Ich habe mich in der Mittelstufe nicht sonderlich für Physik interessiert. Generell habe ich mich mit Naturwissenschaften sehr schwergetan. Bei den Fächern bin ich einfach davon ausgegangen, dass sie mir keinen Spaß machen und ich zu wenig Neugier habe. Im Nachhinein glaube ich allerdings nicht, dass es daran lag, dass ich die Fächer nicht interessant genug fand, sondern es lag an den Kommentaren meines Lehrers – alt, konservativ und irgendwie in der Zeit steckengeblieben. Aussagen wie »Wir brauchen einen Eimer für das Experiment, den kennen die Mädchen ja vom Putzen«, oder »Das hier können jetzt nur Jungs verstehen, ihr Mädchen kennt euch in anderen Bereichen gut aus« kamen regelmäßig in seinen Stunden vor. Selbst wenn ich damals darüber gelacht habe, war es dennoch ein unbewusster und passiver Hinweis, dass ein Thema wie Physik sowieso nichts für mich ist. In der Schule herrscht also selbstverständliche Diskriminierung und unbewusstes, manchmal aber auch absichtliches Ausgrenzen.
Genauso wie in den naturwissenschaftlichen Fächern konnte man in wirtschaftlichen Fächer dasselbe Problem beobachten, von Lehrern, aber auch von Schülern ausgehend. Teilweise wurden mir Aussagen wie »Was interessierst du dich denn für Aktien? Mädchen haben doch gar keine Ahnung davon« an den Kopf geworfen. Anfänglich, als ich wirklich noch nicht so viel Ahnung von Finanzen hatte, haben mich solche Aussagen extrem eingeschüchtert, und ich habe mir lange »im Stillen« Wissen angeeignet, bevor ich wieder an Diskussionen und Gesprächen teilgenommen habe. Auch heute habe ich oft noch das Gefühl, nicht wirklich ernst genommen zu werden, vor allem von männlichen Klassenkameraden und älteren Lehrern.
Es ist schon erschreckend, dass Jungs bei wirtschaftlichen und naturwissenschaftlichen Themen oft mehr zugetraut wird als Mädchen. Ich musste viel zu oft mein Wissen unter Beweis stellen, bevor ich an einer Diskussion teilnehmen durfte und dann auch ernst genommen wurde.
Bei wirtschaftlichen Fächern kommt noch ein weiteres Problem hinzu, zumindest an meiner Schule: Es wird der ganze Themenbereich Wirtschaft und Sozialwissenschaften nur mit einem Fach abgedeckt, also maximal zwei Stunden pro Woche, um über Finanzen, Wirtschaft, Politik, Unternehmertum, soziale Ungleichheit, Europa und noch viele Themen mehr zu sprechen. Entsprechend fallen manche dringend notwendige Unterrichtsreihen einfach aus dem Curriculum raus. Das Thema Finanzen zum Beispiel wurde an meiner Schule aus diesem Grund überhaupt nicht behandelt. Dabei ist es doch heutzutage so wichtig, vor allem für Frauen, sich mit Aktien, Anlagemöglichkeiten, Gehalt und Finanzen allgemein auseinanderzusetzen. Außerdem bin ich mir sicher, dass ein Drittel der Abiturienten noch nie etwas von Entrepreneurship oder ETF gehört hat.
Die oben genannten Probleme sind nur zwei von vielen, die der Förderung von Mädchen in wirtschaftlichen und naturwissenschaftlichen Fächern im Weg stehen, aber auch generell dazu führen, das Schüler*innen ihr Interesse an wichtigen Themen verlieren oder gar nicht erst entdecken.
Damit Schule ein Ort der Kreativität, Individualität und Gleichberechtigung werden kann, müssen diese Themen schnellstmöglich geändert werden. Daher fordere ich die sofortige Umsetzung folgender Maßnahmen:
Lernen mit digitalen Medien bedeutet Lernen mit zeitgemäßen Materialien und Quellen. Aktuell werden noch zu viele Inhalte über Bücher vermittelt, die älter als zehn Jahre sind. Inhalte sowie Grafiken und Bilder sind meist veraltet und nicht ansprechend. Aus finanziellen und umweltbezogenen Aspekten stellt die Erneuerung der Bücher keine Option dar. Die Nutzung von zeitgemäßen Tools wie Videos, Onlinezeitungen, Audios und E-Books stellt die Aktualität der Inhalte sicher. Themenreihen lassen sich hierdurch interessanter, realer und flexibler gestalten.
Die Sicherstellung des Zugangs zu digitalen Tools liegt in den Händen der Schulen. Diese stellen nicht nur die Hardware, sondern auch persönliche E-Mail-Adressen und freie Zugänge, wie beispielsweise zu Microsoft Office, zur Verfügung.
Schüler müssen individueller gefördert werden und ihre Stärken vertiefen können. Projektbezogenes Arbeiten gibt oft tiefere und praktischere Einblicke in Inhalte als der klassische Tafelunterricht. Wenn Schulen zusätzlich mehr kooperieren würden, kämen auch Projekte zustande, für die an einer Schule die Anzahl der interessierten Schüler nicht gereicht hätten. Projektbezogenes Lernen würde also Stärken fördern und Interessen vertiefen.
Eine engere Kooperation zwischen Schulen würde außerdem dazu führen, dass gut funktionierende Konzepte, Materialien und Strategien konstruktiv ausgetauscht werden und Kommunikation-Skills durch regelmäßigere und intensive Kommunikation der Lehrer und Schüler geschult werden.
Genauso wie Lerninhalte bis zur vollständigen Verinnerlichung ständig wiederholt werden, sollten auch Kompetenzen und Verhaltensweisen in der Schule regelmäßig und bewusst vermittelt werden. Dadurch werden von Beginn an wichtige gesellschaftliche Werte wie Demokratie, Gerechtigkeit und die Gleichstellung aller Gender nachhaltig eingeprägt. Deshalb der Aufruf, aktiv und bewusst ohne inhaltliche Bezüge zum Fach regelmäßig wichtige Kompetenzen, Werte und Verhaltensweisen als einzelnes Thema zu wiederholen und zu vertiefen.
Ein Problem, das man in den letzten Jahren beobachten konnte, ist folgendes: Kurz nach dem abgeschlossenen Studium sind Referendare und junge Lehrer sehr engagiert, motiviert und versuchen, ihren Unterricht aktuell, digital und abwechslungsreich zu gestalten. Nach einigen Jahren und etwas mehr Berufserfahrung entwickeln sie dann eine Routine. Lehrkräfte sehen dann häufig keine Notwendigkeit mehr, Neues auszuprobieren und den Unterricht zeitgemäß sowie aktuell zu gestalten. Besonders ältere Lehrer hängen häufig in alten Zeiten fest und »verweigern« sich neuen Entwicklungen und gesellschaftlichen Veränderungen.
Deshalb die Forderung, Lehrkräfte dazu zu verpflichten, ihren Arbeitsplatz alle drei bis fünf Jahre wechseln zu müssen. Praktisch gesehen sieht das folgendermaßen aus: Ein Lehrer startet an einer Schule, lebt sich ein, tauscht Methoden und Strategien mit Kollegen aus und lässt sein Engagement in die Schule einfließen. Nach fünf Jahren gibt es einen Lehrerwechsel in der Region oder der Stadt. Die Hälfte der Lehrer an jeder Schule wechselt den Arbeitsplatz, sodass über die Jahre alle Lehrer von Schule zu Schule rotieren. Dadurch gibt es gleich mehrere Vorteile: Zunächst sind Lehrer automatisch dazu verpflichtet, sich immer wieder neu zu orientieren. Jede Schule hat andere Zeiten, andere Strukturen und Methoden, als Konsequenz sind also auch Lehrer ständig dazu aufgefordert, den eigenen Unterricht zu überdenken und zu verändern. So können sich keine Strukturen im Unterricht festfahren.
Des Weiteren profitieren aber auch die Schulen von den Lehrern, die neu an die Schule kommen. Es gibt ständig neuen Input für Konzepte und Veränderungen zu Weiterentwicklung der Schule. Schulübergreifende Projekte sind einfacher zu organisieren, weil sich Lehrer von anderen Schulen kennen.
Lehrer studieren zwar unterschiedliche Fächer, aber dennoch lernen sie während des Studiums, unabhängig von ihren fachlichen Schwerpunkten, alle die gleichen Methoden und Strategien kennen. Der Umgang mit Schülern, pädagogisches Handeln und gesellschaftliche Werte sind ihr Spezialgebiet, und genau deshalb sollte die Kompetenz- und Wertvermittlung an Schüler auch ihre Hauptaufgabe sein. Natürlich gibt es Fächer, die auf theoretischem Wissen basieren und bei denen sich Inhalte nicht ständig verändern. In diesen Fächern sind Lehrer die optimalen Personen für die Wissensweitergabe. Aber vor allem bei spezifischen Themenbereichen in den Bereichen Wirtschaft, Politik, Kunst, Musik und Geschichte könnten Fachleute Inhalte authentischer und spannender vermitteln. Diese können außerdem von persönlichen Erfahrungen berichten. Das kann eine Lehrkraft meist nicht.
MEINE ZUKUNFTSBAUSTEINE
Weg vom Frontalunterricht hin zu schulübergreifender Projektarbeit.
Das Aneignen von Kompetenzen und Verhaltensweisen hat denselben Stellenwert wie die Vermittlung von Lerninhalten.
Um lebenslanges Lernen bei Lehrkräften sicherzustellen, wechseln sie in regelmäßigen Abständen ihren Arbeitsort.
Lehrer schaffen die Struktur für den Unterricht – das Fachwissen vermitteln Experten.
JOHANNA LANGEMEYER ist 17 Jahre alt, kommt aus Nordrhein-Westfalen und hat 2020 Abitur gemacht. Sie hat während ihrer Zeit als Schülerin der Oberstufe Start-ups und das Thema Finanzen für sich entdeckt. Seit ihrer Teilnahme am Startup Teens-Wettbewerb 2019, bei dem sie den dritten Platz erreichte, engagiert sie sich regelmäßig als Alumni für Startup Teens und arbeitet an eigenen Projekten. Sie studiert BWL.