Kapitel 9
Josefine hatte den Volvo am Straßenrand geparkt und nahm die Einkaufstüte von Kvickly und den Rucksack aus dem Kofferraum. Schnaufend stieg sie die Treppe in den vierten Stock hoch und schloss ihre Wohnungstür auf. Es roch muffig und staubig. Josefine stellte den Rucksack auf den Boden, schüttelte sich die Gummistiefel von den Füßen und schlurfte auf Socken mit ihrem Einkauf in die Küche. Sie starrte auf die abgelaufene Milch und einen seit Ewigkeiten vor sich hin gammelnden und nach Ammoniak stinkenden Käserest im ansonsten leeren Kühlschrank. Sie verfrachtete den Käse in den Abfalleimer und goss die klumpige Milch in den Ausguss, bevor sie mit einem feuchten Lappen das Kühlschrankinnere auswischte. Danach räumte sie die eingekauften Lebensmittel ein und fühlte sich zufrieden mit ihrem kleinen Putzeinsatz. Die Kakteen auf der Fensterbank bekamen ein paar Tropfen Wasser, ehe sie den Müll runterbrachte und in den grünen Abfallcontainer im Hof verfrachtete.
Nachdem sie vergeblich ihren Flaschenöffner gesucht hatte, entfernte sie den Kronkorken einer Flasche Pilsner Urquell mit einem Teelöffel, trank einen kleinen Schluck und ging zurück in den Flur, um ihren Laptop aus dem Rucksack zu holen.
Kurz darauf saß sie auf dem Sofa und studierte einige Fotos der Frakturen in Ritas Schädelknochen. Sie runzelte die Stirn, während sie zerstreut an einem Fingernagel kaute. Dann öffnete sie nach einer spontanen Eingebung den Internetbrowser und machte sich auf die Suche.
»Verdammt«, murmelte sie. Ihr Herz begann zu pochen.
Sie trank noch einen Schluck Bier, stand auf und ging in den Flur, um ihr Handy zu holen.
»Damgaard«, antwortete eine müde Stimme.
»Hallo, Xander, Josefine hier … Ich glaube, ich weiß jetzt, was für eine Tatwaffe Ritas Mörder verwendet hat.«
»Ja?«, sagte die Stimme in das atmosphärische Knistern in der Verbindung hinein.
»Ich bin ziemlich sicher, dass es ein großer Vorschlaghammer war. An einen Hammer hatte ich schon am Anfang gedacht, aber gerade habe ich mir die Bruchflächen noch mal genau angeschaut. Der Abdruck im Knochenmaterial ist zu groß und zu tief für einen gewöhnlichen Hammer. Außerdem hat er ein sechskantiges Profil.«
Es pfiff und rauschte im Hörer, als ob er bei Sturmwetter draußen unterwegs wäre.
»Natürlich gibt es auch Hammer mit sechskantigen Köpfen«, fuhr Josefine fort, »aber nicht von dem Durchmesser. Es braucht zwei Hände, um einen Vorschlaghammer zu schwingen. Die Kraft des Schlages ist sehr viel größer als mit einem einfachen Hammer, weil der ganze Körper mitschwingt. Ein Hammer würde außerdem aus einem seitlichen Winkel einschlagen, wenn er mit einer Hand geschwungen wird – typischerweise von rechts oder eben von links, wenn der Täter Linkshänder ist. In unserem Fall kam der Schlag in fast rechtem Winkel von oben.« Sie räusperte sich. »Ein Vorschlaghammer wird zum Beispiel im Straßenbau eingesetzt, für das Zertrümmern von Steinen und Beton zu Schotter …«
»Oder beim U-Bahn-Bau«, ergänzte Xander.
»Ja …«
»Danke für die Info, Josefine. Die Techniker sind immer noch dabei, den Friedhof zu durchkämmen, aber jetzt, wo wir wissen, wonach wir suchen, beschleunigt das vielleicht den Prozess. Wir hören voneinander.«
Josefine ging in die Küche, nahm Käse- und Wurstaufschnitt aus dem Kühlschrank und machte sich ein Sandwich, das sie im Stehen aß. Sie spülte das Geschirr ab und stellte es zum Trocknen ins Abtropfgestell. Danach nahm sie sich noch eine Flasche Bier und ging zurück ins Wohnzimmer, um weiterzuarbeiten.
Ein Schauer durchrieselte sie, als ihr Blick noch einmal zu dem Bild des Vorschlaghammers auf dem Bildschirm wanderte. Der schwere Metallkopf und der kräftige lange Holzgriff waren für das Zertrümmern harter Materie wie Stein und Beton entworfen worden. Und wieder flimmerten ungebetene Bilder von Ritas zertrümmertem Gesicht und Schädel über ihre Netzhaut. Sie hoffte inständig, dass die Polizei den Täter schnell fand. Es war eine unschöne Vorstellung, dass der Mörder noch irgendwo da draußen im Dunkeln herumlief.