In einem unspektakulären Landemanöver setzte der Ekranoplan auf der Meeresoberfläche auf und bewegte sich in Richtung des Mini-U-Boots, in dessen Kommandoturm Yan-Li und Guānchá warteten. Gleichzeitig wendete die gigantische Maschine, schaltete auf Schubumkehr und legte die letzten Meter rückwärts zurück. Unter dem Heckleitwerk flammten Scheinwerfer auf, während sich eine breite Heckklappe herabsenkte, die als Rampe für das Einladen der wertvollen Fracht diente.
Die Server wurden von dem Mini-U-Boot abgekoppelt, zur Rampe gezogen und an Tauen befestigt, die aus dem riesigen Frachtraum herabgelassen wurden. Winden nahmen ihre Arbeit auf, und der Serverzug bewegte sich zur Rampe.
Sobald sie den Rand der Rampe erreicht hatten, tauchten sie aus dem Wasser auf. Helfer standen bereit und befreiten sie von den Luftsäcken, die ihnen während ihrer Unterwasserreise den notwendigen Auftrieb verliehen hatten. Es war ein mühsamer, langsamer Prozess, der zum Schluss auch mit dem Mini-U-Boot wiederholt wurde.
Nun, da sich die Ladung sicher an Bord befand, kletterte Yan aus dem U-Boot heraus. Guānchá und die restliche Mannschaft folgten ihr. Plötzlich fühlte sie sich einsam und vollkommen nutzlos und suchte sich eine dunkle Nische, in der sie sich für die Dauer des anschließenden Fluges verkriechen konnte.
Sie verfolgte, wie die Taucher mit den Wasserskootern auftauchten. Sie kamen nacheinander an Bord, während ihre Maschinen mit Winden aus dem Wasser gehievt und auf dem Boden des Laderaums abgestellt und gesichert wurden. Aber während sich der Laderaum nach und nach füllte, verstrich die Zeit, in der Hilfe hätte eintreffen können.
Sie richtete den Blick auf die Insel. Sie war nicht mehr als eine unscharfe Silhouette vor einem steingrauen Himmel. Es gab keinerlei Anzeichen, dass dort eine regelrechte Schlacht stattgefunden hatte.
Keinerlei Anzeichen von Aktivität.
Dann erschien ein Boot. Lang, ein fester Rumpf mit Schlauchwülsten, besetzt mit mehreren Männern. Als es näher kam, erkannte Yan vorn in der Mitte ihren Peiniger – Kinnard Emmerson.
Offensichtlich wechselte er das Flaggschiff. Wie der Admiral einer Kriegsflotte.
Das Boot rauschte die Rampe hinauf und wurde schnellstens vollends an Bord gezogen und im Heckbereich des riesigen Flugzeugs an Bodenankern gesichert.
Emmerson stieg aus, ging nach vorn und passierte sie wortlos, während er das Cockpit aufsuchte, um seine Befehle zu geben.
Die Lautstärke der Triebwerke nahm zu. Emmersons Taucher folgten ihm zu den besseren Plätzen im vorderen Abschnitt der Maschine. Im Durcheinander des Beladens und der Startvorbereitungen kam niemand auf die Idee, die Toten oder Verwundeten zu zählen oder über die Zurückbleibenden auch nur ein Wort zu verlieren. Sie dachten bloß daran, ihre Arbeit zu erledigen und das Flugzeug so schnell wie möglich in die Luft zu bringen.
Yan achtete kaum darauf. Sie starrte aus der Hecköffnung des Flugzeugs, während die Rampe hochstieg. Meerwasser floss nach allen Seiten ab, und die offene Verbindung zwischen der Welt draußen und dem Gefängnis im Flugzeug verschloss sich langsam und unbarmherzig.
In ihr regte sich die Versuchung, die letzte Chance zu nutzen. Aber mit welchem Ergebnis? Sie könnten aus dem Flugzeug auf sie schießen oder mit den Kufen einfach über sie hinwegbügeln oder sie ganz einfach den Naturgewalten aussetzen, die dann den Rest besorgen würden. Sie verharrte auf ihrem Platz und erschauerte, als die Rampe mit einem dumpfen Dröhnen endgültig mit ihrem Rahmen verschmolz.
Das Flugzeug bewegte sich bereits, drehte in den Wind und nahm Tempo auf.
Yan fand einen geeigneten Platz an der Rumpfwand, lehnte sich mit dem Rücken dagegen und rutschte daran herab, bis sie auf dem Aluminiumdeck saß. Sie war am Boden zerstört. Sie war sich so sicher gewesen, dass in Gestalt von Kurt und Joe Rettung erscheinen und den Tag zu einem guten machen würde.
Selbst wenn sie zu spät kamen, hätten sie dem Frachter folgen können. Sie hätten ihn aufspüren und außer Betrieb setzen können. Sie hätten ihn entern und das Kommando übernehmen können. Aber Emmersons monströses Flugzeug würde niemals verfolgt oder aufgehalten oder besetzt werden. Es würde das Ostchinesische Meer überqueren und sie am nächsten Morgen nach Hongkong zurückbringen.
Und dann – dessen war sie sich absolut sicher – wartete nur noch der Tod auf sie.