11.
Jennyfer Schumacher bekam kaum Luft.
Ihre Nase war zugeschwollen, über ihrem Mund lag ein fester Knebel aus Stoff, und bei jedem mühsamen Atemzug dachte sie, ersticken zu müssen. Sie kämpfte, rieb sich das Gesicht am Oberarm, bis sie den Knebel so weit verschoben hatte, dass sie durch den Mund atmen konnte, erst dann beruhigte sie sich etwas.
Dasselbe versuchte sie mit dem groben Stoffstreifen, der fest um ihren Kopf gewickelt war und auf die Augäpfel drückte, doch es gelang ihr nicht. Er bewegte sich nicht. Da sie nichts sehen konnte, musste sie sich auf ihre anderen Sinneswahrnehmungen verlassen.
Sie lag auf etwas Weichem, vielleicht einer Matratze, von der ein übler Geruch aufstieg, sobald sie sich bewegte, so intensiv, dass sie ihn sogar mit ihrer geschwollenen Nase wahrnahm. Jenny hatte dergleichen nie zuvor gerochen.
Beine und Füße konnte sie frei bewegen, doch die Arme waren hinter dem Kopf gefesselt. Wenn sie sie bewegte, schabte Metall an Metall. Ihre Schultern schmerzten aufgrund der überdehnten Haltung, ein Zeichen dafür, dass sie schon länger in dieser Position lag.
Marco, schoss es ihr durch den Kopf.
Sein Auto, der plötzliche Gewaltausbruch …
Er hatte sie brutal gegen das Armaturenbrett und die Seitenscheibe des Autos geschlagen, bis sie kaum noch bei Bewusstsein gewesen war. Sie erinnerte sich, dass er auf einen Rastplatz abgebogen und es dort zu einem Kampf gekommen war.
Die Spritze … die Nadel in ihrem Bein …
Und dann?
Nichts mehr.
Wo war Marco? Was hatte er mit ihr vor?
Gab es ihn doch, den Mörder, der Leichenteile in Fernbussen hinterließ? War er das?
Und Marco hatte ihr auch noch vorgespielt, er habe Angst vor diesem Irren. Was für ein gutes Gefühl es gewesen war, ihn beruhigen zu können, mutiger zu sein als ein Mann. Er hatte sie in die Irre geführt, und mit ihrer verdammten Hilfsbereitschaft war sie ein leichtes Opfer für ihn gewesen. Aber es war ja nicht nur ihre Hilfsbereitschaft gewesen, die es ihm so leicht gemacht hatte. Nein, sie war drauf und dran gewesen, sich in diesen schüchternen, unsicheren Mann zu verlieben. Wie hatte sie sich nur so täuschen können? Er war nett gewesen, hatte ihren Lieblingssong toll gefunden und die Augen geschlossen, während er ihm gelauscht hatte. So etwas taten doch keine irren Serienmörder!
Wie es aussah, wohl doch.
Weil es eben doch die netten Typen von nebenan waren, nicht die brutalen Typen, vor denen sie ohnehin einen großen Bogen machte.
Jenny wusste, wenn sie nicht zerstückelt in irgendeinem Koffer landen wollte, musste sie hier weg.
Nur wie?
Sie versuchte, mit den Fingerspitzen an die Augenbinde heranzukommen, aber obwohl Jenny durch jahrelanges Yoga in solchen Bewegungen trainiert war, gelang es ihr nicht.
Sie hielt inne, dachte nach.
Wenn es ihr gelänge, die Stiefel und die Socken abzustreifen, könnte sie es mit den Füßen versuchen. Beim Yoga schaffte sie es mit ein bisschen Hilfe der Hände mühelos, den Fuß hinter den Kopf zu bringen, da sollte es doch dafür reichen, sich mit dem großen Zeh die Augenbinde vom Gesicht zu reißen.
Bevor sie sich damit beschäftigen konnte, hörte Jenny etwas.
Sie verharrte, lauschte, war sich nicht sicher, ob sie sich nicht getäuscht hatte, doch dann wiederholte sich das Geräusch.
Sie war nicht allein.
Jemand befand sich mit ihr in diesem Raum.