Die Europäische Union 2030: Vorreiter durch Überzeugung

MARIE-CHRISTINE OSTERMANN

Unsere Zukunft wird politisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich zunehmend davon abhängen, wie sich die Europäische Union entwickelt und im Wettbewerb der Systeme positioniert.

Eine generelle Erfolgsformel gibt es nicht: Weder ist die EU dafür verantwortlich, was alles nicht rundläuft in Europa, noch würde alles besser, wenn wir die Verantwortung der Mitgliedstaaten weitgehend beiseitewischen und die Kompetenzen für die Reglung weiterer Lebensbereiche allein in die Hände der EU legen.

Europa hat mehr denn je die Chance, als modernes Staatenbündnis für die Herausforderungen des Jahrtausends die fortschrittlichsten Lösungen zu präsentieren.

Die EU von heute: flexibel, gemeinschaftlich und verstanden

Eine flexible EU von heute hat aufgegeben, der überholten Formel hinterherzulaufen, nach der sich eine starke Position im globalen Mit- und Gegeneinander erst aus besonders starker Zentralität ableiten lässt. Stattdessen nutzt sie die Chance, den Mehrwert gemeinsamer europäischer Lösungen für die Bürger*innen greifbar zu machen. Im Ergebnis ist die EU nach innen gefestigt und überzeugt nach außen. Unternehmen können in Europa unter Einhaltung fairer und realitätsnaher Standards mit maßvollen Abgaben und schlanker Bürokratie produzieren. Weil der Standort und der europäische Konsumentenmarkt attraktiv sind, kann Europa anderen Wirtschaftsmächten wie China auf Augenhöhe begegnen und souverän über Voraussetzungen für Investitionen sprechen.

Die Regierungen der Mitgliedstaaten, vor allem aber die Menschen, stimmen gemeinschaftlichen europäischen Lösungen aus Überzeugung zu. Europäische Regelungen, die keiner versteht und deren Zustandekommen nur wenige erklären können, weil sie gemeinsam mit anderen Themen im Rahmen von package deals verhandelt wurden, gehören der Vergangenheit an. Dadurch hat der Zuspruch der Bürger zur EU neue ungekannte Rekordhöhen erreicht.

Für viele neue Herausforderungen liefert das europäische Miteinander mittlerweile viele gute Ansätze. Gute europäische Vorhaben lösen die positiven ökonomischen und politischen Skaleneffekte aus, die viele schon lange von einem Zusammenschluss von 450 Millionen Menschen erwartet haben. Worin das Plus einer gemeinschaftlichen Lösung besteht, kommt endlich bei den Bürgern an. Auch weil die EU-Kommission ihrer fortlaufenden Mammutaufgabe nachkommt und erklärt, dass die EU ist kein Selbstzweck ist.

Dabei gilt: Die EU muss den Menschen Nutzen bringen. Jede europäische Maßnahme, die zu mehr Wohlstand oder mehr Frieden führt, hat breite Unterstützung verdient. Für die Politik bedeutet dies aber auch, dass die EU die Finger von den Themen lassen muss, bei denen es keinen grenzüberschreitenden Mehrwert gibt.

Erst mal machen

Genug zu tun gibt es allemal. Die internationalen und globalen Herausforderungen sind nur im europäischen Kontext zu meistern. Kein Mitgliedstaat der EU hat zum Beispiel eine Chance, sich auf eigene Faust für fairen und freien Handel mit anderen Wirtschaftsmächten zu messen. Die EU, die einst Gefahr lief, sich im Klein-Klein zu verzetteln, hat sich thematisch fokussiert.

Europa kann deshalb für die wichtigen zukunftsweisenden Politikfelder die beste Organisation der Zusammenarbeit liefern. Dabei hat sie sich einen Ruck gegeben und die zermürbende Suche nach der »One size fits all«-Lösung aufgegeben. Denn wie im richtigen Leben gilt auch für 27 unterschiedliche Länder, dass der Durchschnitt keinem so richtig passt und nur wirklich wenige glücklich macht.

Die EU hat sich von einem unternehmerischen Impuls lenken lassen und das »Erst mal machen!« nach vorne gestellt.

Inzwischen starten gemeinsame Projekte auch dann, wenn weniger als 27 EU-Mitglieder dabei sind. So haben eine Hand voll Mitgliedstaaten beschlossen, ein grenzüberschreitendes Energienetz zu errichten, ohne dadurch die Rechtsgemeinschaft und -einheit der Europäischen Union zu schwächen.

Weil das gemeinsame Projekt eine Erfolgsstory ist, gibt es Nachzügler, die der Projektgemeinschaft beitreten wollen. Wo früher durch Zwang Push-Faktoren die Skepsis an der EU wachsen ließen, erhöhen heute Pull-Faktoren einer Option die Zustimmung zur EU.

Verharrungskräfte und Zukunftsängste müssen auch heute noch bei den Bürger*innen und Regierungen überwunden werden. Dies gilt umso mehr, je zukunftsweisender ein Thema ist.

Europa kommt mit seiner anpassungsfähigen Strategie unterm Strich schneller vom Fleck und facht gleichzeitig den Wettbewerb der Ideen an.

Die Zukunftsbausteine, die wir flexibel voranbringen müssen, liegen auf der Hand. Europa hat den Ansporn, klug, weltoffen und nachhaltig zu sein.

Europa investiert in Bildung und wird klug

Europa hat endlich erkannt, wo seine stärkste Ressource liegt: Es investiert in die Köpfe und hat Ausbildung und Wissenschaft zu einem zentralen Thema gemacht. Dadurch haben wir junge Menschen, die so gut ausgebildet sind, dass ihr Know-how überall in der EU und auf der Welt gefragt ist. Weil fremde Sprachen auch immer noch ein großes Hemmnis sind, sich auf den Weg zu machen, übernimmt die EU die Lehrkosten der ersten Fremdsprache. Die Bildungshoheit der Mitgliedstaaten tastet sie dabei nicht an.

In der Wissenschaft gibt es keine nationalen Grenzen mehr, und immer mehr Forschungsnetzwerke kommen aus Europa. Weil die Ressourcen besser gebündelt werden, ist internationale Spitzenforschung »Made in Europe« selbstverständlich. Neue Wissenschaftsprogramme wurden aufgelegt, von denen man nach Auslaufen guter Ansätze, wie dem von »Horizon 2020«, einem EU-Förderprogramm für Forschung und Innovation, das von 2014 bis 2020 lief, nur träumen konnte.

Europa macht Ernst mit dem Klima

Eng verknüpft mit weltweitem Handel ist die Bekämpfung des Klimawandels. Die EU hat dafür die richtigen marktwirtschaftlichen Anreize geschaffen und so die CO2-Emissionen in Europa drastisch reduziert. Nachdem der Green Deal anfangs drohte, zu einem ineffektiven Durcheinander vieler Maßnahmen zu werden, hat man sich klugerweise auf eine transparente Bepreisung von CO2-Emissionen in allen Bereichen des Lebens geeinigt. Hochinnovative Unternehmen nehmen am CO2-Zertifikatehandel teil. Dadurch werden, wenn irgend möglich, Schadstoffe vermieden oder zu realistischen Preisen durch Klimaschutzprojekte kompensiert. Europa zeigt der Welt, dass Ökologie und eine prosperierende Ökonomie Hand in Hand gehen.

Die EU ist flexibel zusammengewachsen und hat bürokratischen Ballast abgeworfen. Weil die EU mit den besten Lösungen für kluge und freiheitliche Köpfe zum Vorreiter geworden ist, haben wir die Schicksalsgemeinschaft Europa, zusammengeschweißt durch den Euro oder durch gemeinsame Schulden, hinter uns gelassen.

Europa ist eine wissensbasierte Wirtschaftsmacht, die endlich das Potenzial ihrer soziokulturellen Vielfalt nutzt.

MEINE ZUKUNFTSBAUSTEINE

  1. Die Europäische Union kommt voran, weil sie zu einer Macherin geworden ist. Gute Projekte werden auch dann umgesetzt, wenn nicht alle Mitgliedstaaten dabei sind.

  2. Europa investiert in Bildung und avanciert zum Wissensstandort Nummer eins.

  3. Marktwirtschaftliche Anreize sorgen in Europa endlich für Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeit wird damit zu einem weltweiten Wettbewerbsvorteil.

MARIE-CHRISTINE OSTERMANN ist geschäftsführende Gesellschafterin des Lebensmittelgroßhändlers Rullko Großeinkauf GmbH & Co. KG und führt seit dem Jahr 2006 das Familienunternehmen in vierter Generation. Von 2009 bis 2012 war sie Bundesvorsitzende des Verbandes Die Jungen Unternehmer und ist seit 2013 Mitglied des Präsidiums von Die Familienunternehmer e. V. Von Juni 2010 bis September 2013 gehörte sie dem Mittelstandsbeirat des Bundeswirtschaftsministeriums an und ist seit Juli 2010 Aufsichtsratsmitglied der Optikerkette Fielmann AG. Ostermann absolvierte neben einer Banklehre ein Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Universität St. Gallen, das sie als Diplomkauffrau abschloss. Im Jahr 2015 gründete sie gemeinsam mit anderen Unternehmern die Non-Profit-Initiative Startup Teens, die aktuell reichweitenstärkste digitale Bildungsplattform für Entrepreneurship Education und Coding für Jugendliche in Deutschland.