»Sach ma, könnt ihr dann vielleicht eure gute Freundin Ahsen auch mitnehmen? Ich mein, für Kuchen bin ich immer zu haben, das wisst ihr ja. Und das mit den ganzen Blumen und dem Teich und so klingt mega! Vielleicht kann ich Mama ein paar Ableger für den Schrebergarten abstechen?«
Ahsen und Pamela saßen in Tottis kleiner Küche in seiner Wohnung über der Bude. Ihr Freund werkelte am Herd herum und rührte gerade Mandelcreme in eine Spinatsoße, die herrlich nach Knoblauch duftete.
Pamela hatte nach dem Besuch bei Jessi ein paar Besorgungen gemacht und war auch im Bioladen vorbeigefahren, um Zutaten zu kaufen. Es war eindeutig Zeit für einen ihrer Dreier, wie sie diese Treffen nannten, wenn kein anderer zuhörte.
Totti hatte das Abendgeschäft in der Bude der Obhut seiner Aushilfe Ayo überlassen, der sich neben dem Studium auf diese Weise etwas dazuverdiente. Ahsen hatte Tarik per Handy beteuert, dass er das Abendessen und die Kinderbetreuung schon hinkriegen würde. Und Pamela hatte Leia getextet, dass sie ihr später eine Portion von Tottis neuestem veganen Gericht mitbringen würde.
Nun hielten sie Kriegsrat.
»Jetzt mal ernsthaft, hätten wir Jessi nicht warnen müssen?«, überlegte Totti, während er die Pasta ins Wasser ließ. »Ich meine, wenn Winter echt so ein Killertyp ist, der wegen Geld andere kaltmacht, vielleicht überlegt er sich dann auch mal, dass bei Jessi und Debora auch was zu holen ist?«
»Da besteht keine Gefahr«, wandte Pamela ein. »Die nächsten Monate werden sie sich nicht sehen. Ihr letztes Shooting hatten sie nämlich erst vor ein paar Wochen. Da hat Winter doch behauptet, es hätte im Klub böses Blut gegeben. Deswegen musste er das ganze Fotoequipment irgendwo anmieten und bei Debora ankarren.«
»Das wird ihn ziemlich sauer gemacht haben«, bemerkte Totti. »Aber wegen so was bringt man doch niemanden um.«
»Kann ich mir auch nicht vorstellen«, pflichtete Pamela ihm bei.
»Ihr wisst ja noch nicht, was ich inzwischen weiß«, platzte Ahsen heraus. Temperamentvoll war sie immer, aber heute besonders zappelig. Während der zwanzig Minuten, die sie hier in der Küche saßen und Pamelas Bericht über den Besuch bei Jessi bequatschten, war sie immer wieder unruhig auf ihrem Stuhl herumgerutscht.
»Was denn?«, fragten Pamela und Totti wie aus einem Mund.
Aber Ahsen liebte es nun mal, Geschichten zu erzählen: »Ich wollte mich ja eigentlich total raushalten. Wegen dieser Sache mit dem Hausfriedensbruch und so. Hatten wir ja auch gesagt, dass wir das machen, ne, Pamela?« Leicht vorwurfsvoller Blick aus Glutaugen. »Aber … ich sach ma so, die Sache ging mir einfach nicht aus dem Kopf. Der Winter, das hab ich von Anfang an gewusst, das ist ein schwarzer Hammel.« Pamela verkniff es sich, ihre Freundin zu unterbrechen, um sie darauf hinzuweisen, dass Ahsen anfangs doch von Klapperts Schuld felsenfest überzeugt gewesen war. »Der hat diese Art Dreck am Stecken, gegen die wir auch mit der Mega-Aktions-Reinigung nicht ankommen würden. Wir verstehen uns? Na, jedenfalls hab ich mich die halbe Nacht rumgewälzt und nachgedacht. Tarik am Schnarchen. Ich so: ›Tarik! Dreh dich auf die Seite!‹ Er so: ›Mmmh, hä? Ja, ja, nur kein Kissen aufs Gesicht drücken!‹ Voll der Lachflash mitten in der Nacht. Und mit Lachen ist das wie mit Sex: Danach kann man richtig gut schlafen. Mein Superhirn arbeitet dann aber trotzdem weiter, sag ich euch. Und als ich heute Morgen wach wurde, dachte ich sofort wieder an Tariks Spruch. Der kam nämlich daher, weil meine Cousine Gül ihrem Mann mal ’n Kissen aufs Gesicht geworfen hat, als er so doll geschnarcht hat.«
Sie hielt inne und nahm einen Schluck Apfelschorle.
Totti rührte die Nudeln und die Soße noch mal um.
Pamela trommelte leise mit den Fingern.
Ahsen sah sie beide an, als müssten jetzt so einige Groschen fallen. War aber nicht. »Hey, Leute! Gül? Meine Cousine Gül? Die beim Finanzamt die Büros putzt?«
Totti sah aus, als würde er nur Bahnhof verstehen. Aber Pamela schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Getz sach bloß, du hast da irgendwas unternommen?«
Ahsen grinste, sehr zufrieden mit sich selbst. »Gül ist meine Lieblingscousine, versteht ihr, und ich ihre. Ich hab sie einfach gefragt, ob es wohl auffällt, wenn mal eine Putzfee mehr ins Amt kommt. Und was soll ich sagen? Nach Opa Klöke war irgendwie noch Zeit. Ich war vorhin mit Gül drin!«
»Nein!«, rief Pamela beeindruckt.
»Ich hab nur meiner Cousine beim Saubermachen geholfen«, entgegnete Ahsen mit einem Schulterzucken. Doch dann legte sie den Kopf schief. »Na ja, vielleicht hab ich auch ein bisschen an einem der Computer gespielt.«
»Nein!«, wiederholte Pamela wieder. »Jetzt bin ich völlig von den Socken!«
Ahsen winkte ab. »Aaaach, war ganz einfach. Ich meine, wer stellt sich denn ein Hochzeitsfoto auf den Schreibtisch, samt Datum, und benutzt das dann als Passwort?«
Totti war blass geworden. »Ahsen, Mensch, das ist aber mehr als Hausfriedensbruch.«
»Weiß doch keiner.«
»Und?«, wollte Pamela rasch wissen. »Hast du irgendwas gefunden?«
Ihre Freundin nickte. »Winters Einkommensteuererklärung samt der Bescheide. Und ich sag euch, durch seinen Brotjob wär der Mann zwar nicht arm wie eine Kirchenratte, aber die verdienen sich auch nicht gerade ’n goldenen Hintern, diese Finanzbeamten.«
»Und … die Fotos?«
»Geringer Nebenverdienst als Fotograf, mit dem Status Liebhaberei.«
»Er versteuert diese horrenden Einnahmen nicht?«
»Keine Spur davon.«
»Ha!«, rief Pamela.
»Dachte ich auch.« Ahsen strahlte triumphierend. »Und wenn einer dahintergekommen ist, dann hätte der den Winter echt in der Hand gehabt.«
Totti goss die Pasta ins Sieb und verschwand kurzzeitig hinter einer Wand aus Wasserdampf. »Versprecht ihr mir eins?«, bat er dann, als er daraus auftauchte und den Topf in die Mitte des Tisches stellte. »Was immer ihr jetzt damit vorhabt, seid bitte vorsichtig!«
Pamela starrte grübelnd in die noch blubbernde frühlingsgrüne Soße, die den Nudeln auf den Tisch gefolgt war.
»Das ist jetzt das Problem«, sagte sie, während Ahsen bereits die Schöpfkelle in den Nudeltopf tauchte und auf den bereitstehenden Tellern drei kleine Berge aufhäufte. »Was machen wir denn jetzt mit dieser neuen Info?«
Totti schenkte ihnen allen noch mal Wasser nach und setzte sich zu ihnen.
»Zur Polizei gehen natürlich.«
»Und dann erzählen wir denen was genau, woher wir das wissen?«, konterte Ahsen und verfuhr mit der duftenden Soße ebenfalls großzügig.
Totti starrte auf seinen Teller. Schließlich hob er den Blick und sah Pamela an. Ebenso wie Ahsen.
»Was guckt ihr mich so an?«
»Du hast immer die guten Einfälle«, gab Ahsen neidlos zu.
»Die Sache mit dem Finanzamt war auch eine tolle Idee«, widersprach Pamela der Freundin.
»Ja klar. Aber was fangen wir damit jetzt an? Totti hat ja recht. Eigentlich muss die Info zur Polizei, wenigstens ’n Stupser, dass sie da mal genauer nachgucken. Aber weil das illegal war, was ich gemacht hab, geht das eben nicht …« Ein wenig stolz klang sie dabei schon. Besonders bei dem Wort illegal.
Ein Stupser?
Irgendwas klingelte da. Pamela versuchte, es zu fassen. Doch der Gedanke war wie ein Wort auf der Zunge, das sich im letzten Moment immer wieder entzieht.
»Mahlzeit!«, sagte Totti und machte sich übers Essen her.
»Guten Appetit«, antwortete Ahsen und verdrehte dann mit vollem Mund die Augen. »Mmmmh, Toddi, ds ja vll lgga!«
Pamela probierte. Es stimmte. Voll lecker.
Eine Weile aßen sie schweigend.
Schließlich warf Totti einen kritischen Blick in den Topf.
»Davon kannst du nicht nur Leia, sondern auch Marlies was mitbringen.«
»Mama!«, entfuhr es Pamela.
Die beiden anderen sahen sie verblüfft an.
Sie schluckte schnell den letzten Bissen hinunter. »Als der Vogt gestern Abend bei mir war, um mir zu sagen, dass wir uns nicht mehr … also …«
»Ja, ja.« Ahsen winkte sie großzügig an diesem leidigen Thema vorbei. Dafür, dass sie erst so geschockt über das Wort Hausfriedensbruch gewesen war, hatte sie nun echt wenig Skrupel. Sie war viel zu gespannt, was Pamela eingefallen war.
»Also, da hat Mama doch diese peinliche Nummer mit dem Schrubber im Hausflur abgezogen, nur um ihn mal kurz zu sehen.« Ihre beiden Freunde nickten. »Na, und hinterher konnte sie sich gar nicht einkriegen, von wegen wie gut er aussieht und dass seine Frau aber trotzdem nicht mehr da wohnt … Hey! Das hat sie nicht von mir, klar? Davon hab ich nichts erwähnt. Ich schätze mal, Sahin hat es erzählt, so als Nachbarn kriegt man das doch mit. Jedenfalls hat Mama gemeint, dass der Kommissar nach Feierabend für ein Bierchen ganz gern in die Eckige Kneipe geht.«
Das kleine Lokal war eine Institution in Hattingens Altstadt. Heerscharen von Studenten und jungen Menschen hatten dort ihre ersten Besäufnisse erlebt, Lieben kennengelernt und sich auch dort wieder getrennt. Der Inhaber Fritz ging bereits auf die siebzig zu, hielt aber unverdrossen an seinem ebenfalls arg in die Jahre gekommenen Laden fest. Niemand konnte sich die Stadt ohne seine Kneipe vorstellen.
»Is ja auch ’n netter Laden«, kommentierte Totti anerkennend.
Seit er vor zehn Jahren die Bude übernommen hatte, fühlte er sich mit allen Geschäftstreibenden der Stadt eng verbunden.
»Und was hat das mit unserer Zwickmühle zu tun?«, wollte Ahsen wissen.
Pamela zuckte mit den Achseln.
»Ich könnte doch auf einen kleinen Nachtischabsacker da vorbeigehen. So ein zufälliges privates Treffen bietet sich doch an, um noch mal kurz über den Fall zu sprechen. Und da könnte ich doch einen Tipp fallen lassen. Nur so ganz vage, natürlich. Als wär es nur so ein Gedanke von mir. Aber vielleicht kommt er dann drauf, der Spur nachzugehen.«
»Meinst du, das rallt der? Du hast doch gesagt, dass er ein bisschen … umständlich war da im Klub«, erinnerte Ahsen sie.
Hatte sie das? Pamela blinzelte kurz.
Als Hauptkommissar Vogt in ihrem Wohnzimmer gesessen hatte, hatte sie diesen Eindruck jedenfalls nicht mehr gehabt.
»Wäre einen Versuch wert«, stimmte Totti ihr da gerade zu und sah auf die Uhr. »Dann musst du dich aber beeilen. Wenn er direkt nach Feierabend ’n Bier nimmt, wird es Zeit, da aufzutauchen, bevor er wieder geht.«
Pamela betrachtete kurz die beeindruckenden Reste von Nudeln und Soße.
»Ich klemm mich schnell aufs Rad und bring deinen Süßen das Essen«, schlug Totti vor, ihren Blick richtig deutend. »Du hast schließlich eine Mission.«
Eine Mission zu haben bedeutete noch lange nicht, das Ganze so cool angehen zu können, wie es klang.
Pamela atmete noch einmal tief ein und wieder aus, bevor sie um die Schaufensterecke des Schuhladens bog. Wie erwartet waren die wenigen Außensitzplätze der Eckigen Kneipe bereits besetzt. Sie ließ ihren Blick über die Gesichter huschen, fand aber niemand Bekanntes und schon gar nicht das dunkle Haar und kantige Gesicht, nach dem sie Ausschau hielt.
Die Kneipentür stand weit offen. Wie oft hatte Pamela das alte Schätzchen aus hundertmal blau überstrichenem Holz schon aufgezogen? Die Tür ging in klassischer Tradition nach außen auf. Für den Fall, dass der Wirt jemanden rauswerfen wollte.
Drinnen herrschte bereits angeregte Geselligkeit. Die kleinen Tische mit den darum herum gruppierten zerschlissenen Sesseln waren zum größten Teil belegt. An der Theke stand ein Grüppchen junger Paare, eine kleine Armee an Tequilas vor sich, samt Salzstreuer und einem Teller mit Zitronenschnitzen. Aber auch hier Fehlanzeige, kein Hauptkommissar weit und breit.
Der Inhaber war gerade dabei, ein paar Biere zu zapfen.
»’n Abend, Fritz«, grüßte Pamela ihn.
»Ach, die kleine Ewing!« Er sprach ihren Namen amerikanisch aus und grinste breit.
»Ha, ha«, machte sie. »Hast du ein Ginger Ale für mich?«
»Ja klar.« Er griff hinter sich und stellte ihr eine Flasche hin. Kein Glas. Er wusste, dass sie lieber aus der Flasche trank.
Pamela köpfte die Flasche mit einem herumliegenden Feuerzeug und klemmte sich auf einen der hohen Hocker. »Wie läuft es so?«
»Siehste ja. Kann nich meckern. Und selbst?«
»Genauso. Immer viel zu tun.«
»Wir haben uns die richtigen Jobs ausgesucht. Bier und Dreck, da gibt’s immer was zu tun«, meinte Fritz. Sie lachten beide über seinen Scherz, der eine ziemlich große Portion Wahrheit enthielt.
»Sach ma, ich hab gehört, unser Kriminalhauptkommissar taucht hier öfter mal auf?«, erkundigte sie sich wie beiläufig.
»Jau. Nach Feierabend, oder mal am Wochenende, auf ein Bierchen, oder auch zwei. Wieso?«
»War er heute schon hier?«
»Nee. Der kommt aber auch nicht jeden Tag.«
Fritz sah sie einen Moment lang fragend an. Doch als sie nichts weiter erklärte, widmete er sich wieder der perfekten Krone für die Pils vor ihm. Ein guter Kneipenwirt war für seine Gäste da, wenn sie was zu erzählen hatten, und ließ sie in Ruhe, wenn sie für sich sein wollten. Fritz war ein Profi in seinem Geschäft.
Pamela nuckelte an ihrer Flasche und sah sich wieder in dem kleinen Lokal um. Enttäuscht musste sie nun wirklich nicht sein. Vielleicht hatte sie ja Glück, und Vogt kam noch? Und wenn nicht, war das auch kein Grund, den Kopf hängen zu lassen. Schließlich war morgen auch noch ein Tag.
Aber sie war eben ein zielstrebiger Mensch.
Ungeduldige Wibbelfurt!, hatte Papa sie früher gerügt, wenn sie mal wieder drohte, vor lauter Zappeligkeit zu explodieren. Aber nur, um ihr dann heimlich zuzuzwinkern. Im Grunde war er doch stolz gewesen auf seine einzige Tochter, die die spannenden, schönen, aufregenden Seiten des Lebens irgendwie nie erwarten konnte.
Was würde er wohl sagen, wenn er wüsste, dass sie jetzt auf eigene Faust in einem Mordfall herumschnüffelte? Wahrscheinlich würde er sie ermahnen, vorsichtig zu sein. Ja, und er würde sie zurechtweisen, wenn sie bei ihren unerlaubten Ermittlungen das Gesetz übertrat. Aber ganz tief in seinem Inneren wäre er mächtig stolz auf sie. Weil sein Leitspruch Gerechtigkeit für alle immer gegolten hatte. Das war ihm wichtig gewesen. Er war der aufrichtigste Mann, den Pamela je getroffen hatte.
Plötzlich sah sie das Bild ihres Vaters so klar und deutlich vor sich, als hätte sie sich gerade erst von ihm verabschiedet. Pamela spürte ein scharfes Brennen hinter ihren Augen und musste blinzeln.
Da spürte sie an dem Stück Haut, das zwischen Turnschuh und 7/8-Jeans sichtbar war, etwas Feuchtes und Kaltes. Da war ein Hund. Zuerst dachte sie, es sei ein Foxterrier oder einer von diesen wild wuscheligen Teilen, die den Schwanz geringelt über dem Rücken trugen. Aber beim Blick in das niedliche Gesicht, das sie von dort unten vergnügt anhechelte, wurde ihr klar, dass es sich wahrscheinlich einfach um eine bunte Promenadenmischung handelte.
»Xaverl«, ertönte da eine Männerstimme. Aus dem hinteren Bereich der Kneipe kam ein Kerl auf sie zu, der ihr beim Hereinkommen schon kurz ins Auge gefallen war: breite Schultern, offenes Gesicht, Dreitagebart, dunkle Augen.
»Was machst denn du, du Schlawiner.« Der Mann beugte sich vor Pamela runter, packte den Hund und hob ihn kurzerhand hoch, als wiege das Tier nicht mehr als eine Feder.
Xaverl freute sich. Er wedelte wie wild und versuchte, das Gesicht seines Herrchens abzuschlecken.
»Nein, jetzt hör fei auf damit, du Bazi!«, schimpfte der halbherzig. An Pamela gewandt, grinste er. »Nix als Busseln im Kopf, der Kloane.«
Pamela musste ein Herausplatzen unterdrücken. »Macht doch nix. Der ist doch total süß«, sagte sie und hielt Xaverl die Hand hin, die er ebenfalls enthusiastisch ableckte.
»Ist halt noch jung, der Xaverl.«
»Und auf Urlaub?«, erkundigte Pamela sich.
»Nein, wir sind jetzt handfeste Bürger dieser schönen Stadt. Gestatten: Xaverl, der Erste, und Bernd Stangl, Elektroingenieur, Direktimport aus dem schönen Regensburg.«
Er deutete eine zackige Verbeugung an.
»Sehr erfreut«, ging Pamela auf seine offizielle Vorstellung ein. »Pamela Schlonski, Urgestein und Kind Hattingens.«
»Ich wusst, es würd sich lohnen herzukommen.« Bernd lächelte breit. »Und wie ich in Regensburg jetzt sagen würde: Derf i mi zu Eahna hersetzen?«
»Wieso nicht?«, erwiderte Pamela amüsiert und wies auf die frei stehenden Hocker, setzte dann aber mit Blick auf die ausgelassene Tequilaclique hinzu: »Oder wir gehen lieber an Ihren Tisch rüber. Da ist es ungefährlicher.«
Sie grinsten sich an und folgten ihrem Vorschlag.
»Noch ein … Ginger Ale? Ich lad Sie ein«, schlug er vor, als sie sich gesetzt hatten und Xaverl begeistert um ihre Beine herumwedelte.
»Danke, nein, ich kann leider nicht allzu lange bleiben.«
»Ich wusste es doch: Heute ist zugleich mein Glücks- und mein Pechtag!« Dazu sah er sie von unten herauf schelmisch an. Er flirtete mit ihr. Ach, verflixt, das war genau ihr Fall. Und der einzige Grund, weswegen sie damals auf Mike reingefallen war. Sie liebte dieses aufregende Spiel mit dem aufflackernden Feuer. Leider war es eine Weile her, dass ein Mann so zielgerichtet auf sie losgegangen war. Nur war sie heute wegen etwas vollkommen anderem hier, zu schade.
Pamela setzte sich aufrechter hin.
»So, Sie sind also neu in der Stadt und suchen ein paar Kontakte?«, erkundigte sie sich.
»Ach, herrje, sieht man mir das so deutlich an?« Bernd Stangl wirkte beklommen.
»Na ja, Sie schicken Ihren Hund los, um in einer Kneipe Fremde zu bezirzen, und laden die dann gleich auf ein Getränk ein. Die Ruhrpöttler sind gastfreundlich und offen, aber selbst für uns wirkt das ziemlich … verzweifelt«, gestand sie.
»Aber Sie sind mitgekommen«, triumphierte er.
Pamela lachte. »Eins zu null für Sie, Herr Stangl.«
»Wenn unsere Bekanntschaft schon so bald wieder ein Ende finden soll, weil Sie nicht lange bleiben können, wollen Sie dann nicht wenigstens Du und Bernd zu mir sagen?«, bat er.
»Ja klar. Pamela.«
»Super! Ich bin tatsächlich ein bisschen verzweifelt, Pamela. Das war jetzt die erste Woche in der neuen Abteilung, und ich habe außer mit meinen Kollegen über fachliche Inhalte mit keinem anderen Menschen gesprochen. Was im Bereich Elektrotechnik ziemlich zermürbend sein kann, das kann ich dir sagen. Ich lechze nach neuem Input.«
»Okay. Was willst du denn wissen?«
Er schwenkte sein Bierglas. Mann, hatte der Muckis, wirklich nicht zu verachten. »Was kann ich so unternehmen?«
Pamela wiegte den Kopf.
»Kommt drauf an, ob du eher der aktive oder der kulturelle Typ bist. Ach, was sag ich, sogar in Sachen Kultur kannst du aktiv sein: Du könntest mit Xaverl die Route der Industriekultur ablaufen. Lauter Orte, wo früher mal Kohle gefördert, Stahl hergestellt oder sonst wie malocht wurde. Da gibt’s Museen und … hey, in einem Gasometer kannst du sogar tauchen, der ist geflutet worden.«
»Ach was!«
»Ja, da gibt’s verschiedene Ebenen. Auf denen liegen dann Autowracks und so’n Zeug. Meine Tochter und mein Ex haben das mal zusammen gemacht. An ein paar Stellen kannst du auch in der Ruhr schwimmen. Aber bitte nicht überall, das kann gefährlich sein. Und ’ne geführte Kanutour könntest du machen, das gibt’s auch mit Hund.« Als ob er wüsste, dass sie über ihn gesprochen hatte, tauchte Xaverls Kopf neben ihren Beinen auf und linste auf die Tischplatte.
»Die Idee gefällt ihm wohl«, überlegte Bernd. »Dann musst du aber ’ne Schwimmweste tragen, Froscherl.«
»Wie süß!«, kommentierte Pamela.
Bernd sah sie interessiert an. »Und du hast eine Tochter, sagst du? Darf die um diese Uhrzeit allein sein?«
»Leia ist schon vierzehn.«
»Ah geh! War das eine Teenagerschwangerschaft?«
Sie mussten beide lachen, weil sein Kompliment so übers Ziel hinausschoss.
»Und du? Hast du Kinder?«
»Leider nur vier zuckersüße Nichten und Neffen und einen Patensohn von meinem besten Freund. Fünf Kindergeburtstage im Jahr! Torten, Geschrei, und ich darf immer den Clown geben. Ich würd sagen: Alles gscheit eingefädelt, wie? Bei mir selbst hat es irgendwie noch nicht geklappt mit der Richtigen fürs Leben und so weiter.« Er sah in sein Bier, dessen perfekte Krone bereits in sich zusammengefallen war. »Ist ja auch schwierig, wenn man wegen des Jobs mal hierhin und mal dorthin geschickt wird. Aber wenigstens hab ich durchs viele Umziehen gelernt, Hochdeutsch zu sprechen – wenn i wui.« Er grinste den kurzen ernsten Moment weg.
»Ach, dann bist du in Hattingen auch nur vorübergehend?«, erkundigte sich Pamela.
»Nein. Hier werd ich so lange bleiben können, wie ich will. Mein Job ist in Essen, aber zum Wohnen fand ich es hier einfach schöner. Und bin in zwanzig Minuten da. Neue Abteilung, neues Glück!«, verkündete er strahlend.
Ein dunkelhaariger Mann betrat die Kneipe, groß und schlank. Pamela sah rasch hin. Doch es war nicht Hauptkommissar Vogt.
»Was machst du so beruflich?«, wollte Bernd wissen.
»Ich hab ’ne Firma«, erklärte Pamela. »Sauberzauber. Wir sind zu zweit, meine Freundin Ahsen und ich. Reinigungsdienste.«
Sie beobachtete sein Gesicht genau. Die erste Reaktion auf diese Eröffnung zeigte ihr immer, was sie von ihren Gegenübern zu halten hatte. Dieser eine kleine Augenblick, in dem sie begriffen, dass ihre Erklärung übersetzt bedeutete: Sie arbeitete als Putzfrau.
Bernd bestand den Test mit Bravour. Er machte ein beeindrucktes Gesicht, hob den Daumen und seufzte dann.
»Eigene Firma, hm? Ein echter Traum. Über die Arbeitszeiten genauso selbst entscheiden zu können wie die Lohnhöhe. Klar, nichts für Sicherheitsfanatiker. Aber wenn ihr zu zweit seid, tragt ihr auch die Verantwortung zusammen?«
»Genau.«
»Klingt genial.«
Sie lächelten sich an.
Ein warmes Gefühl breitete sich in Pamelas Bauch aus. Es war so lange her, dass sie einem Mann begegnet war, der offen auf andere zuging, positiv auf ihren Beruf reagierte, Kinder mochte und zudem auch noch umwerfend gut aussah.
Die große Uhr an der Wand zeigte halb neun.
»Jetzt muss ich aber …«, sagte sie bedauernd, nahm den letzten Schluck aus ihrer Flasche und erhob sich. »Leia ist zwar schon vierzehn. Aber sie ist auch erst vierzehn. Wenn ich nicht aufpasse, daddelt sie den ganzen Abend am Handy rum.«
»War schön, dich kennenzulernen, Pamela«, sagte Bernd und stand ebenfalls auf. Auch noch ein Gentleman. Au weia.
Wie sollte sie das jetzt machen? Die Sache mit der Telefonnummer. Sie wär doch schön blöd, wenn sie nicht …
Da griff er in die Tasche seiner Lederjacke, die über seinem Stuhl hing, und zog etwas hervor.
»Ist ein bisschen zerknittert. Aber die Nummer kann man lesen«, sagte er und reichte ihr die Visitenkarte.
»Perfekt«, murmelte Pamela.
»Bitte?«
»Ach, nichts. Ich hab nichts dabei, aber ich ruf dich ganz sicher an. Bin nicht so eine, die das sagt und dann nie wieder von sich hören lässt.«
»Hab ich mir gleich gedacht«, sagte Bernd. »So sieht nur eine aus, die ihr Wort hält.«