22. Kapitel

11. Mai, Dienstag, abends

Thilo hatte angeboten, ihn zu begleiten. Doch Lennard war bei diesem kleinen Einsatz sicher, dass er keine Verstärkung brauchte. Es war nicht seine Absicht, in Erscheinung zu treten. Er wollte nur Klarheit. Für sich. Und wenn er ehrlich war, auch ein bisschen für Frau Klappert.

Um Punkt halb acht verließ Klappert in seinem silbernen Audi die schmale Gasse hinter der Blankensteiner Kirche, ganz so, wie seine Frau es vorausgesagt hatte.

Lennard sah im Rückspiegel des dunkelblauen Dienstwagens, wie das Auto sich näherte und an ihm vorbeifuhr. Klappert blickte angestrengt nach vorn und bemerkte ihn nicht.

Als Lennard den Motor anließ und aus der Parklücke fuhr, musste er noch mal abbremsen, denn direkt vor ihm scherte rasch ein Kleinwagen in verwaschenem Rot aus und setzte sich zwischen ihn und sein Ziel. Verflixt. Das konnte ein Problem werden, wenn der Fahrer dieses Autos zum Beispiel beim Einbiegen auf die Hauptstraße nicht so schnell unterwegs war.

Klappert wählte die Zufahrt, die durch eine Ampel geregelt war. Die drei Wagen warteten hintereinander, und als das Licht auf Grün sprang, folgte der rote Kleinwagen Klapperts Audi so nahtlos, dass Lennard sich nicht beklagen konnte.

Klappert fuhr rechts in Richtung Stadt. Doch anstatt der Straße einfach weiter Richtung Südstadt und Fotoklub zu folgen, bog er an der übernächsten Kreuzung wieder rechts ab. Lennard folgte ihm, den roten Kleinwagen immer noch zwischen Klappert und sich selbst. Die folgende Ampel war grün, als Klappert sich näherte, sprang jedoch auf Gelb, sobald er sie passiert hatte.

»Verdammt!«, zischte Lennard.

Doch er hätte sich keine Sorgen zu machen brauchen. Der kleine Rote beschleunigte und schoss bei Gelb durch, während Lennard bei … nun, Orange.

Weiter ging die Fahrt Richtung Holthausen. An der Ampel dort, links abbiegen, war es sogar noch knapper. Lennard betrachtete den kleinen roten Wagen vor sich genauer.

Es war ein altes Modell, das jedoch sehr gepflegt wirkte. Hinter dem Steuer saß eine Gestalt mit Baseballkappe, deren Schirm weit ins Gesicht gezogen war. Mehr konnte er vom Fahrer nicht erkennen. Dieser sah auch nicht in den Rückspiegel, sondern schien vollkommen konzentriert darauf, nach vorn zu blicken. Nach vorn auf die Straße oder … zu Klappert?

Lennard wählte über die Freisprechanlage die Kurzwahlnummer der Wache.

»Lennard Vogt hier«, sagte er, als sich ein Kollege meldete. »Ich brauche Auskunft über den Halter des Wagens mit folgendem Kennzeichen: EN …« Er gab es durch. »Meldet ihr euch zurück, wenn ihr es habt?«

»Dauert nur ein paar Minuten.«

»Bis gleich.« Er legte auf.

Als der kleine Rote Klappert auch über den nächsten Kreisel folgte, war Lennard sich fast sicher: Er war heute nicht der Einzige, der herausfinden wollte, wohin Klappert dienstagabends regelmäßig fuhr.

Ob Frau Klappert etwas damit zu tun hatte? Aber wieso sollte sie? Er hatte ihr zu verstehen gegeben, dass er sich darum kümmern würde. Kein Grund also, selbst noch jemanden auf ihren Mann anzusetzen.

Ein Anruf ging ein.

Da waren die Kollegen ja fix gewesen.

»Vogt hier?«

»Lennard.« Das war nicht der Kollege aus der Wache, sondern Thilo. »Ich hab Neuigkeiten zu Winters Alibi.«

»Winters geplatztem Alibi«, korrigierte Lennard ihn.

»So wie es aussieht, könnte es doch ein echtes Alibi sein«, widersprach sein Kollege. »Jenny aus der IT hat grad Bescheid gegeben: Winter hat am Abend des Mordes über die gesamte Dauer des digitalen Fotografentreffens versucht, sich wieder ins Meeting einzuloggen. Es sind vom Server etliche Versuche registriert. Sieht so aus, als hätte er die Wahrheit gesagt.«

»Du sagst es: Es sieht so aus«, erwiderte Lennard. »Können wir rausfinden, ob er selbst diese Einwahlversuche unternommen hat?«

»Wüsste nicht, wie.«

»Bring das bitte in Erfahrung, ja?«

»Aye, aye. Schon was Neues bei dir?«

»Wir sind noch … unterwegs.«

»Viel Erfolg.«

»Danke.«

Sie beendeten das Gespräch.

Sollte Winter doch ein Alibi für die Tatzeit haben? Lennard verbot sich solche Gedanken normalerweise, doch dieser blasse Kerl mit den nervösen Augenlidern war ihm einfach nicht sympathisch.

Die drei Wagen kurvten hintereinander die Buchholzer hinunter und tauschten das Hattinger Stadtgebiet gegen Witten.

Unten angekommen, bog Klappert nach links ab. Der Rote ebenfalls. Lennard musste einen Motorradfahrer vorbeilassen, ehe er ebenfalls folgen konnte.

Wollte Klappert auf die Autobahn? Wohin würde sein Weg ihn führen? Ganz sicher jedenfalls würde er nicht zum Fotoklub fahren, wie er es seiner Frau angekündigt hatte, denn von dem entfernten sie sich immer weiter.

An der nächsten Kreuzung bog sein Beschattungsziel nicht nach rechts Richtung Autobahn ab, sondern fuhr geradeaus, am Wasserschloss Kemnade vorbei. Natürlich folgte der Kleinwagen ihm.

Als sie auf der Brücke die Ruhr überquerten, sah Lennard nach rechts zum See, über dem ein paar Möwen kreisten. Pamela Schlonski fiel ihm ein. Wie konnte es sein, dass ein Mensch derart polterig daherkam und dann einen so feinfühligen Vorschlag gegen sein andauerndes Heimweh machte? Auf eine Bank setzen, Augen schließen, Wind spüren, Möwen hören.

Sie fuhren den steilen Berg hinauf nach Bochum Stiepel. Und spätestens am Ortseingangsschild musste er wieder an die Reinigungskraft mit den blauen Augen denken. Eine Stadt an der anderen, natürlich, sie hatte recht gehabt. Nur hatte er es so noch nie gesehen. Er zwang sich, diese Gedanken wegzuschieben und sich auf die Observation zu konzentrieren.

Klappert durchquerte den feinen Bochumer Stadtteil Stiepel und setzte dann irgendwann den Blinker in Richtung Weitmar.

Lennard sah auf die Uhr.

Wenn Klappert am Mordabend ebenfalls diesen Weg genommen hatte, hätte er schon jetzt doppelt so lang gebraucht wie für den Weg in den Klub. Das würde die Zeitspanne erklären, die er von zu Hause weg gewesen war.

Ohne es zu wissen, lotste Klappert den kleinen roten Wagen und Lennard durch weitere Nebenstraßen. Schließlich hielt er vor einem typischen Bochumer Altbau und parkte geschickt ein.

Lennard war gespannt, was der Verfolger vor ihm tun würde.

Wirklich nicht dumm. Der Wagen fuhr zunächst weiter und bog dann in eine Garagenhofeinfahrt auf der anderen Straßenseite.

Lennard selbst hielt nach fünfzig Metern am Bordstein, nahm zur Tarnung das Handy ans Ohr und sah in den Rückspiegel.

Klappert stieg aus dem Wagen. Er hatte seine Laptoptasche dabei, von der seine Frau berichtet hatte, dass er die dienstags immer mitnahm. Brauchte er den Rechner an seinem Ziel? Oder wollte er nur verhindern, dass dieser Alibigegenstand aus dem Auto gestohlen würde?

Ein Anruf von der Dienststelle kam rein. Lennard drückte ihn weg.

Markus Klappert hatte offenbar keine Ahnung, dass er verfolgt worden war. Er sah sich weder um, noch machte er den Eindruck, als befürchte er, hier gesehen zu werden. So fiel ihm wahrscheinlich auch nicht auf, dass der rote Kleinwagen wieder in der Garagenhofzufahrt auftauchte und dann rechts am Bürgersteig hielt.

Klappert ging zu dem Haus, vor dessen Tür er geparkt hatte. Dort drückte er auf den Klingelknopf, wartete kurz und wurde hereingelassen.

Lennard wollte gerade die Rückruftaste betätigen, um die Auskunft über den Halter des roten Kleinwagens einzuholen, als sich dessen Tür öffnete.

Der Fahrer stieg aus. Schlank, in schwarzen Jeans und übergroßem Sweatshirt, den Schirm des Basecaps immer noch tief ins Gesicht gezogen. Trug er nicht auch eine Sonnenbrille?

Aufmerksam beobachtete Lennard, wie die Person die Straße überquerte und die wenigen Stufen zu dem Hauseingang nahm, in dem Klappert gerade verschwunden war.

Würde er jetzt ebenfalls klingeln und hineingehen? Doch der Fahrer des fremden Wagens warf nur einen längeren Blick auf das Klingelschild und trat dann den Rückzug an. Er verschwand wieder im Auto, betätigte jedoch nicht die Zündung.

Lennard überlegte. Klappert? Oder der unbekannte Beschatter? Sein Finger zuckte zur Wiederwahltaste, doch dann entschied er sich dagegen. Womöglich waren der Halter des Wagens und sein Fahrer nicht identisch. Womöglich würde ihm der Fahrer durch die Lappen gehen, während er mit den Kollegen telefonierte.

Also stieg Lennard aus, schloss die Wagentür und überquerte die Straße. Auf der anderen Seite näherte er sich dem roten Wagen, scherte hinter ihm vom Bürgersteig auf die Straße aus und blieb neben der Fahrertür stehen.

Was er sah, war die auf dem Armaturenbrett abgelegte Sonnenbrille und den Schirm einer Baseballkappe, tief über ein Smartphone gebeugt, auf dem eifrig herumgetippt wurde.

Er klopfte an die Scheibe.

Der Fahrer fuhr zusammen, der Kopf flog hoch, und Lennard wurde von zwei erschrockenen Augen angestarrt. Um genau zu sein, waren es die blauen Augen von Pamela Schlonski.

Sie starrten sich an. Dann kurbelte sie das Fenster herunter.

»Was machen Sie denn hier?«, wollte sie wissen.

»Oh nein, die Frage lautet: Was machen Sie hier?«, erwiderte Lennard.

»Ich hab zuerst gefragt«, konterte sie.

Lennard öffnete den Mund und schloss ihn wieder, zu überrascht, um wütend zu sein. Wie konnte es sein, dass diese Frau einfach überall auftauchte, wo er war?

Rasch warf er einen Blick über die Schulter, ging mit großen Schritten ums Auto herum und wollte auf der Beifahrerseite einsteigen. Als er die Tür öffnete, wischte die-Frau-die-überall-auftauchte mit einer Handbewegung diverse Kleinigkeiten vom Sitz in den Fußraum: eine Bonschentüte (Bömske, fiel ihm vollkommen deplatziert ein), eine Packung Taschentücher, mehrere Haargummis, Sonnencreme, ein Notizbuch und Gummihandschuhe.

Er schob sich auf den Sitz, verstaute seine langen Beine neben dem Kram im Fußraum und schloss die Tür.

»Sagen Sie jetzt nichts«, bat Pamela Schlonski. »Ich wollte nur gucken, wohin Klappert so regelmäßig dienstags verschwindet, während seine Frau denkt, dass er im Fotoklub ist.«

Spontan wollte Lennard fragen, woher sie von diesem Umstand wusste, doch dann überlegte er es sich anders. Vielleicht musste auch ein Kriminalhauptkommissar nicht alles wissen.

»Konnten Sie Ihre Neugierde befriedigen?«, fragte er stattdessen.

Sie verzog die Lippen zu einem spitzen Mund, sagte aber nichts zu seiner Unterstellung von Klatschsucht. »Männliche Eitelkeit«, stieß sie stattdessen hervor.

»Bitte?« Für einen winzig kleinen Augenblick schien es Lennard tatsächlich, als meine sie ihn damit. Doch dann begriff er, dass sie von Klapperts Dienstagsausflügen sprach, denn sie nickte zu dem Haus hinüber, in dem der Hobbyfotograf verschwunden war.

»Da wohnt Dirk Janus Tracke«, erklärte sie. »Steht am Klingelschild. Und im Untergeschoss steht sein Name noch mal, Fotografie Tracke steht da, neben so einem Scherenschnitt von einer Kamera. Tracke ist so richtiger Profi-Fotograf und gibt in seinem Souterrain Workshops zu allen möglichen Fotothemen. Ich hab das mal schnell ecosiat.« Dabei hielt sie ihr Smartphone in die Höhe.

»Sie haben … was?« War das auch wieder so ein Ruhrpottsprache-Ding?

»Sagen Sie bloß, Sie googeln noch? Es gibt doch schon lange diesen anderen Suchdienst, der viel nachhaltiger ist. Mit jeder Frage, die Sie da stellen, pflanzen Sie quasi einen Baum. Wenn Sie ’ne vierzehnjährige Tochter hätten, wüssten Sie das«, erklärte sie ihm, ließ ihm aber keine Zeit für eine Antwort, sondern setzte hinzu: »Ist doch klar, was da läuft, oder? Klappert holt sich Nachhilfe von einem Fachmann, findet das selbst aber so peinlich, dass er keinem was davon erzählt. Er will es nicht mal seiner Frau sagen. Stattdessen lügt er ihr vor, dass er jeden Dienstag in den Fotoklub fährt. Ziemlich gewagt, wenn Sie mich fragen. Ich meine, wenn die das mal spitzkriegt, dann wird sie doch auf ganz krumme Ideen kommen, oder? Ich an ihrer Stelle jedenfalls würde sofort an eine andere Frau denken.«

Lennard sah wieder die kleine Frau Klappert vor sich, wie sie ihn verzweifelt anblickte und darum bat, er möge rausfinden, ob ihr Mann sie womöglich betrog.

»Frau Schlonski, was Sie sich zusammenreimen, hilft vielleicht gegen Neugierde«, bei diesem Wort spitzte sich erneut ihr Mund, »aber solche Schlussfolgerungen helfen uns in einer Mordermittlung nicht weiter. Ich sage das nur für den Fall, dass Sie das mit Ihrem Tun bezwecken. Sie helfen uns nicht. Im Gegenteil, Sie behindern womöglich unsere Arbeit. Denn wir brauchen kein Zusammenreimen, wir brauchen Fakten.«

Pamela Schlonski sah ihn unter dem Schirm der Mütze hindurch an, ihr Ausdruck irgendwie kritisch.

»Dann schaffen Sie doch Fakten«, sagte sie und deutete zum Haus hinüber.

Lennard erwiderte ihren herausfordernden Blick für einen Moment. Dann fingerte er nach dem Türgriff und stieg aus.

Beim Überqueren der Straße spürte er regelrecht ihre blauen Augen auf ihn gerichtet.

Das Klingelschild sah genauso aus, wie sie beschrieben hatte: oben der volle Name. Unten Fotografie Tracke neben dem Bild der Kamera.

Er drückte den Knopf.

Ein Ton war nicht zu hören. Doch es dauerte nicht lange, da wurde die Tür geöffnet.

Ein Mann stand vor ihm. Er war etwa Mitte dreißig, hatte aber kein einziges Haar mehr auf dem Kopf, was natürlich auch eine Stilentscheidung sein mochte. Er war barfuß, wobei der eine Fuß mit einem Verband umwickelt war, trug Jeans und über einem Muskelshirt ein offenes Hemd.

»Guten Abend. Sind Sie Herr Tracke?« Nicken. »Kripo Hattingen, Hauptkommissar Vogt«, stellte Lennard sich vor und hielt seine Dienstmarke hoch.

Herr Tracke studierte diese kurz und nickte dann. Ungewöhnlich entspannt wirkte er. »Wie kann ich helfen?«

»Hält Herr Markus Klappert sich bei Ihnen auf?«

Blick zur Treppe, die hinunterführte.

»Ja. Wieso?«

»Ich würde ihn gern einen Augenblick sprechen.«

Tracke bat ihn herein und schloss die Tür. Sicher würde Pamela Schlonski in ihrem Auto jetzt unruhig auf ihrem Sitz herumrutschen.

Es waren nur ein paar breite Stufen hinunter ins Souterrain. Im Gang waren die Wände gepflastert mit Schwarz-Weiß-Fotografien. Gesichter. Tiere. Landschaften. Wunderschöne Bilder. Lennard stand allerdings eher auf Farbe.

Tracke führte ihn durch die Tür geradeaus, wo mittig im Raum ein gewaltiger Tisch platziert war, auf dem diverse Fotoabzüge verteilt lagen. Am Tisch stand Klappert und war gerade dabei, die Bilder in eine Ordnung zu bringen. Als sie eintraten, sah er auf und erstarrte.

»Guten Abend«, grüßte Lennard.

Klappert sah ihn an wie das Kaninchen die Schlange.

Vogt wandte sich an den Hausherrn: »Wäre es möglich, dass ich kurz mit Herrn Klappert allein spreche?«

Ihm fiel auf, dass Tracke einen Blick mit Klappert tauschte, wie er vielleicht eher unter Freunden denn unter Lehrer und Schüler üblich wäre. Klappert nickte kaum merklich, und Tracke verschwand.

»Noch einmal zu Ihrer Aussage, wo Sie sich am Abend des Mordes an Peter Neumann aufgehalten haben«, begann Lennard.

Klappert atmete tief ein, wieder aus und ließ sich auf den Stuhl neben ihm sinken.

»Ich weiß, das war unklug, nicht die Wahrheit zu sagen«, begann er. »Aber ich konnte irgendwie nicht mehr raus aus der Geschichte. Meine Frau … Was hätte die gedacht? Und die anderen im Klub. Die würden sich doch schlapplachen, wenn sie wüssten …«

»Was? Dass Sie sich hier bei einem Profi fortbilden?«, half Lennard ihm. »Wo ist das Problem? Sie sind doch alle Hobbyfotografen. Und von einem Profi kann man doch nur lernen, oder?«

»Peter Neumann hat das anders gesehen«, erklärte Klappert mit bitterem Unterton. »Vorträge und Workshops waren seiner Meinung nach nur was für die Anfänger, die Schwächlinge. Und wöchentliche Stunden? Er hätte sich totgelacht, mich mit Spott überschüttet. Vor allem, nachdem er den Preis bei dieser nationalen Ausstellung gewonnen hat. Und sein Bild war genial, stimmig, einfach perfekt auf den Punkt. Wissen Sie, er hat nicht oft Bilder von sich hergezeigt. Immer nur die, die er für perfekt hielt. Er war der Meinung, entweder man hat es, oder man hat es nicht. Hat die Stimmung im Klub diesbezüglich so ganz langsam gewendet. Niemand lässt sich gern auslachen, verstehen Sie?«

Lennard nickte langsam. »Und am Mordabend?«

»Ich bin wie immer hergefahren. Aber Dirk … ihm war in der Dusche die Shampooflasche runtergefallen, Glas. Und er war in eine Scherbe getreten. Ich hab ihn zum Bergmannsheil gebracht, er konnte ja weder laufen noch selbst fahren, und bin dann wieder nach Hause. Habe meiner Frau erzählt, der Klubabend sei ausgefallen, und ich hätte die Mail nicht gesehen. Als wir hörten, was passiert war, hat Hilde vorgeschlagen, wir sollten doch gar nicht erwähnen, dass ich an dem Abend kurz am Klub war. Und … na ja, so kam das.«

Lennard verschränkte die Hände und probierte seinen strengen Blick, der bei Winter sofort ein Geständnis erwirkt hatte, bei der Frau, die draußen in dem Kleinwagen saß, jedoch regelmäßig versagte. Der Blick in Kombination mit Klapperts schlechtem Gewissen wirkte: »Aber alles andere, was ich ausgesagt habe, stimmt. Ich war nicht im Klub«, beteuerte Klappert.

»Ihre Aussage werde ich mir natürlich von Herrn Tracke bestätigen lassen«, sagte Lennard.

Klappert nickte mit einer Gelassenheit, die Menschen zeigten, wenn sie sich ihrer Sache sicher waren. »Das können Sie gern.«

Damit war das kurze Gespräch also beendet. In der Tür drehte Lennard sich einer Eingebung folgend noch einmal um.

»Herr Klappert, das ist natürlich eine ganz persönliche Entscheidung. Aber ich würde Ihnen empfehlen, Ihrer Frau die Wahrheit über die Dienstagabende zu erzählen. In so einer Sache zu lügen kann schnell zu … falschen Schlussfolgerungen führen, wenn Sie verstehen, was ich meine.«

Klappert sah ihn mit großen Augen an. Lennards Auftauchen hier hatte ihn wahrscheinlich so aus dem Konzept gebracht, dass er sich erst jetzt zu fragen begann, woher die Kripo von der Dienstagabend-Lüge wusste. Dann nickte er knapp.

Lennard ging die Stufen hinauf und klopfte an die Wohnungstür im Hochparterre. Sie wurde fast augenblicklich von Dirk Janus Tracke geöffnet.

»Ist bereits alles geklärt«, sagte Lennard mit einem, wie er hoffte, beruhigenden Lächeln. »Ich habe nur noch eine kurze Frage an Sie.« Er deutete auf den Verband an Trackes Fuß.

»Wie ist diese Verletzung passiert?«

Der Fotograf sah ihn an, ohne zu blinzeln. »Mir ist in der Dusche die Shampooflasche runtergefallen, und ich bin in eine Glasscherbe getreten.«

Das waren in etwa die Worte, die Klappert auch gewählt hatte.

»Letzten Dienstag?«

»Richtig. Markus … Herr Klappert hat mich zum Krankenhaus gefahren«, bestätigte Tracke.

»Wie lange hat das ungefähr gedauert?«

Tracke überlegte.

»Also, als er ankam, war das grad passiert. Ich bin hier noch rumgehüpft, mit ’nem Handtuch um den Fuß. Das hat geblutet wie Sau. Wir sind zum Bergmannsheil in die Notaufnahme. Als klar war, dass ich da gut betreut bin, ist er wieder gegangen.«

Lennard hob den Daumen. »Vielen Dank. Das war es auch schon. Auf Wiedersehen.«

»Wiedersehn.« Dirk Tracke ließ ihn beflissen hinaus und schloss dann die Tür mit einem leisen, aber deutlichen Klack hinter Lennard.

Der sah automatisch zur anderen Straßenseite hinüber. Natürlich saß Pamela Schlonski bei heruntergekurbeltem Fenster in ihrem Wagen und sah ihm entgegen, als er zu ihr hinüberging.

»Sie sind ja immer noch hier«, stellte er fest.

»Was haben Sie denn gedacht? Dass ich einfach wegfahre?«, entgegnete sie. Ja, was hatte er denn gedacht?

»Und? Hatte ich recht?«, wollte sie ungeniert wissen. »Klappert nimmt hier Unterricht und war auch letzte Woche hier?«

»Ich darf mit Ihnen nicht über die Ermittlungen sprechen«, antwortete er und versuchte, die Male zu zählen, die er diese Worte bereits zu ihr gesagt hatte.

Daraufhin lächelte sie auf eine Art und Weise, als hätte er ihr alles verraten.

»Irgendwie beruhigt mich das«, sagte sie.

»Was?«

Sie zuckte mit den Schultern, was in dem übergroßen Sweatshirt lustig wirkte. »Dass der Klappert jetzt doch wieder ein Alibi hat. Ahsen sagt zwar, es sind immer die Sympathischen, die, die alle für harmlos halten. Aber irgendwie mag ich ihn. Hätte mir nicht so in den Kram gepasst, wenn er das mit dem Neumann gewesen wär.«

Sie ließ den Motor an, der sogleich losschnurrte.

»Ich muss Abendbrot machen. Dann bis bald, Herr Kommissar. Schönen Abend noch!«, rief sie.

Er schaffte es gerade noch, »Ihnen auch!« zu erwidern, dann war sie bereits losgefahren und surrte mit dem kleinen Roten die Straße hinunter.

Einen Augenblick sah Lennard ihr nach. Dieser überstürzte Aufbruch passte so gar nicht zu Pamela Schlonskis auffälligem Interesse an diesem Fall. Doch dann musste er sich eingestehen: Wahrscheinlich wusste sie nun alles, was sie heute Abend zu erfahren gehofft hatte. Und indem sie sich schnell aus dem Staub machte, war sie einer weiteren Ermahnung seinerseits aus dem Weg gegangen.

Als er zum Dienstwagen hinüberging, stellte er fest, dass in seinen Mundwinkeln, ganz gegen seinen bewussten Willen, ein kleines Grinsen saß.