Yan-Li blieb in der Nähe des Höhleneingangs stehen und ließ ihren Schlitten los, der zum sandigen Meeresgrund hinabsank. Mit einem Handzeichen winkte sie Guānchá und seine Männer zu sich. Sie deutete auf das Innere der Höhle und imitierte mit den Fingern eine Pistole.
Es war an der Zeit, dass sie ihren Job erledigten.
Guānchá nickte. Aber anstatt in die Höhle einzudringen, bedeutete er ihr vorauszuschwimmen. Offenbar war geplant, dass sie zusammen mit ihren Gegnern ausgelöscht werden sollte.
Lediglich ihre Flossen benutzend, bewegte sie sich vorwärts. Vorsichtig wagte sie sich in den Einlass zur Höhle mit Guānchá und seinen Männern hinter ihr. Sie riskierte es nicht, eine Lampe anzuknipsen, aber ein matter Lichtschein in einiger Entfernung vor der Gruppe verriet ihr, dass sie sich am richtigen Ort befanden.
Am Ende des schmalen Felstunnels fand sie die breitere Grotte, die ihnen beschrieben worden war. Das Wasser war hier glasklar und von den illuminierten Instrumententafeln der Hydro-Com-Server blau getönt. Sie drückte sich flach an die Höhlenwand und betrachtete die Maschine in ihrer Reichweite, die an ein Versorgungskabel angeschlossen war, das sich nach oben wand. Sie hörte das Summen eines Stromgenerators, dessen Vibration im Wasser spürbar war. Dies betrachtete sie als Vorteil.
Sie hielt den Atem an, um zu vermeiden, Luftblasen auszustoßen, schwamm zum Server und gelangte hinter das Gehäuse. Guānchá und seine Männer folgten ihr.
Hier deutete sie nach oben zur Wasseroberfläche. Guānchá nickte, und gemeinsam schwebten sie aufwärts.
Yan durchbrach die Wasseroberfläche so leise und turbulenzfrei wie irgend möglich. Das Summen des Generators wurde lauter, als ihre Ohren aus dem Wasser auftauchten. Sie entdeckte ihn auf den Felsen zu ihrer Linken. Auf der anderen Seite, so weit wie möglich von dem Generator entfernt, saßen zwei von CIPHER s Männern auf umgedrehten Holzkisten und waren in ein Kartenspiel vertieft. Sturmgewehre lehnten neben ihnen an der Felswand. Zwischen ihren Füßen stand eine Schnapsflasche.
Auch Guānchá sah sie. Aber ehe er einen Schuss abfeuern konnte, hallte ein lauter Ruf durch die Höhle.
Yan legte den Kopf in den Nacken. Hoch über ihnen, an eine Strickleiter geklammert, die zu einem Spalt in der gewölbten Decke der Höhle hinaufführte, befand sich ein dritter Mann. Er war gerade dabei, aufwärts- oder abwärtszuklettern. Ganz gleich, wohin er wollte, aus seiner Position hatte er die eindringenden Taucher sofort ausgemacht.
Er rief etwas und drehte sich, als er seine eigene Waffe zu ziehen versuchte, ohne den Halt an der Leiter zu verlieren.
Guānchá legte auf ihn an, zielte sorgfältig, drückte dreimal ab und schoss ihn von der Leiter. Er kippte nach vorn, stürzte ab und tauchte mit lautem Klatschen wenige Schritte entfernt ins Wasser ein. Aber sein lauter Warnruf hatte die Männer auf den Felsen bereits alarmiert.
Sie warfen die Spielkarten auf die Kiste zwischen ihnen und schnappten sich ihre Waffen. Spielkarten flatterten durch die Luft. Die Schnapsflasche zerschellte, als einer in seiner Hast, aus dem Schussfeld zu hechten, sie mit einem Fußtritt zur Seite schleuderte. Schusslärm brandete auf, als der Mann ins Wasser feuerte.
Augenblicklich ging Yan auf Tauchstation und entkam so den Kugeln. Als sie den Meeresgrund unter den Füßen spürte, duckte sie sich hinter das Gehäuse des Servers, der ihr am nächsten war.
Über ihr paddelten Guānchá und seine Männer heftig mit den Flossen, um sich zu drehen, zurückzuschießen und gleichzeitig zu vermeiden, selbst getroffen oder getötet zu werden. Einer von ihnen sackte plötzlich in sich zusammen, kippte zur Seite und trieb mit dem Gesicht nach unten im Wasser. Blut sickerte aus seinen Wunden, während die Waffe aus seiner Hand rutschte und auf den Grund der Höhle sank. Yan verließ ihre Position und beeilte sich, die Waffe aufzuheben.
Mit der Pistole in der Hand schwamm sie zum Höhleneingang und tauchte in seinem Schatten auf. Der Gedanke, Guānchá und seine Männer zu töten, ging ihr kurz durch den Kopf. Aber zuerst mussten sie die Männer von CIPHER ausschalten.
Sie blickte sich um und fand sich in der Nähe der Felswand hinter dem Generator wieder. Sie zielte auf die dröhnende Maschine und drückte mehrmals ab. Benzin spritzte in die Luft, geriet in Brand, und Flammen loderten hoch. Einer der Männer kam aus der Deckung und versuchte zu fliehen.
Doch er kam nicht weit. Guānchá schoss ihm in den Rücken.
Sein Partner wählte eine andere Taktik, beförderte mit einem Tritt die brennende Maschine in den Höhlenteich.
Eine Dampfwolke stieg auf, als der Generator ins Wasser eintauchte und sich das brennende Benzin auf der Wasseroberfläche ausbreitete.
Die Flammen rasten in Yans Richtung. Sie tauchte wieder ab und strebte in die Tiefe. Diesmal streifte eine Kugel ihren Arm, schlitzte den Nasstauchanzug auf und zeichnete eine blutige Furche in die Haut.
Das Salzwasser kühlte sie. Der anfangs brennende Schmerz wurde zu einem dumpfen Pochen abgemildert. Sie sah hoch, während ein gedämpftes Rattern erklang, als eine Maschinenpistole ertönte.
In der Höhle wurde es still. Die Schlacht war vorbei.
Vorsichtig auftauchend, suchte Yan-Li die Höhle nach anderen Anzeichen von Gefahr ab. Falls sie jemals die Chance hätte, ihre Peiniger zu attackieren, dann war dies der richtige Moment.
Direkt neben ihr entstand ein Wasserwirbel. Eine knochige Hand mit langen spinnenartigen Fingern legte sich auf ihre Schulter, und Guānchá drehte sie zu sich herum. Er spuckte seinen Regulator aus, während sich seine freie Hand nach ihrer Pistole ausstreckte.
»Die nehme ich lieber an mich«, sagte er und wand ihr die Waffe aus den Fingern. »Sie werden genug damit zu tun haben, die Maschinen auf die Schwimmer zu laden.«
Die Waffe war eine flüchtige Chance gewesen, nicht mehr. Besser wäre es, wenn sie auf die NUMA vertraute. Sie würde erledigen, was man von ihr erwartete – die Server auf entsprechenden Schwimmern befestigen, damit sie zum Unterseeboot geschleppt werden könnten. Sie würde sich dabei jedoch Zeit lassen und ihren Helfern jede mögliche Minute verschaffen, um rechtzeitig einzutreffen.