BRISBANE, AUSTRALIEN
Jonathan Freeman saß in den frühen Stunden des australischen Morgens in der Funk- und Kommunikationszentrale der Canberra Shipping & Logistics. Nun absolvierte er schon in der dritten Woche die Nachtschicht, und die schlaflosen Stunden begannen, ihm zuzusetzen. Gähnend und ein Klemmbrett überfliegend – ein ziemlich drolliges Back-up für all die Computermonitore vor ihm –, vergewisserte er sich zum dritten Mal innerhalb einer Stunde, dass alle vorgeschriebenen Meldungen eingegangen waren und er nun nichts anderes zu tun hatte, als bis sechs Uhr auf seine Ablösung zu warten.
Er hoffte, dass man ihm ein Frühstück mitbrachte. Steak und Champignonpastete mit einem Korb noch warmer knuspriger Brötchen wären genau das Richtige.
»Da haben wir es wieder«, sagte er sich. »Jetzt hast du Hunger.«
Auf der Suche nach etwas, um sich vom Frühstück abzulenken, warf er einen Blick auf den Monitor, der die Wege der firmeneigenen Schiffe mithilfe der Signale ihres AIS – Automatic Identification System – verfolgte. In unterschiedlichen Fenstern des Monitors konnte er sehen, wie sie die verschiedenen Ozeane der Welt durchpflügten und genau das taten, was sie tun sollten. Alle bis auf eins, wie er in diesem Augenblick erkannte.
Gegen den Bildschirm tippend, zoomte er den westlichen Pazifik heran, wo eine kurz zuvor noch grün gewesene Linie nun bernsteinfarben zu blinken begonnen hatte.
»Was haben wir denn da?«
Abermals auf den Bildschirm tippend, rief er die ID -Daten des Schiffes auf.
»Canberra Swift «, las er laut vor. »Jetzt gar nicht mehr so schnell, oder?«
Im Informationsfenster auf dem Bildschirm war zu verfolgen, wie die Geschwindigkeit des Schiffes von fünfunddreißig Knoten auf weniger als zehn Knoten abfiel und weiter sank. Freeman verfolgte, wie das Tempo bis 9,2 Knoten absackte und dort blieb.
Indem er sich mit beiden Füßen abstieß, rollte er mit seinem Sessel zur Sat-Com-Station. Im Prinzip nicht mehr als ein zweiter Computer, weckte er den Bildschirm mit einem Fingertippen auf und suchte die richtige Vorwahl aus, um mit der Canberra Swift Kontakt aufzunehmen.
»Canberra Swift , Canberra Swift «, sagte er laut. »Hier ist Operations, was ist bei Ihnen los?«
Er rückte das schlanke weiße Plastikmikrofon vor ihm auf dem Tisch zurecht.
»Hier spricht der Erste Offizier Crawford «, antwortete eine Stimme aus den Lautsprechern. »Fahren Sie fort, Operations. «
»Wir sehen, dass Sie langsamer werden. Wir messen eine Geschwindigkeit von 9,2 Knoten. Haben Sie irgendwelche Schwierigkeiten?«
»Messung korrekt «, erwiderte die Stimme. »Wir hatten Probleme mit der Treibstoffpumpe der Gasturbine. Zurzeit benutzen wir den Diesel-Back-up. Unsere Techniker befassen sich bereits mit dem Problem. Von dort habe ich soeben die Information erhalten, dass die Reparatur des Hauptantriebs bereits im Gange ist und er in etwa einer Stunde wieder laufen wird. «
Freeman musste immer wieder über die Ruhe und Gelassenheit der Kapitäne und Mannschaften staunen. Im vergangenen Monat hatte er geholfen, ein Schiff unbehelligt durch einen Sturm der Stärke 5 mitsamt einem Wellengang, der das gesamte Deck überspülte, und einem schwergängigen Ruder zu manövrieren. Dem Tonfall des Kapitäns nach zu urteilen hatte es nach einer harmlosen vorübergehenden Störung geklungen.
»Wird vermerkt«, sagte Freeman und schrieb die Information auf sein Klemmbrett. »Soll ich San Francisco benachrichtigen und die voraussichtliche Ankunftszeit korrigieren?«
»Nicht nötig, Operations. Wir holen die Verzögerung auf, sobald das Problem beseitigt ist. «
Freeman notierte die Anweisung auf seinem Klemmbrett und trug die Uhrzeit ein. »Bestätigt«, sagte er. »Geben Sie uns Bescheid, wenn sich irgendwas ändern sollte.«
Der Erste Offizier meldete sich höflich ab, und Freeman rollte mit seinem Sessel zum Hauptcomputer zurück, in den er die erhaltenen Informationen und das Gespräch über das Keyboard eintippte.
Er saß noch immer an seiner Workstation, als eine Stunde später Signal und Signatur der Canberra Swift vom Bildschirm verschwanden.
Achttausend Seemeilen entfernt gönnte sich der Kapitän des südkoreanischen Frachters Yeongju auf der Backbord-Brückennock der Kommandobrücke seines Schiffes eine Pause. Erfahrener Weltreisender, der er war, bevorzugte er wegen ihres kräftigen Aromas indonesische Zigaretten und rauchte langsam und methodisch, um jede Phase dieses Vergnügens seiner selbst gewählten Sucht auszukosten und diesen kurzen Augenblick des Nichtstuns so lange wie möglich auszudehnen.
Er machte einen letzten Zug und schnippte die Kippe über die Reling hinaus in die Nacht. Die Glut leuchtete für einen Moment auf, angefacht von dem herrschenden Wind, ehe sie wie eine ausgebrannte Leuchtkugel verschwand.
Er war gerade dabei, den inhalierten Rauch auszuatmen, als ein doppelter Blitz den nördlichen Horizont aufhellte. Er war lautlos und funkelte. Und er hatte eine seltsame blau-weiß leuchtende Farbe.
Er flackerte nicht oder verblasste allmählich, sondern war einfach plötzlich da und gleich wieder verschwunden.
Der Kapitän blickte lange in die Richtung und bemerkte, dass der Blitz ein grünes Nachbild auf seiner Netzhaut hinterlassen hatte. Ein plötzlicher Druck in seiner Brust erinnerte ihn daran, dass er die Luft angehalten hatte. Er atmete eine Rauchwolke aus und kehrte dann auf die Kommandobrücke zurück.
»Irgendeine Wetteränderung?«, erkundigte er sich beim Rudergänger.
»No, Sir«, antwortete der Steuermann sofort. »Nicht vor morgen Nachmittag.«
Seltsam, dachte der Kapitän. Vielleicht war es das Wetterleuchten eines Wärmegewitters. Manchmal hatte die Atmosphäre die seltsamsten optischen Tricks auf Lager. »Vermerken Sie es im Logbuch«, sagte er. »Sehr heller Doppelblitz nördlich unserer momentanen Position. Entfernung unbekannt. Ursprung unbekannt.«