tos Tod für ihn sein muss, aber dies­mal muss er es nicht allei­ne be­wäl­ti­gen.

Ich stel­le mich hin­ter ihn, schlin­ge die Ar­me um sei­ne Hüf­ten und schmie­ge mich an ihn. »Du musst nicht re­den  …« Ich weiß, so wird er nie sein. »Aber es ist okay. Es war nicht dei­ne Schuld.«

Lang­sam dreht er sich zu mir, packt mei­ne Schul­tern und schiebt mich zurück. »Ich ha­be ihn ge­tö­tet. La­to woll­te dich an Min­kow aus­lie­fern.«

Ein un­sicht­ba­rer Schlag trifft mei­ne Brust. »Wie meinst du das?«

Er er­zählt mir alles.

»Ich ha­be mei­nen Sohn ge­tö­tet«, flüs­tert er mit krat­zi­ger Stim­me.

Er geht hin­über ins Wohn­zim­mer, gießt sich ein Glas Scotch ein und ver­schwin­det nach oben.

Mi­nu­ten spä­ter rauscht die Du­sche.

Ich ste­he nur da, star­re ins Feu­er und ver­su­che, mei­ne Ge­dan­ken zu ord­nen. Zu be­grei­fen, was ge­sche­hen ist.

Wa­rum woll­te La­to mich Min­kow über­ge­ben? Wo war er, als die Män­ner mich fest­ge­hal­ten ha­ben? Ich dach­te, er sei in Ge­fahr. Wa­rum hat Da­vi­on mich ge­ret­tet und ihn  …

Ich wi­sche mir über die Augen, aber die Trä­nen lau­fen.

Zehn Mi­nu­ten spä­ter be­ru­hi­ge ich mich lang­sam. Es wird dau­ern, bis ich alles ver­ste­he und ver­ar­bei­tet ha­be, aber ich wer­de mit al­lem fer­tig, so­lan­ge ich mir Zeit zum Hei­len neh­me und je­dem Ge­fühl Raum ge­be.

Denn in ei­ner Hin­sicht hat­te Da­vi­on recht.

Alles ver­geht. Nichts bleibt für immer.

Ich ste­he auf, schlüp­fe aus Je­ans und Pull­over und ge­he nach oben.

Als ich die Ba­de­zim­mer­tür öff­ne, um­hüllt mich war­mer Ne­bel. Der Spiegel ist be­schla­gen, die Strah­ler in den schwar­zen Stein­wän­den ge­ben ge­dämpf­tes Licht ab.

Ich öff­ne die Dusch­tür und stei­ge hin­ein.

Da­vi­on hat die Stirn und sei­ne Hän­de ge­gen die Wand ge­lehnt und steht ein­fach nur da, wäh­rend war­mes Was­ser über sei­nen Rü­cken läuft. Ich be­de­cke sei­ne Schul­ter mit Küs­sen, grei­fe nach dem Dusch­gel und ver­tei­le et­was in mei­ner Hand­flä­che.

Mit sanf­ten, krei­sen­den Be­we­gun­gen schäu­me ich sei­nen Rü­cken ein und küs­se die In­nen­sei­te sei­nes Hal­ses. »Ich bin da.«

Er packt mei­nen Arm, zieht mich ganz nah zu sich und schlingt sei­ne Ar­me um mich. Da­vi­on ver­gräbt sein Ge­sicht an mei­nem Hals und streicht mir durchs Haar. Was­ser pras­selt auf uns he­rab, Wär­me um­hüllt mich. Egal, was noch pas­siert. Ich wer­de die­sen Mo­ment nie ver­ges­sen. Noch nie hat mich je­mand so ge­hal­ten wie er. Noch nie ha­be ich mich je­man­dem nä­her ge­fühlt wie in die­sem Augen­blick.

Ich glau­be, ihm geht es ge­nau­so. Nie­mand von uns bei­den will jetzt allein sein und zum er­sten Mal sind wir es auch nicht.

Kei­ner muss die Last allein tra­gen. Wir ha­ben es zu­sam­men durch­ge­stan­den. Zu­sam­men über­lebt.

Wir sind eins.

***

Zwei Wo­chen spä­ter

»Aber es ist so kalt.«

Da­vi­on stöhnt ge­nervt, aber ig­no­riert mei­nen Wi­ders­tand.

Er zieht die Woll­de­cke von der Couch, legt sie mir um die Schul­tern und schiebt mich hin­aus auf die Ver­an­da.

Als ich das Feu­er in der Scha­le auf dem Tisch ent­de­cke, wer­fe ich ihm ei­nen fra­gen­den Blick zu.

»Setz dich.« Er nimmt sei­ne Gi­tar­re, ruft Sa­to­ri und lässt sich in den Ses­sel fal­len.

Ich ha­be kei­ne Ah­nung, was er vor­hat, aber ich spie­le mit und set­ze mich ne­ben ihn in den an­de­ren Ses­sel. »Was gibts hier drau­ßen, was es drin­nen, im War­men nicht gibt?«

Er legt die Gi­tar­re auf sei­nen Schoß und stimmt die er­sten Tö­ne von Sol­diers Ey­es an. Ge­schickt be­we­gen sich sei­ne Fin­ger über die Sai­ten, sanft dringt die Me­lo­die durch die Abend­stil­le.

Vor der Ver­an­da rie­seln Schneef­lo­cken he­rab. Ir­gend­wo kreischt ei­ne Eu­le. Ich stre­cke die Hän­de nä­her ans Feu­er und schlie­ße die Augen. »Weißt du eigent­lich, wie sehr ich dein Gi­tar­ren­spie­len lie­be?«, mur­me­le ich schläf­rig. Es gibt mir Frie­den. So wie frü­her als Kind. »Dann exis­tiert nichts an­de­res mehr.«

Schwei­gend spielt er das Lied zu En­de.

»Wirst du oh­ne mich klar­kom­men, al­ter Mann?« Ich dre­he den Kopf zur Sei­te und lä­che­le.

»Ich den­ke, das schaf­fe ich.«

»Wirst du mich we­nigs­tens ein klei­nes biss­chen ver­mis­sen?«

»Shel­mo­re Falls liegt nur drei­ßig Mi­nu­ten ent­fernt.«

Ty­pisch Da­vi­on. Er gibt kei­ne Emo­tio­nen preis. »Das wird auf­re­gend.« Ich beu­ge mich über den Tisch und küs­se ihn. »Die Wo­che­nen­den füh­len sich be­stimmt wie Ur­laub an. Wenn man nicht je­den Tag ne­ben­ein­an­der schläft, bleibt es län­ger span­nend.«

»Du kannst hier­blei­ben, das weißt du.«

Ich lä­che­le. Es ist nicht das er­ste Mal, dass er es mir an­bie­tet. Aber mei­ne Mei­nung steht fest. »Ich wer­de so­wie­so öf­ter hier sein, als dir lieb ist.«

Er streicht mir mit dem Dau­men über die Wan­ge, lehnt sich im Ses­sel zurück und blickt hin­aus in die Wäl­der, über de­nen die Nacht wie ei­ne schwar­ze De­cke liegt.

»Ich  …« Er räu­spert sich. »Hör ein­fach zu, okay?«

»Was hast du vor?«

Er legt sich die Gi­tar­re auf den Schoß, reibt sich den Na­cken und räu­spert sich noch ein­mal. Er ist ner­vös. Das ist et­was Neu­es.

Und es ver­wirrt mich.

Er streicht über die Sai­ten und stimmt ei­ne Me­lo­die an, die ich noch nie ge­hört ha­be. Sie klingt sanft, ein­gän­gig wie das Lied ei­nes ein­sa­men Wan­der­ers.

Ich schlin­ge die De­cke en­ger um mei­nen Körper und bli­cke in die Wäl­der.

»On­ce, I was a good man. I gu­ess, I re­al­ly was. «

Er  … singt? Lang­sam dre­he ich den Kopf zur Sei­te. Er hat die Augen ge­schlos­sen, ist ganz bei sich.

»I tried to help, to sa­ve, to pro­tect. Tried ever­yt­hing, but I’ve lost. «

Sei­ne tie­fe Stim­me klingt sanft. Sie er­in­nert mich an Ka­min­feu­er, hei­ße Scho­ko­la­de und Näch­te bei Ker­zen­schein. Aber es schwingt auch et­was Trau­ri­ges, Durch­drin­gen­des mit.

 

When evil ca­me and sho­wed his fa­ce, I thought I can go back,

But it was too hard, too la­te and my who­le world tur­ned black.

 

 

She re­al­ly was a free bird,

She al­ways ma­de me smi­le.

Hel­ped to for­get my dar­kness, but on­ly for a whi­le.

But then li­fe ab­used her and tried to break her wings,

That litt­le bird kept sin­ging, be­cau­se of all the­se things

 

The au­tumn bree­ze and sum­mer se­as,

The suns­hi­ne in her fa­ce

The light­hou­se and its moon so bright and flo­wers he­re in spring

 

She’s wild and free

She’s soft and warm

And ever­yt­hing I’m not

She’s moon and sun

And lo­ve and kiss

And ever­yt­hing I got.

 

On­ce I was a lu­cky man.

I re­al­ly was.

I lo­ved my li­fe and wi­fe and kid

Tried ever­yt­hing, but I’ve lost.

 

A mons­ter sto­le my soul away

And dar­kness drew me in

But it was too hard, too la­te and so that mons­ter li­ves wit­hin

 

The rai­ny days and moun­tain ha­ze

The wind blo­wing through her hair

The light­hou­se and it’s moon so bright and flo­wers ever­yw­he­re

 

She’s wild and free

She’s soft and warm

And ever­yt­hing I’m not

She’s moon and sun

And lo­ve and kiss

And ever­yt­hing I got.

 

That litt­le bird is not so litt­le an­ymo­re

She’s be­au­ti­ful and fier­ce and stron­ger than be­fo­re

That girl, Oh Man, she got me on my knees

She re­al­ly ma­kes me we­ak

Li­ke Wolf how­ling, wa­ter­falls and this light­hou­se by the sea.

Cau­se wild birds and cra­zy girls fo­re­ver run­ning free.

Nur noch das Knis­tern des Feu­ers dringt durch die Nacht.

Erst jetzt be­mer­ke ich die Trä­nen auf mei­nen Wan­gen. Ich will ihm so viel sa­gen, aber mir feh­len die Wor­te. Statt­des­sen ste­he ich auf, neh­me die Gi­tar­re und le­ge sie auf den Boden. Ich set­ze mich seit­lich auf sei­nen Schoß, las­se die Bei­ne über die Leh­ne baum­eln und schmie­ge mein Ge­sicht an sei­nen Hals.

»Dan­ke«, flüs­te­re ich. »Du bist kein -«

»Ver­lier nie dei­ne See­le.«

Er nimmt mein Ge­sicht in sei­ne Hän­de und küsst mich und für die­sen Augen­blick ist es alles, was ich brau­che.