16.
Samstag, 21. Dezember 2019 Dortmund
Der PC in Elke Krögers Reisebüro war aufgeteilt, es gab einen dienstlichen und einen privaten Bereich. Der dienstliche Teil der Festplatte war nicht durch ein Passwort geschützt, der private schon. Wenn sie von Natur aus leichtsinnig gewesen wäre oder sich überhaupt keine Gedanken um ihre Datensicherheit gemacht hätte, wären beide frei zugänglich gewesen. Daher gingen Rica und Jan davon aus, dass Elke Kröger im Privatleben etwas zu verheimlichen hatte.
Und sie hatte sich entschieden, diese Geheimnisse zu verteidigen. Rica konnte den Passwortschutz nicht überwinden, jedenfalls nicht ohne größeren Aufwand und mehr Zeit.
Deshalb war sie auf Jans Anraten zunächst auf den dienstlichen Teil der Festplatte ausgewichen. Vielleicht, so Jans Gedankengang, gab es dort etwas zu finden, was Elke nicht als schützenswert eingestuft hatte, ihnen aber trotzdem weiterhalf.
»Okay«, sagte Rica leise. Sie flüsterten, weil sich Karl-Otto Kröger noch immer im Hinterzimmer befand und seine Büroarbeit erledigte. »Nehmen wir mal an, Elke und Ulf sind ein Paar, versuchen aber, es vor ihrer Familie geheim zu halten. Wo trifft man sich?«
»In der Villa der Krögers sicher nicht«, sagte Jan. »Vielleicht hier im Büro?«
Rica verzog das Gesicht. »Wüsste ich nicht, dass du im tiefsten Inneren deines Herzens ein hoffnungsloser Romantiker bist, ich würde dir jetzt den Laufpass geben.«
Der Blick, mit dem sie die heruntergekommenen Büroräume musterte, sprach Bände, und Jan musste zugeben, dass sie wohl nur im Zustand äußerster Erregung für einen One-Night-Stand infrage kamen.
»Hotel«, schlug er deshalb vor.
Die nächsten zehn Minuten verbrachte Rica damit, in dem System des Reisebüros Hotelbuchungen auf den Namen Elke Kröger oder Ulf Wolters zu suchen.
Nichts.
Dann war die Mailkorrespondenz dran. Nicht eine einzige Mail war privater Natur, aber es waren einige an Ulf Wolters dabei. Adressiert waren sie an UlfWolters@Gloria.Versicherung.de. Der Inhalt war rein geschäftlicher Natur. Es fanden sich Terminabsprachen im Reisebüro, die allerdings bereits zwei Monate zurücklagen. Kein Halbsatz, kein Wort wies darauf hin, dass die beiden ein Paar sein könnten.
»Scheiße«, sagte Jan irgendwann. »Wir kommen so nicht weiter.«
Jan war bei Computerrecherchen nicht sehr ausdauernd. Das hektische Klicken nervte ihn, und er brauchte einfach zu lange, um Informationen aufzunehmen. Wenn Rica mit einem Text bereits fertig war und weiterklickte, hing er noch mittendrin. Deshalb wurde ihm oft schlecht, wenn er ihr bei der Arbeit über die Schulter schaute.
»Nicht so eilig«, sagte Rica. Sie war ganz in sich gekehrt und arbeitete hoch konzentriert. Jan hatte sie oft so erlebt, er wusste, früher oder später würde sie etwas finden oder mit genügend Zeit auch das Passwort knacken, aber im Hinterzimmer hockte Kröger, und da draußen mordete ein Irrer Buspassagiere im Tagesrhythmus. Sie hatten keine Zeit.
»Sollen wir den PC mitnehmen?«, fragte Jan.
Rica schüttelte den Kopf.
»Warte mal«, sagte sie leise und klickte so wild herum, dass Jan den Blick abwenden musste. Er sah durch die große Schaufensterscheibe hinaus. Es hatte wieder zu schneien begonnen, und ganz so, wie es der Wetterdienst angekündigt hatte, kam jetzt noch kräftiger Wind dazu. Die Schneeflocken stoben um die Hausecke. Jan mochte es, wenn das Wetter extrem wurde und die Menschen die Kontrolle verloren. Nicht planbare Situationen faszinierten ihn seit jeher, sich ihnen zu stellen, hatte er jahrelang trainiert. Solche Herausforderungen machten ihm keine Angst.
Die Herausforderungen, die ein Leben mit Rica an seiner Seite mit sich brachten, schon eher. Er war nicht länger allein, nicht mehr nur für sich verantwortlich, und er spürte viel zu oft, wie sehr ihm der Gedanke, sie zu verlieren, an die Nieren ging und Konzentration kostete. Seine Entscheidung, Rica hinter seine Mauern zu lassen, war endgültig. Sie war seine Frau. Und gleichzeitig seine Blöße. Er war verwundbar geworden, und wenn das jemand herausfand, würde es ausgenutzt werden. Jan wusste, früher oder später würde das passieren.
»Dieser Kommissar hat gesagt, es wurde ein Busticket für den Youbus auf den Namen Ulf Wolters gekauft, nicht wahr?«, sagte Rica und riss Jan aus seinen Gedanken.
»Ja.«
»Jetzt schau dir an, was ich hier gefunden habe. Eine im System hinterlegte Buchung für ein Youbus-Ticket für die Fahrt von Dortmund nach Bremen am 17. Dezember. Gebucht auf den Namen Ulf Wolters.«
Rica fuhr mit dem Mauszeiger über die betreffende Stelle.
»Okay, dann hatte der Kommissar recht, und wir wissen jetzt, dass Elke die Karte gebucht hat. Was einmal mehr auf eine private Beziehung hinweist. Und jetzt?«
»Das habe ich mich auch gefragt und mich noch ein bisschen weiter umgeschaut. Es gibt eine Onlinebuchung für ein Taxi für denselben Tag, eine halbe Stunde vor Abfahrt des Busses. Irgendwie muss Wolters ja zum Busbahnhof gekommen sein.«
»Wenn Elke ihn nicht mitten in der Nacht fahren konnte und nicht riskieren wollte aufzufliegen.«
»Die Frau muss eine Heidenangst haben vor ihren Geschwistern«, sagte Rica.
»Eine merkwürdige Familie, zugegeben.«
»Was ist denn das? Schau mal! Elke hat ein weiteres Ticket gebucht. Für den 27. Dezember, auf ihren eigenen Namen. Von Dortmund nach Bremen.«
»Sie wollte Ulf hinterherreisen?«
»Sieht so aus. Aber weißt du, was wirklich interessant ist? Die Adresse, die sie für die Taxibuchung angegeben hat.«
»Für Ulfs Taxi?«
»Und für ihr eigenes. Die Adresse ist nicht in Altena, sondern hier in der Stadt. Keine zehn Minuten entfernt.«