In der Eckigen Kneipe war es gerappelt voll. Ein Nieselregen hatte alle Gäste in den lang gestreckten Raum getrieben.
Pamela und Bernd versorgten sich direkt an der Theke mit ihren Getränken und manövrierten jetzt durch die Menge zu dem gerade frei werdenden Tisch in der Ecke, an dem sie sich vor einer Woche kennengelernt hatten. War das erst eine Woche her? Es war so viel passiert, dass es Pamela eher wie ein Monat vorkam. Xaverl hielt dichten Nase-Waden-Kontakt zu ihr. Offenbar befürchtete er, sie sonst im Gedränge zu verlieren.
»Da drüben ist ja auch dein Bekannter«, stellte Bernd fest und nickte zu der Gruppe Menschen hinüber, die den etwas höher gelegenen Teil des Lokals in Beschlag nahmen.
Pamela schaute hinüber.
»Ach ja«, sagte sie, so als hätte sie Hauptkommissar Vogt nicht selbst schon längst bemerkt.
In diesem Moment löste Vogt den Blick vom Gesicht der hübschen Brünetten, mit der er sich die ganze Zeit angeregt unterhalten hatte – angeregt! Vogt! –, und sah zu ihr herüber. Für einen kurzen Moment trafen ihre Blicke sich. Sie nickten beide und sahen wieder weg.
»Woher kennt ihr euch?«, erkundigte Bernd sich, betont nebensächlich.
Pamela musste schmunzeln. Männer waren so durchschaubar.
»Beruflich. Er ist bei der Kripo, und ich war … na, ich sach ma so, ich war ein bisschen in seinen letzten Fall verwickelt.«
»Wie spannend.« Bernd klang so, als wolle er auf keinen Fall mehr darüber hören.
»War es auch«, erwiderte Pamela, beschloss dann aber, ihn nicht weiter zu quälen. »Jetzt erzähl doch mal: Wie war denn der Einstieg in die neue Abteilung? Hat sich dein Vorgesetzter als der Fachidiot herausgestellt, für den du ihn gehalten hast?«
Bernd berichtete lebhaft von seinen neuen Kolleginnen und Kollegen, erzählte ein paar Anekdoten, und zwar so witzig, dass Pamela mehrmals laut lachen musste. Aber Bernd erzählte nicht nur von sich, sondern stellte auch Fragen zu Pamelas Firma und den verschiedenen Jobs. Er erkundigte sich nach Leia, nahm regen Anteil an deren Instagram-Sorgen und machte den Abend insgesamt zu einer höchst angenehmen Sache.
»Euer Pils ist zwar nicht so süffig wie unseres«, meinte er irgendwann. »Aber es hat es in sich. Ich muss mal für kleine Königstiger.« Damit erhob er sich und schob sich an den voll besetzten Tischen vorbei in Richtung Toilettenräume.
Als er an der heiteren Gruppe rund um Kommissar Vogt vorbeikam, löste sich dort gerade die Brünette heraus, offenbar mit dem gleichen Ziel. Die beiden stießen zusammen, entschuldigten sich gleichzeitig, lachten laut, und Bernd ließ der Frau gentlemanlike den Vortritt.
Solcherart seiner Gesprächspartnerin beraubt, wandte Vogt den Kopf und sah direkt zu Pamela herüber. Sie winkte. Wieso auch nicht? Schließlich hatten sie erst gestern noch gemeinsam einen Mörder gestellt.
Vogt sah das vielleicht ähnlich, denn er stellte sein Glas ab und kam quer durch den Raum zu ihr herüber.
»’n Abend!«, begrüßte Pamela ihn.
»Moin«, erwiderte er. Irgendwie wirkte er lockerer als sonst. Er trug auch nicht diesen zerknitterten Blouson, sondern über einem Poloshirt und hellen Jeans ein weich fallendes Jackett. Fast schick. Wenn er nicht dazu diese schnieken Schuhe gewählt hätte. Turnschuh hätten in dieser Umgebung viel lässiger ausgesehen.
»Alles paletti bei Ihnen?«, erkundigte Pamela sich und nickte zu seinen Leuten rüber, unter denen sie inzwischen auch die nette Tina Bruns und diesen verflixt gut aussehenden Oberkommissar Thilo Schmidt ausgemacht hatte. »Feiern Sie ein bisschen die Lösung des Falls?«
Er lächelte tatsächlich. »Das machen wir wirklich. Und den Einstand einer neuen Kollegin aus Hamburg.« So wie er es sagte, einfach so dahin, hätte Pamela wetten können, dass es sich bei dieser neuen Kollegin um die hübsche Brünette handelte, mit der Vogt die ganze Zeit geredet hatte.
»Richtig so! Man soll die Feste feiern, wie sie fallen!«, stimmte Pamela zu.
Dann wurde es zwischen ihnen für ein paar Sekunden still. Natürlich nicht wirklich, denn um sie herum wurde gelacht, geredet, bei dem Song aus der Anlage mitgesungen, mit Gläsern und Flaschen geklirrt. Aber Vogt sagte nichts, und Pamela fiel zu ihrem eigenen Erstaunen auch nichts ein, was sie hätte von sich geben können.
Da lehnte Vogt sich plötzlich vor, als hätte er sich für irgendetwas ein Herz gefasst, und stützte die Hände auf dem Tisch ab. »Frau Schlonski, ich habe mich gefragt …«, begann er.
Pamela war ja gleich bei ihrer ersten Begegnung aufgefallen, was für meergrüne Augen er hatte. Und genau das fiel ihr jetzt auch wieder auf, sehr krass sogar.
»Ja?«
Er räusperte sich. »Ihr Angebot, also, zweimal die Woche zwei Stunden, um in meinem Haus klar Schiff zu machen, steht das noch? Ich glaub, ich bräuchte wirklich jemanden, der sich um das Kuddelmuddel kümmert.«
Natürlich war es lächerlich, über die Anfrage zu einem neuen Job ein derartiges Triumphgefühl zu empfinden. War aber so.
Pamela legte den Kopf schief.
»Klar. Wann soll ich anfangen?«
Er zuckte hilflos mit den Schultern. Wenn es nicht so absurd gewesen wäre, hätte Pamela geschworen, dass er von seinem eigenen Vorstoß irgendwie überrumpelt war.
»Passt nächste Woche? Und soll ich Ihnen vorher meine Unterlagen vorbeibringen, damit Sie mich anmelden können? Oder regeln wir das so? Unter der Hand?« Sie machte eine entsprechende Geste.
Mit einem Mal stand ihm Entsetzen in die grünen Augen geschrieben, und er öffnete bereits den Mund.
» War ’n Scherz«, beruhigte Pamela ihn. »So was mach ich gar nicht. Und ist doch sowieso klar, dass Sie keine Schwarzarbeit bezahlen würden.« Sie zwinkerte ihm zu.
In dem Augenblick erschienen zeitgleich Bernd und Vogts Kollegin wieder im Durchgang zu den Toiletten. Er ließ ihr wieder den Vortritt. Sie bedankte sich mit einem Lächeln und ließ dann suchend ihren Blick über die Köpfe schweifen.
»Ich glaube, Sie werden erwartet«, teilte Pamela Vogt mit und deutete hinüber.
Er sah hin, wirkte verwirrt, strich sich durchs Haar.
»Ja, ähm … dann sind wir uns einig?«
»Vollkommen«, erwiderte Pamela mit einem kleinen Grinsen. »Ich freu mich auf eine weitere Zusammenarbeit!«
Er nickte ihr zu und ging wieder davon. Wahrscheinlich bemerkte er nicht mal, dass Bernd ihn bei ihrer Begegnung in der Mitte des Raums düster musterte.
Wie war das eigentlich?, überlegte Pamela. Wenn sie beim Hauptkommissar klar Schiff machte und sich um sein Kuddelmuddel kümmerte, wie er es nannte, würde sie dann auch das eine oder andere Detail zu einem neuen Fall aufschnappen? Die Aussicht darauf war irgendwie … verlockend.
»Gute Nachrichten?«, wollte Bernd wissen, als er sich neben ihr niederließ.
»Verdammt gute«, sagte sie.