»Danke, dass ihr euch so kurzfristig Zeit genommen habt.«
Die anderen Betreiber der Hinterhof-Lädchen saßen auf den Ausstellungsmöbeln im Hygge Up.
»Was gibt es denn so Dringendes? Ich habe extra mein Crossfit für dich sausen lassen«, bemerkte Levin.
»Du warst doch froh, eine Ausrede zu haben«, zog seine Frau Maike ihn auf. »Möchtest du doch noch etwas wegen des Adventsmarktes besprechen?«, richtete sie sich danach an mich.
»Es geht um das Tattoo-Studio, das nebenan eröffnen will«, ergriff Linn zuerst das Wort. Als ich heute Mittag von Hendrik zurückgekommen war, hatte sie mich unerwarteterweise unterstützt, als ich verkündete, ich wolle die Eröffnung verhindern. Ich freute mich über ihren Elan. Es war schön, mal wieder an einem Strang zu ziehen.
»Ein Tattoo-Studio also.« Maike sah Levin an und hob die Schultern.
»Das passt überhaupt nicht zu unseren hyggeligen Lädchen! Wir müssen das verhindern, nochmal mit Martha reden, ob der Vertrag schon unterzeichnet ist. Vielleicht ist es noch nicht zu spät, und wenn wir uns geschlossen dagegen einsetzen … dann könnten wir möglicherweise etwas bewegen!«
»Also, ich wusste bereits, dass die Jungs ein Tattoo-Studio aufmachen«, meldete sich Ilse zu Wort. »Ich habe auch schon mit ihnen geredet, sie wirken ganz sympathisch. Hendrik ist zudem der Neffe einer Bekannten.«
Na super, wahrscheinlich hatte Ilses Bekannte ihr weismachen wollen, Hendrik sei ein ganz lieber Junge. Innerlich verdrehte ich die Augen. »Ilse, ich fürchte, die gehören einer dieser Rockergangs an, überleg doch mal, was für eine Klientel dann bald hier ein und aus gehen wird!«
»Das glaube ich nicht, und ich wundere mich ein bisschen, dass du so vorschnelle Schlüsse ziehst.«
»Ich kenne Hendrik, und der hat schon nach dem Abi keine gute Wahl in Bezug auf seine Freunde getroffen«, kam Linn mir zur Hilfe. Dankbar lächelte ich sie an.
»Kinder! Ich fühle mich wie im falschen Film! Sollte ich alte Frau nicht diese Bedenken haben und nicht ihr jungen Hüpfer? Wir waren doch alle mal jung und wild, oder? Gebt ihnen doch eine Chance!«
»Na ja, aber wenn der Laden erst mal aufmacht, ist es zu spät. Und ich bezweifele, dass unsere Kunden sich wohlfühlen, wenn da tatsächlich demnächst Rocker ein und aus gehen.«
»Meine Kunden sicher auch nicht«, stimmte mir Ursel glücklicherweise zu, und ich atmete erleichtert auf. Auch Maike und Levin schauten besorgt. Da bimmelte das Handy von Linn, und nach einem Blick darauf sagte sie: »Mist, ich habe eine Verabredung vergessen! Du kommst allein klar, oder?«
»Linn!«, rief ich fassungslos. »Das hier ist wichtig!«
»Du machst das schon!« Mit diesen Worten schnappte sie sich den schlafenden Snørre und verschwand durch die vordere Tür. Ungläubig starrte ich ihr ein paar Sekunden lang nach, ehe ich wieder zu den anderen schaute. Die neue Welle ihres Engagements war ja schnell abgeflacht.
»Also, dann sollten wir schleunigst mit Martha reden, und gut wäre sicherlich auch, den Tattoo-Fritzen mitzuteilen, dass …«
Die Türglocke unterbrach mich. Kurz dachte ich, Linn hätte ihre Verabredung gecancelt und wäre zurückgekommen. Daher sah ich mit einem Lächeln zum Eingang, das mir aber sofort wieder vom Gesicht rutschte. Hendrik. Innerlich stöhnte ich auf.
»Was soll mir mitgeteilt werden?«, fragte er gelassen, nachdem er die Tür geschlossen hatte. Mit verschränkten Armen lehnte er sich von innen dagegen. Ich spürte förmlich, wie sich die Hitze von meinem Hals aufwärts bis zu den Wangen vorkämpfte. In Hendriks dunklen Augen funkelte es herausfordernd.
»Ähm …«, sagte ich dümmlich, ehe ich mich zusammennahm und so freundlich wie möglich fortfuhr: »Hendrik, gut, dass du kommst. Wir haben gerade beschlossen, dir und deinem Geschäftspartner mitzuteilen, dass wir euer Tattoo-Studio nicht hier bei uns im Fahrensmann-Hof sehen.«
»Aha«, entgegnete er, immer noch völlig ungerührt. Für einen Herzschlag imponierte mir seine Selbstsicherheit. Aber ich hatte die letzten Jahre nicht so hart geschuftet, um mir von diesem Kerl, der es offensichtlich sogar geschafft hatte, meine Schwester zu verarschen, alles ruinieren zu lassen.
»Du musst doch selbst sehen, dass ihr hier nicht reinpasst.«
Hendrik stieß sich vom Türblatt ab und kam näher. Die verschränkten Arme ließen seine Schultern noch breiter wirken, seine Präsenz war tatsächlich etwas einschüchternd.
»Das ist in der Tat bedauerlich. Für euch. Denn ihr könnt euch jede Mühe sparen. Wir haben einen Mietvertrag und dasselbe Recht wie ihr, unser Geschäft hier zu eröffnen. Es stimmt natürlich, die Atmosphäre in diesem Hof ist etwas … gediegen.« Sein Mundwinkel zuckte, und ich schnappte empört nach Luft. Hendrik wandte sich den anderen zu. »Aber ich und mein Geschäftspartner Sven hatten gehofft, wir könnten alle voneinander profitieren. Schließlich gibt es hier nicht dieselbe Laufkundschaft wie in der Hauptstraße. Wir hatten überlegt, dass gemeinsame Aktionen womöglich eine gute Idee wären.«
»Welche Art gemeinsame Aktionen meinst du denn?«, fragte Levin.
Ich hingegen konnte es nicht fassen, dass Hendrik einfach die Versammlung kaperte.
»Zum Beispiel eine Rabattaktion. Wenn jemand in einem unserer Geschäfte etwas kauft, erhält er einen Rabattgutschein über zehn oder zwanzig Prozent, den er in den übrigen Läden einlösen kann. Das motiviert die Leute nicht nur zum Kauf, sondern auch zu erneuten Besuchen, und erhöht zudem die Aufmerksamkeit für die übrigen Läden. Aber das ist nur eine Idee von vielen. Ein gemeinsamer Auftritt in den sozialen Medien wäre eine weitere Überlegung.«
Ich schnaubte. »Ich bezweifle, dass wir bei unserer Kundschaft so eine große Schnittmenge haben.«
»Also, meine Kunden haben schon häufig Tattoos und Piercings«, fiel Ilse mir in den Rücken, und mir kam der Verdacht, dass sie einen Narren an Hendrik gefressen hatte. Wahrscheinlich sah sie immer noch den süßen kleinen Neffen ihrer Bekannten vor sich, der Sandkuchen buk. Oder er hatte ihren Kuchen in den Himmel gelobt.
Ich sah Levin an, dass er sich jeden Moment ebenfalls auf Hendriks Seite schlagen würde.
»Okay, danke für deinen Vorschlag. Wärst du jetzt so freundlich …« Ich deutete zur Tür. »Wir müssen noch den Ablauf des Weihnachtsmarktes besprechen«, behauptete ich.
Hendriks dunkle Brauen zogen sich sichtlich zusammen, als er zu mir blickte. Kurz bildete ich mir ein, Enttäuschung in seinen Augen aufblitzen zu sehen. Doch dann drehte er sich wieder zu den anderen. »Unsere Tür steht euch immer offen.«
Mit zwei langen Schritten war er am Ausgang angelangt und verschwand gleich darauf in der Dunkelheit des Hofes.
»Mensch, Lara, gib dem Jungen doch eine Chance. Du bist sonst so ein offener Mensch.« Verständnislos schüttelte Ilse den Kopf.
Hendrik hatte seine Chance bereits gehabt. Schon damals hatte ich begriffen, dass er in einem Moment nett sein konnte, nur um einem dann hinterrücks das Messer reinzurammen. Und ich meine ein Tattoo-Studio? Wieso unter allen erdenklichen Geschäftsideen ausgerechnet das?
»Ihr werdet noch sehen, dass dieses Studio die Atmosphäre im Hof verändern wird, und zwar nicht zum Guten«, hielt ich entschlossen dagegen und glaubte, Ilse leise seufzen zu hören.