Die Themen der Biblischen Archäologie finden heute enormen Anklang, das Interesse der Öffentlichkeit ist groß wie nie. Die Zuschauerzahlen von Fernsehdokumentationen über den Exodus, die Bundeslade und das sogenannte Jesusgrab gehen in die Millionen. Große Verlage kämpfen mit Bibelatlanten um Marktanteile, die populärwissenschaftliche Zeitschrift Biblical Archaeology Review erreicht eine große Leserschaft, und jedes Jahr zu Ostern ist auch Charlton Heston in Cecil B. DeMilles Klassiker Die Zehn Gebote wieder als Mose auf den Bildschirmen zu sehen. Mit ausgestreckten Armen teilt er die Wasser des Roten Meeres, so dass die Hebräer hindurchgehen und sich in Sicherheit bringen können.
Die Biblische Archäologie ist eine Unterkategorie des größeren Feldes der syro-palästinischen Archäologie – die sich mit der Region des heutigen Israel, Jordanien, Libanon und Syrien beschäftigt. Genauer gesagt ist es die Archäologie, die die Geschichten und Beschreibungen im Alten und Neuen Testament vom frühen 2. Jahrtausend v. Chr., der Zeit Abrahams und der Patriarchen, bis zur römischen Zeit im frühen 1. Jahrtausend n. Chr. näher untersucht.
Obwohl Biblische Archäologen schon vor mehr als hundert Jahren mit der Bibel in der einen und dem Spaten in der anderen Hand anfingen, im Heiligen Land zu graben, sind noch immer viele wichtige Fragen ungeklärt. So weiß man bis heute nicht, ob es wirklich einen Auszug der Hebräer aus Ägypten gab und wie groß das Königreich Davids und Salomos war. Auch genauere Einzelheiten |18|zum Alltagsleben in der Zeit der Reichsteilung nach Salomo sind ebenso unbekannt wie die Unterschiede zwischen kanaanitischer und israelitischer materieller Kultur in der frühen Eisenzeit.
Die meisten Biblischen Archäologen verfolgen nicht das Ziel, Elemente des Alten oder Neuen Testaments durch die Archäologie zu beweisen oder zu widerlegen. Vielmehr erforschen sie die materielle Kultur der Länder und Zeiten, die für die Bibel relevant sind, und die Menschen, Orte und Ereignisse, von denen in jenen alten Texten die Rede ist, um ihnen neues Leben einzuhauchen und die Kultur und Geschichte der Region zu rekonstruieren. Dies zeigt sich besonders deutlich in der Archäologie des Neuen Testaments. Hier hat die Freilegung von Städten wie Caesarea, Kapernaum und Sepphoris Licht in die gesellschaftliche, religiöse und geographische Situation in der Zeit vor, während und nach Jesu Wirken gebracht.
Insgesamt allerdings hat die Biblische Archäologie mehr wichtige Informationen zur Lebenswelt des Alten Testaments geliefert. Für diese Schieflage gibt es verschiedene Gründe: Die Ereignisse im Alten Testament deckten einen viel längeren Zeitraum ab als jene des Neuen Testaments – wir reden über Jahrtausende im Vergleich zu knapp zweihundert Jahren. Zudem spielten die Ereignisse des Alten Testaments in einem weit größeren geographischen Rahmen. Der ganze Nahe Osten sowie Nordafrika liefern den Hintergrund für die Geschichten der Hebräer, während sich das Drama der frühen Christen hauptsächlich in Syro-Palästina und in geringerem Maße noch im antiken Griechenland und Italien entfaltete.
Aus diesen beiden Gründen des Raums und der Zeit gibt es weitaus mehr potenziell relevante archäologische Stätten des Alten |19|Testaments. Vielleicht ebenso wichtig ist noch, dass dort oft Ereignisse wie Schlachten und Eroberungen oder mit den Händen zu greifende Gegenstände wie Gebäude und in Stein gemeißelte Inschriften beschrieben werden. Diese hinterlassen materielle Reste, die über lange Zeit hinweg erhalten bleiben können. In den Geschichten des Neuen Testaments dagegen geht es oft um Sprache und Ideen, die enorme gesellschaftliche Wirkungen hatten, aber nur wenige Artefakte hinterlassen haben, die man bei Grabungen freilegen könnte. Dennoch hat die Biblische Archäologie wunderbare Einblicke in das Alte wie das Neue Testament geliefert und Funde und Befunde ans Tageslicht gebracht, die mit den Inhalten beider Schriften übereinstimmen (siehe Tabelle S. 12–16).
Für viele Wissenschaftler ist die Bibel eine wichtige Datenquelle, die hilft, Licht in die antike Lebenswelt zu bringen. Einmal ganz abgesehen von ihrer religiösen Bedeutung und den Fragen zur historischen Genauigkeit des Textes steht außer Zweifel, dass die Bibel als grundlegendes historisches Dokument zu gelten hat. Als antike Quelle enthält sie oft eine Fülle von Einzelheiten und Beschreibungen des Heiligen Landes in der Antike. Sie ist eine Quelle, die man – mit der gebotenen Vorsicht – benutzen kann, um etwas über die antike Welt zu erfahren, genau wie die Syro-Palästina-Archäologen ägyptische, neuassyrische oder neubabylonische Inschriften derselben Zeit zu diesem Zweck heranziehen.
Diese Verwendung antiker Quellen in der Biblischen Archäologie findet ihre Parallele in der Klassischen Archäologie, die sich auch mit den Schriften der Menschen befasst, die im antiken Griechenland und Italien lebten, oder in der Archäologie der Neuen Welt, die sich mit den Texten der präkolumbischen Völker Amerikas |20|beschäftigt. Klassische Archäologen setzen ihre Feldfunde mit den griechischen und römischen Texten in Beziehung, um Fragen etwa nach den Besonderheiten des perikleischen Bauprogramms oder den Auswirkungen der Pest, die 430 v. Chr. in Athen wütete, zu behandeln, während andere, die sich auf die Bronzezeit spezialisiert haben, mit allen nötigen Vorbehalten auch die homerischen Texte heranziehen. Ähnlich vergleichen Biblische Archäologen oft (und mit der nötigen Sorgfalt) ihre Funde und Befunde mit den biblischen Erzählungen, um Fragen zu David, Salomo, der Zeit der Reichsteilung usw. zu diskutieren.
Nicht immer weiß man allerdings von vornherein, wie genau die Berichte in der Bibel und auch in den ägyptischen, neuassyrischen oder neubabylonischen Inschriften sind. Dieses Problem stellt sich nicht nur der Biblischen Archäologie, denn es gibt auch beträchtliche Schwankungen in der Glaubwürdigkeit von Beschreibungen des antiken Griechenlands und Roms, wie wir sie in den Texten von Homer, Herodot, Thukydides, den griechischen Dramatikern, den römischen Autoren und Historikern finden. Klassische Philologen wissen, dass manche Texte zuverlässiger sind als andere. Man kann nicht alle verwenden, um Daten zu verifizieren, die man bei Feldgrabungen im Ägäisraum und im westlichen Mittelmeergebiet gewonnen hat.
Hier, bei der Frage der historischen Genauigkeit der Texte, überschneiden sich die Interessen der Biblischen Archäologen und der gebildeten Laien, denn es sind oft die grundlegenden biblischen Fragen – die Fragen, deretwegen das Fach einst entstand –, die die Öffentlichkeit noch immer faszinieren. Hat Josua Jericho eingenommen? Gab es jemanden namens Abraham, der von Mesopotamien |21|nach Kanaan zog? Haben David und Salomo wirklich gelebt? Wo war Jesus begraben? Obwohl die Biblische Archäologie schon längst nicht mehr das ist, was sie vor hundert und mehr Jahren war – sie arbeitet heute exakter, und die Wissenschaftler befassen sich im allgemeinen mit eher anthropologisch ausgerichteten Themen –, klingen diese grundlegenden Fragen noch immer nach. Und leider ist es nicht immer leicht, sie zu beantworten.
Übereinstimmung von archäologischen Befunden und Bibelgeschichten