13. Kapitel

7. Mai, Freitag, nachmittags

Kriminalhauptkommissar Lennard Vogt, Kriminaloberkommissar Thilo Schmidt und Kriminalkommissaranwärterin Tina Bruns standen vor dem Whiteboard in Lennards Büro.

Lennard kreiste mit dem roten Marker auf der Liste der Klubmitglieder den Namen Gero Winter ein und zog zwischen ihm und dem Mordopfer einen Pfeil.

Thilo schnalzte zufrieden mit der Zunge. »Wir hatten ja beide so eine Ahnung, dass er irgendwie Dreck am Stecken hat. Aber im geschickten Nachhaken bist du wirklich der König!« Er nickte Lennard anerkennend zu.

»War nicht weiter schwer«, erwiderte Lennard bescheiden. »Der Schockmoment, als ich ihn heute Morgen auf seiner Arbeitsstelle aufgesucht habe, hat mir in die Hände gespielt. Er war so darauf bedacht, dass wir – zu einer kleinen Pause, wie er sagte – vor die Tür gehen und sein Bürokollege nichts mitbekommt, dass mir gleich klar war: Am Verdacht muss etwas dran sein.«

»Steuerhinterziehung also. Du machst Spitzenarbeit, Lennard!«, sagte Tina bewundernd und tippte auf die entsprechende Notiz am Board. »Ich wusste gar nicht, dass es im Ruhrpott so viele Dominas gibt, dass man mit Fotos für die so viel Geld verdienen kann.«

»Er hat Frauen aus ganz Deutschland für ihre Websites porträtiert«, korrigierte Lennard sie. »Das allein ist natürlich nicht strafbar.«

»Wenn er die Einnahmen nicht dem Finanzamt verschwiegen hätte«, ergänzte Thilo und warf Lennard dann einen prüfenden Blick zu. »Hast du ihm auf den Kopf zugesagt, dass Neumann davon wusste und ihn mit diesem Wissen erpresst hat?«

Lennard schüttelte den Kopf. Er spürte immer noch die Genugtuung über das Gespräch am Vormittag.

Vielleicht hatte Tina recht, und es war wirklich sein Blick? Denn als er unten auf der Straße vor dem Finanzamt diesen Gero Winter nachdenklich gemustert hatte, hatte der regelrecht die Nerven verloren. Er war eingeknickt und ganz von allein mit der Geschichte herausgerückt. Irgendwie schien er davon auszugehen, dass Lennard bereits Bescheid wusste.

»Er hat mir alles erzählt, als ich ihn nochmals zu seinem privaten Verhältnis zum Mordopfer befragt habe. Angeblich hat Neumann ein paar geschickte Andeutungen fallen lassen. Er wollte damit erreichen, dass Winter bei der Abstimmung zum Bild des Monats Neumann seine Stimme geben sollte, obwohl ein anderes Foto deutlich besser war.«

Sie sahen sich an. Lennard war froh, dass er in den Mienen der beiden ebenfalls Befremden las.

»Andere Welt«, bemerkte Thilo ganz richtig.

Tina und er selbst nickten.

»Danach war es dann natürlich vorbei mit der dicken Freundschaft zwischen den beiden. Im folgenden Monat wollte Neumann das gleiche Spiel abziehen. Aber laut seiner Aussage ist Winter da nicht zu dieser Foto-des-Monats-Abstimmung im Klub erschienen. So wie er es darstellt, ist er Neumann seitdem aus dem Weg gegangen. Angeblich ist auch nie Geld geflossen.«

»Glaubst du ihm das?«, wollte Tina wissen.

Lennard wiegte den Kopf.

»Wenn es ihm gar nicht um Geld ging, sondern nur um so etwas wie den Titel Bild des Monats, würde das Neumanns Ego in eine spezielle Ecke rücken«, meinte Thilo, dem die Profiler-Fortbildung noch in den Knochen steckte. »Für viele Menschen ist Geld zweitrangig. Wenn es stimmt, was Winter sagt, könnte Neumann ein Narzisst gewesen sein, mit Geltungssucht und dem Bedürfnis, von allen bewundert im Mittelpunkt zu stehen. In dem Fall können wir Winters Aussage glauben. Denn sobald er sich Neumanns Einfluss entzog und nicht mehr bei den Versammlungen auftauchte, war er für Neumann wertlos.«

»Allerdings wissen wir nicht, ob es wirklich so war«, warf Lennard ein.

»So oder so ist diese Erpressung ein starkes Motiv, oder?«, meinte Tina. »Für Winter stand viel auf dem Spiel. Eine Anklage wegen Steuerhinterziehung. Sein Job. Wahrscheinlich seine ganze Existenz.«

Lennard seufzte und betrachtete den roten Pfeil zwischen Winter und Neumann mit Argwohn.

»Tja, nur leider sieht es so aus, als hätte Winter für die Tatzeit ein Alibi. Er hat zwischen neunzehn und dreiundzwanzig Uhr abends an einem bundesweiten Online-Meeting von Porträtfotografen teilgenommen. Und obwohl die Kolleginnen und Kollegen von der Steuerfahndung sich über unseren Bericht mächtig freuen werden, sind wir mit unserem Mordfall im Grunde wieder auf demselben Stand wie gestern.«

Erneut wandten sie sich dem Board zu.

»Irgendwie hatte ich mir vom KTU-Gutachten mehr erhofft«, murmelte Thilo mit Blick auf den Computerausdruck, der an den Rand des Boards geheftet war.

»Man kann nicht sagen, dass sie keine Fremd-DNS am Opfer gefunden hätten«, bemerkte Tina trocken.

»Ja klar. Vierundvierzig verschiedene. Das sind leider ein paar zu viele.« Thilo schüttelte den Kopf. »Am Tatabend stand die Raumsäuberung kurz bevor. Die ganze Woche über haben sich laut Liste an der Tür mindestens dreiundvierzig Personen für längere Zeit im Studio aufgehalten. Die Spuren stammen wahrscheinlich daher, dass Neumann sich nach dem Schlag auf den Kopf am Boden gewälzt hat. Oder der behandschuhte Täter hat ihn rumgedreht.«

»Könnte doch aber auch sein, dass das Opfer sich im Fotoklub jede Menge Feinde gemacht hat und sich einige von denen zusammengeschlossen haben?«, mutmaßte die junge Kollegin. »Mehrere Täter also. Die könnten sich gegenseitig Alibis geben.«

Lennard mochte es, wenn der Nachwuchs auch mal etwas querdachte. Es konnte nie schaden, wenn man Sachverhalte aus einem eher unwahrscheinlichen Blickwinkel betrachtete. Aber bei diesen Überlegungen sprang in ihm kein Funke über.

»Aktuell können wir nichts ausschließen«, brummte er dennoch. »Denn leider sieht es so aus, dass wir derzeit keine wirklich heiße Spur haben.« Dann starrte er die Fotos und Ausdrucke an, als könne er sie zwingen, die ersehnten roten Markierungen zwischen sich entstehen zu lassen.

»Also weiter die Klubmitglieder aufsuchen, befragen, auf Gelegenheit und Motiv abklopfen?«, fragte Thilo.

»So ist es«, entschied Lennard. »Markus Klappert ist ab 14 Uhr zu Hause zu erreichen, sagte mir seine Frau gestern. Den übernehme ich. Vorher überprüfe ich diese Adresse.« Er tippte mit dem Finger auf einen der Namen auf der Liste, hinter den noch kein Haken gesetzt war. Bei über hundert Mitgliedern dauerte diese Routine einfach ein bisschen. Vor Klappert gab es im Alphabet noch etliche andere Hobbyfotografierende, die ebenfalls noch nicht befragt worden waren.

Lennard spürte Thilos und Tinas Blicke auf sich, die wahrscheinlich auf eine Erklärung warteten, warum er sich ausgerechnet diese Person ausgesucht hatte.

Doch er schwieg.

»Okay«, sagte Thilo schließlich. »Dann mach ich einfach in der alphabetischen Reihenfolge weiter.«

»Tu das. Ach, und bitte informier vorher die Staatsanwältin zu den neusten Entwicklungen und dem geplanten weiteren Vorgehen. Tina, du kommst mit mir«, bestimmte Lennard. Sie nickte eifrig. »Dann mal los!«

Gott sei Dank hatte der heftige Regen endlich nachgelassen. Die Wolken rissen bereits auf und ließen hier und da blauen Himmel durchblitzen.

Auf dem Parkplatz überließ er Tina die Wagenschlüssel und setzte sich auf den Beifahrersitz.

Nachdem sie ein paar Minuten unterwegs waren, konnte sie es offenbar nicht mehr aushalten. »Bestimmter Grund, aus dem wir heute ausgerechnet da als Erstes hinfahren?«, wollte sie wissen.

»Bauchgefühl«, antwortete Lennard.

Sie schwieg ehrfürchtig.

Ihre Zieladresse lag in der Nähe des ehemaligen Hüttengeländes, also nicht weit vom Kommissariat entfernt. Als sie hindurchfuhren, musste Lennard unwillkürlich daran denken, wie er diesen Spot der viel gepriesenen Route der Industriekultur zum ersten Mal gesehen hatte. Das von harter Arbeit geprägte Gelände mit seinen alten Gebäuden, den Maschinenhallen, dem Stahlwerk und weiten Brachen war ihm zugleich fremd und faszinierend erschienen.

Er hatte bewundert, dass die Menschen im Ruhrgebiet die Vergangenheit ihrer Region eben nicht versteckten, dafür waren sie viel zu stolz darauf. Sie legten nicht etwa alles in Schutt und Asche und setzten dann hässliche Neubauten darauf, sondern ließen stattdessen Kulturstätten aus den ehemaligen »Maloche-Orten« entstehen. Wo früher Stahl hergestellt wurde, hatte Hattingen ein Museum zu seiner Historie untergebracht. Dies ebenso wie ein schickes Restaurant und der kleine angelegte Park schlugen eine Brücke zum Heute, doch die Vergangenheit der Stadt war trotzdem in allen Winkeln zu spüren. Als er hier angekommen war, war er so begeistert gewesen, hatte sich in der Zukunft als Teil des Reviers gesehen. Im Übergabeturm der Hütte hatten Sandra und er geheiratet.

Wann war seine anfängliche Euphorie gekippt? Wann hatte sie einer Befremdung und dann dem Gefühl der Resignation Platz gemacht, als er begriffen hatte, dass er einfach nicht dazugehörte – zu diesem Schlag Menschen, die stets das Herz auf der Zunge trugen, im Überschwang redeten, als hätten sie nie etwas von Grammatik gehört, und die bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit stolzgeschwellter Brust das Steigerlied sangen?

Vielleicht war es passiert, während Sandra und er nach dem ersten Glückstaumel entdeckt hatten, dass sie einander doch nicht so ähnlich waren? Als sie immer öfter ihre Freundinnen zu Kosmetikabenden getroffen hatte, während er länger in der Dienststelle blieb? Als sie beide immer seltener von ihrem Alltag erzählt, immer weniger Interesse am Leben der und des anderen gezeigt hatten?

»Das ist mein erster Mord«, schreckte Tina ihn aus seinen düsteren Gedanken auf. »Denkt man nach so vielen Jahren Erfahrung auch immer noch die ganze Zeit über den Fall nach? Also, mir geht’s jedenfalls so. Den ganzen Tag. Letzte Nacht hab ich sogar wach gelegen und gegrübelt. Hast du so was auch noch?«

»Ähm … ja«, brummte Lennard reflexartig.

»Dachte ich mir. Ich mein, von nix kommt nix, oder?« Sie lächelte ihn an.

Er fühlte sich ein klein wenig unwohl in seiner Haut, als er erwiderte: »Du sagst es!«

Und jetzt, befahl er sich selbst, würde er sein Privatleben auf den Feierabend verschieben.

An der besagten Adresse parkte Tina den Dienstwagen am Straßenrand, und sie stiegen aus. Im Wohnhaus gab es drei Parteien. Lennard drückte auf den mittleren Klingelknopf.

»Ja, bitte?«, ertönte es aus der Gegensprechanlage.

»Kripo Hattingen.«

»Kommen Sie rauf!«, flötete es.

Lennard ging voran die Treppe zum ersten Stock hinauf.

Dort stand Gundula Schneid in der Tür, in einem groß geblümten Hosenanzug, der ihre Coca-Cola-roten Haare noch kräftiger leuchten ließ.

Tina und er zogen ihre Dienstmarken und hielten sie in Gesichtshöhe. »Kriminalhauptkommissar Vogt, Kommissaranwärterin Bruns«, stellte er sie vor.

Mit den Worten »Sehr angenehm, Gundula Schneid« reichte sie ihm die manikürte Hand mit den Strasssteinen auf den rot lackierten Fingernägeln. »Hereinspaziert!«

Sie wurden durch den kleinen Flur ins Wohnzimmer geleitet, in dem neben einem breiten Fenster eine Glastür auf einen kleinen Balkon hinausführte.

Gundula Schneid wies auf das schicke weiße Ledersofa auf Chrombeinen, und sie setzten sich.

»Wasser? Limonade? Kaffee?« Lennard registrierte, dass auf dem gläsernen Couchtisch alle Getränke mit Gläsern und Tassen in vierfacher Ausgabe bereitstanden.

»Ich wusste ja nicht, mit wie viel Leuten Sie so kommen«, erklärte Frau Schneid, die seinem Blick gefolgt war. »Manche erzählen von einem Kollegen, manche von zweien. Ich dachte, ich geh mal auf Nummer sicher.«

»Die Limo sieht selbst gemacht aus?«, bemerkte Tina.

»Melone-Zitrone. Bedienen Sie sich!« Frau Schneid schob ihr ein Glas hin, und Tina schenkte sich ein.

»Und Sie?«, wandte ihre Gastgeberin sich an Lennard.

»Danke, nein.« Er räusperte sich. »Es hat sich also im Fotoklub herumgesprochen, dass wir alle Mitglieder befragen.«

Frau Schneid breitete die Hände aus. »Ich bitte Sie! Das ist doch Ihr Job! Und wir haben ja alle nichts zu verbergen.«

»Na ja, einer vielleicht doch«, sagte Tina. Als Lennard sie ansah, nahm sie rasch einen Schluck Limo.

»Dann wissen Sie ja bestimmt auch schon, dass wir alle Mitglieder danach befragen, wo sie sich am Abend des Dienstags, 4. Mai, aufgehalten haben?« Lennard sah Frau Schneid dabei zu, wie sie sich selbst einen Kaffee einschenkte.

»Herrje, ja, das weiß ich. Das müssen Sie doch fragen, ne? Aber was soll ich sagen? Ich war hier, zu Hause. Und als einzige Zeugin habe ich meine Freundin Anne, mit der ich eine ganze Weile telefoniert habe. Sie wohnt im Schwarzwald. Und bevor Sie mich danach auch fragen, weil Sie das wohl von allen wissen wollen: Am Dienstag habe ich die Dunkelkammer nicht benutzt. Ich war an dem Tag gar nicht im Klub.«

Tina hatte ihr Notizbuch gezückt und schrieb mit.

»Von wann bis wann haben Sie mit Ihrer Freundin telefoniert?«, hakte sie nach.

Gundula Schneid begleitete ihre Überlegung erneut mit einer großen Geste. Alles an dieser Frau wirkte übertrieben und einstudiert. »Vielleicht von acht bis um zehn oder halb elf. Wenn man sich so selten sieht … Aber ich hab einen Einzelverbindungsnachweis, wenn Sie es genau wissen wollen.«

»Darauf würden wir gegebenenfalls zurückkommen«, sagte Tina sehr korrekt.

»Sehr gerne.«

Lennard, der dieses aufgesetzte Geplänkel nur mit Mühe ertrug, entschied sich zu einem Frontalangriff. »Warum mochten Sie Peter Neumann nicht?«, erkundigte er sich ruhig.

Frau Schneid erstarrte, mit der Kaffeetasse in der Hand.

»Bitte?«, brachte sie dann heraus und musste sich räuspern.

»Trifft es nicht zu, dass Sie gegen das Mordopfer eine Antipathie hegten?«, fragte er.

Tina sah gespannt zwischen ihnen hin und her.

Die Befragte dachte ganz offensichtlich angestrengt nach.

»Wer …?«, begann sie.

Doch Lennard schüttelte den Kopf. »Selbstverständlich darf ich Ihnen nicht sagen, von wem wir davon erfahren haben.«

Sie nickte. Sammelte sich. Dann straffte sie die Schultern.

»Na gut«, sagte sie. Und plötzlich schimmerte durch ihre aufgesetzte Fassade die echte Frau hindurch. Sogar ihre vorher süßliche Stimme klang plötzlich anders. »Ich verrate Ihnen mal was: Peter Neumann war ein absolut durchtriebener Kerl, der die ehrliche, engagierte Arbeit anderer nicht im Mindesten zu schätzen wusste. Er hatte nur eins im Sinn: sich permanent in den Vordergrund zu drängen und seine eigene Kunst zu promoten. Alle Ausstellungen folgten plötzlich thematisch seinen Schwerpunkten. Neue Mitglieder suchte er nach dem Nasenprinzip aus. Wer zu gut war und dazu Bilder präsentierte, die seinen zu nahe kamen, flog ganz schnell aus irgendwelchen fadenscheinigen Gründen wieder raus oder wurde von ihm einfach weggeekelt. Wir anderen Klubmitglieder waren ihm herzlich egal. Er brauchte nur eine Bühne für seine eigenen Sachen. War nur mit denen umgänglich, die ihm Honig um den Bart geschmiert haben. Ich weine ihm ganz sicher keine Träne nach!«

Tina sah die Befragte mit leicht geöffnetem Mund an. Dann besann sie sich und machte rasch ein paar Notizen.

Lennard nickte gemächlich.

Das sieht man doch, dass da einer so richtigen Brast auf den Neumann hatte, hörte er plötzlich eine andere weibliche Stimme in seinem Kopf. So nannte man es hier, wenn jemand wirklich sauer auf eine Person war. Und ihm schien, als träfe das auf Gundula Schneid in Bezug auf das Mordopfer definitiv zu.

»Wenn Sie sagen, dass Herr Neumann die Arbeit anderer nicht zu schätzen wusste, denken Sie da insbesondere an jemanden Bestimmten im Klub?«, wollte er wissen.

Gundula Schneid sah ihn scharf an. Die flötende, überfreundliche Gastgeberin war verschwunden. Irgendwie gefiel sie ihm so besser.

»Ich schätze mal, das hat Ihnen auch schon jemand brühwarm gesteckt, hm? Klatschtanten allesamt, besonders die Kerle. Na, meinetwegen. Ist ja kein Geheimnis, dass ich schon immer fand, dass Markus die Sache mit dem Vorsitz viel besser gemacht hat«, sagte sie.

»Sie sprechen von Markus Klappert?«

»Natürlich spreche ich von Markus Klappert. Er hat den Klub vor fünfzehn Jahren gegründet, hat sein ganzes Herzblut reingesteckt. War immer für uns im Klub da. Markus hat über Ausstellungen und neue Mitglieder demokratisch abstimmen lassen, hat sich für seine Bilder nie die tollsten Hängungen geschnappt, sondern sie einfach den besten Fotos überlassen. Er war der ideale Vorsitzende, den sich so ein Klub wünschen kann.« Sie machte eine kurze Pause, um einen Schluck schwarzen Kaffee zu trinken, und Lennard formulierte im Geiste bereits eine geschickte Nachfrage, doch die brauchte Frau Schneid gar nicht. »Und dann taucht da so ein Neuer auf, mit jeder Menge stylischer Bilder und angeblich innovativer Ideen. Und innerhalb von einem Jahr laufen sie alle zu ihm über, finden ihn plötzlich alle toll, wollen alle so sein wie er. Pfff, die haben alle einen auf taub gemacht, wenn Peter mal wieder eine seiner permanenten Spitzen gegen Markus losließ. Haben bei seinen Intrigen einfach mitgemacht, weil das ja einfacher ist, als so einem Kerl mal die Meinung zu geigen. Und in Nullkommanix war Markus den Vorsitz los. Die zweite Reihe durfte er nur behalten, weil alle anderen zu faul sind, um sich die ganze Arbeit aufzuladen. Eine Arbeit, die Markus immer noch zuverlässig und engagiert gemacht hat. Das meine ich mit ›Peter Neumann wusste andere nicht zu schätzen‹.«

Lennard warf Tina einen kurzen Blick zu. Sie kritzelte gerade ein letztes Wort ins Notizbuch. Herrje, hoffentlich konnte sie das selbst noch entziffern. Lennard wäre dazu nicht in der Lage.

»Haben Sie mit Herrn Klappert jemals über diesen … Missstand gesprochen? War er ärgerlich darüber, aus seiner Position verdrängt worden zu sein?«

Plötzlich wurde der Blick ihm gegenüber vorsichtig.

»Allen Grund hätte er gehabt«, antwortete Gundula Schneid langsam. »Aber er hat sich nichts anmerken lassen. Markus ist keiner von diesen Jammerlappen, wissen Sie.«

»Sie haben nicht mit ihm darüber geredet?«, wiederholte er.

»Vielleicht ein- oder zweimal. Drei Jahre lang hat Markus das Herumstolzieren von diesem … diesem Gockel in seinem Klub hingenommen. Aber in den letzten Wochen wurde es unerträglich. Peter hat bei einer national sehr anerkannten Ausstellung mit einem seiner Bilder den ersten Platz gemacht. Seitdem tat er so, als ob der Klub ihm gehören würde. Ekelhaft!« Obwohl Gundula Schneid den Fokus auf ihren Widerwillen gegen Neumann richtete, konnte Lennard spüren, dass sie das in erster Linie tat, um über etwas anderes nicht reden zu müssen. Sie war geschickt.

Er entschied, dass er sie vor der finalen Frage noch einmal in der Gewissheit wiegen wollte, vom Haken zu sein. Daher nickte er nur und zog aus der Tasche die Kopie von dem Fotoabschnitt, den Pamela Schlonski in der Dunkelkammer gefunden hatte.

»Kennen Sie dieses Bild?«

Gundula Schneid nahm es, betrachtete es genau und warf ihm dann einen fragenden Blick zu.

»Nein. Nicht besonders künstlerisch, würde ich sagen. Wer ist das?«

»Das wüssten wir gern. Sie haben keine Ahnung, wessen Beine auf dem Foto zu sehen sind oder wer das Bild gemacht haben könnte?«

»Nicht die Bohne. Vielleicht jemand von den Street-Fotografie-Leuten?«

Jetzt lehnte er sich ein wenig vor und schlug zu: »Hat Herr Klappert sich jemals dazu geäußert, dass er etwas gegen Herrn Neumanns Auftreten unternehmen wollte?«

Gundula Schneid erstarrte.

»Frau Schneid, meine Kollegin hält Ihre Aussage fest. Bitte überlegen Sie gut, was Sie sagen. Wir ermitteln in einem Mordfall. Vergessen Sie das nicht«, erinnerte er sie.

Erst war diese Frau der Inbegriff eines künstlichen Stereotyps gewesen. Dann hatte sie diese Maske fallen lassen und ihre Wut und Scharfsicht gezeigt. Nun aber wirkte sie mit einem Mal kreuzunglücklich.

»Ich kenne Markus seit acht Jahren, seit ich in den Klub kam. Er ist der korrekteste Mann der Welt, würde nie auch nur einer Fliege etwas zuleide tun!«, beteuerte sie.

»Frau Schneid?«

Kummervoll starrte sie auf den Couchtisch mit den vorbereiteten Erfrischungen.

»Es war bestimmt nicht ernst gemeint«, murmelte sie. »Und es ist auch schon zwei, drei Wochen her.«

»Was hat Herr Klappert geäußert?«, wollte Lennard wissen.

Die aufeinandergepressten, knallrot geschminkten Lippen bildeten eine schmale Linie. »Er hat gesagt, dass es ihm nur recht wäre, wenn Peter sich in Luft auflösen würde, wenn der Klub ihn endlich wieder loswürde«, presste sie hervor.

»Hat er auch angedeutet, dass er selbst etwas dazu beitragen würde?«, hakte Lennard nach.

Frau Schneid hob den Blick. Ihre Augen schimmerten verdächtig. Es war mehr als deutlich, dass sie lieber schweigen würde. Doch dann sah sie zu Tinas Notizbuch und gab sich einen deutlichen Ruck.

»Er hat es bestimmt nicht so gemeint. Aber er hat gesagt, er hätte da … eine Idee.«


»Das war genial!«, schwärmte Tina, als sie wieder ins Auto stiegen. »Woher wusstest du, dass sie was gegen das Mordopfer hatte und dass es was mit Klappert zu tun hat?«

Lennard griff nach dem Anschnallgurt.

»Bauchgefühl«, antwortete er zunächst erneut ausweichend, überlegte es sich dann aber anders. Fehlte noch, dass er anfing, seine Kollegin anzuschwindeln, nur um nicht zu erwähnen, dass die bewusste Information von Pamela Schlonski stammte. »Die Reinigungskraft des Fotoklubs hat etwas aufgeschnappt.«

»Pamela Schlonski?«, merkte Tina auf und grinste. »Die ist ganz schön gewitzt, ne? Davon steht aber nichts in einem der Befragungsprotokolle, oder? Die kenn ich nämlich inzwischen auswendig.«

»Sie hat es eher so nebenbei erwähnt«, brummte er und deutete rasch aufs Armaturenbrett. »Gleich vierzehn Uhr. Wir fahren sofort weiter zu Klappert.«

»Aye, aye.« Tina ließ den Wagen an und das Thema ›Pamela Schlonski‹ fallen.

Verflixt. Es wurmte ihn selbst, dass seine einzige heiße Spur auf einen Hinweis von dieser eindeutig zu engagierten Zeugin zurückging.

»Sexy Schwingungen«, sagte Tina, während sie sie durch die Stadt in Richtung Stadtteil Blankenstein kutschierte.

»Hm?« Er schrak auf.

»Na, die steht doch voll auf den, ne?«

»Wer?«

»Die Schneid. Die fährt doch voll auf den Klappert ab. All das Gesäusel, von wegen idealer Vorsitzender und immer für uns da und so.« Tina sah ihn kurz an und klimperte mit den Wimpern.

Dieser Gedanke war Lennard natürlich auch gekommen. Aber irgendetwas in ihm sträubte sich derzeit, sich näher mit romantischen Verstrickungen zu beschäftigen. Das war unprofessionell. Er sollte wirklich froh sein, dass Tina ihn begleitete und ihre Antennen auf Empfang hielt.

»Meinst du, die beiden haben etwas miteinander?«, wollte er von seiner Kollegin wissen. Frauen hatten für so etwas ein untrügliches Gespür.

Prompt schüttelte Tina sofort vehement den Kopf. »Für eine Geliebte ist die viel zu verzweifelt«, erklärte sie mit Nachdruck, und Lennard wunderte sich, dass sie damit genau sein Gefühl diesbezüglich traf. »Ich tippe auf unerwiderte Liebe mit ein paar kleinen Flirtmomenten. So was zieht einen dann so richtig runter. Wenn man spürt, der oder die andere hat vielleicht durchaus Interesse, mag einen, weil man die gleichen Hobbys hat, so wie hier das Fotografieren. Aber für einen echten Seitensprung oder sogar Ehefrau verlassen reicht es nicht. Man strampelt sich ab, macht und tut, ist immer zur Stelle, winkt wie bekloppt mit jedem Zaunpfahl. Aber letztendlich sitzt man doch alleine zu Hause auf dem Sofa, guckt irgendwelche Schmachtfetzen und futtert zu viel Chips und Schokolade.«

Sie verstummte. Als sie an einer Ampel hielten, war nur das Ticken des Blinkers im Wagen zu hören.

Lennard warf seiner jungen Kollegin aus den Augenwinkeln einen Blick zu. Das war eine sehr emotionale Rede gewesen. Als wüsste sie genau, wovon sie da sprach. Ihre düster umwölkte Stirn ließ ihn vermuten, dass sie vielleicht auch nicht vierundzwanzig Stunden am Tag über ihren ersten Mordfall nachdachte und nachts womöglich aus einem anderen Grund als ihrer Suche nach dem Täter wach lag.

Lennard hatte die junge, springlebendige und eifrige Kommissaranwärterin schon immer gemocht. Aber sonderbarerweise fühlte er jetzt zum ersten Mal eine wie auch immer geartete menschliche Nähe zu ihr.

Und schlagartig wurde ihm klar, dass er keine Ahnung hatte, ob sie tatsächlich aus eigener Erfahrung gesprochen hatte. Hatte sie in der Zeit, in der sie sich kannten, eigentlich jemals eine feste Freundin gehabt? War sie vielleicht trotz ihrer jungen Jahre schon verheiratet, und es kriselte gerade in ihrer Beziehung? Nein, von einer Ehefrau wüsste er doch bestimmt. Oder? Er hätte es nicht sagen können.

Wann wäre der richtige Moment, sie mal nach solchen Details aus ihrem Leben zu fragen, die – das bekam er ja selbst am eigenen Leib zu spüren – schließlich eine nicht unwesentliche Rolle im Alltag spielten? Doch sicher nicht auf einer Dienstfahrt? Vielleicht bei einem Treffen nach Feierabend? Bei einer privaten Grillfeier vielleicht? So, wie sie am Wochenende stattfinden würde, das gerade unmittelbar vor der Tür stand. Ja, so ein Treffen wäre bestimmt ideal, um mehr über seine Kollegin zu erfahren. Das war eine gute Idee, die hatte nur leider einen Haken: Er war zu der Feier nicht eingeladen.

»So, da sind wir.« Tina setzte den Blinker und fuhr eine steile, schmale Straße hinunter, die unterhalb der Burg Blankenstein in einen öffentlichen Parkplatz mündete.

Gemeinsam stiegen sie aus und gingen dann die vielen Stufen hinauf, die in den urigen Stadtteil führten. »Warst du eigentlich schon mal auf dem Burgturm oben?«

»Nein.«

»Lohnt sich. Man kann über das ganze Ruhrtal gucken.«

Die lange Treppe endete genau an der Kirchenmauer. Nach rechts führte ein überraschend modern gepflasterter Fußweg zur Burgruine. Doch Tina wandte sich nach links, und sie bogen zwischen den eng stehenden Fachwerkhäusern in die Gasse vor der Kirche ein. Die führte recht steil bergab und bot eine malerische Aussicht ins Tal und zur Burg hinüber. Nach dem kräftigen morgendlichen Regen sah dieser Maitag umso leuchtender aus, wie reingewaschen. Dort unten floss die Ruhr, aus dem Kemnader Stausee kommend, an dessen im Sonnenlicht glitzernden Ufern Heerscharen von Wasservögeln ihr Zuhause hatten. Als Lennard zur Burgruine hinübersah, in deren Burghof ein Biergarten lockte, zogen gerade ein paar Gänse darüber hinweg. Das alles wirkte so idyllisch, dass es selbst ihm einen Moment lang surreal erschien, dass sie hier unterwegs waren, um einen Mörder zu fassen.

Tina hielt vor einem kleinen Häuschen, dessen windschiefe Tür ihr Alter mit Stolz zur Schau trug. Ein uralter Seilzug verriet den Bewohnern statt einer der üblichen modernen Klingeln, dass Besuch vor der Tür stand.

Eine kleine, rundliche Frau öffnete ihnen und sah kurz zu Lennard auf, ehe ihr Blick auf seine Dienstmarke fiel.

»Hallo, Herr Vogt. Hallo Frau …«, sie spähte auf Tinas Ausweis.

»Tina Bruns«, stellte die sich vor.

»Kommen Sie doch rein. Mein Mann zieht sich gerade noch um.«

Sie lächelte sie an, während sie Tina und ihn durch den Flur und das Wohnzimmer auf eine winzige Terrasse führte.

Auch hier standen ein paar Gläser und eine Karaffe mit Wasser bereit, in dem Zitronenscheiben schwammen. Die Fotoklubmitglieder schienen alle bestens auf ihr Kommen vorbereitet zu sein.

Einen kurzen Moment kam Lennard noch einmal Tinas Spekulation zu der größeren Tätergruppe in den Sinn. Doch dann entschied er, dass es wahrscheinlich nur die Redseligkeit der Ruhrpöttler war, die diesen Informationsfluss bewirkte.

»Wasser?«, bot Frau Klappert an. »Die Ingwerkekse backe ich selbst.«

Tina bedankte sich artig und probierte einen Keks, während Lennard erneut ablehnte.

»Pünktlich wie die Maurer!«, ertönte es da schon hinter ihnen. Klappert trat zu ihnen hinaus.

»Wir sind sogar etwas zu früh«, sagte Lennard entschuldigend und fügte betont nebensächlich hinzu: »Wir waren mit dem Besuch bei Frau Schneid schneller fertig als gedacht.«

»Ach ja?« Klappert richtete den Kragen seines Poloshirts. »Puh, ich bin immer froh, wenn ich den Anzug los bin. Aber was soll man machen, wenn das von der Geschäftsleitung vorgeschrieben ist.«

Sie begrüßten sich höflich, Klappert mit einem Lächeln, in dem sowohl Herzlichkeit wie auch Vorsicht lagen.

»Wo arbeiten Sie?«, hakte Lennard gleich nach.

»Firma Dorowski. Maschinenbau. Ich bin Bürokaufmann.«

Tina notierte es.

»Ich habe noch ein paar Fragen an Sie, Herr Klappert.«

»Nur zu.«

Lennard sah zu Frau Klappert. Die blickte verwirrt von ihm zu ihrem Mann.

»Soll ich gehen?«

»Von unserer Seite aus ist das nicht nötig. Es sei denn, Sie möchten lieber allein mit uns sprechen?«, wandte Lennard sich an Klappert.

»Wo denken Sie denn hin! Ich bin doch nicht lebensmüde und habe Geheimnisse vor meiner besseren Hälfte«, erklärte der und tätschelte kurz die Schulter seiner Frau, die breit lächelte.

»Wollen Sie sich nicht setzen?«, bot Klappert die gut gepolsterten Terrassenmöbel an.

»Danke, es wird nicht lange dauern.«

Diese Ankündigung schien den Hausherrn zu entspannen.

Lennard legte eine Hand auf eine der hohen Stuhllehnen. »Herr Klappert, wie würden Sie Ihr Verhältnis zum Mordopfer Peter Neumann beschreiben?«

Dahin war die Entspannung seines Gegenübers. Frau Klappert ließ ihren Blick über das Gesicht ihres Mannes huschen. Sah sie ein wenig ängstlich aus?

»Schwierig«, antwortete Klappert.

»Können Sie das näher erklären?«

Er räusperte sich. »Tja, im Fotoklub herrscht schon immer eine gesunde Konkurrenz unter denjenigen, die die gleichen Themen bearbeiten. Naturfotografie, Street-Fotografie, Porträt, Stillleben, Studioaufnahmen. Das ist ja ganz natürlich, dass man sich mit den anderen messen will. Aber Peter nimmt … nahm diesen Wettbewerb meiner Meinung nach zu ernst. Die hervorgehobene Hängung bei einer Ausstellung, der erste Preis bei einer Veranstaltung, das war ihm alles irrsinnig wichtig. Wichtiger als die Klubarbeit an sich oder auch das Gemeinschaftsgefühl.«

»Würden Sie sagen, dass zwischen Ihnen ernst zu nehmende Rivalität herrschte? Um die Leitung des Klubs, der doch ursprünglich von Ihnen ins Leben gerufen worden ist?«

Klapperts Gesicht verhärtete sich.

»Peter ist auf der Vollversammlung zum Ersten Vorsitzenden gewählt worden, ich als sein Stellvertreter. So sind demokratische Wahlen eben. Ich würde das nicht als ernst zu nehmende Rivalität bezeichnen.«

»Es kam nie zu Streit zwischen Ihnen?«

Zögern.

»In fachlichen Fragen waren wir hin und wieder nicht einer Meinung.«

»Stimmt es, dass Sie geäußert haben, Sie wären Peter Neumann im Klub gern wieder los?«

Jetzt versteifte sich der ganze Mann vor ihnen. »Das … mag vielleicht sein.«

»Hm.« Lennard nickte und tat, als müsse er diese Information sacken lassen. »Ist Ihnen bekannt, ob jemand anderer im Klub Probleme mit Herrn Neumann hatte?«

Sein Gegenüber tat so, als müsse er überlegen.

»Herr Klappert, wenn Sie etwas wissen, müssen Sie uns das sagen. Wissen Sie von einem Streit, Ärger, sonstiger Missgunst zwischen Peter Neumann und einem der anderen Klubmitglieder?«

Klappert wand sich sichtlich. Wägte ganz offenbar ab, was sie womöglich sowieso schon wissen konnten und was ihn demzufolge in Schwierigkeiten bringen konnte, wenn er es verschwieg. Nun würde sich auszahlen, ob Lennard mit der anfänglichen Erwähnung von Gundula Schneid richtig kalkuliert hatte.

Und tatsächlich. Klappert hatte angebissen. »Ist ja meine Pflicht, ne?«

»Sie sind alle in der Pflicht, uns zu sagen, was immer bei den Ermittlungen hilfreich sein könnte«, bestätigte Lennard ernst.

»Tja, also …« Kurzer Blick zu seiner Frau, die ihm zunickte. »Richtigen Streit kann man das wohl nicht nennen. Aber Gero war eine ganze Weile ziemlich eng mit Peter. Gero Winter«, wiederholte er an Tina gewandt, die mitschrieb. »In den letzten Wochen hat sich das aber um hundertachtzig Grad gedreht. Die beiden haben kaum noch ein Wort miteinander gesprochen. Ich hatte den Eindruck, dass Gero vermied, Peter überhaupt zu begegnen.«

»Wissen Sie, was vorgefallen ist?«

Bedauerndes Kopfschütteln.

Lennard nahm es ihm nicht ab. Aber da er ja bereits wusste, was es mit diesem Zwist auf sich hatte, ließ er Klappert damit durchkommen.

»Als wir uns am Mittwoch im Klub kurz gesprochen haben, haben Sie angegeben, dass Sie nicht wissen, wer auf diesem zerrissenen Foto zu sehen ist oder wer es geschossen haben könnte.« Lennard hielt es Klappert hin, der einen Blick darauf warf. »Ist Ihnen diesbezüglich in der Zwischenzeit etwas eingefallen?«

»Nein, tut mir leid. Keine Ahnung, was es damit auf sich hat.«

Lennard steckte das Papier wieder ein. »Außerdem sagten Sie, Sie seien Dienstag den ganzen Abend zu Hause gewesen«, fuhr er dann fort und wandte sich an Frau Klappert: »Können Sie das bestätigen?«

Sie nickte einmal kurz.

»Stimmt. Mein Mann ist sonst ja dienstagabends immer im Klub, zur Bildbesprechung. Muss er ja als Zweiter Vorsitzender. Aber diesmal ist die ja ausgefallen.«

Tina neben ihm regte sich. »Aber dienstags ist doch nie …« Offenbar wollte sie darauf hinweisen, dass der Dienstagabend der einzige Termin in der Woche war, an dem im Hattinger Fotoklub Linsenkunst keine Veranstaltung stattfand. Doch Lennards Bauchgefühl raunte ihm zu, auf diesen Umstand jetzt besser nicht hinzuweisen. So sah er seine Kollegin kurz an und schüttelte kaum merklich den Kopf. Sie verstummte schlagartig und widmete sich ihren Notizen.

»Er war also den ganzen Abend zu Hause bei Ihnen? Ohne Ausnahme?«

Frau Klappert nickte erneut. »Wir haben ferngesehen. Wie hieß der Film noch, Markus? So ein schwedischer …«

»Das ist doch jetzt nicht wichtig«, unterbrach ihr Mann sie ein wenig unwirsch. »Herr Hauptkommissar, ich glaube, ich habe das Recht, das zu erfahren: Sie wussten bereits von den Unstimmigkeiten zwischen Peter und mir, oder? Und dass ich Ihnen etwas zu Gero würde sagen können auch. Hat Gundula Schneid mich bewusst … angeschwärzt bei Ihnen?«

»Na, die sicher nicht«, brummte Tina über ihrem Notizbuch und erntete einen überraschten Blick von Frau Klappert.

Lennard räusperte sich, und seine junge Kollegin zog den Kopf ein.

An Klappert gewandt, sagte er: »Tut mir leid, aber wir dürfen Ihnen keine Auskunft über die anderen Befragungen geben.«

Klappert nickte verkniffen. Seine Frau aber beobachtete immer noch forschend die junge Polizistin, die betont eifrig in ihr Notizbuch schrieb.

»Das war es dann auch schon.« Lennard rieb sich die Hände und nickte dem Ehepaar zu. »Haben Sie vielen Dank für Ihre Zeit. Falls Ihnen noch etwas einfällt …« Er legte seine dienstliche Visitenkarte auf den Tisch. Die beiden Klapperts begleiteten sie noch zur Tür, die sich dann rasch hinter ihnen schloss.

Schweigend gingen Lennard und Tina die Gasse entlang. Diesmal hatte Lennard keinen Blick übrig für den vor dem Sommerhimmel sich malerisch erhebenden Burgturm oder den dahinströmenden Fluss im Tal. Er war mit dem gerade geführten Gespräch beschäftigt.

Auch Tina schien tief in Gedanken versunken zu sein. So erreichte sie den Dienstwagen, stiegen ein.

»Tut mir echt leid«, sagte sie da zerknirscht. »Ich meine, dass ich mir da was in den Bart gemurmelt hab, von wegen, dass die Schneid ihn ganz sicher nicht angeschwärzt hat. Ich weiß natürlich, dass wir in Befragungen nie etwas davon erzählen dürfen, was die anderen …«

»Schon in Ordnung, Tina«, fiel Lennard ihr beruhigend ins Wort. »Irgendwie habe ich das Gefühl, als könnte das in diesem Fall gar nicht so übel gewesen sein.«