Am Tag zuvor hatte ich noch viel nachgedacht. Die Geschehnisse hatten etwas in mir verstärkt und mir endgültig gezeigt, dass ich so nicht weitermachen wollte. Vorerst würde ich den Laden mittags für eine Stunde schließen. Bis auf das Tattoo-Studio und Ilse, deren Öffnungszeiten eh von unseren abwichen, pflegten die beiden anderen Läden schon seit jeher eine Mittagsruhe. Mit Linn war es kein Problem gewesen, durchgehend geöffnet zu haben. Aber ab jetzt plante ich endgültig ohne sie.
Nicht mal als Snørre weggelaufen war, hatte sie sich gemeldet. Ich hatte extra geschaut, wer die Suchmeldung angesehen hatte, und sie war dabei gewesen! Es schmerzte, zu realisieren, dass ich und Snørre ihr offenbar scheißegal waren. Mit jedem weiteren Tag, den sie in Spanien weilte, wuchs meine Bereitschaft, das Band, das uns zusammenhielt, unwiderruflich durchzuschneiden. Um endlich meinen eigenen Kurs zu finden.
Außerdem fragte ich mich, ob nur ich diese Verbundenheit spürte. Es gab wissenschaftliche Studien über Zwillinge und ihre Beziehungen. Grob gesagt gab es drei Typen. Die, die ohne den anderen gar nicht funktionierten, die, die einfach besser als Team funktionierten, und die, die sich als Konkurrenten oder Konkurrentinnen sahen. Schon öfter hatte ich mich gefragt, ob Linn eher zu letzterer Gruppe gehörte, während ich irgendwo zwischen der ersten und der zweiten umherirrte.
Wie auch immer – eine Mittagsruhe würde mir genügend Zeit verschaffen, mit Snørre eine große Runde zu drehen und nicht mehr so häufig zwischendurch mit ihm vor die Tür zu müssen – so etwas wie gestern wollte ich nie wieder erleben.
Nachdem ich unsere Öffnungszeiten auf allen Plattformen aktualisiert hatte, schrieb ich in die Gruppe der gestrigen Suchaktion.
Als Dankeschön für eure Unterstützung gestern gebe ich heute Mittag ein Fischbrötchen aus. Das Wetter ist ja ganz gut. Treffen wir uns im Hof? Wer ist dabei?
Als Erstes antwortete Ilse, dann Maike und Levin.
Tolle Idee!
Sind dabei!
Ursel schickte einen Daumen nach oben. Meine Eltern und Aline sagten ebenfalls zu. Als Letztes schrieb Hendrik.
Ich kann leider nicht, da tätowiere ich gerade das Bein von einem Rocker.
Ich musste lachen. Das Wort »Rocker« war ganz klar eine Provokation mir gegenüber. Dennoch verspürte ich einen leisen Anflug von Enttäuschung darüber, dass Hendrik nicht dabei sein konnte. Unwillkürlich formte sich das Bild in meinem Kopf, wie er mich gestern umarmt hatte, wie gut sich das angefühlt hatte.
»Geht’s noch?«, sagte ich zu mir selbst, und die Kundin, die mir am nächsten stand, zuckte zusammen.
»Entschuldigung, das galt nicht Ihnen!«, sagte ich schnell und verbannte dann unwirsch Hendrik samt seiner starken Arme aus meinen Gedanken.
Den restlichen Vormittag über dekorierte ich um und schaffte auch die letzten Stücke der Weihnachtsdeko ins Lager. Im reduzierten Abverkauf war ich einiges losgeworden, den Rest hob ich für die nächste Weihnachtssaison auf – unsere Stücke waren in der Regel zeitlos. Besonders die Lichterhäuser verkauften sich jedes Jahr gut. Alles in allem war ich zufrieden mit dem Dezember und der ersten Januarhälfte. Nachdem ich gleich im neuen Jahr die Buchhaltung beendet hatte, hatte unser Steuerberater mir die vorläufige Jahresauswertung geschickt, und auch die stimmte mich zufrieden. Reich wurden wir nicht, aber es genügte zum Leben und machte mich glücklich. Was wollte ich mehr?
Ohne die Auszahlung, die jeden Monat an Linn ging, würde es noch besser sein, flüsterte eine fiese Stimme in mein Ohr, und ich seufzte. Wenn sie doch nur keine Bankkarte für das Firmenkonto gehabt hätte, dann wäre es mir sicherlich leichter gefallen, den Dauerauftrag einzustellen. Aber was, wenn sie dann einfach eine größere Summe abhob?
Als ich am Mittag mit einem Korb voller Fischbrötchen im Hof eintraf, warteten schon alle auf mich. Auch Aline und meine Eltern standen in dicken Mänteln, Mütze und Schal bei den übrigen Ladenbesitzern und quatschten.
»Noch einmal vielen Dank für eure Unterstützung gestern!«, sagte ich, während ich die Brötchen verteilte und Snørre gegen mein Bein stupste, um auch etwas abzubekommen.
»Aber gern, Kindchen. Wir helfen uns immer gegenseitig, und außerdem ist uns der kleine Snørre doch auch ans Herz gewachsen.« Snørre wedelte mit dem Schwanz, als er seinen Namen hörte, und lief zu Ilse.
Ich berichtete von meinem Entschluss, mittags für eine Stunde zu schließen, und dann redeten wir noch über dieses und jenes. In dem Augenblick war ich einfach nur glücklich und dankbar für das, was ich hatte, und dachte nicht an alles, was es noch zu klären gab. Und ich fasste einen weiteren Entschluss: Ich wollte mich nicht nur bei Hendrik für seine Hilfe bedanken, sondern auch für mein Benehmen ihm gegenüber um Entschuldigung bitten. Auch wenn er sich nie für seine Äußerungen damals entschuldigt hatte, änderte das nichts daran, dass mir mein Verhalten leidtat, und sein gestriges war echt mehr als nett gewesen. Wahrscheinlich verschwendete er überhaupt keinen Gedanken mehr an früher. Und sicherlich hatte ich auch mal fiese Dinge über jemanden gesagt, an die ich mich heute gar nicht mehr erinnerte.
Also stiefelten Snørre und ich nach Ladenschluss ins Tattoo-Studio, das etwas länger geöffnet hatte. Sven kam aus einem der hinteren Räume.
»Hallo Lara! Na, der Ausreißer ist ja wieder da.«
»Ja, zum Glück.«
»Was kann ich für dich tun?«
»Ich will zu Hendrik, ist er noch da?«
»Der tätowiert, müsste aber bald fertig sein. Du kannst gern warten.« Mit dem Kopf nickte er zu der Couch, die vor einem der Fenster zum Hof stand. Ich setzte mich und blätterte ein wenig in einer Tattoo-Zeitschrift. Eine Kundin kam herein, die ein Piercing wollte, von dem ich noch nie gehört hatte – ein Medusa-Piercing. Sven nahm sie mit – offenbar war er für die Piercings zuständig – , und ich überlegte, um was für eins es sich dabei handeln könnte, und googelte es schließlich. Ah – oberhalb des Amorbogens der Oberlippe. Linn hatte mal ein Bauchnabelpiercing gehabt – und das, obwohl wir beide nicht einmal Ohrlöcher vertrugen. Mehrmals hatte meine Mutter uns welche stechen lassen, weil wir es unbedingt wollten. Aber sie entzündeten sich immer. Was meine Schwester nicht von einem Bauchnabelpiercing abgehalten hatte, und wie zu erwarten, hatte es sich fies entzündet, und sie hatte noch heute eine Narbe davon.
Das Geräusch einer sich öffnenden Tür riss mich aus meinen Gedanken. Ich legte die Zeitschrift beiseite und hob den Kopf. Hendrik kam plaudernd mit einem jungen Mann aus einem der Räume. Als er mich sah, stutzte er, und für eine Sekunde hatte ich Angst, es passe ihm nicht, dass ich hier auf ihn wartete. Blödsinn, ich wollte mich doch nur bedanken … und entschuldigen.
»Hej Lara, alles okay?«, begrüßte er mich.
Ich nickte. »Ich wollte dich auf das Fischbrötchen einladen, das du heute Mittag verpasst hast.«
Seine Miene erhellte sich. »Klar, gern, ich bin hier gleich fertig.« Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Kunden. Der bezahlte, und sie vereinbarten einen Folgetermin.
Als er verschwunden war, erhob ich mich. Snørre wedelte freudig mit seinem Schwanz, der mittlerweile ganz schön buschig war. Das erinnerte mich daran, dass ich Kerrin in der nächsten Stunde nicht nur zum Thema Ausreißen, sondern auch zum Thema Hundefrisör befragen wollte.
»Du musst aber nicht deinen Feierabend für mich opfern, nur weil ich heute Mittag nicht konnte«, sagte Hendrik, als er in seine Jacke schlüpfte und zu mir trat. Lustigerweise grummelte es kaum eine Sekunde später ziemlich laut in seinem Magen. Vielsagend hob ich die Augenbrauen.
»War ein langer Tag, manchmal vergesse ich, etwas zu essen.« Er zuckte mit den Schultern und rief »Bin weg – bis morgen!« in den Flur nach hinten.
Als wir vor die Tür traten, zog ich meinen Reißverschluss weit hoch. Die Luft war feucht und kalt.
»Hat Bens Fischhütte noch auf?«
»Er schließt um neunzehn Uhr, wenn wir uns beeilen, schaffen wir es noch.«
Automatisch legten wir einen Schritt zu. Snørre sprang aufgeregt neben uns auf und ab und verhedderte sich dabei das ein oder andere Mal in der Leine.
Um zwei Minuten vor sieben erreichten wir das Gelände des Museumshafens.
»Moin!«, rief ich.
Der Verkäufer schaute mich an und grinste. »Na, hat das knappe Dutzend heute Mittag nicht gereicht?«
»Nicht ganz, hast du noch welche da?«
»Ich habe noch genau zwei Stück, einmal Lachs und einmal Backfisch – hier, geht aufs Haus.«
»Oh, vielen Dank, und einen schönen Feierabend!«
»Euch auch.«
Nachdem wir uns abgewandt hatten, schloss der Verkäufer die Luke der Fischhütte.
»Welches möchtest du?«, fragte ich Hendrik.
»Wenn es dir nichts ausmacht, den Lachs.«
Zufrieden mit seiner Wahl – mir war der Backfisch lieber – überreichte ich Hendrik das Brötchen.
»Sollen wir ein Stück am Hafen entlanglaufen?«, schlug er vor.
»Ja, gern, zum Hinsetzen ist es definitiv zu kalt. Ich freue mich schon auf den Frühling.«
»Ich auch – obwohl, dann muss ich wieder vom Hausboot runter, und ehrlich gesagt gefällt es mir dort ziemlich.«
»Und wo ziehst du dann hin?«
»Letztes Jahr konnte ich zur Untermiete bei einem Freund wohnen, der für ein halbes Jahr im Ausland war. Dieses Jahr werde ich mir wohl eine eigene Wohnung mieten.«
»Oder du bleibst einfach auf dem Hausboot wohnen. Ich stell es mir ziemlich cool vor.«
»Es hat Vor- und Nachteile, wie das meiste im Leben.«
»Vielleicht miete ich es, wenn Linn wieder da ist und sie mir auf den Zeiger geht.«
Hendrik lachte nicht, sondern biss von dem Brötchen ab.
»Es liegt im Alten Industriehafen, richtig?«, fragte ich daraufhin.
Er nickte.
»Darf ich es irgendwann mal sehen?«
»Klar, wir können hinspazieren, wenn du möchtest.«
Nach einem Moment des Zögerns stimmte ich zu. »Ja, warum nicht?«
Eine Weile liefen wir schweigend am Hafen entlang, umrundeten die Spitze, wo jetzt im Winter nur wenige der Lokale geöffnet hatten. Mir fiel ein, dass das Brötchen nur die Hälfte meines Vorhabens für heute Abend darstellte. Nach ein paar weiteren Schritten, die ich wohl als Anlauf benötigte und bei denen ich tief Luft holte, gab ich mir schließlich einen Ruck.
»Ich wollte mich nicht nur für deine gestrige Unterstützung bedanken …« Abermals vergingen einige Schritte, ehe ich weitersprach. »Ich will dich auch um Entschuldigung bitten für mein Verhalten.«
Nun schwieg Hendrik für genau fünf Schritte, ehe er fragte: »Für welches Verhalten?«
»Na ja, es war nicht gerechtfertigt, dass ich so gegen das Tattoo-Studio agiert habe.«
»Danke«, sagte Hendrik schlicht. »Ich bin es gewohnt, dass die Leute erst mal misstrauisch sind. Ist schon okay, du hattest einfach Sorge um dein eigenes Geschäft.«
»Ja, aber … Nun, ich war zu der Zeit einfach sehr dünnhäutig, erst seit Linn nicht mehr da ist, fällt mir auf, wie sehr mich die Auseinandersetzungen mit ihr gestresst haben. Doch das ist nicht dein Problem. Deswegen tut es mir total leid, und es soll auch keine Ausrede sein. Mein Verhalten war schlichtweg daneben.«
Er warf das Papier vom Fischbrötchen in einen Mülleimer am Wegesrand und hielt mir danach auffordernd die Hand hin, damit ich auch meine Verpackung hineinlegte. Als er sie ebenfalls entsorgt hatte, sah er mich prüfend an.
»Kann ich dich was fragen?«
»Klar, aber ich weiß nicht, ob ich antworten werde.« Ich lachte nervös auf und stieß ihn freundschaftlich mit dem Ellenbogen an. »Meistens folgt auf solch eine Frage ja nichts Angenehmes.«
»Warum hast du mit deiner Schwester zusammen den Laden eröffnet?«
Verdutzt über diese Frage runzelte ich die Stirn, und schob anschließend erst mal meine Mütze wieder hoch, die dabei ein Stückchen heruntergerutscht war. »Wieso nicht? Sie ist meine Schwester.«
»Aber ihr seid so unterschiedlich, ich hätte nicht gedacht, dass ihr dasselbe wollt im Leben.«
»Wir mögen unterschiedlich sein, aber das kann sich prima ergänzen.« So wie es bei uns früher der Fall gewesen war.
»Oder es gibt einen Kurzschluss«, sagte Hendrik trocken.
»So treffend hat es noch niemand formuliert.« Humorlos lachte ich auf. »Aber genug von mir und Linn. Was war da zwischen euch beiden damals? Ihr scheint nicht im Guten auseinandergegangen zu sein.«
»O Mann, das ist ewig her!« Hendrik stöhnte, als wäre ihm das Thema unangenehm. »Es hat halt nicht gepasst«, wiegelte er anschließend ab.
»Hm«, machte ich. »Sicher? Weil Linn etwas anderes behauptet hat.«
»Was denn?« Hendrik blieb abrupt stehen und drehte sich zu mir um. »Was hat sie gesagt?«
»Nur, dass du mit ihr zusammen warst, obwohl du in eine andere verliebt warst, sie also verarscht hast, und …« Zu gern hätte ich noch hinzugefügt, dass sie mir auch erzählt hatte, was er von mir hielt, doch ich entschied mich dagegen. »… und solche Sachen eben.«
Hendrik stritt es nicht ab, sondern nickte nachdenklich und vergrub seine Hände tief in den Taschen, ehe er weiterlief.
»Ist doch okay, ihr wart noch jung, da macht man eben Fehler.«
Hendrik lachte auf. »Ich habe nur einen Fehler gemacht und zwar, mich jemals mit deiner Schwester einzulassen. Sorry, aber so ist es nun mal.«
»Oookay«, sagte ich gedehnt. Das war deutlich gewesen.
Die restliche Strecke legten wir schweigend zurück, und jeder hing wohl seinen eigenen Gedanken nach, bis wir den kleinen Hafen an der Ostseite der Förde erreichten, in dem Hendriks Hausboot vor Anker lag.
»Da ist es.«
Kurz hatte ich Angst, dass er mich nicht hineinbitten würde und ich sofort die ganze Strecke zurücklaufen musste. Dabei wollte ich es doch von innen sehen! Und Snørre konnte ein Päuschen gebrauchen.
Doch da hob Hendrik Snørre schon hoch und lief mit ihm über die Mini-Brücke. Ich folgte den beiden.
»Das ist aber schön! Wahnsinn.«
Es war eines dieser modernen Hausboote. Kein umgebautes Schiff, sondern ein selbst konstruiertes. Sprich, ein schwimmender Unterbau mit einem viereckigen Kasten darauf. Es gab große Fenster und eine Dachterrasse. Die Kajüte an sich war ein Rechteck, mit dunklen Planken verkleidet, davor und dahinter gab es kleine Bereiche zum Betreten und Sitzen. Eine Reling lief einmal herum.
»Möchtest du einen Tee oder einen Kaffee?«
»Gern, wenn du nichts anderes vorhast. Ich will nicht deine Abendplanung crashen.«
»Die bestand aus einem Kaffee und einem Buch – und lesen kann ich auch später noch«, erklärte Hendrik, als er die Tür aufschloss. Ich trat hinter ihm ein und zog als Erstes die Mütze vom Kopf. Hendrik setzte den Hund aufs Sofa, und ich knöpfte Snørres Mantel auf, danach dann meinen. Dabei ließ ich neugierig meinen Blick umherschweifen. Das Boot war schlicht eingerichtet. Dunkelgraue Sitzmöbel, ein weißes Sideboard, auf der eine abstrakte Holzskulptur stand.
»Tee oder Kaffee?«, fragte Hendrik.
»Das, was du nimmst«, entgegnete ich und sah mich weiter um. Es gab einen Wohnraum mit angegliederter Küchenzeile, die Schränke waren ebenfalls weiß. Neben der Küche stand ein kleiner Tisch, und am anderen Ende befand sich die Sitzecke mit dem Sofa. Ein rundes Bullaugen-Fenster unterstrich den maritimen Look.
Hendrik füllte Wasser und Kaffee in die Maschine. Seine Jacke hatte er neben meine auf das Sofa geworfen. Drunter trug er nur ein schwarzes T-Shirt, und meine Augen blieben wieder automatisch an seinen Tattoos hängen.
»Willst du auch den Rest sehen?«
Ich hob den Blick und dachte kurz, er meinte seine Tattoos, bis mir aufging, dass er vom Boot sprach. Meine Wangen röteten sich. »Klar!«
Hendrik lief den schmalen, kurzen Flur entlang und öffnete zuerst eine Tür rechts. »Hier ist das Schlafzimmer. Klein, aber ausreichend.«
Neugierig linste ich hinein. Die Decke war zerwühlt, das Kissen eingedrückt, auf dem Nachttisch lag ein Buch. Blackout von Marc Elsberg. »Ist er gut?« Ich deutete auf den Thriller.
»Bis jetzt ja, interessantes Szenario.«
»Mal sehen, vielleicht wage ich mich mal ran.«
»Bisher ist es nicht allzu gruselig. Außerdem hast du ja Snørre.«
»Gibt es auch eine Lovestory? Ich lese zwar hin und wieder gern Thriller oder Krimis, aber ohne Lovestory fehlt mir irgendwas.«
Hendrik schmunzelte. »Wie im echten Leben, ohne Lovestory fehlt was.«
»Hast du das schon mal jemandem tätowiert? ›Ohne Lovestory fehlt was‹ ?«
Hendrik schaute für einen Moment irritiert, dann begriff er, dass es ein Witz war. »Ich könnte es dir tätowieren, vielleicht wird es ein neuer Trend.«
»Ach nee, ist doch dein Lebensmotto.«
»Hier ist noch das Bad«, unterbrach er unser Geplänkel.
»Ohne Bad fehlt auf jeden Fall auch was.« Ich grinste und trat an Hendrik vorbei, um in den Raum zu schauen. Er war recht klein, mit einer Dusche, und er hatte ebenfalls ein Bullauge als Fenster.
»Die runden Fenster finde ich echt cool.« Ich ging wieder in den Flur und streifte dabei Hendriks Arm. Die Stelle prickelte für einen Moment, und ich strich unwillkürlich mit der Hand drüber.
Hendrik räusperte sich. »Ich glaube, der Kaffee ist fertig.«
Wir gingen zurück in den Wohnbereich, wo Snørre es sich auf unseren Jacken gemütlich gemacht hatte. Ich streichelte ihm über den Kopf und setzte mich daneben.
»Also, auf gute Nachbarschaft?«, fragte Hendrik und hob den Kaffeebecher, nachdem er sich auf die andere Seite von Snørre und dem Jackenberg gesetzt hatte.
»Auf dass all deine Groupies auch bei uns einkaufen.«
»Sehr witzig, Lara.«
Ich nippte am heißen Kaffee. »Da fällt mir ein, wie kann es in deinem Leben an der Lovestory mangeln, bei der vielen weiblichen Kundschaft?«
»Das verstehe ich selbst nicht. Scheint einfach noch nicht die Richtige dabei gewesen zu sein.«
»Vielleicht bist du zu wählerisch.«
»Wie sind wir jetzt eigentlich von deiner Entschuldigung zu meinem Liebesleben gekommen? Ich glaube, der Part, wo du dich entschuldigst, hat mir besser gefallen.«
»Hm, sorry, aber ich verkuppele gern meine Freunde.«
»Ah, wir sind nun also Freunde …«
Ich merkte, wie ich schon wieder rot anlief. »Na ja, oder Bekannte, Geschäftsinhaber-Freunde sozusagen.«
Glücklicherweise rettete mich Snørre, der aufgewacht war und nun versuchte, Hendriks Ohr auszulecken. Das war definitiv eines seiner liebsten Hobbys.
»Als Kapitän eines Hausbootes hast du also beschlossen, du brauchst einen Führerschein. Das heißt, das Ding fährt auch?«, nutzte ich Snørres Schleck-Attacke, um das Thema zu wechseln.
Hendrik schmunzelte, während er sich bemühte, den kleinen Pudel liebevoll abzuwehren. Er kraulte ihn hinter den Ohren, was Snørre schließlich genug ablenkte. Amüsiert betrachtete ich die beiden.
»Ähm, ja, mal sehen, ob ich den Schein bestehe. Es gibt einige Bereiche, da bin ich noch nicht hundertprozentig sicher. Die praktische Prüfung soll nicht schwer sein, mal schauen, wie nächste Woche die Fahrstunde abläuft.«
Abrupt richtete ich mich auf. »Nächste Woche ist schon die praktische Fahrstunde? Aber die sollte doch kurz vor der Prüfung sein.«
Hendrik sah mich mit gefurchter Stirn an. »Die Prüfung ist am Samstag.«
»Was?« Meine Stimme klang unangenehm piepsig.
»Hast du noch nicht ausreichend gelernt?«
Ich lachte hysterisch auf. »Ausreichend? Ich habe noch gar nicht gelernt! Vor Weihnachten war es im Laden so stressig, und dann habe ich es im neuen Jahr … vergessen.« Ich vergaß sonst nie etwas! Und jetzt andauernd!
»Oh, na ja, du hast noch drei Tage …« Hendrik wollte wohl zuversichtlich klingen, doch ich sah ihm genau an, dass es eine Menge Stoff war für diesen mickrigen Zeitraum.
»Ich … ich muss los.« Hektisch erhob ich mich und zog meine Jacke unter Snørres Po hervor, der sich daraufhin freudig auf seine Hinterbeine stellte, sich so lang machte, wie es nur ging, und lustig mit seinen Pfoten in der Luft ruderte, was mich an einen Preisboxer auf der Kirmes erinnerte.
»Das solltest du ihm als Trick beibringen«, bemerkte Hendrik.
»Gute Idee.« Lächelnd schaute ich vom Pudel zu ihm.
»Ich habe mit einer App für die Prüfung gelernt.« Hendrik erhob sich vom Sofa und reichte mir Snørres Mantel, der auf den Boden gerutscht war. »›Bootspruefung.de‹ heißt sie, damit könntest du zwischendurch im Laden üben.«
Ich schloss die letzten Knöpfe bei Snørre, zog mein Handy hervor und zeigte Hendrik die App, die Bent mir runtergeladen hatte. »Diese?«, fragte ich, und er nickte.
»Dann sollte ich sie wohl mal benutzen.«
»Du kannst in den Einstellungen auswählen, welchen Führerschein du machst, dann filtert er die Fragen entsprechend.«
»Cool, danke, das werde ich zu Hause gleich ausprobieren.«
»Und wenn du Fragen zu den Navigationsaufgaben hast, sag gern Bescheid.«
Ich nickte und knipste die Leine an Snørres Geschirr. »Ich danke dir, für die Bootsführung und … na ja … alles.« Verlegen lächelte ich. Hendriks Blick war so unergründlich wie das Meer an einem stürmischen Tag.
Ein paar Sekunden verstrichen, bevor Snørre mich daran erinnerte, dass es Zeit war aufzubrechen. Hendrik begleitete uns zur Tür.
Als ich schon auf der Hafenmauer stand, fiel mir ein, dass Hendrik sein Motorrad beim Laden hatte stehen lassen.
»Wie kommst du denn morgen zum Studio?«, rief ich.
»Ich laufe, so wie ihr zwei. Oder soll ich dich jetzt begleiten?«
»Sehr ritterlich, aber ich habe doch Snørre, der auf mich aufpasst.« Ich hob die Hand zum Gruß und stieg die Stufen vom etwas tiefer gelegenen Hafen zur Straße hoch.