19. Kapitel

8. Mai, Samstag, abends

Pamela hatte Hummeln im Hintern.

Den ganzen Nachmittag hatte sie wie auf heißen Kohlen gesessen.

Ahsen war bis in den frühen Abend mit Tarik und den Kindern im Freibad gewesen und musste sich jetzt um ihre ausgehungerte Familie kümmern. Totti hatte die Bude Ayos Aufsicht überlassen, war – dank dem durch Pamela frisch belebten Kontakt – mit Jessi per Tretboot über den Baldeneysee geschippert und hatte ein Abendprogramm in Form vom neuen veganen Restaurant eingeplant. Keiner ihrer beiden besten Freunde hatte Zeit, mit ihr länger als nur mit ein paar Sätzen ihre neuesten Ermittlungserfolge zu besprechen.

Leia hatte Pamela lieber nicht von ihrer Entdeckung erzählt. Sie konnte sich noch gut daran erinnern, wie ihre Tochter letztes Jahr in bodenlose Schwärmerei für die neue Deutschreferendarin ausgebrochen war. Wahrscheinlich normal in diesem Alter. Aber Teenagern sollte man besser nicht vor Augen führen, dass andere aus ihren Träumereien Realität machten.

Heute Abend jedenfalls hatte Leia sich mit ihrer Freundin Valerie in ihrem Zimmer verschanzt. Sie übten Stricken und hörten dabei Podcasts, die sie angeblich für die Schule brauchten, in denen es aber überraschend häufig um unterschiedliche Methoden der Verhütung ging.

Als Pamela jetzt anklopfte und den Kopf ins Zimmer steckte, hielt Valerie auf ihrem Phone rasch die Folge der Hörsendung an. Beide Mädchen hatten knallrote Birnen und taten auffallend unauffällig. Pamela unterdrückte nur mit Mühe ein Schmunzeln.

»Ich bin mal für zwei Stündchen weg. Mal schauen, ob ich in der Eckigen Kneipe jemand Bekannten treffe«, teilte sie ihrer Tochter mit.

»Okay«, piepste Leia.

»Im Kühlschrank ist noch Traubenschorle. Ach ja, und Mama hat Kokoskekse gebracht. Die sind in der Keksdose.«

»Danke schön«, sagte Valerie artig.

»Viel Spaß weiterhin«, erwiderte Pamela mit einem Augenzwinkern und zog die Tür hinter sich zu.

Sie hörte das Quietschen und Kichern noch, als sie die Wohnungstür schloss.

Grinsend ging sie die Stufen hinunter. War doch prima, wenn die Mädchen sich heutzutage quasi selbst aufklären konnten. Denn wenn man mal ehrlich war: Offizielle Mutter-Tochter-Gespräche waren doch für beide Seiten einfach nur peinlich.

Sie überlegte kurz, das Auto zu nehmen. Der innere Schweinehund lieferte sich ein kurzes und heftiges Gefecht mit der wohlwollenden Instanz, die ihre Ökobilanz im Auge behielt. Es war ein wunderschöner lauer Frühlingsabend nach dem warmen Tag, und so entschied sie sich schließlich fürs Fahrrad.

Ihre Hummeln waren mit von der Partie und schwirrten um sie herum, als sie das Bike vor der Eckigen Kneipe ankettete und die Sitzplatzlage hier draußen sondierte.

Bingo! Sie konnte ihr Glück kaum fassen: Da drüben, am letzten Tisch vor der Gasse, saß Kriminalhauptkommissar Lennard Vogt und starrte in sein Pils.

Kurz sah sie sich um, stellte zufrieden fest, dass wirklich alle anderen Tische besetzt waren, und nahm Kurs.

»Hallo«, sagte sie.

Vogt hob den Kopf und sah sie an.

Im allerersten Moment hatte Pamela den Eindruck, er würde sie nicht einordnen können. Doch dann klärte sich seine Miene.

»Ah, hallo, Frau Schlonski.«

»Is voll heute. Darf ich mich zu Ihnen setzen?«

Er musterte sie überrascht. Dann blinzelte er und deutete auf den Sitz ihm gegenüber. »Bitte sehr.«

»Danke schön.«

Bei diesem steifen Wortwechsel musste Pamela automatisch an ihr letztes Treffen in ihrem Wohnzimmer denken, bei dem sie sich mit genau diesen Worten verabschiedet hatten.

Sein überraschter Blick blieb weiterhin auf ihr haften.

»Ist was?«, wollte sie irritiert wissen.

»Nein, ich … ich habe mich nur gerade gewundert, dass Sie hier sind«, antwortete er. »So allein.«

»Wieso denn nicht?«, erkundigte sie sich. »Haben alleinerziehende Raumpflegerinnen mit eigenem Betrieb etwa nicht die polizeiliche Erlaubnis, samstagabends eine Kneipe zu besuchen? Und zwar auch allein?«

»Nein. Ich meine ja. Ja, sicher haben Sie die«, erwiderte Vogt ein wenig konfus. »Ich dachte nur, Sie seien eher der Typ für … Grillpartys.«

»Grillpartys?«

»Ach, schon gut.«

Pamela fragte sich, das wievielte Bier dieses hier wohl war.

»Sie haben … ähm …« Sie deutete einmal rund um ihr eigenes Gesicht. » … wohl etwas zu viel Sonne abbekommen?«

Das war nett ausgedrückt. Er hatte einen fetten Sonnenbrand. Aber neidlos musste sie ihm zugestehen, dass bei seinem Teint die Farbe bestimmt in zwei, drei Tagen zu einem frischen Braunton mutieren würde. Anders, als ihre eigenen Sonnenbrände es zu tun pflegten. Sie kamen in Schweinchenrosa, blieben drei Tage und hinterließen dann nichts als eine sich pellende Nase.

»Ich habe wohl zu lange an der Ruhr gesessen«, brummte er.

»Sieht man«, teilte Pamela ihm hilfsbereit mit. Vielleicht hatte er zu Hause noch gar nicht in den Spiegel geschaut. »Das Wetter war ja auch Bombe. Vielleicht sollten Sie die nächsten Tage woanders spazieren gehen? Kennen Sie den Schulenburger Wald? Da ist es auch schön. Nur eben ohne zu viel Sonne.«

Die Studentin, die Fritz als Bedienung beschäftigte, rauschte an ihren Tisch. »Hi, du, was darf’s sein?«

»Hi, Olga.« Pamela warf Vogt einen Blick zu. »Darf man mit einem Bier intus noch mit dem Fahrrad heim?«, wollte sie von ihm wissen.

»Wenn man schiebt«, antwortete er.

Pamela wandte sich an Olga. »Ich nehm eine riesig große eiskalte Apfelschorle, bitte.«

Olga zog grinsend ab.

»Sie haben es gut, Sie haben es ja nicht weit«, knüpfte Pamela einen ersten Gesprächsfaden. »Weder von hier nach Hause noch von dort zur Arbeit. Laufen Sie auch zur Arbeit, wenn Sie so einen Fall wie jetzt gerade auf dem Tisch haben? Ich meine, muss es da nicht manchmal schnell gehen?«

Der Kommissar verzog den Mund zu einer nachdenklichen Schnute. Sah irgendwie … niedlich aus, stellte Pamela zu ihrem eigenen Verblüffen fest.

»Vermutlich kommt es eher auf die Schnelligkeit an, die man hier an den Tag legen kann«, antwortete er dann und tippte sich an die Schläfe.

»Verstehe. Da braucht man wahrscheinlich Lichtgeschwindigkeit.« Pamela nickte. »Etwas, was so Leuten wie … ich sach ma, zum Beispiel Winter fehlt. Oder? Ich meine, so Steuerbetrüger müssen zwar gut im Rechnen sein, aber um jemandem auf die Schliche zu kommen, dafür braucht man doch so was wie … Kreativität.«

Vogt sah sie mit plötzlich geschärfter Aufmerksamkeit an. So ein Kommissarblick.

»Woher wissen Sie, dass Winter Steuern hinterzogen hat?«

Pamela hob die Brauen. »Also, bisher hatte ich es ja nur vermutet. Ich meine, diese krassen Summen für die Lack- und-Leder-Fotos. Aber wenn Sie das jetzt so fragen, würd ich mal antworten: Sicher wissen tu ich das jetzt von Ihnen.«

Nun blickte er wieder so sauertöpfisch drein, und Pamela war sicher, dass diese Sache mit dem niedlich gerade so etwas wie eine Halluzination gewesen sein musste.

»Aber so, wie Sie aussehen, würde ich mal darauf tippen, dass er für den Mordabend ein echt gutes Alibi hat«, stellte sie fest. »Irgendwas, wo mindestens zwanzig Leute schwören, dass er die ganze Zeit den Raum nicht verlassen hat und so. Ahsen, also meine Freundin und Kollegin, erinnern Sie sich? Also, Ahsen guckt ja wahnsinnig gerne alle möglichen Fernsehkrimis. Da gibt’s dann manchmal so Mörder, die es schaffen, auf einer Party so zu tun, als wären sie gar nicht weg gewesen. Sie quatschen hier besonders lustig, lachen dort besonders laut, flirten oder tanzen wild, eben so, dass alle anderen subjektiv denken, der- oder diejenige muss doch die ganze Zeit da gewesen sein. War er oder sie aber gar nicht.«

»Bei einem Online-Meeting wäre das allerdings nicht möglich«, wandte der Kommissar ein.

Pamela legte den Kopf schief. »Ach was! Auch so was kann man faken. In Sachen Online-Treffen haben wir doch alle inzwischen viel Erfahrung sammeln können. Ich weiß noch, dass Leia mir das mal gezeigt hat: Da gibt’s diesen Server, wo immer der, der spricht, ganz groß im Bild ist und alle anderen so klein oben in einer Leiste. Man muss nur drauf achten, dass man sich möglichst spät einloggt. Dann rutscht man automatisch in der Leiste ganz weit zur Seite und ist für die meisten gar nicht zu sehen, es sei denn, sie suchen nach einem. Wenn die das aber nicht tun, ist man quasi unsichtbar. Außerdem gibt es doch auch die Möglichkeit, sich ohne Kamera einzuloggen. Das tun auch viele, weil sie nicht im Nachtpolter gesehen werden wollen.«

Vogt wirkte nachdenklich.

»Sehen Sie, man muss um Ecken denken«, sagte Pamela.

Olga brachte einen riesigen Krug Apfelschorle, in dem Eiswürfel klirrten.

»Perfekt!« Pamela setzte das Glas an und trank es in einem Zug zur Hälfte leer. Vogt sah dabei betont in eine andere Richtung.

»Lecker«, seufzte sie und stellte den Krug wieder ab.

»Also, um noch mal auf Winters Alibi zurückzukommen …«, begann sie.

»Ich habe nicht gesagt, dass Herr Winter ein Alibi hat«, unterbrach der Kommissar sie.

»Aber Sie haben so geguckt«, meinte Pamela. »Und zu diesem gewissen Verdammt-unser-Hauptverdächtiger-hat-ein-wasserdichtes-Alibi-Blick wollte ich nur sagen: Auch das kann doch gefakt sein.«

Er öffnete den Mund. Und schloss ihn wieder.

Er hatte nicht widersprochen. Sie hatte also recht, Winter hatte ein Alibi. Na, das würden die von der Kripo doch bestimmt ordentlich überprüfen.

»Und der arme Klappert«, fuhr sie fort. »Der war echt ganz schön durcheinander, als ich ihn am Donnerstag noch mal im Klub getroffen habe. Ist ja auch eine Sauerei, wenn man gemobbt wird. Das mit dem Mobben hat er ja selbst gesagt, als er mit der Schneid gesprochen hat, wissen Sie noch? Hatte ich Ihnen erzählt.«

Vogt nickte. »Ja, das haben Sie erwähnt.«

»So was kann verdammt wehtun. Mein bester Freund Totti, der war als Kind ziemlich rund. Und dann noch die roten Haare und Sommersprossen und so. Null Talent für Fußball, dafür aber auf jeder Kuhwiese, um die Rindviecher zu streicheln. War eigentlich klar, dass er von den anderen aufs Korn genommen wird. Aber er hat sich nicht unterkriegen lassen. Und wenn es mal Kloppe gab, hab ich ihm geholfen. Was ich sagen will: Man muss sich wehren, bevor sich in einem so viel Wut anstaut, dass dann womöglich so was dabei rauskommt.«

Sie imitierte mit der Hand eine Pistole und tat so, als gebe sie einen Schuss ab.

»Wollen Sie andeuten, dass Herr Klappert als Täter im Mordfall Peter Neumann infrage kommt?«, fragte Oberschlaukommissar Vogt mit seiner offiziellsten Stimme.

»Nee«, antwortete Pamela betont flapsig. »Der war doch den ganzen Abend mit seiner Frau zu Hause.«

Also, wenn Vogt eins nicht konnte, dann war es schauspielern. Seine Überraschung über ihr Wissen war ihm deutlich anzumerken.

»Hat er am Donnerstag im Klub erwähnt«, erklärte sie. Er nickte langsam. »Könnte also höchstens sein, dass die beiden das zusammen …«, setzte sie hinzu. Vogt hob die Brauen. »Aber wahrscheinlich eher nicht«, beeilte sie sich zu revidieren. »Außerdem ist der Klappert einfach ein total netter Kerl. Er hat direkt meinen Stundenlohn erhöht.«

Vogt, der gerade den letzten Schluck Bier nehmen wollte, hielt in der Bewegung inne. »Er hat Ihren Lohn erhöht? Hat er das mit irgendeiner Bedingung verknüpft? Hat er eine auffällige Bemerkung dazu gemacht, was Sie möglicherweise am Mittwochmorgen im Klub gesehen oder sonst wie aufgeschnappt haben könnten?«

Pamela überlegte kurz. Dann schüttelte sie den Kopf.

»Er meinte nur, ich mache die Arbeit so gut, dass ich auf jeden Fall mehr verdient hätte. Seine Frau weiß ja, was da alles zu tun ist im Klub. Aber«, sie schielte zu ihm hin, »nicht, dass wir uns missverstehen. Die Lohnerhöhung ist nicht auffällig hoch. Von wegen hundert Euro Trinkgeld, damit ich irgendwas nicht ausplaudere, oder so was.«

Eine kleine Weile schwiegen sie.

Vogt trank sein Glas aus und winkte damit Olga nach einem weiteren.

»Gibt es irgendeinen Grund, aus dem Sie Klappert mehr verdächtigen als die anderen? Ich meine, abgesehen von dem Mobbing und so?«, erkundigte sich Pamela möglichst lapidar.

Doch leider fiel der Kommissar nicht darauf rein.

»Frau Schlonski, ich habe Ihnen doch bereits sehr deutlich gesagt, dass ich Ihnen keine Informationen weitergeben darf«, brummte er. Wahrscheinlich wurmte es ihn immer noch, dass ihm gerade die Sache mit Winters Steuerhinterziehung rausgerutscht war.

»Jaaa«, sagte Pamela gedehnt. »Ja, aber eine Sache gibt es da noch. Dieser Fotoschnipsel, den ich in der Dunkelkammer gefunden habe … Wissen Sie eigentlich inzwischen, wer da drauf zu sehen ist? Weil …«

Es ging ein Ruck durch ihn, und er sah sie so streng an, dass ihr tatsächlich ein bisschen mulmig wurde. Sie verstummte.

»Noch einmal: Ich werde mit Ihnen nicht über Informationen zum laufenden Fall sprechen. Sie sind eine Zeugin. Für alles, was wir in Befragungen von Ihnen erfahren haben, ist die Dienststelle Ihnen sehr dankbar. Und darüber hinaus sollten wir jetzt besser das Thema wechseln.«

Oooh, der konnte ja richtig einen auf Bad Cop machen.

Pamela überlegte kurz, ob sie ihm ihr Wissen zu Nicole Schlierenstein und Milan Schwerverknallt einfach an den Kopf werfen sollte, bevor er sie in Grund und Boden gucken konnte. Aber dann würde er nachfragen, woher sie von diesem Schüler-Lehrerin-Verhältnis wusste. Und bestimmt wäre er nicht begeistert, wenn sie ihm von ihrer kleinen Beschattungsaktion erzählen würde.

»Na gut«, murmelte sie. »Haben Sie noch mal über meinen Vorschlag mit der Putzstelle nachgedacht?«

Eigentlich hatte sie erwartet, sich mit dieser lapidaren Frage auf ungefährliches Terrain zu begeben. Doch aus irgendeinem Grund schien Vogt plötzlich noch verärgerter zu sein.

»Vielen Dank auch für dieses Angebot, Frau Schlonski, aber ich schaffe es wirklich sehr gut, mein Haus allein in Ordnung zu halten. Ich gehöre nicht zu den Männern, die sich vor Hausarbeit drücken!«

Ah, daher wehte also der Wind.

»Das dachte ich auch gar nicht«, versicherte sie ihm schnell. »Viele meiner Leute würden mich bestimmt nicht brauchen, wenn sie nur ausreichend Zeit hätten. Hätte doch gut sein können, dass das bei Ihnen auch der Fall ist. Ich dachte: Hauptkommissar bei der Kripo, der Mann leitet eine Abteilung, ermittelt selbst, hat Verbrecher zu jagen. Der hat einfach keine Zeit, mit dem Möppel durchs Haus zu sausen.«

Ihre Erklärung besänftigte ihr Gegenüber ebenso schnell, wie ihre vorherige Frage ihn verärgert hatte.

»Möppel?«, wiederholte Vogt. Da war es wieder, dieses andere Gesicht.

»Na ja, wie sagen Sie denn dazu?« Pamela tat so, als wringe sie einen Lappen aus, um dann damit samt Schrubber den Boden zu reinigen. »Aufnehmer? Wischmopp?«

»Feudel«, antwortete er.

Olga setzte ein neues Bier vor Vogt ab und nahm das leere Glas mit. Im Umdrehen warf sie ihm einen koketten Blick zu, den er entweder nicht mitbekam oder komplett ignorierte.

Hm. Das erinnerte Pamela an sich selbst, damals, als sie Mike endgültig die Rote Karte gezeigt hatte. Wann immer beim Ausgehen oder auf einer Party bei Freunden ein Mann Interesse an ihr gezeigt hatte, hatte sie es einfach ausgeblendet. Sie hatte nicht nur den Kerlen gegenüber, sondern auch vor sich selbst so getan, als merke sie nichts. Weil der Schmerz über die frische Trennung ihr unentwegt zuraunte, dass alles, was mit solchen Blicken und charmanten Worten begann, ja doch nur ins Verderben führen konnte.

»Feudel?« Sie hob ihren Krug und prostete ihm zu. Reflexartig griff er nach dem Bierglas und tat es ihr gleich. Sie tranken beide einen großen Schluck. »Also, ich finde das klingt beides nach mächtig viel Spaß, finden Sie nicht?« Sie verstellte ihre Stimme und quietschte: »Ich feudel dir gleich mal einen, du Möppel du!«

Vogt lachte. Pamela konnte es im ersten Moment fast nicht glauben, aber er lachte tatsächlich. Und plötzlich blitzten die seegrünen Augen, Lachfältchen erschienen, und Grübchen sprangen ihm in die Wangen.

»Stimmt«, grinste er dann und wischte sich den Bierschaum von der Oberlippe. »Klingt wirklich nach jeder Menge Spaß.«

Sie lachten beide noch einmal, obwohl der Witz nun wirklich nicht soo bombastisch gewesen war.

»Wie lange sind Sie jetzt hier?«, fragte Pamela.

»Drei Jahre.«

»Dann wird’s aber Zeit, dass Sie ein bisschen Ruhrpöttisch lernen«, befand sie. »Kennen Sie …« Sie überlegte kurz. »Bömskes?«

Vogt dachte nach. »Bonschen«, sagte er dann.

»Mottek?«

»Hammer.«

»Einfach Hammer?«

»Einfach Hammer.«

»Okay, ähm … Dubbel?«

Er musste passen und hob die Schultern.

»Butterbrot. Weil, da sind doch zwei Scheiben aufeinander gepappt.« Sie machte die entsprechende Geste. »Oder kennen Sie …«

»Hallo, Pamela«, sagte da jemand neben ihr.

Pamela blickte auf und sah in die braunen Augen von Bernd Stangl. Und eine Sekunde später saß Xaverl auf ihrem Schoß. Der kleine Kerl versuchte derart enthusiastisch, ihr Gesicht abzuschlecken, als handele es sich bei ihr um eine lang vermisste nahe Verwandte.

Lachend wehrte sie ihn ab. Bernd griff in Xaverls Geschirr und hob ihn wieder auf den Boden.

»Ich komm rein zufällig vorbei«, sagte er dann. »Auf der Jagd nach einer kleinen Erfrischung.« Auch er hatte offenbar das wunderschöne Frühlingswetter genutzt und seine Bräune vertieft. Er sah topfit und ausgesprochen attraktiv aus.

»Ich hätte dich morgen angerufen«, teilte Pamela ihm mit.

Sie schauten sich für einen Moment an, in dem Wiedersehensfreude wie auch eine gewisse Verlegenheit zu gleichen Teilen schwangen.

Dann erinnerte sie sich an den Kommissar, der geflissentlich in sein Pils blickte. »Oh, ähm, das hier ist Bernd Stangl. Auch ein Zugezogener, gewissermaßen. Nur eben aus der anderen Richtung, Regensburg. Und das, Bernd, ist …« Sie sah ihn fragend an.

»Lennard Vogt«, stellte Vogt sich selbst vor, ohne das Kriminalhauptdingenskirchengedöns.

Zwei, drei Sekunden herrschte allgemeines Schweigen.

»So, denn werd i mal wieder …«, sagte Bernd mit einem abschätzenden Blick zu Lennard.

»Nein, nein«, sagte der und erhob sich bereits von seinem Platz. »Bleiben Sie doch. Ich werde mich mal besser auf den Heimweg machen.«

»Aber Ihr Bier. Sie haben doch noch längst nicht ausgetrunken«, protestierte Pamela, die so eine Verschwendung nicht gern sah. Zumal es ihr selbst heute verwehrt blieb – verflixtes Fahrrad.

Vogt hob die Hand und lächelte sie hölzern an. »Ich schätze mal, ich hab heute schon genug gehabt. Schönen Abend allerseits!« Er nickte ihnen zu, wartete ihre Erwiderung nicht ab, sondern fing Olga ab, die ein paar Tische weiter gerade kassierte.

Die junge Frau strahlte ihn an, als er neben ihr erschien, zählte im Kopf seine Zeche zusammen und nahm den Geldschein entgegen, den er ihr reichte.

Pamela konnte Vogts Gesicht nicht sehen, hätte aber drauf gewettet, dass er ihr breites Lächeln nicht erwiderte. Nachdem Olga sich für ein wohl saftiges Trinkgeld bedankt hatte, nickte Vogt ihr noch einmal zu und ging davon, ohne sich noch einmal umzusehen.

»Des einen Pech …«, sagte Bernd und ließ sich auf dem Stuhl neben Pamela nieder. »Auch eine frische Bekanntschaft?« Er nickte zu dem verlassenen Bierglas herüber, in dem die Schaumkrone gerade in sich zusammenfiel.

»Nicht wirklich«, sagte Pamela. Obwohl das nicht so ganz stimmte. Sie kannte Kommissar Vogt doch tatsächlich erst seit ein paar Tagen, aber es kam ihr um einiges länger vor. Wahrscheinlich, weil so viel passiert war.

»Ah so? Ich dachte, weil ihr noch per Sie seid?«, hakte Bernd nach. Ihr Verhältnis zu Vogt schien ihn zu interessieren.

»Es ist eher eine … berufliche Verbindung«, sagte sie.

Sein Gesicht drückte Erstaunen aus. »Beruflich? Soso? Schaute irgendwie net so aus. Aber egal. Ich dank dem Himmel, dass er mich jetzt grad hier vorbeigeführt hat.« Bernd zwinkerte ihr zu.

Aus irgendeinem Grund musste Pamela an die Zeit denken, als sie vor zehn Jahren mit Leia den Spielplatz besucht hatte. Vor ihren Augen erschien das Bild der Kinder, die sich gegenseitig beäugten und durch Drängeln und Schubsen versuchten, an das begehrteste Spielzeug zu kommen oder sich in der Schlange vor der Rutsche einen Vorteil zu verschaffen.

Bernd wirkte ebenso zufrieden wie einer von diesen Stöpseln, der gerade das beliebte knallrote Förmchen ergattert hatte.

Dass er an ihr Interesse hatte, war deutlich. Aber dass er nun ausgerechnet Kriminalhauptkommissar Vogt für eine Konkurrenz hielt, war doch die totale Lachnummer. Wie kam er nur um Himmels willen auf so eine absurde Idee?