Kapitel 48
»Mir ist was eingefallen«, sagte Jørgen und biss in einen Keks. Sie saßen in Xanders Büro und kämmten alle frustrierend voluminösen Fallakten noch einmal durch.
»Hm?«, murmelte Xander, der die Zeugenaussagen zu Rita Magnussens Mord zum weiß Gott wievielten Mal durchkaute.
Es war später Nachmittag, und sein Magen knurrte hungrig. Er bereute, die Mittagspause übersprungen zu haben, was sich jetzt rächte. Sein Gehirn lief im Leerlauf, er musste jeden Satz mehrmals lesen, ehe er hängen blieb. Er schob sich ebenfalls einen Keks in den Mund und kaute langsam.
»Die Zeugin aus dem Tunnel«, nuschelte Jørgen mit vollem Mund. Xander war schleierhaft, wo er die ganzen Kalorien hinsteckte. Egal wie viel er in sich hineinstopfte, blieb er klapperdürr, während bei Xander schon der Duft eines Hefeteilchens für beunruhigende Ausschläge der Badezimmerwaage sorgte. »Sie hat doch was von leuchtenden Augen gesagt«, schob Jørgen hinterher.
»Ja? Wahrscheinlich hat sie zu viele Krimis im Fernsehen gesehen.« Xander grinste.
»Kann sein«, sagte Jørgen zögerlich. »Aber neulich, als wir mit der Mutter meiner Freundin zusammen gegessen haben, ist mir was aufgefallen.«
Xander sah den Kollegen ungeduldig an, der sich viel Zeit ließ.
»Und?«
»Ihre Augen haben im Schein der Kerzen ganz merkwürdig ausgesehen.«
»Bestimmt ist sie in Wahrheit ein verkleideter Drache!«, rutschte es Xander heraus.
Jørgen sah ihn vorwurfsvoll an. Sein Humor schien bei dem Umzug nach Schweden auf der Strecke geblieben zu sein.
»Also ehrlich, Xander, ich versuche, ernsthaft zu arbeiten …«
»Entschuldigung«, sagte Xander mit einem entwaffnenden Lächeln. »Ich bin nur so infernalisch müde. Bestimmt ist sie ein ganz reizender Mensch …«
»Kerstin ist sehr sympathisch«, sagte Jørgen, und Xander registrierte, dass der dänische Kollege den schwedischen Namen in nahezu perfektem Schonisch aussprach. »Aber, was ich eigentlich sagen wollte: Kerstin ist vor Kurzem am grauen Star operiert worden.«
»Eine Staroperation?«
»Ja, sie haben die vom grauen Star getrübte Linse entfernt und durch eine Kunststofflinse ersetzt, die bis ans Lebensende halten soll. Diese künstliche Linse erzeugt seltsame Reflexe, wenn das Licht in einem bestimmten Winkel darauf fällt, ein bisschen, wie wenn man nachts Auto fährt und die Scheinwerfer ein Tier am Wegrand streifen …«
»Der Gedanke ist vielleicht gar nicht so schlecht«, sagte Xander langsam. »Dann müssen wir den Mörder nur noch unter allen am Star operierten Menschen suchen?«
Jørgen nickte.
»Hm, das grenzt die Zahl der Verdächtigen zumindest minimal ein … Und rasche Lösungen scheint es in diesem Fall ja nicht zu geben …«