Als Schule nicht mehr Scheiße war … fürs Leben lernen, aber cool

ALEXANDER GIESECKE UND NICOLAI SCHORK

Es ist der 6. Juli 2030, 10.30 Uhr – Jan, 17, bereitet sich auf die virtuelle Präsentation seines jüngsten Schulprojektes vor. Ein interdisziplinäres Projekt übrigens, das »Anleihen« bei gleich mehreren der früheren klassischen Fächer macht. Neben Mathe und Physik hat sich sein Team auch mit den wirtschaftlichen Aspekten beschäftigt und das Ganze mit einer entsprechenden Businessplanung abgerundet. Die Idee ist simpel und nicht neu, aber deutlich smarter: Jans Team hat einen KI-basierten Algorithmus entwickelt, der das Lernen noch individueller machen soll, als übliche Apps das heute bereits leisten. Berücksichtigt hat die Gruppe dabei vor allem Überlegungen, dass jeder Mensch anders beziehungsweise nicht gleich schnell lernt und dass das Abrufen des Gelernten für das Behalten essenziell ist (»testing effect«). Jans Team ist sich sicher: Die Anwendung wird fliegen, ihre Business-Planung ist daher sehr optimistisch. Für 11.00 Uhr ist die Präsentation vor Lehrern, einem Business Angel und den Mentoren des Teams, die die einzelnen Teammitglieder bereits seit Jahren begleiten, geplant. Da einige der Mentoren in London, Paris und Rom sitzen, findet die Präsentation wie fast immer in diesen Fällen virtuell statt.

Lernen fürs Leben

Um 10.45 Uhr hat sich Jan mit seinem Team verabredet; man trifft sich im Meet-up-Room, einem Coworking Space, in dem Jans Team in den vergangenen Wochen regelmäßig zusammengekommen ist. Neben Rechnern bietet der Raum auch Whiteboards, die zeigen, welche Entwicklungsschritte die Gruppe gemacht hat. Alle sind aufgeregt, aber bestens vorbereitet. Videosequenzen wechseln sich mit Animationen und Grafiken ab, jeder aus dem Team übernimmt einen Präsentationspart. Vier Monate hatte die Gruppe Zeit, die Aufgabe zu bewältigen; jetzt fiebern alle dem Moment entgegen.

Pünktlich um 11.00 Uhr geht es los: Das Team präsentiert in knackigen 30 Minuten die App, ihre Funktionsweise, die Business-Planung inklusive existierender Wettbewerber, der Marketing- und Personalplanung. Die Vorführung mit vielen interaktiven Elementen zum Ausprobieren kommt hervorragend an: Das schlägt sich nicht nur in einer ausgezeichneten Punktzahl nieder, sondern auch in einer ersten Finanzierungszusage des Business Angel. Automatisch geht diese Zusage an das schuleigene Start-up-Team, das ab jetzt die Gruppe aktiv unterstützen wird.

Lehrer machen Zukunft – interdisziplinär und europäisch

Für den Mathematiklehrer Jonas Behrens, der das Projekt gemeinsam mit den Mentoren und dem Business Angel begleitet hat, ist das Ergebnis ebenfalls mehr als erfreulich, hat sich doch sein Konzept, den Lehrstoff mit konkreten Business-Anforderungen aus der realen Welt zu verknüpfen, mehr als bewährt. Die Basis dazu hat er gemeinsam mit ehemaligen Studienkollegen, die es alle in unterschiedliche Bereiche verschlagen hat, entwickelt. Konzernvertreter sind ebenso in diesem Kreis wie ein Banker und eine Unternehmensberaterin – beste Voraussetzungen also für den wirtschaftlichen Touch in Schulprojekten. Ein Ansatz, den übrigens inzwischen viele seiner Kollegen verfolgen und der sich mehr als einmal bewährt hat: gemeinsam mit Wissenschaft, Wirtschaft und Politik über Ideen nachzudenken, die wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Impact haben könnten.

Die Kultusministerien der Länder, die solche Entwicklungen noch bis vor wenigen Jahren behindert hatten, sind aufgelöst und der Institution »KnowlEconomy« gewichen, die die führenden Köpfe aus Wissenschaft und Wirtschaft zusammengebracht hat und so europaweit für einheitliche Standards und kreative Impulse in der Lehre und beim Lernen sorgen. Entscheidungen werden bei »KnowlEconomy« (das Kürzel steht für Knowledge und Economy) deutlich schneller getroffen, als das noch bis vor wenigen Jahren üblich war. 2025 hatte die EU-Kommission beschlossen, dass man die Lehre und das Lernen länder- und wirtschaftsübergreifend neu anlegen müsse. KnowlEconomy hat das gesamte europäische Bildungssystem neu gedacht; die interdisziplinären Projekte sind erste Schritte zu einer völlig anderen Bildungslandschaft. Diskutiert wird derzeit zum Beispiel, wie man welchen Lerntypus fördern und unterstützen kann oder wie Hochbegabte gefördert oder Kinder mit Behinderungen unterstützt werden können. Erste Programme sind entwickelt und werden – anders als früher, als diese Vorhaben für die Umsetzung Jahre brauchten – bereits in der Praxis erprobt.

Behrens erinnert sich nur ungern an seine Anfangszeit als Lehrer, als er curriculumgebunden streng nach Lehrplan unterrichten musste. Heute versteht er sich eher als Coach seiner Schüler, er will inspirieren, motivieren und herausfordern. Er weiß: Mit reiner Wissensvermittlung kann er heute nicht mehr punkten. Der Einsatz unterschiedlichster Technologien, etwa Lernplattformen, die immer individueller werden (wie die neu entwickelte App von Jans Team), helfen, das Lerntempo und die Lerngeschwindigkeit des Einzelnen zu berücksichtigen. Vor Jahren schon wurden alle Schüler mit entsprechenden Endgeräten ausgestattet und erhalten ein neues, wenn sich das alte überlebt hat – ein Schritt, der für deutlich mehr soziale Gerechtigkeit sorgte als alle anderen Programme zuvor.

Auf Behrens Agenda steht jetzt ein Virtual Call mit Kollegen und Kolleginnen aus ganz Europa. Ziel des monatlichen Austausches, der übrigens von KnowlEconomy initiiert wurde, ist das Teilen von gewonnenen Erkenntnissen mit interdisziplinären Projekten. Die besten Projekte werden länderübergreifend ausgewählt und öffentlich vorgestellt. Behrens ist sich sicher, dass es Jans Team auf die Besten-Liste schaffen wird. Nach dem Call trifft er sich mit dem Mentoring-Team der Schule, um das weitere Vorgehen für Jans Projekt festzulegen. Unterrichtsvorbereitungen, die bis vor fünf Jahren noch seinen Tagesplan dominierten, fallen ebenso flach wie der klassische Unterricht.

Back to 2020

Die schöne neue Bildungswelt muss (und wird, wenn es nach uns geht) keine Zukunftsmusik bleiben. Wir haben es jetzt in der Hand, entsprechende Weichen zu stellen und das Thema Bildung neu zu denken. Die Krise zu Beginn des Jahres hat eindeutig gezeigt: Unser Bildungssystem ist für das Morgen nicht besonders gut aufgestellt und kann mit Krisen nur bedingt umgehen. Plötzlich erkannten alle, wie wichtig die Digitalisierung der Schulen ist und wie notwendig man digitale Inhalte braucht, die das Lernen im Homeschooling spannend, aber auch zielführend macht. Hektisch begannen Schulen, Kultusminister und Länder an Lösungen zu arbeiten, die unterm Strich eher wenig gebracht haben. Immerhin: Der Digitalpakt, der immer wieder diskutiert und kritisiert wurde, kommt. 5 Milliarden Euro lässt der Bund sich den digitalen Bildungsangang kosten.

Allerdings – und hier zitieren wir gern Die Zeit vom Februar 2020: »Digitale Bildung geschieht nicht einfach, weil die Geräte da sind. Lehrer müssen auch einschätzen können, wann und wozu sie sie einsetzen können. Welche Spiele, Apps oder Videos motivieren und fördern ihre eigenen Schüler – und welche lassen sie eher wegdösen oder überfordern sie?« Mit anderen Worten: Wie bekommen wir bildungstechnisch die Milliarden an die Schulen und machen diese zukunftsfähig?

Szenario 1: Jeder versucht verzweifelt (weil es schnell gehen muss), eigene Lösungen zu bauen. Nicht von ungefähr tummeln sich auf diesem Markt einige Anbieter mit einer Vielzahl von Lösungen. Auch Schulen arbeiten an singulären Lösungen – nicht alle Ansätze sind schlecht, aber sie sind nicht koordiniert, geschweige denn untereinander kompatibel.

Daher plädieren wir für:

Szenario 2: Politik und private Anbieter arbeiten zusammen und schaffen so eine sinnvolle Bildungslandschaft, die digitale Bildungsanbieter mit vorhandenen Institutionen verknüpft. Nüchtern betrachtet wird dieses Szenario eher wenig Chancen haben, obwohl es etliche Anbieter und gute Lösungen gibt, die nur darauf warten, in einer solchen Landschaft koordiniert und gemeinsam aktiv zu werden. Bei entsprechender Berücksichtigung von Qualitätsmanagement und Datenschutz, versteht sich. Ohne Zertifizierung wird es nicht gehen, aber sie sollte keinesfalls die Entwicklung zukunftsfähiger Lösungen bremsen. Über Lobbyarbeit, Petitionen und die Ansprache von Multiplikatoren gehen wir derzeit den harten Weg der Überzeugungsarbeit und engagieren uns für dieses Szenario.

Denn die Bildung von morgen wird – ob wir das nun wollen oder nicht – eine andere sein.

UNSERE ZUKUNFTSBAUSTEINE

  1. Bildungsinstitutionen (Schule und Universitäten): Der Flipped Classroom, also der »umgedrehte Unterricht«, macht Schule. Wissen wird über Tools individuell vermittelt, die Anwendungen und die sozialen Aspekte kommen in der Institution dazu.

  2. Schüler: Sie lernen zu Hause und zeigen in der Schule die Anwendung des Gelernten. Dabei nutzen sie digitale Lösungen, die den individuellen Lernfortschritt berücksichtigen, im und für den Unterricht. Digitales ist wie das Schulbuch selbstverständlicher Baustein in der Bildung.

  3. Lehrer: Die Rolle des Lehrers ist eine andere; er ist Mentor und Coach, er inspiriert, motiviert und fordert heraus.

  4. Chancengleichheit: Durch den sinnvollen Zugang zu Wissen über digitale Lösungen hat jeder die gleiche Chance – vorausgesetzt, wir stellen diese Lösungen für sozial benachteiligte Kinder kostenneutral bereit.

ALEXANDER GIESECKE und NICOLAI SCHORK, 1995 und 1994 in Mosbach geboren, gehören zu den jungen Vorzeigeunternehmern dieses Landes. 2012 gründeten sie gemeinsam simpleclub und revolutionieren seitdem das Thema Lernen. Sie zeigen, wie Digitalisierung geht und wie anfassbar, leicht verständlich und inspirierend Lehre und Wissen sein können. Als Buchautoren und Speaker teilen sie ihre Geschichte, inspirieren Jung wie Alt und stehen für Unternehmertum mit gesellschaftlicher Verantwortung. Alexander Giesecke und Nicolai Schork leben in München.