Zwergenmagie. Für Elfen ist sie so fremd und schwer zu begreifen ‒ wie wahrscheinlich auch umgekehrt ein Zwergenmagier Mühe haben dürfte, einen einfachen Windzauber zu verstehen oder eine Beschwörung der Kraft, die Bäume wachsen und Korn gedeihen lässt.
Trond Hammerschlag besaß ebenso magische Fähigkeiten wie mein Herr, Auberon. Das war eine Gemeinsamkeit unserer beiden verfeindeten Völker: Nicht nur die Zauberer, sondern jede Elfe, jeder Zwerg konnte in einem gewissen, begrenzten Rahmen Magie wirken. Ich weiß, dass dies nicht bei allen Völkern der Fall ist. Menschen und Trolle zum Beispiel waren entweder vollwertige Zauberer oder besaßen überhaupt kein magisches Talent.
Deshalb arbeiteten Trond und Auberon auch einen Teil des folgenden, langen Tages zusammen mit mir und Tronds Gelehrten an der Frage, wo die Quelle der Dämonentore verborgen lag.
Trond entpuppte sich als recht geschickter Spiegelmagus. Auberon, dessen Talent in der Beschwörung lebender Kräfte lag (er war der einzige männliche Elf, von dem ich wusste, dass er jemals auf einem Einhorn geritten war, was sonst nur Elfenfrauen vorbehalten war), zeigte sich davon überaus fasziniert. Spiegelbeschwörungen sind keine Form der Elfenmagie. Stein und Mineral, Hitze und Erde, das sind Zwergenelemente. Wenn ein Elf Spiegelmagie ausüben will, muss er das an einem stehenden Gewässer tun, aber das ist eine fragile und unsichere Art, zu einem Ergebnis zu kommen.
Immerhin, mir gelang es einmal für einen Augenblick, ein Bild aus dem Spiegel zu beschwören. Dummerweise war meine Konzentration offenbar abgelenkt worden, denn ich schaute in das Gesicht von Dainas Tochter, die sich gerade mit ihrem Hauslehrer unterhielt. Das Bild verschwand im gleichen Atemzug wieder, die Oberfläche des Spiegels trübte sich ein und wollte nicht wieder klar werden. Ich gab ihn mit einem resignierten Seufzer an seinen Besitzer zurück und erklärte, dass dies wohl nicht meine Methode sei, irgendwelche Erkenntnisse zu erlangen.
Den oder die Urheber der Dämonentore ausfindig zu machen, entpuppte sich als schweißtreibende, langwierige und entsetzlich anstrengende Arbeit. Irgendwann zogen Trond und Auberon sich zurück und vertieften sich in ein langes Gespräch, bei dem es, nach ihren Mienen zu urteilen, um schwerwiegende Dinge ging.
Ich mühte mich derweil mit unserer Aufgabe ab. Tronds Gelehrte, die im Laufe des Tages aufgehört hatten, mich mit misstrauischen und feindseligen Blicken zu bedenken, entpuppten sich als kluge und erfindungsreiche Köpfe, denen schließlich sogar ein kleiner Erfolg beschieden war. Der junge Magier, der mir schon zu Beginn durch seinen wachen, freundlichen Blick aufgefallen war und der sich auffällig um meine Gesellschaft bemühte, tat einen erfreuten Ausruf und weckte damit den alten Arve aus seinem Nickerchen.
Die anderen Gelehrten ließen ihre Gerätschaften, Bücher und Spiegel stehen und liegen und scharten sich um ihn. Ich hörte sie murmeln und debattieren, dann löste sich der junge Zwerg aus ihrer Mitte und kam zu mir.
»Ich denke, ich habe etwas gefunden«, sagte er. Mit einer kontrollierten Geste beschwor er den kleinen Spiegel, den er in der anderen Hand trug, und legte ihn dann vor mich hin. »Schau«, sagte er. »Ich habe mir gedacht, es wäre vielleicht nützlich, nach einer Ansammlung von Steinen statt nach einem einzelnen zu suchen. Und hier bin ich auf etwas gestoßen, das seltsam aussieht.«
Ich muss gestehen, dass ich in der Spiegelfläche nichts erkennen konnte, was mir irgendeinen Aufschluss gegeben hätte.
Trond, der von der Unruhe an den Tisch gelockt worden war, schob mich ohne Umstände beiseite und schaute in den Spiegel. Er verharrte einige Atemzüge lang, dann richtete er sich auf und kratzte sich am Kinn. »Seltsam«, sagte er.
»Sehr seltsam«, bestätigte der alte Arve Sägezahn, der herbeigehumpelt war und sich schwer atmend am Tisch abstützte. Er hustete und fügte hinzu: »Dieses Bild kommt nicht aus dem Zwergenreich. Und das Merkwürdige ist, dass es gebundene Steine zu sein scheinen, die Vetle Steinhauer (das war der junge Zwergenmagier) da gefunden hat.«
Der Zwergenkönig nickte. »Nur gebundene Steine können mit solcher Genauigkeit im Spiegel gefunden werden. Und nur ein Zwerg vermag einen Stein an jemanden zu binden. Es tut mir leid, mein Junge, aber du musst da ein paar von unseren eigenen Leuten aufgespürt haben.«
Ich konnte dem jungen Magier ansehen, wie schwer es ihm fiel, seinem König und dem alten Arve zu widersprechen. Er räusperte sich ein-, zweimal und sagte dann etwas zu laut: »Nein, bitte. Vergebt mir, dass ich es mir gestatte, anderer Meinung zu sein. Diese Steine gehören keinem Zwerg.«
Die Gespräche und leisen Diskussionen der anderen Gelehrten verstummten. In die jähe Stille fielen die nächsten Worte Vetles: »Ich denke, dass es sich um drei Steine handelt. Zwei davon kann ich nicht klar zuordnen. Einer könnte möglicherweise ein Zwergenstein sein, aber sein Signal ist eigenartig undeutlich. Möglicherweise ist sein Besitzer nicht mehr am Leben.«
Das Gemurmel setzte wieder ein. Die Gelehrten begannen hitzig, die Worte des jungen Magiers zu diskutieren.
Trond winkte Vetle und Arve zu sich und gab auch mir ein Zeichen, mich zu ihnen zu gesellen. Auberon stand schweigend und lauschend bei uns. »Also, jetzt Wasser auf den Stein«, sagte Trond scharf. »Mein Junge, ich verlange, dass du uns so gut du kannst erklärst, was du zu erkennen glaubst.«
Vetle erbleichte, aber er wankte nicht. »Drei Steine«, wiederholte er. »Sie sind gebunden. Aber sie sind nicht in Zwergenhand, soweit ich das beurteilen kann. Bei zweien davon bin ich mir vollkommen sicher, der dritte ist fraglich.«
»Gebundene Steine, aber nicht in Zwergenhand!« Arve Sägezahn lachte rasselnd. »Junger Zwerg, du hast Hirngespinste. Das kann nicht sein.«
Trond Hammerschlag war erstaunlich still geworden. Er kaute auf seiner Unterlippe herum und warf Auberon und mir unter gesenkten Lidern schräge Blicke zu. Das fiel nicht nur mir auf.
»Was denkst du, Trond?«, fragte Auberon ihn.
Der Zwergenkönig hob seufzend die Achseln. »Kennst du einen Elfen namens Farran?«
Der Name des Verräters fiel wie ein Stein ins Wasser. Ich konnte förmlich die Ringe fühlen, die er zog.
»Farran!« In Auberons Gesicht zog ein Gewitter auf. Sein Blick schnellte zu mir, blitzend, drohend.
Ich hob beide Hände. »Farran ist gebannt«, sagte ich eilig. »Schau mich nicht so an, Auberon. Ich habe die Verbannung vollzogen und dich nicht hintergangen.«
»Nein, nein«, beeilte sich Trond zu rufen, der das aufziehende Unheil erkannte. »Es ist nicht Farran selbst, der mir in den Sinn kommt. Er hat einen Sohn.«
Das waren keine Worte, die Auberons Gemüt besänftigen konnten. »Farrans Sohn!«, grollte er nur, und dann entlud sich das Gewitter über meinem armen, ungeschützten Haupt.
»Ho, Ruhe!« Nun donnerte auch Trond Hammerschlags Stimme durch den Raum. Wieder wandten sich uns alle Köpfe zu, wieder verstummten alle Gespräche.
»Ich weiß nicht, was du mit Farran und seinem Sohn zu schaffen hast«, sagte Trond etwas leiser. »Aber ich habe Farran als einen klugen, wenn auch hitzköpfigen Mann kennen und schätzen gelernt. Er mag in manchem etwas unbesonnen sein, aber in ihm ist keine Bösartigkeit.«
Tronds Worte ließen Auberon für einen kurzen Moment verstummen. Dann schob er eigensinnig das Kinn vor und konstatierte: »Das sehe ich allerdings ein wenig anders.« Er wandte sich ab, und ich konnte erkennen, dass er sich um Fassung bemühte. »Also gut, wir werden das später besprechen«, sagte er zu mir. »Es gibt nun Dringlicheres. Was ist mit Farrans Sohn?«
Trond drehte unbehaglich den Kopf. »Ich habe ihm einen Sternenstein gegeben«, gab er ein wenig kleinlaut zu.
»WAS hast du?« Der alte Arve Sägezahn traute seinen Ohren nicht. Er legte die Hand hinter seine Ohrmuschel und neigte sich vor. »Kannst du bitte wiederholen, was du gerade gesagt hast? Ich habe dich nicht richtig verstanden.«
»Doch, das hast du«, versetzte der König grimmig.
»Du hast einem Elfen einen Sternenstein gegeben?« Arve schnappte nach Luft, dass sein weißer, ein wenig schütterer Bart zitterte wie Laub im Sturm. »Einem Elfenjungen?«
»Bei Orrins Augenklappe«, fluchte Trond, »das ist doch wohl meine Sache, Arve Sägezahn!«
Der alte Zwerg hob die Hand und fuchtelte mit dem Zeigefinger vor Tronds Nase herum. »Du bist ein Krieger, kein Gelehrter«, fauchte er. »Du kannst so etwas nicht einfach über unsere Köpfe hinweg tun, Trond Hammerschlag! Und wenn du tausendmal der König bist.«
In Tronds Gesicht braute sich nun eine ähnliche Gewitterwolke zusammen, wie ich sie vorhin bei Auberon erleben durfte. Ich seufzte und ging zwischen die beiden streitlustigen Zwerge. »Meine Herren«, sagte ich begütigend, »das ist doch jetzt Vergangenheit. Ivaylo hat diesen Stein in Besitz, und ich wüsste zu gerne, was das für Konsequenzen hat.«
Arve stieß laut und einigermaßen despektierlich die Luft aus. »Konsequenzen«, schnaubte er. »Oh ja, die muss eine solche unbesonnene Tat allerdings haben. Das erleben wir ja jetzt! Ein ungeschulter Elfenjunge läuft mit einem Sternenstein herum und stellt Dummheiten damit an.«
»Ich glaube kaum, dass Farrans Sohn herumläuft und Dämonentore öffnet«, gab Trond Hammerschlag zurück. »Ich habe ihn damals nicht in die Verbindung einweisen können. Er wird kaum mehr als rudimentäre Fähigkeiten entwickelt haben, mit seinem Stein umzugehen. Es grenzt schon an ein Wunder, dass der Junge ohne weitere Unterweisung keinen Schaden genommen hat.«
Die beiden Zwerge starrten sich wütend an. Arve Sägezahn schlug als Erster die Augen nieder. Er machte eine resignierte Handbewegung. »Es ist, wie es ist. Fahren wir fort. Du sprichst von zwei oder drei Steinen, Vetle Steinhauer. Erkläre, was bringt dich zu diesem Schluss?«
Der junge und der alte Magier vertieften sich in ein Gespräch, von dem ich nur einen Bruchteil verstand. »Steinresonanz« hörte ich Vetle sagen und »Kristallschwingungen». Ich muss gestehen, dass Zwergenmagie mir manchmal wie etwas erscheint, das mit Hammer und Meißel aus dem Fels gebrochen wird.
Trond hörte den beiden Gelehrten schweigend zu, warf gelegentlich eine Frage ein, brummte zustimmend und nickte hie und da.
Dann drehte er sich zu Auberon um, der still und erstaunlich geduldig an der Tischkante lehnte, und sagte: »Ich würde dir und Munir gerne einmal zeigen, worüber wir reden. Ihr habt Dämonentore gesehen, die aus ungebundenen Steinen entstanden sind. Habt ihr jemals versucht, selbst eins zu öffnen?«
Auberon zeigte seine Verblüffung über diese Frage deutlich. Trond schaute mich an und ich schüttelte den Kopf. »Ich weiß, wie man ein solches Tor schließen kann. Es zu öffnen, liegt außerhalb meiner Fähigkeiten.«
»Nein«, widersprach Trond. »Es zu schließen, ist weitaus komplizierter. Du hast nur keine Ahnung, wie man ein Tor öffnet, aber du könntest es mit Leichtigkeit.«
Wahrscheinlich hatte er recht. Ich hatte genug damit zu tun, diese Pforten ins Dämonenreich zu versiegeln, und war schon deshalb wenig interessiert daran gewesen, auch noch an ihrer Herstellung zu arbeiten.
»Folgt mir«, befahl Trond. Er winkte Arve und dem jungen Vetle, sich uns anzuschließen, und führte uns durch eine schmale Tür hinaus in einen schlecht beleuchteten Gang.
Während er uns durch den Berg führte ‒ und schon wieder ging es abwärts! ‒, erklärte er uns in knappen Worten, wie ein Dämonentor zu öffnen war. Knappe Worte, fürwahr! Wenige trockene Sätze reichten dafür aus, und mir wurde angst und bange bei dem Gedanken, wie wenig Kunstfertigkeit für diese Tat nötig war. War es also ein Wunder, dass mein König und ich Frühling und Herbst nicht aus den Sätteln gekommen und von Tor zu Tor gehetzt waren, um dieser Plage halbwegs Herr zu werden?
»In der Regel müssen die Tore nicht geschlossen werden«, beendete Trond seine Ausführungen und blieb vor einer dicken Steintür stehen, die mit mächtigen Riegeln gesichert war.
»Sie müssen was nicht?«, fragte Auberon matt.
»Man muss sie nicht schließen«, wiederholte Trond. »Sie fallen von selbst zusammen, wenn die Trägerenergie verbraucht ist.«
Der junge Vetle mischte sich ein, und wieder folgte eine Reihe von verwirrenden, nach Äxten, Hämmern und Schmiedewerkzeugen klingenden Worten. »... und deshalb bleibt ein solches minderes Tor in der Regel höchstens einen Mond lang stabil, bevor es kollabiert«, schloss er und lächelte mich an.
»Ein Mond ‒ das ist zu lang«, mischte Auberon sich voller Ungeduld ins Gespräch. »In dieser Zeit kann alles Mögliche an Dämonengezücht hindurchgelangen und Unheil stiften.«
»So?«, fragte Trond Hammerschlag kryptisch und bedeutete dem alten Arve, die Tür zu öffnen, vor der wir standen.
Der greise Zwerg machte sich schweigend ans Werk, und ich erkannte jetzt erst, dass die schweren Riegel zusätzlich noch magisch gesichert waren. Was befand sich hinter dieser Tür?
»Das ist unsere Experimentierkammer«, erklärte mir Vetle Steinhauer leise, der meine fragende Miene richtig gedeutet hatte. »Wir arbeiten hier mit ungebundenen und ungedämpftten Steinen. Das ist wilde, ungezähmte Magie, bei der man größte Vorsicht walten lassen muss.«
Diese Aussage machte mich nicht glücklicher und auch Auberon zog ein missvergnügtes Gesicht. »Woher stammen diese Steine?«
Trond zierte sich mit der Beantwortung dieser Frage und wandte sich erleichtert zur Tür, deren Riegel gerade aufsprangen. »Gehen wir hinein«, sagte er.