Epilog
Es war Herbst geworden, und Hamburg atmete auf. Endlich war die Seuche ausgestanden. 16 956 Menschen waren innerhalb weniger Wochen erkrankt, über die Hälfte von ihnen gestorben.
Unter den Armen in den Gängevierteln hatte fast jede Familie einen oder mehrere Tote zu beklagen, doch langsam fiel die Lähmung, die die Menschen befallen hatte, von ihnen ab.
Täglich standen nun neue Vorhaben und Pläne in den Zeitungen, die der Senat beschloss, um einen erneuten Ausbruch der Seuche unter allen Umständen zu vereiteln. Unter Beratung der Medicinalbehörde und des berühmten Berliner Arztes Doktor Robert Koch wurde die Trinkwasserversorgung verbessert. Im Folgejahr sollte die Filtrierungsanlage auf der Elbinsel Kaltehofe fertiggestellt und durch die Wasserwerke in Betrieb genommen werden.
Auch für die Gängeviertel gab es Pläne. Viele von ihnen sollten saniert oder komplett abgerissen werden, damit neuer, gesunder Wohnraum für die Arbeiter entstehen konnte.
Nachdem die Cholera aus Hamburg ihre Fühler bis nach
New York ausgestreckt hatte, wurden auch Rufe nach einem Neubau der Auswandererbaracken und besserer Kontrolle der Ausreisewilligen laut. Selbst auf den Schiffen sollte nun die Situation auf den Zwischendecks verbessert werden, um hygienischere Zustände zu schaffen.
Doch an diesem Tag kam Svantje der Gedanke an die Seuche wie ein böser Traum vor, aus dem sie zum Glück rechtzeitig erwacht war. Denn heute sollte der schönste Tag ihres Lebens sein.
Sie würde heiraten.
Nachdem Friedrich genesen war, sprach niemand mehr davon, die Hochzeit erst in einem Jahr stattfinden zu lassen. Sie alle lechzten nach erfreulichen Nachrichten und Ereignissen, und eine Hochzeit schien nun genau das Richtige zu sein. Ein Zeichen für das Leben, ein Zeichen dafür, dass es weiterging, dass neue Familien gegründet wurden und der Tod ihnen nichts mehr anhaben konnte.
Svantje trug bereits Mutters Brautkleid. Darauf hatte sie bestanden, sie wollte kein neues. Es war wunderschön. Mutter hatte vor langer Zeit den Saum mit Blüten und Ranken bestickt. Die Jahrzehnte in der Truhe waren an dem Dekor nicht spurlos vorübergegangen, und in den vergangenen Wochen hatten Mutter und Tochter jeden Abend gemeinsam daran gearbeitet, Stellen ausgebessert und weitere Ornamente hinzugefügt.
Jemand klopfte an der Tür des kleinen Zimmerchens. Sie hatten sich in einem Gasthof direkt neben der Michaeliskirche eingemietet. Später würde die Hochzeitsgesellschaft hier feiern, dann würden Friedrich und Svantje für einige Tage eine Suite beziehen, um wie Mann und Frau miteinander zu leben. Svantje konnte es gar nicht erwarten, ihm
endlich so nah sein zu dürfen, wie sie es sich erträumte. Schon seit dem Morgen fühlte sie sich fiebrig und flatterhaft.
Es klopfte erneut.
»Herein, wenn du nicht mein Verlobter bist«, rief Svantje übermütig.
Es war nicht Friedrich, sondern dessen Mutter. Frau Falkenberg trat ein wie eine Königin, im festlichen Kleid, Hals und Hände voller Geschmeide. Svantje merkte, wie sich ihre Mutter versteifte, als sei sie nicht sicher, ob sie sich vor der vornehmen Frau verneigen oder lieber gleich das Zimmer verlassen sollte. Die vielen Dienstjahre bei Harkenfeld hatten ihre Spuren hinterlassen.
Svantje stand auf. »Mutter, das ist Frau Falkenberg.«
Die Frauen musterten einander abschätzend, dann brach die Neuangekommene das Eis, indem sie Svantje vorsichtig in den Arm nahm. »Sie sind eine wunderhübsche Braut. Jetzt verstehe ich, was mein Sohn schon die ganze Zeit in Ihnen gesehen hatte. Aber etwas fehlt noch.«
»Was denn?«
Svantje musterte sich im Spiegel. Ihr Haar war bis auf einige Strähnen, die sich an ihren Schläfen und im Nacken in perfekten kleinen Löckchen ringelten, aufgesteckt. Sie hatte sich die Haut gepudert und etwas Rouge auf die Wangen gegeben. Ihre Lippen glänzten von einem Wachs, und auf ihren Hals hatte sie einige Tropfen Parfum aufgetragen.
Frau Falkenberg nahm etwas aus ihrer Tasche. Es war ein großes Etui, das zusätzlich in Seidenpapier eingeschlagen war. Sie entfernte das Papier und reichte Svantje das Futteral.
»Nicht so zögerlich, Fräulein, nun öffnen Sie es doch«,
sagte sie, und ihr Blick wurde warm und ein wenig wehmütig.
Svantje setzte sich hin. Mit den Fingerspitzen entriegelte sie das flache Kästchen, und dann blieb ihr vor Schreck beinahe der Atem stehen. Auf blauer Seide lag ein schmales Diadem mit funkelnden Kristallen.
»Jede Braut sollte sich wie eine Prinzessin fühlen. Darf ich Ihnen helfen, es anzulegen?«
Svantje rang nach Worten. »Aber … aber das ist viel zu kostbar, es geht nicht.«
Frau Falkenberg setzte sich neben sie auf einen Stuhl und nahm ihre Hände. »Erinnern Sie sich, was ich Ihnen an Friedrichs Krankenbett gesagt habe? Wenn Sie meinen Sohn retten, vergesse ich all meine Einwände gegen die Hochzeit. Und Sie haben ihn gerettet! Ich werde Ihnen bis zum letzten Atemzug meines Lebens dankbar sein. Was ist da schon ein wenig Schmuck? Sie tragen das Brautkleid Ihrer Mutter. Machen Sie mir nun die Ehre, und tragen Sie mein Diadem … und geben Sie es irgendwann an Ihre eigene Tochter weiter. Meine kleinen Mädchen wurden mir alle vom Schicksal genommen. Aber jetzt habe ich ja Sie.«
Konnte sich ein Mensch wirklich so sehr ändern?
»Danke«, flüsterte Svantje, und während Friedrichs Mutter ihr vorsichtig den Reif auf den Kopf schob, rollte ihr eine stille Träne die Wange hinab.
Hilde stand neben ihrem Bruder Richard auf dem Vorplatz. Sie waren ein wenig früh dran, und vor dem Michel warteten bislang nur wenige Gäste. Sie kannte keinen von
ihnen. Einige Gestalten wirkten ärmlich, und Hilde war unsicher, ob sie zu den Gästen des Brautpaares gehörten oder nur Schaulustige waren.
Sie erinnerten sie auf unangenehme Weise an ihre Entführung und die Gefangenschaft im Keller. Um die Angst nicht an sich heranzulassen, wandte sie sich der Sonne zu und hielt das Gesicht in die wärmenden Strahlen.
»Aber Schwesterchen, wenn du so weitermachst, ist deine Haut bald so dunkel wie die einer Bäuerin«, neckte Richard. In den letzten Wochen waren sie enger zusammengerückt. Sie hatten viel über das Erlebte gesprochen, was ihr sehr guttat. Richard vertraute ihr wiederum viele seiner Sorgen an, vor allem das drohende Zerwürfnis mit dem Vater.
Das Werk hatte er seit dem Streik nicht mehr betreten, stattdessen hatte er viel Zeit mit seinen Freunden verbracht. Doch obwohl seine Zukunft in der Schwebe hing, wirkte er auf Hilde weniger rastlos und zufriedener als früher. Sie hätte gern gewusst, was es war, das ihn so verändert hatte. Aber als sie es vor einer Weile zur Sprache brachte, schwieg er. Es gab offenbar Geheimnisse, die er lieber für sich behielt.
Stattdessen hatte er sie geradezu gedrängt, glücklich zu sein und mutig. Und Mut hatte sie bewiesen. Gegen Mutters vorgebrachte Empörung über den Sittenverfall ihrer Tochter hatte sie Fahrradfahren gelernt. Und sie war stolz darauf. Gemeinsam mit Richard hatte sie kleinere Ausfahrten unternommen und viele Blicke auf sich gezogen. Eine Frau, die Fahrrad fuhr – das war ungewöhnlich. Sie war sich vorgekommen wie eine schwertschwingende Amazone aus einem antiken Drama, dabei war es keine
Heldentat, die sie vollbrachte, sondern nur ein winziges Stückchen erkämpfte Freiheit.
Diesen Mut könnte sie auch jetzt gebrauchen. Angesichts der vielen Menschen wurde ihr immer unbehaglicher.
Richard rieb ihr über den Rücken. »Ich weiß, was du gerade empfindest«, sagte er leise.
»Kannst du meine Gedanken lesen?«
»Die nicht, aber ich kenne diesen Gesichtsausdruck. Glaub mir, dir wird nie wieder etwas zustoßen. Die drei Kerle sind im Gefängnis und werden dort verrotten, dafür hat Vater gesorgt. Alberts hat sie identifiziert. Die haben jahrelang sein Viertel terrorisiert, jeder dort ist froh, dass sie fort sind.«
Hilde wusste das alles, doch ihre Angst ließ sich nicht mit nüchternem Wissen bekämpfen. Etwas anderes, das Richard erwähnt hatte, war viel heilsamer. Raik Alberts. Der Name ihres Retters. Wochen waren vergangen, seit sie ihm zuletzt begegnet war, und doch hinterließ der bloße Gedanke an ihn ein wohliges Kribbeln unter ihrer Haut.
»Weißt du, ob er kommt?«
»Wer?«
»Na, Alberts natürlich.«
»Hilde, ich glaube fast, du hast einen Narren an ihm gefressen.« Ihr Bruder sagte es auf eine Art, als seien ihm der Charme und das raue, aber gute Aussehen ihres Retters nicht entgangen. Das war mehr als eigenartig, doch Hilde hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, denn ausgerechnet in diesem Moment sah sie Raik Alberts.
Er ging an der Seite von Svantjes Vater und ihrem Bruder Piet, der ein Kleinkind auf dem Arm hielt. Wie Herr Claasen trug auch Alberts einen schlichten dunklen Anzug.
Sein Haar war geölt und geglättet, was ihm ein beinahe zahmes Aussehen verlieh.
Raik bemerkte sie, wechselte einige Worte mit Herrn Claasen und kam dann auf sie zu. Hildes Herz schlug sogleich ein Quäntchen schneller. Er begrüßte sie mit einem Handkuss, bei dem seine Lippen mehr als deutlich ihre Knöchel berührten. »Hilde! Oder sollte ich lieber Fräulein Harkenfeld sagen?«, begrüßte er sie, und sein Mund verzog sich dabei zu einem winzigen Lächeln. Dann reichte er Richard die Hand. »Ich habe Sie beide hier nicht erwartet.«
»Friedrich ist mein bester Freund, ich bin Trauzeuge. Vermutlich sollte ich langsam hineingehen. Bei Ihnen ist meine Schwester ja in besten Händen.« Richard blickte Hilde mit Verschwörermiene an und entfernte sich dann.
Hin- und hergerissen, was sie nun tun sollte, blieb sie neben Alberts stehen, der von Richards Flucht ebenso überrascht schien wie sie.
Er bot ihr seinen Arm, und sie nahm ihn dankbar. »Wie ist es Ihnen in der Zwischenzeit ergangen?«, fragte sie.
»Die ersten Wochen, solange die Sperrung des Hafens noch in Kraft war, habe ich weiter auf dem Ohlsdorfer Friedhof gearbeitet. Wir waren zeitweilig über einhundert Mann und sind trotzdem nicht genug gewesen, um all die Gräber zu schaufeln.«
Während er sprach, war sein Blick in die Ferne gerichtet und seine Stimme klang leer, als würde er versuchen, keine Gefühle durchsickern zu lassen. Hilde drückte seinen Arm, und das Kantige schwand aus seinem Gesicht.
»Mittlerweile bin ich wieder auf der Werft. Ihr Vater hat sich auf kleine Verbesserungen eingelassen und damit erst einmal weitere Streiks abgewendet. Wenn ich ihm
begegne, ignoriert er mich, aber ich glaube, er hasst mich nicht mehr so sehr. Vor allem aber freue ich mich jeden Tag darüber, dass die Bande, die meiner Schwester, unserem Viertel und Ihnen so viel Leid angetan hat, endlich dingfest gemacht wurde. Und Sie? Was ist mit Ihnen?«
Sie spazierten im langsamen Schlenderschritt über den Platz. »Ich versuche, keine Geister zu sehen«, sagte Hilde und seufzte. »Eigentlich geht es mir gut, aber hin und wieder habe ich das Gefühl, jemand würde mir folgen. Dann kommt die Angst zurück.«
»Die brauchen Sie nicht zu haben, Torben und die beiden anderen sind nun doch im Kittje.
«
»Ich weiß, ich weiß es ja.« Sie rang sich zu einem Lächeln durch. »Abgesehen davon bin ich nun verlobt.«
»Sie haben sich verliebt? Wie schön, wer ist denn der Glückliche?«
Hilde schüttelte den Kopf und senkte den Blick. »Nein, verliebt habe ich mich nicht. Es ist Walter Degen, ein Freund meines Vaters. Ein guter Mann.«
»Und das reicht Ihnen?«
Wie sollte sie ihm erklären, dass es reichen musste?
Dass sie mit dem Schicksal ein Abkommen getroffen hatte? »Es wird schon gehen. Er lässt mir viele Freiheiten und erwartet angeblich nicht, dass ich meine Zeit ausschließlich im Haus zubringe. Mein Verlobter hat mir erlaubt zu studieren, solange ich noch keine Kinder habe.«
»Und waren Sie schon an der Universität?«
Sie seufzte. »Nein, noch nicht. Noch fühle ich mich unter vielen fremden Menschen nicht wohl.«
»Das verstehe ich. Es muss schwer für Sie sein.« Er blieb stehen und sah ihr ernst in die Augen. »Und ich verstehe
auch, warum Sie diesen Mann heiraten. Sie könnten es wohl viel schlechter treffen.«
Sie lehnte sich näher zu ihm. »Aber ich bin trotzdem froh darüber, dass Sie der erste Mann waren, den ich geküsst habe.« Sie berührte ihren Mund und meinte, wieder seine Lippen spüren zu können.
Alberts musterte sie nachdenklich. »Sie sollten diesen Kerl nicht heiraten, Sie werden nicht glücklich.«
Es tröstete sie, dass ihm ihr Glück nicht gleichgültig war. Es war seltsam, sie kannten sich kaum, hatten nur einige Stunden miteinander verbracht, und doch meinte Hilde, niemand kenne sie besser als er. Alberts hatte sie schließlich gerettet. Sie hatten gemeinsam Todesängste ausgestanden und danach die Euphorie darüber, dass alles gut gegangen war. Hilde wusste, dass sie ihn ohne das berauschende Gefühl, noch einmal mit dem Leben davongekommen zu sein, wohl niemals geküsst hätte. Oft hatte sie sich die heimlichen Stunden im Versteck auf dem Boot zurückgewünscht. Sie hatten sich voneinander erzählt, ihre Sorgen und Hoffnungen geteilt. Und Hilde war dabei auf eine Weise ehrlich gewesen, die ihr mit Walter Degen wohl niemals möglich sein würde.
Mit Alberts wollte sie viel lieber Zeit verbringen als mit irgendjemand anders. Denn in seiner Nähe fühlte sie sich sicher. Zum ersten Mal seit Wochen sah sie nicht mehr ständig über die Schulter oder meinte, fremde Blicke wie Nadelstiche im Rücken zu spüren.
»Vielleicht hätte ich nicht nur meinen ersten Kuss mit Ihnen erleben sollen«, sagte sie geradeheraus und spürte, noch ehe sie ihren Satz beendet hatte, wie ihr die Röte in die Wangen schoss
.
Alberts wirkte einen Moment lang verblüfft, dann lachte er leise auf.
Hilde wurde nacheinander heiß und kalt. Am liebsten wäre sie im Boden versunken, weil sie so vorschnell gesprochen hatte.
Doch Alberts erwies sich als echter Kavalier und wechselte das Thema in unverfängliches Terrain. »Werden Ihre Eltern auch zur Hochzeit erwartet?«
»Ich … ja. Aber später, nur zur Feier. Der Vater meint, das würde reichen, um die Falkenbergs nicht zu verprellen. Sie können sich wohl denken, dass er so eine Verbindung nicht gutheißt.«
»O ja, und wie ich das kann!« Er warf ihr noch einen letzten prüfenden Blick zu, aus dem Hilde eine seltsame Mischung aus Mitgefühl und Zuneigung herauslas, die etwas tief in ihr berührte.
Dann reichte er ihr galant den Arm und führte sie zum Portal des Michel.
Richard sah über die Schulter zurück. Er gönnte seiner Schwester das kleine Tête-à-Tête mit dem raubeinigen Schiffszimmerer. Dieser Raik Alberts tat ihr gut. Erdete sie.
Er verstand noch immer nicht, warum sie vor Vater und Mutter kuschte und Walter Degen heiraten wollte. Nachdem die Eltern solche Angst um sie ausgestanden hatten, wäre Hilde mit fast allem davongekommen, solange sie nur lebte und gesund war. Doch sie beharrte stur auf dieser Verbindung, als würde ihr tatsächlich etwas daran liegen. Aber als Richard sie nun mit Raik Alberts sah, wusste er,
dass es mit ihren Gefühlen für Vaters Geschäftsfreund nicht weit her sein konnte.
Richard betrat das schummerige Halbdunkel der Kirche. Erst im Hauptschiff wurde es durch das Sonnenlicht, das durch die Bleiglasfenster strahlte, hell. Zahllose Farben wurden als bunter Reigen auf Boden und Säulen geworfen. Die Seiten der Sitzbänke waren mit Herbstblumen geschmückt, mit Rosen, Weinranken und allerlei Kräutern. Es duftete nach Bienenwachskerzen.
Seitlich neben dem Chorraum entdeckte er Friedrich, noch schmal im Gesicht, aber mit einer gesunden Röte auf den Wangen. Die Cholera hatte ihn vielleicht gezeichnet, doch den Lebensmut hatte sie ihm nicht genommen.
An seiner Seite stand ein Mann, den er auch in einem Meer von Tausenden sofort gefunden hätte. Wassili drehte ihm den Rücken zu. Er trug einen modischen dunkelblauen Anzug. Sein Haar glänzte wie lackiert.
Auch aus dieser Entfernung erkannte er die besondere Melodie seines Akzents, obwohl er die gesprochenen Worte nicht verstehen konnte.
Friedrich lachte, dann drehte sich Wassili um. Und sofort spürte Richard eine Verbindung aus seiner Brust schießen wie einen glühenden Faden, schmerzhaft und wärmend zugleich. All das ausgerechnet in einer Kirche zu empfinden beschämte Richard besonders. Doch er konnte einfach nicht anders.
Anfangs hatte er noch versucht, Wassili zu meiden, aber sie zogen einander an wie Magneten, und mittlerweile hatte er sich damit abgefunden, dass er mit seinem Leiden würde leben müssen, ohne auf Heilung hoffen zu können
.
Sie trafen sich hin und wieder heimlich, angeblich, um Geschäftliches zu besprechen oder männlichem Zeitvertreib nachzugehen. Richard hatte Wassili mit auf eine Entenjagd genommen, wo sie die meiste Zeit gemeinsam versteckt im Schilf gelegen hatten. Mit einem einzigen Vogel in der Jagdtasche kehrten sie nach Hamburg zurück.
Ob es so weitergehen würde? Eine heimliche Liebschaft mit einem Mann, die ihn abwechselnd mit Scham und Abscheu erfüllte oder glücklich machte?
Wenn sie je entdeckt würden, war ihnen die Unterbringung in einer Anstalt für Geisteskranke sicher. Sie beide wussten, dass es am besten gewesen wäre, sich nicht mehr zu treffen. Aber die Wahrheit lautete, dass es für Richard nicht infrage kam, den Kontakt abzubrechen. Er brauchte Wassili!
»Ah, der Bräutigam«, begrüßte er Friedrich und nach ihm Wassili. Sie gaben sich die Hand, nur kurz, wie stets in der Öffentlichkeit. Er schluckte. Vielleicht sollte er es doch beenden, am besten noch heute.
»Ich habe Friedrich gerade erklärt, was er in der Hochzeitsnacht zu tun hat«, sagte Wassili ernst und erwischte Richard damit kalt.
»Was hast du?«, fragte der fassungslos. Mochten die Bräuche in Russland auch anders sein, aber das …
»Nun schau doch nicht so! Ich soll nicht zu viel trinken«, warf Friedrich lachend ein. »Das hat er gesagt, was denn sonst!«
Nach und nach füllten sich die Reihen mit Familienangehörigen, Freunden und auch einigen Geschäftspartnern der Falkenbergs. Friedrich wurde immer nervöser, auch wenn
er versuchte, es zu verbergen. Richard kannte ihn jedoch gut genug, um die Anzeichen zu bemerken.
»Ich freue mich so sehr für dich«, sagte er leise. »Du glaubst gar nicht, wie ich dich beneide.«
Und das tat er. Irgendwann würde auch Richard heiraten müssen. Eine Frau, die er nicht liebte. Er würde Kinder mit ihr zeugen müssen und konnte nur hoffen, dass er dazu überhaupt in der Lage war.
Mit einem tiefen Ton begann die Orgel zu spielen. Gespräche verstummten, und eine erhabene Feierlichkeit legte sich über alles. Richard stand seitlich neben Friedrich vor dem Altar, der wie benommen zum Haupttor der Kirche starrte. Von dort würde sie kommen, seine Braut.
Noch immer kam Svantje die Hochzeit vor wie ein einziger wundervoller Traum – und er war noch lange nicht zu Ende. Der Ring an ihrem Finger fühlte sich fremd an, sie spürte ihn unablässig. Was womöglich auch daran lag, dass Friedrich die ganze Zeit ihre Hand hielt und so gut wie nie losließ.
Die Feier im Gasthof hatte gerade erst begonnen, und nun war es Zeit für den ersten Tanz, den sie eröffnen sollten. Jetzt war sie doch aufgeregt. »Hoffentlich haben wir wirklich genug geübt«, flüsterte sie.
Friedrich küsste sie auf die Wange, die sich schon jetzt heiß und gerötet anfühlte. »Wenn du mir die Führung überlässt, wird es schon gut gehen.«
»Ich gebe mir Mühe.«
Ein wenig verkrampft wagte sie die ersten Schritte. Es
war ein langsamer Walzer, und Svantje war froh, dass das lange Kleid ihre ungeschickten Schritte kaschierte. Wie gebannt starrte sie in Friedrichs Augen, versuchte, sich seinen Bewegungen anzupassen, und dann, von einem Moment auf den anderen, schwebte sie über das Parkett. Es war so schön, dass sie kaum merkte, wie der eine Walzer zu Ende ging und die kleine Kapelle schon den nächsten anstimmte. Mutter und Vater tanzten nun auch. Da waren die Krankenschwestern aus der Cholerabaracke, die ihr in der harten Zeit zu engen Vertrauten geworden waren, und dort tanzte auch Raik. Mit Hilde Harkenfeld!
Es geschahen also noch Wunder.
Ihr Bruder Richard stand am Rand der Tanzfläche, hielt ein Glas Champagner in der Hand und schien in Gedanken ganz woanders.
Erhitzt und glücklich verließ Svantje schließlich die Tanzfläche. Sie fühlte sich großartig und ein wenig zerzaust. Strähnen hatten sich aus ihrer Frisur gelöst, sie tastete vorsichtig danach.
»Du bist die schönste Braut von ganz Hamburg«, sagte Friedrich, und da war es wieder, dieses Blitzen in seinen Augen, das ihr verriet, dass er jedes Wort so meinte. Doch das änderte nichts daran, dass sie bald mit aufgelöstem Haar dastehen würde, wenn sie jetzt nicht versuchte, die drohende Katastrophe zu verhindern. Sie entschuldigte sich. Friedrich wollte die Zwischenzeit nutzen, um mit seiner Verwandtschaft zu sprechen, die sich in Gesellschaft der einfachen Leute sichtlich unwohl fühlte.
Es dauerte nicht lange, bis Svantje vor einem großen Spiegel die Nadeln neu gesteckt und ihr Diadem samt dem feinen Schleier gerade gerückt hatte. Einen Moment lang
musterte sie ihr Spiegelbild. Ihre Wangen glühten rosig, ihre Augen sahen beinahe fremd aus, wie verzaubert. Das musste das Glück sein, das aus ihnen strahlte.
Als sie in den Tanzsaal zurückkehrte, konnte sie Friedrich nicht entdecken. Dafür eilte ein anderer auf sie zu, der ihr über die vergangenen Monate zu einem Vertrauten geworden war.
»Doktor Schawacht«, begrüßte sie ihn. »Ich bin so froh, dass Sie kommen konnten.«
Er nahm ihre Hände. »Das hätte ich mir um nichts in der Welt entgehen lassen. Meine beste Krankenschwester.«
»Sie beschämen mich.«
»Nein, ich sage nur die Wahrheit. Ohne Ihr Engagement und Ihre Courage wären in der Baracke noch viel mehr Leben zu beklagen gewesen. Aber reden wir nicht darüber. Heute ist Ihr Festtag, und ich wünsche Ihnen eine wundervolle gemeinsame Zukunft. Ich hoffe nicht, dass Sie der Klinik nun den Rücken kehren.«
»Nein, ich bleibe Ihnen erhalten.«
Er musterte sie mit plötzlichem Ernst. »Dann will ich Ihnen ein Angebot machen. Werden Sie Oberschwester.«
Svantje glaubte ihren Ohren nicht zu trauen. Sie war doch erst wenige Jahre im Beruf! Bevor sie zu einer Erwiderung ansetzen konnte, ergriff der Doktor das Wort. »Sie sind durch eine harte Schule gegangen und haben sich bewiesen. Ich kann mich auf Sie verlassen.«
»Ich fühle mich geehrt.« Svantje entdeckte Friedrich, der gerade den kleinen Sohn einer Cousine auf dem Arm hielt. »Mein Mann wünscht sich Kinder, so bald wie möglich.«
»Sie sind noch jung, Ihnen bleibt viel Zeit, Frau … Falkenberg.« Er beugte sich vor. »Und Sie wissen, wie man si
ch diese Zeit verschafft. Denken Sie über mein Angebot nach.« Er lächelte unverfänglich, als ahne er nicht, in welchen Zwiespalt er sie mit seinem Angebot getrieben hatte. Dann entschuldigte er sich, da er seine Frau zum Tanz auffordern wollte.
Svantje war wie vom Donner gerührt. Hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, ihren frischgebackenen Ehemann glücklich zu machen, und der Chance auf mehr – so viel mehr.
Doch wie sollte sie es übers Herz bringen, Friedrich die Konsequenzen einer solchen Entscheidung aufzubürden? Sicherlich würde er – ihr Friedrich, der sie so liebte, der so stolz auf ihren Beruf war! – ihr keine Steine in den Weg legen, falls sie Doktor Schawachts Angebot annehmen wollte. Doch er würde seine Zustimmung nur schweren Herzens geben, da war sie sicher. Er hatte viel aufs Spiel gesetzt, als er sich entschieden hatte, gegen den anfänglichen Willen seiner Eltern eine Frau aus ihren Verhältnissen zu heiraten. Und dass Svantje nach der Eheschließung überhaupt weiter ihrer Arbeit nachgehen wollte, war in der besseren Gesellschaft Hamburgs bereits Skandal genug. Wenn Svantje nun auch noch beschloss, zunächst ein Leben ohne Kinder führen zu wollen, um ihrer Berufung zu folgen … Nicht auszudenken, was das für Friedrichs Ansehen bedeuten würde.
Sie sah Doktor Schawacht nach, der mit seiner Ehefrau über das Parkett glitt. Warum nur hatte er ihr dieses Angebot ausgerechnet heute unterbreiten müssen
?
Die Feier wurde schnell ausgelassen. Wahrscheinlich lag es daran, dass die Seuche nun hinter ihnen lag. Die Menschen, vor allen die ärmeren aus den Gängevierteln, feierten nicht nur die Hochzeit, sondern das Leben selbst. Ihr
Leben. Friedrichs Gäste und seine Familie hatten sich unterdessen in einen Salon zurückgezogen, in dem sie unter sich waren. Wie eine unsichtbare Mauer trennten sich Arm und Reich. Waren sie beim gemeinsamen Essen noch gezwungen gewesen, miteinander an einer Tafel zu sitzen, wichen sie nun voreinander zurück, als stießen sie sich gegenseitig ab. Hin und wieder verirrten sich auch vornehmere Gäste auf das Tanzparkett, doch mittlerweile sah Richard dort fast nur noch einfachere Leute, die allerdings umso ausgelassener feierten.
Wie so oft prallte die fröhliche Stimmung an Richard ab. Er hatte mit mehreren Frauen getanzt, denn er tanzte gern, doch jede schien in ihm eine gute Partie zu sehen. Eine der Damen war sogar ein wenig handgreiflich geworden. Und mit fortschreitender Stunde würde sich die Lage mit Sicherheit nicht bessern.
Erhitzt kam auch Wassili vom Tanz zurück. Seine Wangen waren gerötet, das geglättete Haar löste sich, kurze Strähnen rutschten ihm in die Stirn.
»Ich würde auch dich gern ein wenig herumwirbeln«, flüsterte er Richard ins Ohr und nahm ihm das Glas ab, das der für ihn gehalten hatte. Richard seufzte nur, während Wassili sein Glas in einem Zug leerte. »Wie es scheint, hat unser Freund Friedrich alles richtig gemacht.«
»Ja, das hat er. Die Seuche überlebt, die Liebe seines Lebens gefunden und sich mit seinen Eltern ausgesöhnt. Vielleicht sollte ich es auch noch einmal mit meinem Vater
versuchen. In den vergangenen Wochen ist es etwas besser geworden, auch wenn ich nicht mehr im Werk war. Er hat sogar um meinen Rat ersucht.«
Wassili nickte ernst. »Ja, du solltest es versuchen. Wenn du es schon nicht für dich machst, dann tu es für die Belegschaft im Werk. Wenn du da drin wirklich Sozialist bist«, er tippte Richard auf die Brust, »dann wirfst du deine persönlichen Eitelkeiten über Bord und übernimmst die Firma. Auch wenn du dafür die nächsten Jahre buckeln musst. Bist du erst einmal der Leiter …«
»… dann kann ich alles ändern«, ergänzte Richard nachdenklich.
»Das wird kein leichter Weg, aber du bist stark genug, ihn zu gehen. Ich glaube an dich.« Wassili sah ihn auf diese besondere Weise an, und Richard hätte ihm in diesem Moment keinen Wunsch abschlagen können.
»Komm, holen wir uns etwas zu trinken.«
»Ich überlege mir schon mal einen Trinkspruch.« Wassili lachte. »Sonst ist es ja nur Sauferei!«, sagten sie gleichzeitig, dann suchten sie sich einen Weg durch die Feiernden. Für diesen einen Augenblick fühlte sich ausnahmsweise einmal alles gut an.
Mit den Getränken kehrten sie nicht in den Tanzsaal zurück, sondern gingen zum Luftschnappen in den kleinen Hinterhof, der mit Rosenstöcken und einigen gestutzten Linden zum Verweilen einlud. Die Herbstabende wurden nun schon ein wenig frisch, doch Richard war das gerade recht. Die kühle Luft klärte seinen Verstand, auch wenn der Wein ihm bereits ein wenig kribbelige Leichtigkeit geschenkt hatte. Gemeinsam mit Wassili schmiedete er Pläne, wie er die Bedingungen für die Arbeiter gerechter
gestalten konnte, ohne mit seinem Vater anzuecken. Und doch hing wie ein Damoklesschwert eine andere Entscheidung über ihnen. Bald, sehr bald sollten sie getrennte Wege gehen. Immer wieder musterte Richard seinen Freund, wie er mit fiebrigem Eifer und ausholenden Gesten seine Zukunft plante. Nicht ein einziges Mal erwähnte er dabei Richard. Es war, als gebe es ihn gar nicht.
Es herrschte Dunkelheit, trotz der Lichter, die aus den Fenstern des Tanzsaals zu ihnen hinausfunkelten.
»Komm«, sagte Wassili plötzlich und nahm Richards Hand.
»Was machst du denn?«, zischte der und sah über die Schulter, doch da war niemand, der sie beobachtete, auch wenn es sich so anfühlte. Er hatte Wassili blitzschnell die Hand entzogen.
»Nun komm, mir ist bewusst, worüber du die ganze Zeit nachgrübelst, weil du nicht weißt, wie du es mir sagen sollst.«
Mit einer würgenden Enge in der Kehle folgte er Wassili hinter den breiten Stamm einer Linde. Er wusste es also? Aber warum sagte er nichts, weder, dass es ihn traurig, noch, dass es ihn wütend machte? Richard hatte ihn falsch eingeschätzt. Der Russe hatte ihm schon vor Wochen gebeichtet, dass er bereits mehrere Beziehungen zu Männern gehabt hatte, die teils Monate gedauert hatten. Richard war bislang davon ausgegangen, dass er auch mit ihm eine längere Liaison wünschte.
Wassili sah sich noch einmal hektisch um, dann fasste er ihn an den Schultern. Seine Augen schimmerten, als halte er Tränen zurück. »Richard Harkenfeld, du wirst dich nicht ohne einen letzten Kuss von mir abwenden.« Er zog ihn an
sich und küsste ihn. Richards Herz raste wie verrückt. Es war verboten. Kurz stemmte er sie Hände gegen Wassilis Brust, dann gab er sich geschlagen und ließ sich in den Kuss fallen. Ein bittersüßer Abschied. Mit Wassili war es leicht, alles um sich herum zu vergessen.
Alles.
»Nun reicht es aber wirklich, Hilde!«, zischte die Mutter und fasste sie am Arm. Widerstrebend ließ Hilde sich vom Parkett ziehen, fort von Raik Alberts, der ihr hinterhersah, aber nichts sagte. Stattdessen nahm er ein Glas Rotwein von einem Servierwagen und leerte es in einem Zug.
»Meine Güte, Mädchen, du machst uns zum Gespött der Leute! Eine Harkenfeld benimmt sich nicht wie ein Flittchen.«
Hilde fühlte Tränen in sich aufsteigen und verkniff sich eine bissige Erwiderung. »Ja, Mutter.«
Die war aber noch nicht mit ihr fertig. Abfällig ließ sie ihren Blick durch das Lokal schweifen. Die einfachen Leute lachten und tanzten, mittendrin Svantje und Friedrich, der seine Braut etwas enger an sich drückte, als es der Anstand gebot, und so glücklich aussah, wie Hilde ihn noch nie gesehen hatte.
»Es ist eine Sache, ob sich die Falkenbergs mit diesen Leuten gemein machen oder wir, Hilde, merk dir das. Wir gehen!«
»Darf ich mich wenigstens noch beim Brautpaar verabschieden?«
»Nein, du siehst doch, dass sie beschäftigt sind. Ich habe
deine Grüße bestellt, dein Vater kommt jetzt auch. Wo ist Richard?«
»Vielleicht draußen?«
Der Vater stieß zu ihnen, und gemeinsam betraten sie den verlassenen Innenhof. Zuerst meinte Hilde, es sei niemand da. Der Vater ging mit großen Schritten voran, dann blieb er plötzlich stehen, als sei er gegen eine unsichtbare Mauer geprallt.
Als sie aufgeschlossen hatten, blieb Hilde beinahe die Luft weg. Dort war ihr Bruder. Ein Mann stand vor ihm, nein, er umarmte ihn und … nein, das konnte nicht sein. Es lief ihr eisig den Rücken hinunter.
Der Vater stürmte mit einem Schrei vor, riss den anderen Mann zur Seite und schlug Richard die Faust ins Gesicht.
Richard stürzte zu Boden, die Augen in blanker Angst aufgerissen.
Im Liegen sah er nun auch Hilde und seine Mutter, die angeekelt ihre Hand auf den Mund presste. Der andere Mann war in den Schatten zurückgewichen, und sie erahnte mehr, als dass sie erkannte, wer es war.
»Du …«, zischte der Vater gefährlich leise, »… bist nicht mehr mein Sohn.« Und damit stürmte er davon. Mutter folgte ihm taumelnd.
Hilde stand einfach nur da und sah auf ihren Bruder hinab, der hilflos stammelte. Blut rann ihm aus der Nase und über den Mund. Den Mund, mit dem er einen anderen Mann geküsst hatte.
Hilde verstand nicht, wieso. Wie konnte so etwas passieren? Und das in ihrer Familie! Noch niemals hatte es bei den Harkenfelds einen Geisteskranken gegeben
.
»Warum?«, fragte Hilde verzweifelt, hin- und hergerissen, ob Richard ihr leidtun sollte oder sie ihn verabscheute.
»Ich weiß es nicht«, antwortete er leise. Doch dann schien ihn ein Ruck zu durchlaufen, und etwas in ihm änderte sich. Seine Schultern strafften sich, alles Weiche wich aus seinem Blick. »Verschwinde, Hilde«, sagte er leise.
»Nein.«
»Verschwinde!«, brüllte er und ähnelte für einen Augenblick auf erschreckende Weise dem Vater. Hilde zuckte zusammen und eilte ihren Eltern hinterher. Erst jetzt wurden die ersten Gäste auf den Streit aufmerksam. Doch niemand hatte mitbekommen, was der Auslöser war. Hoffentlich.
Hilde blickte zurück. Richard war nicht mehr zu sehen. Er war fort.
Ab heute hatte sie keinen Bruder mehr.