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Nachdem Joe seinen Platz im linken Pilotensessel der Phantom eingenommen hatte, wandte sich Kurt nach hinten zu Yan-Lis Mutter und ihren Kindern um.

»Wir suchen uns jetzt einen sicheren Weg aus dem Victoria Harbour und treffen uns danach – sobald wir die chinesischen Hoheitsgewässer verlassen haben – mit einigen Freunden«, sagte er. »Dies wird einige Zeit dauern, daher macht es euch so bequem wie möglich.«

Yans Tochter übersetzte Kurts Worte für ihre Großmutter, während Yans Sohn Kurt mit weit aufgerissenen Augen anstarrte. Anscheinend hatte ihn irgendetwas wieder in seinen Angstzustand verfallen lassen.

»Neuer Film«, sagte Kurt. »Jules Verne. 20.000 Meilen unter dem Meer

Der Junge lachte. »Kirk Douglas und James Mason.«

»Genau«, sagte Kurt. »Nur ohne den Riesentintenfisch.«

Er setzte sich Kopfhörer auf, aktivierte das passive Sonarsystem und achtete auf alles, was der Computer möglicherweise nicht aufgezeichnet und gemeldet hatte. Er hörte eine Turbulenz auf der Backbordseite. Sie wurde auf dem Monitor als unbekannte Quelle dargestellt. Ganz gleich, welche Richtung das U-Boot auch einschlug, das Signal und seine Richtung blieben konstant. Das konnte nur eins bedeuten. Die Turbulenz wurde von der Phantom selbst erzeugt.

»Wir haben ein akustisches Leck und geben Geräusche von uns«, sagte Kurt.

»Der Bodycheck, den du den Typen in dem Motorboot verpasst hast, hat einen Teil unserer Schallisolierung beschädigt«, meinte Joe. »Aber das dürfte eigentlich kein Problem sein, solange uns niemand zu dicht auf die Pelle rückt.«

»Berühmte letzte Worte«, sagte Kurt.

Sie vollendeten den Kurswechsel nach Osten und folgten dem Hauptkanal. »Noch fünf Meilen, bis wir in tieferem Wasser sind«, sagte Joe. »In zwanzig Minuten, bei dieser Geschwindigkeit.«

Kurt lauschte angestrengt. Der Hafen erwachte zum Leben. Schiffsbewegungen, wohin man auch sah. »Für diese Uhrzeit verdammt viel Aktivität.«

»Könnte es daran liegen, dass der Hafen niemals schläft?«, fragte Joe.

Dieser Meinung war Kurt nicht. Er identifizierte die pulsierenden Schallwellen eines schnellen Patrouillenboots, das über die Wellen hüpfend auf sie zukam. Schon bald übertönten die Schallspitzen, wenn das Boot auf dem Wasser aufschlug, das stets vorhandene Hintergrundrauschen.

»Zielobjekt nähert sich von achtern«, meldete Kurt. »Mit hohem Tempo.«

»Verfolgt es uns?«

Die Tracking-Linien auf dem Monitor ließen auf einen Abfangkurs schließen, aber es bewegte sich zu schnell und zielgerichtet, um sie wahrzunehmen.

»Negativ«, sagte er. »Sie haben es nur eilig und werden uns überholen.«

»Ich kann nur hoffen, dass du recht hast«, sagte Joe. »Wir haben hier nämlich nicht allzu viel Platz zum Manövrieren.«

Der Klang der rotierenden Propeller gesellte sich als Grundton zu dem regelmäßigen Pochen, wenn das Boot auf einem Wellenkamm aufsetzte. Das Boot passierte sie, ohne sein Tempo zu drosseln, und ließ sie mit Höchstgeschwindigkeit hinter sich.

Kurt schwenkte die Sonarantenne nach Osten herum und fing Ping-Laute in größerer Entfernung auf. Im Kopfhörer klangen sie fast wie das Läuten einer Glocke.

»Neues Problem«, sagte Kurt. »Jemand setzt Sonarbojen auf dem hinteren Teil des Kanals aus und versucht, uns den Fluchtweg abzuschneiden.«

Joe runzelte die Stirn und biss die Zähne zusammen. »Ich würde ja meinen, dass wir uns keine Sorgen machen müssten, nur sind wir nicht mehr so leise wie auf unserer Herfahrt. Und angesichts der beschädigten Gelkissen würde uns nur ein einziger Ping schon verraten.«

Während Kurt sich diese Feststellung durch den Kopf gehen ließ, drang ein anderer Laut aus der Außenwelt zu ihnen. Dieser war zwar gedämpft, aber eindeutig. »Ein Helikopter beteiligt sich an der Party«, sagte Kurt. »Er wird von irgendetwas geleitet. Wahrscheinlich von einer Sonarantenne oder einem Magnetometer.«

Joe ging tiefer zum Grund des Kanals hinunter, durfte jedoch nicht riskieren, aufzusetzen und das Boot im Schlick festzufahren. »Tiefer geht es nicht mehr.«

»Stopp«, befahl Kurt. »Dreh unsere schöne Seite nach Norden.«

Joe schaltete den Antrieb aus und wendete die Phantom , während sie zum Stillstand kam. Beide Männer hielten den Atem an, als die Sonarantenne in zweihundert Metern Entfernung nördlich von ihnen passierte. Das Pingen des Senders klang kalt und durchdringend. Es wurde lauter und schriller und erschien wie ein unsichtbarer Suchscheinwerfer.

Es wanderte über sie hinweg und verhallte, während es sich nach Osten entfernte.

Joe sah Kurt von der Seite an, sagte jedoch nichts. Kurt presste die Hörmuscheln auf die Ohren und versuchte, jedes bisschen an Information aus ihnen herauszufiltern. Ohne Joe anzusehen, sagte er leise: »Dreh um. Wir müssen eine andere Ausfahrt finden.«