Mein Arbeitstag beginnt mit einem Knopfdruck und verwandelt das Schlafzimmer in meinen Arbeitsbereich: Das Bett klappt in die Wand ein und schafft Raum, der Esstisch verwandelt sich in einen digitalen Schreibtisch. Seit einigen Jahren lebe ich in einer verwandlungsfähigen Wohnung, in der ich mit Robotic Interiors den Zuschnitt meiner Räume auf Knopfdruck verändern kann. Mit flexiblen Modulen kann ich mein Zuhause umbauen, zusätzlich sind meine Möbel, per 3D-Druck für mich angefertigt, multifunktional und beweglich.
Mein Schreibtisch besteht aus einer interaktiven Arbeitsplatte, auf der ich Videos, E-Mails, Fotos und Texte bearbeiten sowie virtuelle Meetings durchführen kann. Nachdem ich mich in meine internationalen Video-Channels eingeloggt habe, werden meine Gesprächspartner aus aller Welt in mein Homeoffice projiziert. So arbeite ich allein und doch verbunden mit Menschen aus der ganzen Welt. In Krisenzeiten, wenn zum Beispiel eine neue Pandemiewelle uns zwingt, für eine Weile in Quarantäne zu leben, ist diese Arbeitsform eine sichere Form der Kollaboration.
Trotzdem bin ich noch immer ein Fan physischer Begegnungen und analoger Brainstorming-Sessions. Und auch die vielen informellen Treffen zwischen Kollegen – im Flur, an der Kaffeemaschine, in der Kantine – gehören zu einem ganzheitlichen Arbeitsalltag. Der goldene Mittelweg ist eine ausgewogene Mischung aus Heim- und Präsenzarbeit, sodass die Vorteile beider Arbeitsformen ausgeschöpft werden können.
Am Nachmittag stehen Präsenztermine an, und ich buche mir über eine App ein autonomes Flugtaxi. Vor einigen Jahren war es noch ein Privileg, ein Flugtaxi zu besteigen, doch mittlerweile ist es ein kostengünstiges und nachhaltiges Transportmittel geworden: Der Flug mit der Drohne ist preislich mit einer innerstädtischen Taxifahrt oder einem Kurzstreckenflug vergleichbar. Bei Pendlern ist das »Air-Shairing« beliebt, bei dem man sich ein Lufttaxi teilt, um günstig, schnell und umweltfreundlich ans Ziel zu kommen.
Das Flugtaxi holt mich von der Landeplattform unserer Dachterrasse ab und schwebt über die Straßenschluchten – die heute nicht mehr wie vor ein paar Jahren grau in grau daherkommen, sondern grün und blühend strahlen.
Der eigene Garten hat für die meisten Menschen bei der Wohnungswahl in der Stadt Priorität. Schrebergärten gehören zum Layout der Wohnung dazu. Auch neu angelegte Grünflächen auf Dächern oder der vertikale Anbau helfen, die Natur näher an die eigenen vier Wände zu bringen. Urban Farming boomt. Die lokale Produktion von Lebensmitteln ist gefragt wie nie – und findet oft auf dem eigenen Dach oder im Garten statt. Auch auf unserem Dach gibt es neben selbst angebautem Gemüse und Obst eine Fischzucht in einer Aquaponik-Anlage sowie Bienenstöcke.
Ich fliege lautlos über einen ansteckungsfreien Spielplatz, der auch in Zeiten einer Pandemie sicher genutzt werden kann: Jedes Kind bekommt seinen eigenen Zugang zu einer individuellen Spieleplattform, die der organischen Blattform einer Riesenseerose ähnelt. Die Spielflächen sind untereinander verbunden, sodass die Kinder in sicherer Distanz mit ihren Freunden spielen können.
Mein erster Termin ist außerhalb der Stadt, ein Geschäftspartner hat sich mit seiner mobilen Wohn- und Büroeinheit im Grünen niedergelassen. Die Wohnmodule sind so flexibel, dass sie nicht nur innerhalb der Wohnung umgestaltet werden können, sondern auch das Umziehen leichter machen; statt auf Wohnungssuche zu gehen, kann man seine eigenen vier Wände einfach einpacken, mitnehmen und woanders aufbauen: aus Immobilie wird »Mobilie«. Frei verfügbare Flächen, auf denen man sein Zuhause temporär aufbauen kann, sind gefragt, Es entsteht ein neues Gefühl der Freiheit; man bewegt sich und bleibt damit auch im Kopf flexibel. Der Alltag bringt neue Erlebnisse und neue Umgebungen, und das Verreisen in den Ferien nimmt drastisch ab. Ein Segen für die Umwelt.
Für das nächste Meeting bringt mich die Drohne in unser Büro. Genau wie bei der Ausgestaltung meines Zuhauses kann ich auch hier durch Robotic Interiors den Grundriss verändern. Alle Zimmergrößen sind wandelbar, die Wände sind flexibel und können zu immer neuen Raumkonstellationen umgestaltet werden: Um einen Konferenzraum zu schaffen, fahre ich die Beleuchtung komplett in die Decke, sodass sich die Wände zu einem neuen großen Raum zusammenfinden können.
Die einzelnen Arbeitsplätze sind ganz auf meine Mitarbeiter eingestellt; die mobilen Pods sind mit digitalen Assistenten und Schreibtischen ausgestattet. Die Wände sind bepflanzt und sorgen für ein gesundes Raumklima. Jeder kann sich durch individualisierbare Duft-, Klima-, Licht- und Musikregler das Arbeiten so angenehm wie möglich machen.
Am frühen Abend verlasse ich das Büro. Wurde das Stadtbild vor ein paar Jahren noch von Autos dominiert, sieht es nun anders aus: Die einspurigen Straßen sind zurückgebaut, und die wenigen Autos, die noch unterwegs sind, sind mit alternativen Antrieben versehen, elektrisch oder mit Wasserstofftechnologie.
Das Fahrrad boomt in all seinen Facetten – als Lastenrad, Familienrad, Dreirad. Ein mehrspuriger, gut sichtbarer Fahrradweg führt an unserem Büro vorbei und mündet in eine überdachte Fahrradschnellstrecke.
Auch die Fußgängerwege haben sich von schmalen Bürgersteigen zu breiten Bereichen entwickelt. Das Spazierengehen erlebte in der letzten Dekade eine Renaissance: nicht nur als entspannender Sonntagsspaziergang, sondern als neue, alte Form der Mobilität: Auf begrünten Fußgängerwegen laufen wir zur Arbeit, zur Schule, zu Freunden, und diese alte Kulturtechnik erhält ihren unverrückbaren Stellenwert in unserem Alltag zurück.
Für meinen Rückweg nach Hause wähle ich nun die öffentlichen Verkehrsmittel. Wo es früher um diese Zeit unerträglich voll war, ergibt sich nun ein anderes Bild. Die U- und S-Bahnen kommen dank einer effektiveren Taktung schnell und regelmäßig. Durch großzügiges Design werden Busse und Bahnen in einzelne Abteile aufgeteilt, um in Pandemiezeiten Abstandsregeln umzusetzen. Ich steige in ein Einzelabteil, das sich automatisch an die sich öffnende Bahntür schiebt und mit mir dann ins Innere des Waggons gleitet. Zusätzlich nutze ich eine App, die verschiedene Angebote des öffentlichen Nahverkehrs flexibel miteinander verknüpft. Sie zeigt mir an, welche Verkehrsmittel aktuell ausgelastet sind und welche Alternativen es dazu gibt. Statt für den letzten Teil meiner Heimfahrt in einen vollen Bus zu steigen, schwinge ich mich lieber auf einen Leihroller.
Zu Hause angekommen, blicke ich durch die Fenster auf meine Stadt. Der Wunsch nach Gemeinschaft, gleichwertigen Lebensverhältnissen, nachhaltigen Materialien und Partizipation in Planungsprozessen ist sichtbarer denn je. Statt auf einzelne Gebäude und Häuser zu blicken, schaue ich auf Systemlösungen – kein Unité d’Habitation, wie Le Corbusier sie entworfen hat, aber seine Idee aufgreifend und das menschliche Maß anwendend, mit nachhaltigen, recycelbaren Materialien gebaute Großstrukturen. Hier gibt es Wohnungen für unterschiedliche Einkommen, aber auch Büroflächen, die als Co-Working-Spaces genutzt werden. Einkaufsmöglichkeiten, Kultur- und Kunsträume wechseln sich mit Urban Farming und Grünflächen zum Spielen ab. Die Trennung zwischen Leben und Arbeiten löst sich auf. Aus Kiez wird Community. Denn nicht nur die Baumaterialien und die Mobilitätslösungen sind nachhaltig, auch die soziale Struktur der Städte ist nachhaltig angelegt. Der eigentliche Sinn einer Stadt ist das Zusammensein mit anderen Menschen, die Anregungen, die einem auf Schritt und Tritt begegnen. Die Amerikaner nennen es Serendipity: Dinge zu finden, nach denen man gar nicht gesucht hat.
Am 30. Juni 2030 wird meine Stadt menschlicher, gelassener, sicherer, anregender, mobiler, digitaler, grüner, sauberer, nachhaltiger und schöner gestaltet sein.
MEINE ZUKUNFTSBAUSTEINE
Die Stadtplaner, Architekten und Designer gehen kreativ mit den Herausforderungen der Zukunft um und finden Wege zu neuen Formen des Zusammenlebens: Aus Kiez wird Community, und die soziale, nachhaltige Struktur der Städte wird von all ihren Bewohnern und Akteuren gepflegt
Die Menschen sind nachhaltig mobil; die Ausgestaltung der Stadt richtet sich danach und garantiert die nötige Infrastruktur und Sicherheit – für autonome Flugtaxis genauso wie für Fahrradschnellbahnen.
Designer und Architekten erfinden mit flexibler Raumaufteilung und mobilen Wohnlösungen das Wohnen und Arbeiten neu
Der Bezug zur Natur ist wichtig – sei es durch Grünflächen, Dachterrassen, Schrebergärten – und dominiert nicht nur die Stadtgestaltung, sondern ist auch Priorität bei der Wohnungswahl
UTE ELISABETH WEILAND ist seit 2016 Geschäftsführerin der Standortinitiative »Deutschland – Land der Ideen«. Zuvor war sie von 2008 bis 2016 stellvertretende Geschäftsführerin der Alfred Herrhausen Gesellschaft. Die studierte Musikpädagogin gründete 1998 das Erich Pommer Medieninstitut. Sie ist Mitglied in internationalen Netzwerken und publiziert regelmäßig zu den Themen Stadt, Bildung und Innovation.