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KI-SONG ISLAND

Als sie an Bord der Sapphire eintrafen, hatten Paul und Gamay Trout den Eindruck, dass sie diesmal den längsten Strohhalm gezogen hatten.

»Als Operationsbasis schlägt eine Jacht jedes Unterseeboot um Längen«, hatte Paul spontan verkündet.

Aber schon am dritten Tag ihrer Expedition litten er und Gamay unter zunehmender Langeweile. Trotz der angespannten Hoffnung auf Erfolg und der Aussicht auf Ruhm und Anerkennung, die mit einer Schatzsuche gewöhnlich einhergingen, waren neunzig Prozent der damit verbundenen Aktivitäten ungefähr genauso aufregend, wie es sein mag, einen Wohnzimmerteppich methodisch nach einer verloren gegangenen Haftschale abzusuchen.

Während ihrer wiederholten Fahrten um die Insel und der Abstecher in die Bucht setzten sie alle möglichen Sensoren ein. So unter anderem ein Bodenradar, einen sogenannten 3D-Sub-Bottom-Profiler – dessen Suchstrahl in tiefere Erdschichten vordringen konnte –, und hochempfindliche Magnetometer. Praktisch alles aus dem Arsenal eines professionellen Wracksuchers. Aber nachdem sie die gesamte Bucht sowie sämtliche Zufahrten und einen weit gesteckten Bereich der Gewässer um die gesamte Insel abgetastet hatten, konnten sie nichts vorweisen, was auch nur entfernt den Aufwand gerechtfertigt hätte.

Paul hatte es allmählich satt. »Wir müssen mal runtergehen und diese Blunderbuss bergen, die Kurt und Yan entdeckt haben.«

»Lautet so die Bezeichnung dieser Dinger?«

»Arkebuse oder Donnerbüchse sind andere Namen«, antwortete Gamay. »Gelegentlich werden sie auch Hakenbüchse genannt, weil ihr schwerer Lauf beim Anlegen von einem langen Stab mit Haken gestützt wurde. Fortschrittlichere Modelle haben dann – in alle Richtungen drehbar – auf einem Dreibein geruht.«

»Arkebuse oder Blunderbuss – ob Buse oder Buss, die eine ist so gut wie die andere«, sagte Paul. »Der Punkt ist, dass wir sie heraufholen müssen. Sie könnte uns den entscheidenden Hinweis liefern.«

Gamay war der gleichen Meinung. »Alles ist besser, als einen weiteren Tag lang auf die verschnörkelten Linien eines Magnetometers zu starren.«

Sie tauschten ihre legere Freizeitkleidung gegen ihre Sporttauchausrüstung und warteten, während Winterburn die Sapphire in die Einfahrt der Bucht lenkte.

Von dort würden sie schwimmen. Nachdem sie die GPS -Koordinaten eingegeben hatten, ließen sie sich von der Heckplattform ins Wasser gleiten und überquerten langsam das Riff.

»Hoffentlich hängt der Tigerhai, dem Kurt in die Quere gekommen ist, nicht mehr hier herum«, sagte Paul.

»Meinst du, Haie haben Appetit auf uns?«, fragte Gamay mit gespieltem Ernst. »Genau genommen sind wir doch Süßwasserfische, oder? Und deshalb für Haie keine ausgesprochene Delikatesse.«

»Das ist nicht lustig«, erwiderte Paul. »Und ob es sich tatsächlich so verhält, möchte ich lieber nicht ausprobieren.«

Mithilfe des GPS -Trackers fanden sie zu der Korallenformation, hinter der Kurt und Yan sich vor dem Hai versteckt hatten. Während sie dicht über den Meeresboden glitten, hielten sie nach Anzeichen für die Existenz des Artefakts Ausschau.

Gamay landete den ersten Treffer und entdeckte die scharfkantigen Verästelungen einer Geweihkoralle, die bei der Haiattacke abgebrochen waren. »Offenbar sind wir am richtigen Ort.«

»Sind wir«, bestätigte Paul. »Sieh dir dies an.«

Mit der Wischbewegung einer Hand entfernte er eine Portion Sediment und legte den geschwärzten Teil des Riffs frei, der mit dem invasiven Bewuchs bedeckt war. Ein bis zwei Meter entfernt befand sich ein weiterer verfärbter Sektor.

Gamay kam mit einem Flossenschlag zu Paul herüber und hielt sich mit leichten Paddelbewegungen in Position. »Wir sollten es ausgraben und heraufholen.«

»Ich liebe es, wenn du gegen Regeln verstößt«, sagte Paul mit einem Grinsen, das durch die Gesichtsscheibe seines Taucherhelms vergrößert wurde.

Mit ihren Tauchermessern und zwei kleinen Meißeln brachen sie weitere Korallen ab und kratzten Sediment weg, das sich um die Waffe angesammelt und verhärtet hatte. Sie brauchten eine halbe Stunde, um den Lauf, den reich verzierten Abzugsbügel und die Überreste der Basis freizulegen, mit der die Waffe drehbar auf einem Dreibein befestigt wurde.

Vorsichtig wickelte Paul den Fund in eine Schutzhülle ein und brachte ihn zur Wasseroberfläche, während Gamay den mit dem dunklen Bewuchs bedeckten Bereich weiter untersuchte. Als sie sich tiefer arbeitete, stieß sie auf noch eine Überraschung. Ein Messingfernrohr. Sie grub es vollständig aus und schlug es in eine schützende Umhüllung ein.

Ein paar Minuten nach Paul tauchte sie auf und wartete Wasser tretend neben der Schwimmplattform der Sapphire .

»Sieh dir dies hier mal an«, rief sie.

Paul erschien mit Stratton im Gefolge. Gamay reichte ihm das nautische Instrument und kletterte an Bord.

»Ich nehme Ihre Pressluftflasche«, sagte Stratton.

»Danke«, sagte Gamay und schlüpfte aus dem Tauchgeschirr, während Paul ihr Fundstück auswickelte.

»Ein Messingteleskop aus dem achtzehnten Jahrhundert«, stellte Paul nach kurzer Inspektion fest. »Es hat ein wenig Weißrost angesetzt, aber nicht viel, wenn man bedenkt, wie lange es schon da unten gelegen haben muss.«

Gamay nickte. »Beide Artefakte sind außerordentlich gut erhalten. Hoffen wir, dass sie wirklich so alt sind, wie wir annehmen, und nicht erst einhundert Jahre danach hier versanken.«