Kapitel 19

Von Linn hörte ich auch an diesem Tag nichts. Nur in die Familiengruppe schickte sie am Abend ein verwackeltes Video, das sie tanzend am Strand zeigte. Auf meine Frage, ob sie ihre Mailbox abgehört habe, kam wieder nichts. Ich ertappte mich bei dem Gedanken, wie ich sie in die Planung rund um das Hygge Up gar nicht mehr mit einbezog. In einigen Momenten war es, als wäre sie nie ein Teil des Ladens gewesen. In anderen vermisste ich sie schrecklich, wollte mit ihr besprechen, nach welchen Möbeln wir bei der nächsten Tour nach Holland Ausschau halten oder auf welche Dekoartikel wir setzen sollten. Ich seufzte. Schon immer verspürte ich das Bedürfnis, Linn einzubeziehen, um Rat zu fragen, als mache ihre Meinung meine erst komplett. Wenn man genetisch gleich war, gemeinsam aufwuchs, zur selben Zeit Dinge lernte, Neues entdeckte, sich entwickelte und vor denselben Herausforderungen des Lebens stand, schweißte das automatisch zusammen. Aber irgendwann waren wir – trotz aller Gemeinsamkeiten – unterschiedlich abgebogen.

Am Dienstagmorgen sinnierte ich auch kurz vor der Ladeneröffnung über uns nach und fragte mich, ob es mir jemals gelingen würde, ein glückliches und erfülltes Leben ohne Linns Einfluss zu führen. Oder würde mir dann immer etwas fehlen? Nachdem ich die vordere Tür aufgeschlossen hatte, ließ ich Snørre kurz in den Hof – ohne Leine, da der Rückruf mittlerweile super klappte. Er sollte nur kurz die Möglichkeit haben, sich zu erleichtern. Doch wegen meiner Grübeleien war ich unaufmerksam und achtete nicht richtig auf den kleinen Hund, sondern starrte in den wolkenverhangenen Himmel. Als ich wieder zu ihm schaute, sah ich gerade noch, wie Snørre zum Hofausgang strebte.

»Snørre!«, rief ich erschrocken. Doch der Hund verlangsamte sein Tempo nicht. Obwohl ich das Kommando erst zum Abrufen benutzen sollte, wenn es hundertprozentig saß, rief ich sofort panisch: »Hiiiier, Snørre, hiiiiier!«

Noch vor dem Ende des zweiten Rufs bog er um die Ecke und war außer Sicht. Ohne nachzudenken, rannte ich hinterher. Doch auf der anderen Seite des Durchgangs konnte ich ihn nirgends entdecken. Er musste gleich wieder abgebogen sein. Hektisch schaute ich nach links und rechts, entschied mich für links und joggte los, spähte in jede Hofeinfahrt, ging, sofern möglich, hinein, rief ununterbrochen seinen Namen, fragte jeden Passanten, ob er einen kleinen, fuchsfarbenen Hund gesehen habe. Völlig aufgelöst tastete ich nach meinem Handy, doch das lag im Geschäft, das zudem offen stand. Obwohl mein Verstand mir sagte, dass ich zurücklaufen musste, um Hilfe zu rufen und auch der Polizei Bescheid zu geben, fühlte sich eine Umkehr völlig falsch an. Ich zwang mich schließlich dazu und sprintete in den Hinterhof.

Maike steckte ihren Kopf aus dem Laden. »Alles okay? Da war gerade jemand bei uns und hat gefragt, ob wir fürs Hygge Up zuständig sind, weil niemand im Geschäft ist.«

»Ich … ich muss den Laden abschließen«, stammelte ich kopflos.

»Was ist denn passiert?«

»Snørre ist weggelaufen! Ich muss meine Eltern anrufen und … und die Polizei, das Tierheim.«

»Ganz ruhig, Lara. Wir kriegen das hin. Geh du telefonieren – ich trommele Hilfe zusammen. Wir finden ihn!«

»Okay«, antwortete ich mechanisch. Irgendwie hatte ich ein verdammt ungutes Gefühl im Bauch.

Ich lief ins Geschäft, holte meine Jacke und mein Handy. Erst jetzt merkte ich, wie kalt mir geworden war. Ein Schauder erfasste meinen Körper. Mit zittrigen Fingern wählte ich die Nummer der Polizei. Die Beamten waren wenig hilfreich, aber am Ende versprachen sie zumindest, die Augen offen zu halten. Allerdings beschlich mich das Gefühl, das taten sie nur, um mich aus der Leitung zu bekommen. Nora hatte Dienst, Hanna war ebenfalls bei der Arbeit, daher rief ich als Nächstes meine Eltern an. Meine Mutter versprach, sofort mit meinem Vater vorbeizukommen. Dann wählte ich die Nummer von Aline.

»Moin Lara«, begrüßte sie mich gut gelaunt.

»Arbeitest du gerade?« Auch wenn sie selbstständig war, konnte ich schließlich nicht ständig erwarten, dass sie ihre Arbeit beiseitelegte, wenn ihre Cousine Hilfe brauchte.

»Ja, was ist denn?«

»Snørre … er ist weggelaufen!«

»Bin in zehn Minuten da!«

»Danke«, flüsterte ich. Dann kritzelte ich hektisch »Heute geschlossen« auf einen Zettel, klebte ihn ins Fenster und verriegelte anschließend die Tür. Im Hof hatte sich ein kleiner Suchtrupp zusammengefunden, und Maike hatte offenbar das Kommando übernommen.

»Hast du die Polizei erreicht?«, fragte sie mich.

Ich nickte. »Die war – wie erwartet – nicht sehr hilfsbereit. Im Tierheim muss ich es gleich nochmal probieren, die haben noch nicht geöffnet.«

Gerührt schaute ich in die Runde. Neben Maike und Ursel stand auch Hendrik in der Gruppe.

»Vielen Dank, dass ihr alle helfen wollt, aber ihr müsst doch in euren Läden sein!«

»Kindchen, wenn du Hilfe brauchst, kann der Wollverkauf auch für einige Zeit ruhen«, sagte Ursel.

»Levin hält bei uns die Stellung. Ilse hat noch einen Kuchen im Ofen, sie stößt gleich zu uns«, erläuterte Maike.

Mein Blick wanderte weiter zu Hendrik.

»Bei mir hat ein Kunde kurzfristig seinen Termin gecancelt. Sven ist beschäftigt, aber er drückt uns die Daumen für die Suche.«

Ich dachte an die Scharen von Menschen, die sich um diesen freien Termin bei Hendrik wahrscheinlich geprügelt hätten, und verspürte eine Woge der Rührung, als auch meine Eltern und Aline in den Durchgang zum Hof bogen.

»Ist er noch nicht wieder da?«, rief Aline, noch bevor sie uns erreichten.

Ich schüttelte den Kopf, meine Mutter strich mir über die Schulter. »Wir finden ihn – mit so viel Hilfe.« Sie schaute mit einem Lächeln in die Runde.

»Am besten teilen wir uns auf«, schlug mein Vater vor.

»Genau, ich dachte, eine Hälfte sucht in südlicher Richtung, die andere in nördlicher, und dabei können wir uns nochmals aufteilen, sodass beide Straßenseiten abgedeckt sind. Ich glaube nicht, dass er weit gelaufen ist«, übernahm Maike wieder das Kommando. »Lara, du und deine Familie ihr lauft südwärts, der Rest von uns gen Norden, okay?«

Zustimmend nickten alle.

»Treffen wir uns in dreißig bis vierzig Minuten wieder hier? Und habt ihr alle Handys dabei, falls jemand ihn findet?«

Erneutes Nicken, bevor wir zielstrebig losmarschierten. Aline schloss sich mir für die rechte Straßenseite an, während meine Eltern sich an die linke hielten.

»Snørre! Kleiner, hiiiier!«, riefen Aline und ich abwechselnd, redeten aber ansonsten nicht viel. Ich war viel zu angespannt, und meine Cousine schien das zu spüren.

Wir drehten auf einem Kilometer jeden Stein auf links, schauten in jeden Kellerschacht, unter Autos, in Gassen und Hinterhöfe. Fragten in jedem Geschäft, ob sie den Hund gesehen hatten, bis wir eine Dreiviertelstunde später frustriert zum Fahrensmann-Hof zurückliefen. Da mein Handy stumm geblieben war, ging ich nicht davon aus, dass einer von den anderen Snørre gefunden hatte.

»Das wird schon.« Aline hakte sich bei mir unter.

»Und was, wenn er angefahren wurde? Oder ihn jemand geklaut hat? Er ist schließlich ziemlich süß, und ich glaube, so ein Pudel ist zudem teuer – also wertvoll.«

»Das muss erst mal jemand wissen. Wir werden ihn finden, bitte sieh nicht so schwarz.« Doch ihre Worte klangen etwas bemüht, als sei sie selbst nicht gänzlich überzeugt.

Wir waren die Letzten, die im Hof eintrafen. Die Gesichter der anderen waren betreten, nirgends war Snørre zu sehen.

»Die Besitzerin des Outdoor-Ladens glaubt, gesehen zu haben, dass er vorbeilief – offenbar einem anderen Hund hinterher«, sagte Maike.

»Was soll ich denn jetzt nur machen?« Ich ließ die Schultern hängen. Es war kalt, es wehte ein frischer Ostwind, der durch meine dicke Jacke bis auf die Haut drang – und Snørre hatte nicht einmal seinen Mantel an. Die Nacht würde er draußen womöglich nicht überstehen.

»Im Tierheim geht immer noch keiner ran, deine Mutter und ich fahren jetzt dort vorbei«, erklärte mein Vater, und ich nickte dankbar. Meine Eltern verschwanden, und wir anderen verharrten ratlos mitten im Hof. Ilse war inzwischen dazugekommen, mit Mehl im Gesicht und roten Wangen. »Ihr wärmt euch jetzt erst mal bei mir mit einem Kaffee auf, und dann suchen wir weiter.«

Wir trotteten ihr hinterher ins warme Café. »Habt ihr denn schon das Internet zu Hilfe genommen?«, wollte Ilse wissen.

»Wie meinst du das?«, fragte ich niedergeschlagen.

Hendrik, der bisher recht still gewesen war, schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Postings auf Instagram und Facebook, warum sind wir da nicht früher drauf gekommen? Lara, hast du ein Foto?«

»Dass ich euch das erst sagen muss!« Ilse lachte auf und stellte eine Kanne Kaffee auf den Tresen. Aline verteilte Becher, während ich ein gutes Foto von Snørre heraussuchte. Auswahl gab es genug, mir war gar nicht bewusst gewesen, wie oft ich den kleinen Hund in den letzten Wochen abgelichtet hatte. Ich wählte eines, auf dem er vollständig zu sehen war.

»Schick es mir per AirDrop, ich setze dann einen Schriftzug ›Gesucht‹ darauf und deine Handynummer.« Ich nickte, sendete ihm das Bild und diktierte anschließend meine Nummer. Es dauerte keine fünf Minuten, und Hendrik war fertig. Er schickte das Bild an all unsere Handys, nachdem ich eine WhatsApp-Gruppe für die Suche erstellt und ihn ebenfalls hinzugefügt hatte. Er hatte mit Abstand die größte Reichweite auf Instagram. Ursel und Ilse luden das Foto in ihrem WhatsApp-Status hoch. Dazu verfassten wir folgenden Text:

Hast du Snørre gesehen? Pudel, rotes Fell, knapp dreißig Zentimeter Rückenhöhe. Entlaufen heute Morgen im Fahrensmann-Hof in Flensburg. Er wird schmerzlich vermisst!

»Und jetzt? Ich kann nicht hier sitzen und warten, bis sich jemand meldet. Ich gehe wieder los und suche weiter. Aber ihr könnt in eure Geschäfte zurückgehen. Ihr habt mir schon genug geholfen.«

»Bist du dir sicher?«, fragte Ursel.

Ich nickte.

»Ich suche weiter mit dir, Levin ist ja im Laden«, widersprach Maike.

»Ich auch«, sagte Aline entschieden.

»Ich wäre in einer Stunde wieder dabei, ich habe jetzt nur einen kurzen Termin und danach eine Stunde Mittagspause«, erklärte Hendrik.

Dankbar lächelte ich die anderen an. Als Letztes schaute ich zu Hendrik. »Behältst du bitte dein Handy im Auge, falls sich einer deiner Follower meldet?«

»Selbstverständlich. Der Kleine taucht schon wieder auf.«

Mit gekräuselter Nase nickte ich, denn ich konnte leider nicht dieselbe Zuversicht verspüren.

Unsere Gruppe zerstreute sich, und ich suchte abermals alle umliegenden Höfe ab, hielt jedem das Foto von Snørre vor die Nase, während Maike und Aline Richtung Hafen liefen.

Nach einer halben Stunde stand ich gerade ratlos im dünnen Strom der Passanten und überlegte, wohin ich als Nächstes gehen sollte, als mein Telefon klingelte. Hendrik, dessen Nummer ich erst vorhin beim Erstellen der Gruppe abgespeichert hatte. »Ja?«, fragte ich atemlos.

»Es hat sich jemand über Instagram gemeldet, der ihn gesehen hat. Wo bist du?«

»Kurz vorm Nordertor, ich bin in fünf Minuten wieder im Hof!« Ich legte auf und rannte los, preschte ungebremst ins Tattoo-Studio, wo Hendrik hinter dem Tresen offenbar gerade bei einer Kundin abkassierte.

Er blickte auf. »Sven – übernimmst du das bitte? Ich muss los.«

»Komme!«, dröhnte es aus einem der hinteren Räume. Hendrik ging um den Tresen herum. »Sorry, ist ein Notfall. Das Eincremen nicht vergessen, und wenn was ist, melde dich, okay?«, rief er im Hinausgehen der Kundin zu, ehe er sich an mich wandte. »Er ist gar nicht weit weg.«

»Geht es ihm gut?« Ich konnte nicht verhindern, dass meine Stimme bebte.

»Ja, die Frau hat ihn zu sich in die Wohnung genommen, damit er nicht wieder ausbüxt.«

Ich versuchte, bei Hendriks langen Schritten mitzuhalten, mit denen er Richtung Süden strebte. Er schaute nochmal auf sein Handy. »Hier ist es. Er muss mit jemandem durch die Tür zum Innenhof geschlüpft sein. Deswegen haben wir ihn nicht gefunden.« Hendrik klingelte zielsicher bei Andrea Engelmann, und kurz darauf ertönte der Summer.

Zunächst landeten wir in einem Hausflur, der aber nach einer zweiten Tür in einem Innenhof endete, von dem weitere Türen abgingen. Bitte lass es Snørre sein! Kaum hatten wir den Innenhof betreten, öffnete sich eine der Türen – und die kleine fuchsfarbene Fellkugel kam herausgeprescht, und Snørre freute sich mindestens genauso sehr, mich zu sehen, wie ich mich über ihn.

»Snørre! Was machst du denn für Sachen? Du kannst doch nicht einfach weglaufen! Geht es dir gut?« Ich ließ zu, dass er mir quer übers Gesicht leckte, und hob ihn anschließend hoch. Ich war mir nicht sicher, ob ich ihn jemals wieder absetzen würde. »Vielen, vielen Dank!«, wandte ich mich zwischendurch an die Finderin, eine junge Frau, schätzungsweise Mitte zwanzig.

»Gern. Ich habe ihn entdeckt, als ich zum Fitnessstudio wollte. Er wirkte total unglücklich, jemand hat sicherlich nicht aufgepasst, und er ist mit durch die Tür in den Hof und nicht wieder rausgekommen. Ich war dann etwas ratlos und hab bei den anderen Bewohnern rumgefragt, bevor ich durch Zufall das Foto auf Instagram gesehen habe. Und weil das Tattoo-Studio nicht weit entfernt liegt, war ich mir sicher, dass er es ist.«

»Danke, dass du dich gemeldet hast. Du kannst jederzeit im Hygge Up vorbeikommen und dir als Dankeschön etwas aussuchen. Du findest bei uns bestimmt was für deine Wohnung«, brabbelte ich.

»Und ich lege noch einen Rabatt für das Tattoo-Studio obendrauf«, ergänzte Hendrik. Die Frau lachte und bedankte sich, versicherte aber, dass sie für ihre Hilfsbereitschaft nichts haben wollte.

Ich schaute von ihr zu Hendrik – und sah vielleicht in diesem Moment das erste Mal richtig hin. Sah den Mann, wie er heute war, und nicht, wie ich ihn mir ausgemalt hatte.

Eine weiche Zunge glitt über meine Nase. »Snørre, ich freue mich doch auch, dich wiederzusehen.« Ich kraulte ihn ausgiebig hinter seinen Ohren, als ich mich von der Frau verabschiedete.

Wir gingen durch die erste Tür, und das Adrenalin ebbte langsam ab. Ich spürte die angestaute Angst nun viel deutlicher und konnte leider nicht verhindern, dass ich aufschniefte. Mit dem Türgriff der zweiten Tür in der Hand hielt Hendrik inne und drehte sich zu mir um.

»Sorry«, murmelte ich. »Ich bin nur so unglaublich froh und habe mir solche Sorgen gemacht.« Eine erste Träne rollte aus dem Augenwinkel über meine Wange. Für den Bruchteil einer Sekunde stand Hendrik da und starrte mich an, dann lösten sich langsam seine Finger von der Klinke, und er kam auf mich zu.

»Hey, nicht weinen. Ist doch gut gegangen.« Er streichelte Snørre, der genussvoll den Kopf schief legte, während bei mir nun Träne um Träne rollte, und ich gleichzeitig heulte und lachte. Ich verspürte pure Erleichterung und gleichzeitig immer noch die Angst der letzten Stunden.

»Hey, wenn du weinst, bekomme ich das Bedürfnis, dich in den Arm zu nehmen«, sagte Hendrik.

In jedem anderen Moment hätte ich wahrscheinlich abweisend reagiert. Aber hier, in dieser Sekunde, erschien mir eine Umarmung von Hendrik plötzlich und unerwartet ziemlich verlockend. Ich zuckte mit den Achseln, und Hendriks Lächeln veränderte sich ein wenig. »Jetzt gerade hätte ich nichts dagegen«, murmelte ich leise.

Hendrik zögerte nicht einmal für die Dauer eines Herzschlages, bevor sich seine Arme um mich legten und er mich und Snørre sanft an seine Brust drückte. Ich schloss die Augen und atmete zittrig ein. Genoss das Gefühl, gehalten zu werden. Selbst seine Winterjacke roch so unverkennbar nach ihm, dass ich meine Nase ein wenig fester dagegen presste.

Keine Ahnung, wie lange wir so dastanden. Hendriks Hände bewegten sich auf meinem Rücken nur ganz leicht, dennoch spürte ich sie durch alle Stoffschichten hindurch. Ich schluckte, war verwirrt. Dann zappelte Snørre in meinem Arm und versuchte, nach oben zu entkommen. Hendrik löste sich, blieb aber ganz nah stehen, sah auf mich herab. Mit seinem Daumen wischte er mir einige Tränen von der Wange. Für eine Weile schwiegen wir noch, dann räusperte ich mich, und Hendrik trat gleichzeitig einen Schritt zurück.

»Wir sollten gehen. Du hast bestimmt bald wieder einen Termin, und ich muss dringend den Laden aufschließen.«

Hendrik nickte. »Ich informiere die anderen über die Gruppe.« Er tippte auf seinem Handy herum, während wir nebeneinander zurückliefen.

Ich hielt Snørre immer noch an meine Brust gepresst, obwohl es ihm überhaupt nicht passte.

Im Hof warteten alle, die bei der Suche geholfen hatten, auf uns und herzten mich der Reihe nach.

»Wir sind so froh, Lara«, sagte meine Mutter. »Wir waren gerade wieder auf dem Rückweg hierher, als die Nachricht von Hendrik kam. Dem Tierheim haben wir telefonisch Bescheid gegeben, dass die Suchmeldung hinfällig ist.«

»Danke, dass ihr geholfen habt! Ihr habt was gut bei mir.«

Das Grüppchen zerstreute sich. Ich ging mit meinen Eltern und Aline ins Hygge Up. Meine Cousine verabschiedete sich dort ebenfalls nach einem Kaffee, nur meine Eltern blieben.

»Dein Vater und ich übernehmen für den Rest des Tages hier im Laden, und du nimmst dir frei«, bestimmte meine Mutter ungewohnt resolut.

Mein Protest fiel nur halbherzig aus, denn obwohl es gerade erst kurz nach Mittag war, fühlte es sich an, als dauerte dieser Tag schon weit mehr als vierundzwanzig Stunden. Daher verabschiedete ich mich kurz darauf von meinen Eltern und verließ das Hygge Up durch die Hintertür. Gerade als ich in mein Auto steigen wollte, piepte das Handy. Eine neue Mitteilung in der vorhin erstellen WhatsApp-Gruppe. Hendrik hatte eine neue Version des Fotos angefertigt mit der Aufschrift:

Snørre ist wieder zu Hause – danke für eure Mithilfe!

Ich lud das Foto bei Instagram hoch und startete den Wagen.