Den Parteien ist bewusst, dass sie offener, jünger, digitaler und vielfältiger werden müssen. Bei der SPD beispielsweise fanden dazu bereits viele Vorschläge Mehrheiten. Allerdings: Progressive Veränderungsvorschläge der bestehenden Strukturen, die für eine jüngere und vielfältige Partei sorgen könnten, wurden nur vereinzelt übernommen. Hier besteht – über alle Parteien hinweg – weiter Änderungsbedarf! Unsere großen politischen Parteien haben mit Start-ups nicht viel gemein, können allerdings einiges von ihnen und ihrem Vorgehen lernen. Zum Beispiel ihre Zielgruppen genau in den Blick zu nehmen und auf ihr Nutzerverhalten abgestimmte Angebote zu entwickeln.
Mitmach-Möglichkeiten, die eher der Lebensrealität von beruflich und familiär stark eingespannten Menschen entsprechen, sind ein Schritt in die richtige Richtung. Dabei werden digitale Strukturen analoge komplettieren und erweitern. Ich bin zum Beispiel »offline« in meinem Ortsverein SPD Alexanderplatz aktiv, würde mich aber gerne online zu Themen einbringen, die wir vor Ort nicht behandeln können. Das ist bisher nicht möglich. Was eBay für Kaufwillige ist, könnte eine neue Onlineplattform für politisch Engagierte sein. Finde die Themen, die dich interessieren, und entscheide, was für dich relevant ist und wie du dich einbringen kannst (ob lokal via «Kleinanzeigen« oder zu überregionalen Themen, um beim eBay-Vergleich zu bleiben).
Insbesondere die Generation Z kommuniziert und informiert viel stärker digital als die vorherigen Generationen. Speziell für sie braucht es weitere Angebote, die dezentral, ortsunabhängig und online diskutiert werden können – zum Beispiel zur Umwelt- oder Europapolitik. Deutschlandweit werden sich Parteimitglieder künftig zu ihrer eigenen politischen Agenda zusammenfinden. Ihre Themen werden antragsberechtigt auf einem Parteitag sein. Und damit bei der innerparteilichen Willensbildung berücksichtigt. Man motiviert Mitglieder, teilzuhaben, ihre Stimme zu erheben und beste Lösungen gemeinsam zu entwickeln.
Ältere Abgeordnete haben nicht immer zwingend die nachfolgende Generation im Blick ihrer Politik. Das Durchschnittsalter der Mitglieder des Bundestages liegt bei 49,4 Jahren. Nur knapp 6 Prozent der Abgeordneten sind jünger als 35 Jahre, verschwindend geringe 2 Prozent jünger als 30 (Stand Juli 2019, www.bundestag.de). Das bedeutet, dass Themen der jungen Generationen wie Umweltschutz, Chancengleichheit oder Bildung eine kleinere Lobby innerhalb des Parlaments haben. Das Wahlrecht ab 16 Jahren wird das verändern. In Österreich ist das schon seit zwölf Jahren umgesetzt, Malta senkte vor zwei Jahren das generelle Wahlalter von 18 auf 16 Jahre.
In Deutschland sind mittlerweile in zehn Bundesländern 16- und 17-Jährige bei Kommunalwahlen wahlberechtigt. In Brandenburg, Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein dürfen sie sogar bei Landtagswahlen mitbestimmen. Um den Themen der jungen Generation mehr Gewicht zu verleihen und ein Gegengewicht zur immer größer werdenden Wählergruppe der über 60-Jährigen zu schaffen, sollte das generelle Wahlrecht ab 16 Jahren in Deutschland überall eingeführt werden. Dieser mutige Schritt hat noch einen weiteren Effekt: Wer die Gesellschaft mitgestaltet, Beschlüsse beispielsweise zu Staatsverschuldung oder Umweltschutz heute mitentscheidet und morgen auch die Folgen tragen muss, der entwickelt automatisch mehr Interesse an politischen Themen.
Skill Sharing, also das Teilen von Kompetenzen und Fähigkeiten, ist in Start-up-Teams gängige Praxis, um Projekte gemeinsam zu stemmen und zu den besten Ergebnissen zu kommen. Auch Parteien sollten die Kompetenzen ihrer Mitglieder viel mehr für sich nutzen und deren individuellen Zeitkontingente und Interessenschwerpunkte stärker abfragen und einbinden. Dem einen brennt vielleicht ein besonderes Thema unter den Nägeln, dem er sich die nächsten Monate verstärkt widmen kann, die andere möchte zwei Stunden im Monat in die Parteiarbeit investieren und zum Beispiel mit Grafikkenntnissen lokale Veranstaltungen in der Bewerbung unterstützen. Manche moderieren gerne, andere sind die perfekten DJs für Sommerfeste oder Bäcker für das Kuchenbuffet. Warum bündeln wir dieses Engagement und die Expertise des Einzelnen nicht auf einer Onlineplattform wie bei nebenan.de? Dort können die individuellen Kapazitäten und Skills abgefragt und den anderen Parteimitgliedern zur Verfügung gestellt werden (regional und überregional). Denn wenn wir ehrlich sind, wissen wir oftmals nicht, was die Leute um uns herum antreibt und was sie gut können. Lasst es uns herausfinden.
Kein Projektplan ohne Zielsetzung: Was will ich erreichen, mit welchen Methoden, in welchem Zeithorizont? Wer macht was bis wann?! Agile Ansätze und Methoden wie Timeboxing (Zeitvorgaben), Fortschritts- und Budgetkontrolle und viele mehr beziehen Veränderungen dabei von vornherein mit ein. Im politischen Alltag ist das oftmals anders. Auf Parteitagen werden vermehrt Anträge beschlossen, ohne zu klären, welche Priorität der Antrag hat und mit welchen Ressourcen er umgesetzt werden kann und soll. Das führt dazu, dass Prozesse sehr langwierig und teilweise intransparent sind, was bei Wählern und Parteimitgliedern zu Enttäuschungen führen kann. Wir setzen also zur Umsetzung auf klare Verantwortlichkeiten oder Zwischenstände zum Status quo (meistens entscheidet man als Partei im demokratischen Prozess ja auch nicht alleine). Eine digitale Antragsverfolgung, die dem Projektplan folgt, sorgt für zusätzliche Transparenz: Was wurde aus dem Beschluss, was sind die nächsten Schritte und in welchem Zeithorizont erfolgen sie?!
In einer idealen Welt spiegeln politischen Akteure alle Gruppen der Gesellschaft wider. Tun sie aber nicht.
Alleine bei der Bildung geht die Schere weit auseinander. Aktuell sitzen im Parlament sehr viele Juristen, Mediziner und Lehrer und sehr wenig Frauen, Nicht-Akademiker, junge Menschen und solche mit Zuwanderungsgeschichte.
Die Parteien brauchen transparente Talentförderprogramme für den politischen Nachwuchs. Es muss klare Perspektiven für junge und neue Talente geben, die Verantwortung übernehmen und gestalten möchten. Politische Parteien werden sich wie Unternehmen um die passendsten Köpfe bemühen und sie motivieren, sich aufstellen zu lassen. Um Platz zu schaffen für Vielfalt sollten sich die Parteien verpflichten, nach einer bestimmten Laufzeit Posten zu tauschen. Ja, die Frauenquote wird auch in der Wirtschaft kontrovers diskutiert. Aber sie sorgt dafür, dass sich in den Führungsriegen, Vorstands- und Aufsichtsratsetagen schneller etwas bewegt. Einige Parteien – wie die SPD – arbeiten schon mit verbindlich quotierten Wahllisten. Dort liegt der Anteil der weiblichen Abgeordneten inzwischen bei rund 43 Prozent. In der CDU/CSU machen die Frauen nur ein Fünftel der Abgeordneten aus, bei der AfD sind es gar nur knapp 11 Prozent (www.bundestag.de). Ein Paritätsgesetz, das nur Parteien mit quotierten Listen an Wahlen teilnehmen lässt, kann hier schnell für Veränderung sorgen.
Unsere Wirtschaft braucht Start-ups, um innovations- und zukunftsfähig zu bleiben. Unsere Politik braucht sie auch – nicht nur um neue Arbeitsplätze zu schaffen, sondern um von ihnen zu lernen. Start-ups sind innovationsfähig, reagieren schnell und setzen Projekte kundenzentriert um. Sie haben flache Hierarchien, (meist) transparente Prozesse und teilen Kompetenzen und Erfahrungen. Sie probieren Neues aus und iterieren nach ersten Erfahrungen.
Wie ein Gründer müssen die Parteien nun mutig den ersten Schritt gehen, um die Zukunft innovativ zu gestalten.
MEINE ZUKUNFTSBAUSTEINE
Die Politik spiegelt alle gesellschaftlichen Schichten und Gruppierungen wider.
Gewählt wird künftig ab 16. So stellen wir sicher, dass die Themen der jungen Generation auf der politischen Agenda landen.
Eine politische Onlineplattform bündelt die unterschiedlichsten Interessen und ermöglicht es jedem, an den Themen mitzuarbeiten, die für ihn relevant sind.
Parteien nutzen Start-up-Strategien für sich, werden agiler und zeigen so klar und transparent, wie ihre politischen Ideen wirken.
VERENA HUBERTZ ist studierte Betriebswirtin und Gründerin des Berliner Start-ups Kitchen Stories, das 50 Mitarbeiter*innern beschäftigt. Die beliebte videobasierte Kochplattform wird monatlich millionenfach genutzt und wurde von Apple und Google als eine der besten Apps ausgezeichnet. Verena hat beschlossen, Kitchen Stories zum Jahresende 2020 zu verlassen, um sich für das SPD-Bundestagsmandat in ihrer Heimat Trier zu bewerben. In der SPD engagiert sich Verena schon seit über zehn Jahren aktiv und hat als eine der Initiator*innen im Jahr 2017 die Erneuerungs-Initiative SPD++ ins Leben gerufen. SPD++ hat sich zum Ziel gesetzt, die SPD jünger, digitaler, weiblicher und vielfältiger aufzustellen. Diese und viele weitere Ideen möchte Verena nun aktiv in der Politik voranbringen. Zudem engagiert sich Verena im Ortsverein SPD Alexanderplatz, in der Programmkommission zur Landtagswahl 2021 in Rheinland-Pfalz sowie in der Organisationspolitischen Kommission des SPD-Parteivorstandes.