In Windeseile kam der Mann von CIPHER zu Kurts und Joes Kabine. Offensichtlich war er nervös. Kurt streckte ihm die Hand entgegen. Angesichts seines gleichmäßig einfarbigen Haars und seiner Bereitschaft, Kurts Hand zu ergreifen und zu schütteln, stand es für Kurt außer Frage, dass der Mann nicht Degra sein konnte.
»Tut mir leid«, sagte Kurt, »aber ich muss mit jemandem sprechen, der die vollständige Entscheidungsgewalt hat.«
Der Mann zögerte und sprach in ein Mikrofon, das mit einer Klammer am Revers seines Jacketts befestigt war, und gab sich geschlagen. »Kommen Sie mit.«
»Nein«, erwiderte Kurt. »Er muss hierherkommen, um mit uns zu reden. Hierher in unsere Kabine.«
Der Mann fühlte sich sichtlich unbehaglich. Er gab Kurts Erwiderung weiter. Ein hektischer Dialog entwickelte sich, Worte flogen hin und her, bis sich der Mann schließlich entfernte und eine hagere Gestalt mit einer weißen Strähne in seinem dunklen Haar erschien. Er blieb einige Schritte von Kurt entfernt stehen und kam nicht näher.
Kurt blickte zu Joe hinüber. »Dies ist vielleicht eine gute Gelegenheit für dich, dir den Laden ein wenig genauer anzusehen.«
Joe erhob sich, bot Degra seinen Platz an und begann mit seinem Rundgang.
Degra blickte auf den Sitzplatz, blieb jedoch stehen. »Mir wurde mitgeteilt, Sie wollten sich mit mir unterhalten.«
»Über den Quellcode für die gestohlenen Computer«, sagte Kurt. »Er sollte installiert werden, sobald die Vector-Einheiten in Kalifornien eingetroffen sind. Da sie aber niemals dort ankamen, fehlt ihnen momentan alles, bis auf das grundlegendste Betriebssystem. Mit anderen Worten, sie werden niemals das leisten können, was Ihre Käufer von ihnen verlangen.«
Degra trat von einem Fuß auf den anderen, knickte aber nicht ein. »Ich versichere Ihnen, dass sich der Quellcode in unserem Besitz befindet und dem höchsten Bieter dieser Auktion vollständig übergeben wird – zusammen mit den Maschinen.« Der Mann lächelte wölfisch und entblößte dabei eine Zahnlücke, die wie eine Fortsetzung der weißen Strähne in seinem Haar erschien. »Womit Ihre Arbeitgeber genau das erhalten, hinter dem sie seit mehr als fünf Jahren her sind, daher empfehle ich Ihnen, das IPO -Geld auf jeden Fall bereitzuhalten.«
Degra hatte seine Pflichten als Kaufmann erkannt und erfüllt, was Kurt nur recht sein konnte. »Wie wäre es, wenn Sie es mir beweisen?«, fragte Kurt. »Überlassen Sie mir einen Teil des Codes, sodass ich ihn anhand der Aufzeichnungen, über die ich verfüge, testen kann? Aber bevor Sie antworten, sollten Sie sich darüber im Klaren sein, dass ich das Programm auf seine Authentizität überprüfen kann, selbst wenn niemand der hier Anwesenden dazu in der Lage ist.«
Missmutig verzog sich Degras schmales Gesicht. Seine Augen verengten sich, und seine Stirn legte sich in Falten. Offensichtlich erkannte er die doppelte Falle, die Kurt ihm gestellt hatte. Wenn er sich weigerte, eine Probe des Codes weiterzugeben, gab er damit automatisch zu, dass er nicht darüber verfügte. Und wenn er es wagen sollte, einen gefälschten Abschnitt des Codes weiterzugeben – und Kurt wäre in der Lage zu beweisen, dass er falsch war –, würde er nicht nur den höchsten Bieter verlieren, sondern möglicherweise auch noch andere, falls Kurt eine Szene machte, wenn er den Schauplatz der Auktion verließ.
Die eisige Fassade wurde brüchig. »Ich darf Sie daran erinnern, dass sich zahlreiche Bieter eingefunden haben, die die Server auch ohne die Software liebend gern übernähmen. Die Russen und die Chinesen, zum Beispiel. Sie können ganz sicher ohne Probleme ihr eigenes Betriebssystem entwickeln. Oder ganz einfach das existierende zu einem späteren Zeitpunkt in ihren Besitz bringen. Es ist die physikalische Architektur der Server und der Silikonchips, an deren Erwerb sie am meisten interessiert sind.«
Da war er endlich – der Durchbruch. CIPHER verfügte nicht über den Code. Was bedeutete, dass Kurt das Argument hatte, das er brauchte.
»Ich bin sicher, dass sie auch mit den bloßen Maschinen sehr glücklich sein werden«, räumte Kurt ein, »aber dann werden sie viel weniger dafür bezahlen. Und Sie werden bei ihnen auf der Abschussliste stehen, falls Sie sie übers Ohr gehauen haben. Glauben Sie mir, man wird sicher nicht mit ordentlichen Haftbefehlen und anderen amtlichen Schriftstücken bei Ihnen erscheinen.«
Degra schäumte. Für eine Minute sah es so aus, als würde er jeden Augenblick durchdrehen. Kurt gefährdete seinen Profit, seinen gesamten Plan, um genau zu sein. Aber er riss sich zusammen. Immerhin könnten ein Wutanfall und eine Demonstration von Gewalt in diesem Moment zu einem späteren Zeitpunkt einen Verlust von zweihundert Millionen Dollar zur Folge haben. »Sie müssen irgendeinen besonderen Grund für diese Fragen haben. Warum hören wir nicht auf, drum herumzureden, und kommen direkt zum Kern der Angelegenheit?«
Kurt zog die tragbare Festplatte aus der Tasche und legte sie auf den Tisch. »Sie brauchen den Code. Ich habe ihn. Aber er wird Sie mehr kosten als nur Geld.«
Kurt stellte sich die Gedankenkette vor, die durch den Kopf des Mannes ratterte. Hydro-Coms schärfster Konkurrent wegen geistigen Diebstahls vor Gericht. Natürlich hatten sie den Code. Sie hätten alles getan, um ihn sich zu beschaffen.
Degra riss den Blick von der tragbaren Festplatte los. »Angenommen, ich glaube Ihnen, an welcher Art von Tausch könnten Sie interessiert sein?«
Jetzt kam der heikle Teil. Kurt musste hart verhandeln, oder es sähe wie eine Falle aus. Aber zu viel zu verlangen, würde das Geschäft möglicherweise platzen lassen. »Wir bekommen zwei Maschinen für nichts. Sie verkaufen die restlichen, an wen Sie wollen. Wir kriegen fünfzehn Prozent vom Verkaufspreis direkt von hier überwiesen, sobald die Auktion abgeschlossen ist.«
Degra blickte abermals auf das Gerät auf dem Tisch. Er sabberte fast. »Meine Leute brauchen etwas Zeit, um Ihre Behauptung zu überprüfen.«
Kurt legte zwei Finger auf die Festplatte und schob sie auf dem Tisch zu Degra hinüber. »Das Passwort lautet CIPHER «, sagte er und warf einen Blick auf die tickende Uhr auf dem Bildschirm. »Sie haben sechsundzwanzig Minuten.«