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E ine Weile später standen sie alle fünf im Zelt von Falk von Dinkelsbühl. Sie hatten sich ein wenig den Dreck aus den Gesichtern gewischt, aber davon abgesehen sahen sie immer noch schmutzig und furchtbar elend aus. Auch der Köhler Lorenz war als Falks Stellvertreter mit dabei, er trug den Arm in einer Schlinge, sein Gesicht war kalkweiß. Die unheimlichen Ereignisse hatten ihn das frühere Spotten vergessen lassen.

Falk rümpfte die Nase. »Einer war schon schlimm genug, aber der Geruch von euch fünf ist nur schwer zu ertragen.«

»Ihr hättet uns ja nicht in die Grube werfen müssen«, sagte Jerome.

»Wer weiß, vielleicht landet ihr dort bald wieder, wenn ihr mir jetzt nicht endlich sagt, was das hier alles soll.«

Falk musterte Lukas. »Ich muss mich bei dir bedanken, Junge. Hast mir vorhin das Leben gerettet, und wohl auch das von Lorenz. Bist ein guter Kämpfer, alle Achtung! Aber vor dem Kampf hast du was gesagt, das mich stutzig gemacht hat. Es klang ganz so, als ob du diese Biester kennen würdest. Ist das so?«

Lukas nickte zögernd. »Wir … wir sind den weißen Wölfen schon einmal begegnet, das ist wahr.«

»Herrgott, jetzt lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen!«, schimpfte Lorenz. »Das war kein normaler Angriff von Tieren, wie ich ihn als Köhler aus dem Wald kenne. Tiere machen sowas nicht, sie fallen kein so großes Lager an. Und dann diese weißen Bestien, sowas hab ich noch nie gesehen …« Er wurde noch eine Spur bleicher und bekreuzigte sich. »Da hat der Teufel seine Hände mit im Spiel. Gott steh uns bei!«

»Ihr sagt mir jetzt auf der Stelle, was es damit auf sich hat, sonst ersäufe ich euch eigenhändig im Höllenschlund, verstanden?«, drohte Falk. »Wir haben dort draußen sechs Männer verloren gegen diese Viecher. Also, raus mit der Sprache, sofort! Bevor ich meine ritterlichen Tugenden vergesse!«

Falk hatte sich immer mehr in Rage geredet. Lukas und Giovanni wechselten einen Blick, dann räusperte sich Lukas.

»Wir kennen diese weißen Wölfe zwar nicht, aber wir glauben zu wissen, wer sie geschickt hat, und auch warum …«

Lukas begann zu erzählen, von Waldemar von Schönborn auf dem Kyffhäuser und dessen unheimlichen Zauberkräften, auch von Elsas Entführung. Einige Dinge ließ Lukas allerdings aus. So erzählte er nicht von Merlin und auch nicht von ihrer magischen Reise hierher, ebenso wenig davon, dass der Wolf mit ihm gesprochen hatte. Die Ereignisse waren schon so wunderlich genug, Falk und Lorenz sollten ihn nicht für verrückt halten.

Vor allem aber verschwieg Lukas das Grimorium.

Als er geendet hatte, sagte eine ganze Zeit lang keiner ein Wort. Falk betrachtete nachdenklich die Karte auf dem Tisch, die den Harz zeigte. Von draußen waren die Rufe der Harzschützen zu hören, die das Lager nach dem Kampf wieder auf Vordermann brachten.

»Und dieser Magier hat also deine Schwester entführt?«, fragte Falk schließlich argwöhnisch. »Warum sollte er das tun? Was will er mit dem Mädchen?«

»Elsa verfügt wie Schönborn über magische Kräfte«, erwiderte Lukas. »Womöglich über noch größere, als er sie besitzt. Wir befürchten, dass er mit Elsas Hilfe versuchen wird, vom Kyffhäuser aus das ganze Reich zu erobern.« Lukas’ Angst war groß, dass ihm die Männer nicht glauben würden, doch keiner lachte. Im Gegenteil, sie wirkten alle sehr ernst und betroffen.

»Das alles klingt überaus seltsam und doch wieder nicht«, sagte Falk nach einer Weile. »Es passt zu dem, was wir selbst gehört haben. Nicht wahr, Lorenz?«

»O ja!« Sein Stellvertreter nickte. »Unheimliche Dinge gehen im Harz vor! Hexen, Zwerge und sogar Riesen sind gesehen worden, von vernünftigen Männern, denen ich Glauben schenke. Es sieht so aus, als würde das Böse aus allen Löchern kriechen und sich auf irgendetwas vorbereiten. Herrgott, verdammt!« Lorenz stieß einen lauten Fluch aus. »Als würde es nicht reichen, dass die Schweden uns hier im Harz das Leben zur Hölle machen, nun kommen auch noch dämonische Kräfte hinzu! Gut möglich, dass die verfluchten Tatern dahinterstecken. Die kennen sich mit Hexerei aus.«

»Sprich nicht schlecht von den Tatern!«, mahnte Falk. »Sie haben uns schon oft geholfen.« Er runzelte die Stirn. »Doch geheuer sind sie auch mir nicht.«

Von den Tatern hatte auch der Wirt unten im Flusstal geredet. Lukas fragte sich, ob dieses Volk vielleicht wirklich magische Fähigkeiten hatte.

»Kennt ihr ein Mittel, wie wir gegen diese Zauberwesen vorgehen können?«, wollte Falk nun von den Gefährten wissen. »Magie vielleicht? Immerhin seid ihr hierher in den Harz gekommen, um gegen diesen Zauberer zu kämpfen.«

Gwendolyn wollte etwas sagen, doch Lukas sah sie warnend an.

»Die weißen Wölfe haben wir auch so besiegt, mit Muskelkraft und Köpfchen«, erwiderte er stattdessen. »Dort draußen liegt einer tot, zwei weitere hatten wir bereits erschlagen. Es ist also keine Magie vonnöten.«

»Ihr wollt mir also weismachen, dass ihr den ganzen Weg von Heidelberg hierhergekommen seid, mit nichts als euren Degen und einem kleinen Flitzebogen, um gegen so einen mächtigen Zauberer zu kämpfen?« Falk sah Lukas skeptisch an. »Ich hab dich vorher kämpfen sehen, das war sehr gut. Mehr als gut! Besser, als ich es bei einem Knaben erwartet habe. Vielleicht bist du ja sowas wie ein Zauberkrieger, und deine Freunde auch? Immerhin kann deine Schwester auch zaubern.«

»Das sind wir nicht!«, entgegnete Lukas.

»Wenn wir Zauberkrieger wären, dann hätten wir uns ja wohl aus dem Höllenschlund befreien können«, sprang Giovanni Lukas zur Seite.

»Und doch«, beharrte Falk. »Irgendwas stimmt nicht mit euch. Ich weiß nicht, ob ich euch trauen kann. Ihr mögt keine Söldner vom schwedischen Feldmarschall Bannier sein, aber wer seid ihr dann? Wie sehr kann ich mich auf euch und eure Geschichte verlassen?« Er überlegte eine Zeitlang, dann wandte er sich an Lorenz. »Ich denke, wir werden sie ins Bergwerk schicken.«

Lorenz zuckte zusammen. »Ins Bergwerk bei Elbingerode? Aber …«

»Wenn sie auf unserer Seite sind, dann können sie sich dort beweisen. Und auch zeigen, dass sie gegen die dämonischen Kräfte bestehen können.«

»Was ist das für ein Bergwerk?«, fragte Jerome.

Lorenz schluckte. »Es liegt eine halbe Tagesreise von hier, am Fluss Bode. Wir hatten die Grube vor längerer Zeit schon besetzt, sie ist sehr wichtig für uns, weil wir dort das Erz für unsere Waffen gewinnen. Doch da unten haust … irgendwas.« Der Köhler erschauderte. »Es ist jetzt eine gute Woche her, dass die Bergarbeiter in den unterirdischen Gängen auf ein Wesen gestoßen sind, das sie von dort vertrieben hat. Wohl ein Berggeist. Ihren Beschreibungen nach ist es ein schwarzes Pferd mit glühenden Augen. Ich habe zuerst gedacht, die Männer erzählen Unsinn. Aber keiner wagt sich dort unten mehr rein. Die Arbeiter haben den Eingang verschlossen, damit nichts rauskommt …«

Falk nickte entschlossen. »Ihr geht dort rein und seht nach dem Rechten. Besiegt den Berggeist oder was immer dort auch lauert. Dann glauben wir euch. Vielleicht können wir unsere Kräfte später auch bündeln.«

»Was soll das heißen?«, wollte Giovanni wissen. »Unsere Kräfte bündeln?«

»Wenn euer Schwarzmagier sich wirklich oben auf dem Kyffhäuser mit der Kleinen eingeigelt hat, werdet ihr sie allein nie befreien können. Das ist eine zerklüftete Gegend dort, in den Ruinen der alten Burg haben sich Räuber und anderes Pack eingenistet. Mal davon abgesehen, dass ihr es ohne unsere Hilfe niemals durch den Harz schafft. Nicht in diesen Zeiten.«

Falk streckte Lukas die Hand entgegen. »Der Handel gilt. Ihr besiegt das Wesen im Bergwerk, dann helfen euch die Harzschützen, deine Schwester aus den Händen dieses Finsterlings zu befreien.«

»Und wenn die Burschen sich vorher aus dem Staub machen?«, fragte Lorenz.

»Daran habe ich gedacht.« Falk deutete auf Gwendolyn. »Das Mädchen bleibt hier bei uns im Lager. Wir werden sie nicht wieder in den Höllenschlund werfen, keine Sorge! Aber sie wird unsere Geisel sein, bis die Jungen den Berggeist erledigt haben.« Er streckte Lukas erneut die Hand entgegen. »Nun schlag schon ein, Zauberkrieger! Ein besseres Angebot bekommst du nicht. Und mit den Harzschützen auf deiner Seite kannst du es mit Tod und Teufel aufnehmen.«

Lukas zögerte. Dann ergriff er Falks Hand und drückte sie fest. »Einverstanden, Hauptmann.«

Er bemerkte, wie ihn Gwendolyn böse musterte.