(Josh)
Draußen angekommen, drehe ich mich zu den beiden Xenos um, die die Auseinandersetzung stumm beobachtet haben.
»Ich hoffe, Mister Black hat euch ordentlich ausgestattet. Wir werden um jeden Krümel kämpfen müssen.«
Der Kleinere nickt. »Alec hat so etwas schon geahnt.« Zu meiner Verwunderung grinst er und streckt mir die Hand hin. »Ich bin Matt und das ist Bruno.«
»Josh«, antworte ich und schüttle seine Hand.
Matt mustert mich aufmerksam. »Das eben war sehr mutig von dir. Hast du keine Angst um deinen Job?«
Ich zucke unbehaglich mit den Schultern. »Nein. Diese Aufgabe will ohnehin niemand. Im Prinzip unterscheidet sie sich kaum von dem, was ich bisher gemacht habe. Nur dass ihr mit im Boot seid, ist neu. Das dürfte einiges erleichtern und anderes erschweren.« Ich deute auf einen alten Flachbau, der vor Jahrzehnten als Verwaltungsgebäude diente und eigentlich demnächst abgerissen werden sollte. »Schauen wir mal, welche Räume nutzbar sind. In der Zwischenzeit könnt ihr mir erzählen, was der wirkliche Grund für diese neue Spezialeinheit ist.«
Matts Miene verdüstert sich. »Gestern wurden drei junge Mädchen entführt. Am helllichten Tag, während sie mit hunderten Menschen im Einkaufszentrum waren.«
»Scheiße!«, fluche ich und spüre Grauen in mir aufsteigen. »Denkt ihr, dass es die ‚Priests‘ waren?«
Bruno nickt. »Es ist sehr naheliegend. Das Problem ist, dass wir sie nicht finden können und langsam läuft uns die Zeit davon.«
»Diese Gruppe scheint sich zunehmend zu organisieren und wird immer dreister.« Aufgewühlt fahre ich mir durch die Haare. »Ich frage mich, wie sie erkennen, ob es Xenos sind. Gerade im Fall der Mädchen ist es doch alles andere als offensichtlich.«
»Wenn wir das wüssten, wäre uns auch geholfen«, meint Matt. »Bisher hattet ihr nichts, das euch das zuverlässig ermöglicht, sonst gäbe es sicherlich in vielen Bereichen schon Zugangsbeschränkungen.«
Es wurmt mich, aber er hat recht. »Na gut, fangen wir von vorn an. Wann wurden die Mädchen als vermisst gemeldet?«
»Versucht haben es die Eltern gestern gegen achtzehn Uhr. Da waren sie zwei Stunden überfällig und nicht erreichbar«
»Versucht?!«
»Die diensthabenden Beamten weigerten sich, eine offizielle Vermisstenmeldung zu machen.«
Erst kann ich nicht glauben, was ich gehört habe, doch die wütenden Gesichter der beiden Xenos zeigen deutlich, dass das kein schlechter Scherz ist.
»Obwohl ich gerade sehr gern ein paar Leuten meine Meinung geigen würde, sollten wir uns auf das Wesentliche konzentrieren.«
Ich reiße die Tür zur Baracke auf und halte staunend inne. Bestimmt zehn Leute sind schon dabei, den Müll zu entsorgen und den Platz irgendwie nutzbar zu machen.
»Hey, Lars. Wo ist der Kram von Sergeant McGee?«, ruft Matt.
Ein muskelbepackter Typ mit langen blonden Haaren, die im Nacken zu einem Pferdeschwanz gebunden sind, deutet auf eines der alten Einzelbüros.
»Dort. Es sollte auch alles laufen. Strom liegt an.«
»Danke«, murmle ich perplex.
Meine Überraschung ist grenzenlos, als ich kurz darauf besagten Raum betrete. Ja, die Einrichtung ist von anno dazumal, aber hier kann man tatsächlich arbeiten, ohne Angst haben zu müssen, irgendwo reinzutreten oder sich mit den Ratten um die besten Plätze zu streiten.
»Guck nicht so«, feixt Matt. »Wir sind es gewohnt, den Dreck der Menschen wegzuräumen und effektiv zu arbeiten.«
Nun fühle ich mich richtig mies.
»Das darf nicht so weitergehen!«, schimpfe ich. Dann setze ich mich an meinen Computer und logge mich ein. Tatsächlich funktioniert alles. »So, jetzt werden wir mal dafür sorgen, dass alle im Umkreis von hundert Meilen wissen, wer vermisst wird.«
Ich lasse meine Fingerknöchel knacken und öffne die entsprechende Eingabemaske im System. Mit einem Wischen meiner Hand, wird ein Duplikat meines Desktops auf die Wand hinter dem Monitor projiziert, sodass Matt und Bruno sehen können, was ich mache.
Matt gibt mir ein Tablet. »Das sind ihre Daten.«
Ich halte beide Geräte nebeneinander und schon sind die Infos kopiert.
Hach, ich liebe die moderne Technik.
Etwa eine halbe Stunde später flackern die Bilder von Emma, Mary und Zoe über die Holo-Werbetafeln in ganz Graveswell und auch in den Nachrichten werden sie erwähnt.
»So, jetzt kann niemand mehr behaupten, er wüsste von nichts«, sage ich und bin froh, dass ich noch Kontakt zu einem alten Schulfreund beim Graveswell Telegraph habe.
Matt und Bruno berichten mir detailliert über die bereits getroffenen Maßnahmen. Ich bewundere ihre Professionalität. Offenbar gehören sie dem übernatürlichen Äquivalent der menschlichen Polizei an. Entsprechend beeindruckend ist ihre Ausrüstung.
»Wenn ich das so sehe, ist es eigentlich ein Wunder, dass ihr die Mädchen noch nicht gefunden habt«, gebe ich zu bedenken. Unbewusst kratze ich mir über das Handgelenk und sofort habe ich das Bild des roten Halbmondes wieder vor Augen. »Sagt mal, warum benutzt ihr keine Magie?«
Die beiden schauen mich verwundert an.
»Das ist nicht so einfach, Josh. Die Menschen haben die meisten Magiebegabten schon vor dem Bekanntwerden der Xenos an den Rand der Ausrottung getrieben«, erklärt Matt. »Die wenigen, die es noch gibt, praktizieren oft nicht mehr. Eine fähige Hexe zu finden, ist heutzutage ein Wunder. Sie mögen Städte auch nicht sonderlich. Hier gibt es zu viel Verschmutzung und Technik. Das schwächt sie.«
»Oh, okay«, murmle ich.
Aber wie kann es dann sein, dass Alec Magie benutzt hat?
Allerdings traue ich mich nicht, diesen Gedanken auszusprechen. Ich muss niemanden mit der Nase darauf stoßen, dass ich einen Pakt mit Alec Black geschlossen habe. Die Antwort auf meine Frage werde ich wohl nur direkt von dem Vampir bekommen.
Stattdessen gehen wir alles noch einmal durch, was wir bereits haben. Auf einem dreidimensionalen Hologramm der Stadt markieren wir die Punkte, an denen die Mädchen gesehen oder deren Spuren gefunden wurden. Der Weg zum Einkaufszentrum ist klar und gut nachvollziehbar. Doch bereits vor dem Ziel werden die Spuren weniger. Ich runzle die Stirn.
»Seid ihr sicher, dass sie im Shoppingcenter waren?«
Bruno zuckt mit den Schultern. »Das war ihr Ziel und erst dort haben wir ihre Spuren verloren. Es sind einfach zu viele Leute. Da versagt selbst unser guter Geruchssinn.«
»Mhm.«
Ich wechsle den Modus des PCs und suche nach Daten der Überwachungskameras. Am Eingang der Mall und in den einzelnen Geschäften sollte es doch Kameras geben.
»Keine Videoaufzeichnungen?«, frage ich irritiert.
Matt verschränkt die Arme vor der Brust. »Wir konnten das Management nicht davon überzeugen, uns die Daten sichten zu lassen. Angeblich werden sie aller sechs Stunden überschrieben.«
»Das wäre etwas ganz Neues«, schnaube ich ungehalten und greife nach meiner Jacke. »Die Geschäfte sind verpflichtet, die Videos für mindestens vierundzwanzig Stunden zu speichern. Kommt mit.«
»Ich halte hier die Stellung«, meint Bruno.
»Geht klar. Bis gleich.«
Matt folgt mir zum Dezernat, wo ich mir den Schlüssel für einen der Dienstwagen ausleihe. Bevor wir das Haus verlassen, knalle ich dem Chief noch eine Liste mit Namen auf den Tisch.
»Ich will diese Leute.«
Die Augen des Chiefs weiten sich, bevor er sie zusammenkneift. »Vergessen Sie’s, McGee. Ich kann doch nicht einige unserer besten Cops für so einen schlechten Scherz opfern.«
»Sie können und Sie werden. Das Leben dreier Mädchen steht auf dem Spiel. Sind Sie wirklich schon so tief gesunken, dass Ihnen das egal ist, nur weil es sich bei ihnen um Xenos handelt?«
Das Gesicht meines Bosses wird so rot wie eine Tomate.
»Ich. Will. Diese. Leute.« Damit drehe ich mich um und stürme aus dem Büro.
•
»Warum hilfst du uns?«
Matts Frage erwischt mich kalt. Ich stelle die Steuerung des Wagens auf Autopilot und sehe meinen Beifahrer an.
»Weil es das Richtige ist.«
»Das stimmt. Trotzdem interessiert das die Mehrheit der Menschen nicht«, gibt Matt zurück.
»Leider«, seufze ich. »Ich bin vielleicht kein großer Fan von Xenos, aber ich habe ein Problem mit Ungerechtigkeiten. Meines Erachtens nach seid ihr weder besser noch schlechter als wir. Wenn ihr uns Böses wolltet, würden wir in Angst und Schrecken leben. Da das nicht der Fall ist, sehe ich euch nicht als Bedrohung an. Warum sollte ich also nicht helfen?«
»Interessanter Gedankengang. Wenn mehr Menschen das so sehen würden, wäre es einfacher.« Matt kratzt sich am Kinn.
Ich zucke mit den Schultern. »Leben und leben lassen. Mehr will ich nicht. Außerdem hört bei Kindern der Spaß auf. Die können nun wirklich nichts für unsere Konflikte.«
Kurz herrscht einvernehmliches Schweigen zwischen uns.
»Darf ich fragen, was du mit Alec zu tun hast?«
Matts Frage sorgt dafür, dass ich unruhig auf meinem Sitz herumrutsche. Ich höre jedoch schnell damit auf, denn mein Körper erinnert sich nur zu gut an die Ereignisse der letzten Nacht. Zwanghaft suche ich nach einer guten Ausrede, entscheide mich jedoch für die Wahrheit oder zumindest einen Teil davon.
»Bis gestern gar nichts. Allerdings benötigt meine Schwester dringend Immunsuppressiva und die sind auf dem freien Markt nicht verfügbar. Dass ich Alec begegne, war nicht geplant. Verbindungen zu ihm sind in meinem Beruf nicht unbedingt wünschenswert, da er als krimineller Kopf der Stadt gilt.«
Mein Beifahrer lacht und schaut mich wissend an. Unwillkürlich frage ich mich, ob er ahnt, was sein Boss von mir verlangt hat.
»Alec weiß, wie er bekommt, was er will. Und wie er Bündnisse strickt, die ihm nützen. Nicht umsonst ist er unser Anführer.«
Ich schlucke. ‚Bündnis‘ ist nicht das Wort, das ich benutzt hätte, aber Matt war wahrscheinlich nur diplomatisch.
»Dir ist bekannt, wie er den Bürgermeister dazu bekommen hat, seinen Kurs radikal zu wechseln?«
Matt nickt, wirkt jedoch alles andere als glücklich. »Ich verstehe seine Beweggründe, sehe aber auch das Risiko. Wenn dem Mädchen etwas zustößt und die falschen Leute erfahren, was los ist, dann wird es sehr ungemütlich.«
»Das fürchte ich auch. Mit dieser Aktion hat er bewiesen, wie wenig wir gegen Xenos ausrichten können. Das kann leicht zu Unruhen auf beiden Seiten führen.«
»Das weiß Alec, deswegen musste er auch handeln. Wenn seine Gegner beschließen, ihn stürzen zu wollen, endet das in einer Katastrophe. So friedfertig und diplomatisch wie er sind nur wenige.«
Ich kann mir nicht helfen, aber bei diesen Worten starre ich mein Gegenüber fassungslos an.
»Wir reden aber von derselben Person, oder? Wirklich friedfertig kam er mir gestern nicht vor, als ...« Schnell beiße ich mir auf die Zunge.
Matt lacht.
»Für einen Vampir mit seiner Macht und seinen Fähigkeiten ist Alec verdammt friedlich.« Wissend schaut er mich an und ich habe das Gefühl, dass er mir tief in die Seele blicken kann. »Du lebst, deine Schwester hat ihre Medikamente und größere Verletzungen kann ich bei dir auch nicht feststellen. Wenn er dir wirklich hätte schaden wollen, würden wir uns jetzt nicht unterhalten. Stattdessen würdest du im besten Fall im Krankenhaus liegen oder hättest auf schmerzvolle Weise das Zeitliche gesegnet.«
»Oh.« Peinlich berührt senke ich den Blick.
»Ach, nur damit du es weißt: Die meisten von uns können riechen oder anderweitig wahrnehmen, dass du mit ihm zusammen warst.«
Oh Shit ...
Geschockt sehe ich auf und bin froh, dass ich nicht zu den Leuten gehöre, die schnell rot werden.
»Ich ...« Bevor ich mir eine gute Erklärung ausdenken kann, schüttelt Matt schon mit dem Kopf.
»Es geht mich nichts an, was da zwischen euch läuft oder nicht, Josh. Ich wollte es dir einfach nur sagen, denn es kann durchaus sein, dass andere Xenos automatisch darauf reagieren. Positiv wie negativ.«
»Okay. Danke ... schätze ich.«
Matt grinst mich an. »Willkommen in unserer Welt, Menschlein.«
Stöhnend schließe ich die Augen und lasse den Kopf für einen Moment gegen den Sitz sinken.
»Und da dachte ich bisher, mein Leben wäre kompliziert genug.«