Kapitel 13

Die nächsten Tage vergingen nahezu in Lichtgeschwindigkeit mit den letzten Vorbereitungen für das Adventsgeschäft – ich buk sogar Plätzchen für meine Kunden, die ich in kleine Tüten abfüllte und bei jedem Kauf als Giveaway dazulegte – , den Spaziergängen mit Snørre und den vielen Stunden allein im Laden.

Ich schickte eine Mail mit einer Einladung zu unserem Adventsmarkt an das Flensburger Tageblatt und erhielt sogar eine Rückmeldung. Meistens schienen meine Mails zu Aktionen im Fahrensmanns-Hof in der Redaktion unterzugehen. Aber dieses Mal kündigte ein Herr Singer an, am Samstag vorbeizukommen.

Inzwischen stand eine rote, hölzerne Punschbude vor dem Unverpackt-Laden, deren Giebel mit einer Tannengirlande geschmückt war. Ursel hatte für die Musiker ein kleines Podest errichtet. In die Mitte des Hofes hatten Maike und Levin einen Tannenbaum in einen großen Topf gestellt und ihn mit roten Kugeln und Schleifen geschmückt, im Frühjahr wollten die beiden ihn in ihren Garten pflanzen. Von Ilses Café zog permanent ein verführerischer Duft über den Hof, mal roch es nach Anis und Zimt, dann nach Nelken oder Spekulatius.

Am Mittwoch besuchte meine Mutter mich mittags im Laden und bewunderte die Weihnachtsdeko. Ich spürte, dass sie hier war, weil ihr unser Streit zu schaffen machte. Doch ich wusste, wenn wir das Thema erneut anschnitten, würden unsere Meinungen wieder aufeinanderprallen. Deswegen erstickte ich ihren Versuch, darüber zu reden, im Keim und fragte sie stattdessen, ob sie mich für zwei Stunden vertreten könnte.

In dieser Zeit traf ich mich mit Nora. Wir liefen vom Strand in Wassersleben Richtung Dänemark. Beim alten Grenzübergang blieben wir stehen und schauten eine Weile auf die Förde, während Snørre aufgeregt herumschnüffelte.

Ich deutete nach Norden. »Hier bist du im Sommer auf deiner ersten Etappe entlanggekommen, oder?«

Nora folgte meinem Fingerzeig. »Ah, ja, stimmt. Zu diesem Grenzübergang wollte ich eigentlich, aber da scheuerten meine Füße schon so sehr, dass ich einfach weitergelaufen bin.« Sie lachte. »Verrückt, dass das erst ein paar Monate her ist.«

»Bereust du eigentlich eine deiner Entscheidungen?«

»Nein, ich war noch nie so sehr bei mir selbst wie jetzt. Erst seit ich hier am Meer lebe und mit Bent zusammen bin, weiß ich, wie sich Glück und Liebe wirklich anfühlen. Dass alles ganz leicht sein kann, ohne Zweifel und ohne sich dabei selbst ein Stück aufgeben zu müssen.«

»Klingt verdammt beneidenswert.« Ich seufzte. »Ich freue mich sehr für dich, aber auch für mich, weil du nun hier lebst und ich eine Freundin mehr in der Nähe habe.«

»Ist gerade nicht leicht für dich, oder?«, fragte Nora.

Ihr konnte ich nichts vormachen. Langsam schüttelte ich den Kopf.

»Du kennst ja meine Meinung.«

»Lass uns von was anderem reden.«

»Von dem heißen Tätowierer, der auf einem Hausboot wohnt?«, schlug sie vor.

Ungehalten schnaubte ich auf. »Ganz bestimmt nicht!«

»Ich bin mir sicher, er steht auf dich.«

»Wie kommst du darauf?«

Nora lehnte sich rücklings gegen das Brückengeländer. »Erinnerst du dich an den Quizabend im Pub im Sommer?«

»Klar, das war ein denkwürdiger Abend.« Die Erinnerung daran zauberte mir ein Lächeln aufs Gesicht. Gemeinsam mit Tom und Bent hatten wir uns den Sieg im Quiz geholt und im Anschluss einen unvergesslichen Auftritt beim Karaoke hingelegt.

»Hendrik war da und …«

»Ich habe dir doch schon gesagt, dass er dachte, ich sei Linn!«, unterbrach ich sie etwas unwirscher als beabsichtigt, aber Nora ließ sich nicht beirren.

»Nein, später, als wir auf der Bühne standen und gesungen haben … Da habe ich gesehen, wie er weiter hinten an der Wand lehnte und dich ansah. Also ich meine, nicht nur ansah, sondern halt ansah …«

Ich hob fragend die Augenbrauen, und sie lachte. »Du weißt schon, was ich meine!«

»Weiß ich nicht. Du meinst, als hätte er einen Geist gesehen? Den seiner Verflossenen?«

Energisch schüttelte Nora ihren Kopf, und der Bommel ihrer Mütze flog dabei hin und her.

»Nein, vielmehr, als könne er seine Augen einfach nicht von dir abwenden. Und da wusste er ja schon, dass du Lara bist!«

»Hm«, machte ich, weil mir kein Gegenargument einfiel. »Vielleicht hat er sich neue Gemeinheiten für mich überlegt.« Kaum hatte ich den Satz beendet, dachte ich an Toms Worte über das Schubsen und An-den-Zöpfen-Ziehen.

»Hat er denn damals diese Sachen direkt zu dir gesagt, und kam das völlig aus dem Nichts?«

Ich schüttelte den Kopf. »Er hat es zu Linn gesagt, als sie sich im Streit getrennt haben.«

»Womöglich wollte er damit eher deine Schwester verletzen, weil er wusste, wie nahe ihr euch steht«, überlegte Nora. »Oder warst du ein nerviges Anhängsel?« Sie stieß mich leicht in die Seite.

Ich lachte. »Na, ich hoffe nicht! Außerdem war ich ja nur hin und wieder am Wochenende da und habe ansonsten mit dir im Schwesternwohnheim abgehangen.« Trotzdem wusste ich noch, dass ich damals das vage Gefühl hatte, Linn gebe mir die Schuld an der Trennung, auch wenn sie das nie gesagt hatte.

»Hach, das war eine schöne Zeit, oder? Aber nochmal möchte ich nicht zwanzig sein. Höchstens mit dem Wissen von heute.«

Ich schüttelte die Gedanken an damals ab und nickte. »Stimmt, ansonsten kann ich auch darauf verzichten.«

»Wen gab es eigentlich in den letzten Jahren noch – nach deinem Schwiegermuttertraum Max?«

»Niemand Nennenswerten«, erwiderte ich und war froh, dass wir nicht länger über Hendrik redeten.

»Ach komm, das glaube ich dir nicht«, bohrte Nora nach.

»Na ja, es gab Dirk, er war Lehramtsstudent …«

»Dirk? Wie alt war denn der? Fünfundfünfzig?«

»Nein, sein Vater hieß auch Dirk, und die Eltern fanden es wohl toll, einen Dirk junior zu haben. Aber puh, das hielt nur drei Monate, weil … mein Herz bei ihm partout nicht schneller schlagen wollte. Er war einfach langweilig, eine Schlaftablette.«

Nora prustete und deutete dann auf Snørre. »Dem ist auch langweilig, sollen wir weiterlaufen?«

Wir spazierten am Wasser entlang. »Und außer Dirk?«

»Bis auf viele frustrierende Dates, ein paar Flirts und Knutschereien gab es eigentlich nur noch Casper, den Assistenzarzt.«

»Und warum klappte das nicht?«

»Er war zwar immer ganz scharf darauf, mir mein Höschen auszuziehen, wollte aber, dass ich ihn bei der Arbeit sieze. Wegen der Hierarchie.« Humorlos lachte ich auf. Damals hatte ich noch als Krankenschwester in der Klinik gearbeitet. »Trotzdem habe ich das fast zwei Jahre mitgemacht.«

»O Mann! Der arbeitet jetzt aber nicht mehr da, oder?«

»Nein, er ist nach Hamburg gegangen, habe ich mal gehört. Ach, und einen echt grässlichen One-Night-Stand hatte ich – das war der mieseste Sex ever. Dagegen war selbst Dirk eine Koryphäe. Dabei sah der Typ unglaublich gut aus – welch eine Verschwendung!«

»Ich liebe deine ironische Art.« Nora gluckste. »Also, zusammengefasst wird es dringend Zeit für den Richtigen.«

»Weißt du, was auch ein Problem ist? Die Erwartung der Männer. Sie wollen Familie und Kinder, aber kaum jemand will im Job kürzertreten, das dürfen wir dann machen. Aber das Hygge Up bedeutet mir so viel, noch kann ich mir das nicht vorstellen.«

»Aber so denken doch nicht mehr viele Männer, oder?«

»Einige schon, und die meisten anderen erklären sich in der Theorie vielleicht bereit, die Hälfte zu übernehmen, aber in der Praxis bleibt es dann doch überwiegend an der Frau hängen. Ich meine, es ist sicherlich schön, Kinder zu bekommen und sich um sie zu kümmern. Aber mit dem Hygge Up fühle ich mich beruflich so gut, dass ich das nicht mehr opfern wollte.«

»Es gibt aber auch genügend Beispiele dafür, dass beide berufstätig sind und Karriere machen. Hendrik, der könnte das mit deinem Laden bestimmt verstehen.«

Ich schmunzelte. »Echt mieser Versuch, Nora.« Mein Blick wanderte zu dem Pudel. »Snørre, nein!«, rief ich. Doch zu spät – der kleine Racker wälzte sich hingebungsvoll, und ich hatte bereits gelernt, dass das niemals etwas Gutes bedeutete. Ich zog vergeblich an der Schleppleine, um ihn davon abzuhalten. Als wir bei ihm ankamen, inspizierten wir die Stelle.

»Hm, lecker, toter Vogel. Deine Parfumvorlieben sind echt fragwürdig, Herr Snørre!«, schimpfte ich.

»Na ja, zumindest ist es frostig, da stinkt es sicherlich nur halb so doll.«

Wir liefen zurück, und Nora erzählte mir noch, dass Bent und sie über Weihnachten zu ihren Eltern in die Nähe von Münster fahren wollten und dass sogar ihr Bruder aus den USA kommen würde. Ich seufzte stumm. Hanna verbrachte die Weihnachtstage ebenfalls bei ihrer Familie und blieb sogar über Silvester. Und Aline und Tom fuhren nach Portugal. Es würden verdammt einsame Weihnachtstage für mich werden.