16.
Freitag, 20. Dezember 2019 Dresden
Marco Hantelmann flog.
Er reiste zwischen den Welten, war mal über den Wolken, dann auf der Erde, sah glitzernde blaue Seen und schneebedeckte Berge. Wenn er die Arme ausbreitete, flog er langsamer, legte er sie seitlich an den Körper, nahm er Geschwindigkeit auf.
Das fühlte sich wunderschön an, und er wäre gern ewig so weitergeflogen. Nie zuvor in seinem Leben hatte er sich leichter, freier und glücklicher gefühlt.
Doch etwas rüttelte an ihm, wollte ihn aus dem Himmel reißen und sein Glück beenden. Er spürte ein Zerren und Ziehen an den Füßen, konnte sich noch eine Weile dagegen wehren. Doch dann fuhr ein kurzer, furchtbarer Schmerz durch seinen Körper und beendete den Flug.
Marco stürzte zu Boden.
Als er die Augen aufriss, sah er über sich eine weiße Decke oder den Himmel, er wusste es nicht.
Immer noch dieses Zerren und Ziehen an seinen Beinen.
Warum ließen sie ihn nicht fliegen?
Er wollte doch unbedingt.
»Lasst mich los, ich will nicht hier sein.«
Ob Marco das wirklich sagte oder nur dachte, er wusste es nicht. In seinem Kopf war seine Stimme sehr real, aber der Befehl änderte nichts. Weiterhin zerrte es an ihm.
Ärgerlich, wütend gar, hob Marco den Kopf, um nachzuschauen, wer da so hartnäckig an ihm hing.
Es dauerte einen Moment, bis er begriff, was er sah.
Seinen Körper.
Nackt.
Mit irgendwelchen schwarzen Bändern ans Bett gefesselt, damit er nicht wieder aufsteigen und wegfliegen konnte.
Ein Fuß fehlte.
Der rechte.
Nur ein Stumpf dort, wo er hätte sein sollen, und sein Blut sprudelte nur so aus der Wunde.
Über den linken Fuß beugte sich jemand, der ebenfalls nackt war. Hoch konzentriert arbeitete er sich mit einem silbernen, scharfzackigen Draht, dessen Enden er in seinen Händen hielt, durch Marcos Knochen. Dies war das Zerren und Ziehen, das er die ganze Zeit gespürt hatte.
Warum tut das nicht viel mehr weh?, fragte sich Marco.
Und was will der mit meinen Füßen?
Er wollte die Person anschreien, aber dafür reichte seine Kraft nicht mehr. Marco spürte, wie sein Körper immer leerer und leerer wurde, so, als fließe alles, was er je gewesen war, aus ihm heraus.
Das war ein schlimmes Gefühl.
Er wünschte sich nur noch, wieder fliegen zu können.
Fliegen … fliegen … fliegen.