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Yan-Li verließ Emmerson und den Bereich der schallgeschützten Mannschaftsunterkünfte und gelangte in den tosenden Lärm des Frachtraums. Sie ging wie ein Zombie, passierte die erste Servergruppe und zwängte sich an dem Mini-U-Boot vorbei, das den mittleren Abschnitt des Flugzeugs ausfüllte.

Während sie die restlichen Server hinter sich ließ, erreichte sie den Heckbereich der Maschine, wo ihre Männer Platz gefunden hatten und zusammensaßen.

Sie betrachtete ihre Gesichter. Sie wirkten niedergeschlagen und überhaupt nicht erleichtert oder gar euphorisch. Immerhin hatten sie die Mission erfolgreich abgeschlossen und hätten jeden Grund zur Freude gehabt. Aber Yan hatte keine Ahnung von dem, was sie zwei Wochen zuvor an genau diesem Punkt hatten mitansehen müssen. Sie spürte jedoch ihren Schmerz. Trotz allem befanden sie sich noch immer in Emmersons Gewalt, leibeigene Diener ohne Aussicht auf eine legitime Zukunft. Derartige Umstände konnten die Seele zerfressen.

Für einen kurzen Moment zog sie in Erwägung, die Kontobücher zurückzuhalten und gar nicht erst zu erwähnen. Aber wenn sie das tat und Emmerson sie bloßstellte, würde er damit einen Keil zwischen sie und die Männer treiben. Es wäre ein letzter hinterhältiger Trick seinerseits und würde ihn am Ende über sie triumphieren lassen.

»Ich habe einige Neuigkeiten für euch«, sagte sie laut genug, um über dem heulenden Wind und den dröhnenden Motoren verstanden zu werden.

Sie bedeutete ihnen mit einem Handzeichen näher zu kommen, holte die Bücher hervor und legte sie auf die Bugabdeckung des Festrumpfschlauchboots.

Die Piraten betrachteten die Bücher und sahen sich fragend an. Wenn man bedachte, dass die Aktivitäten dieser Gruppierung bislang ausschließlich von Geld bestimmt waren, erschien dieses Zögern höchst seltsam. Schließlich nahm einer der Männer das oberste Buch vom Stapel. Der Mann brach die Versiegelung und las den Text, der den Gebrauch des Buchs erläuterte. Sein Gesicht zeigte keinerlei Regung.

Ein anderes Crewmitglied griff nach seiner Bezahlung. Und dann nahmen auch die anderen ihre namentlich gekennzeichneten Anteile an sich.

Callum war der Letzte, der ein Kontobuch von der Bootsabdeckung angelte. »Eins ist noch übrig«, stellte er fest.

»Dies war für Lucas bestimmt«, sagte Yan.

»Dann sollten Sie es nehmen«, sagte Callum zu ihr.

Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Nehmen Sie es. Teilen Sie es unter den anderen auf.«

Callum fixierte das Kontobuch, machte jedoch keinerlei Anstalten, es zu berühren. Während er weiterhin zögerte, drang eine Stimme aus den Schatten hinter ihnen.

»Sie sollten Ihre Zeit nicht vergeuden«, riet die Stimme. »Selbst wenn diese Konten echt sein sollten, wird niemand von Ihnen je einen Penny davon zu Gesicht bekommen.«

Die Köpfe der Angesprochenen drehten sich vollkommen synchron zu dem Eindringling um. Yan-Li folgte ihrem Beispiel, blickte an ihren Männern vorbei und starrte wie vom Donner gerührt Kurt Austin an, der wie ein Geist aus dem Dunkel einer Nische des Laderaums hervortrat.