Jetzt

Man misst hier meine Fortschritte in Zentimetern … oder Millimetern? Da jetzt offenbar alle kapiert haben, dass ich nicht sprechen werde, versucht man mir andere Kommunikationsmöglichkeiten nahezubringen. Blinzeln wäre gut, Nicken ganz großartig. Ist mir noch nicht gelungen. Greg sagt – wie mir scheint mit drohendem Unterton –, dass ich bald nach Hause gehen kann.

»Es wird Ihnen eine große Hilfe sein, wenn Sie sich irgendwie mit Ihren Kindern verständigen können. Das wollen Sie doch bestimmt, nicht wahr, Catherine?«

Unterschwellige Botschaft: Du bist eine Mutter, die nur an sich denkt.

Und so was nennt sich nun Psychiater.

Die verstehen einfach nicht, dass Schweigen viel schwieriger ist als Reden. Nicht zu reagieren ist wahnsinnig anstrengend; es kostet mich meine ganze Kraft, und genau das will ich. Ich weiß, dass die mich für eigensinnig, stur und trotzig halten (obwohl das anders ausgedrückt wird: traumatisiert, psychisch krank, stumm). Und in gewisser Weise haben sie sogar recht. Ich spreche nicht, weil ich bei dir bleiben will, und das ist mir wichtiger als alles andere. Ich will zurückkehren zu einem Neubeginn, Haut an Haut, deine Hand in meiner.

Heute kommen mich Sam und Liv gemeinsam besuchen, und obwohl man ihnen wiederholt gesagt hat, dass ich alles verstehe, scheinen sie das vergessen zu haben.

Ich will allein sein, damit ich in Ruhe an dich denken kann. Aber das Gespräch sickert in meine Traumwelt, Schmutz auf Schnee.

»Ich finde es großartig, wie du zu ihr hältst.«

»Das ist doch selbstverständlich. Sie ist meine Frau.«

Sam hat jetzt immer diesen wütenden Unterton. Und als Liv nichts erwidert, bricht die ganze Wut aus ihm heraus, das Leid von Monaten, weil er seine Frau, die Mutter seiner Kinder verloren hat, und weil ich nicht spreche.

»Verflucht noch mal, bemitleide mich nicht auch noch, Liv. Erspar mir wenigstens das. Ich weiß genau, was du denkst. Warum macht er sich überhaupt die Mühe, wenn sie doch jemand anderen liebt? Du hast die beiden doch schließlich nach all den Jahren wieder zusammengebracht, oder? Findest du nicht, dass du dafür mal Verantwortung übernehmen solltest? Dass du versucht hast, Gott zu spielen? Und nun schau dir an, was du angerichtet hast.«

Sam springt auf, der Stuhl quietscht auf dem Linoleumboden, und stürzt hinaus. Liv schluchzt hemmungslos, den Kopf in den Händen. Und darauf nicht zu reagieren, meiner liebsten Freundin nicht die Hand auf die Schulter zu legen und zu sagen: »Dich trifft keinerlei Schuld« … das ist bislang meine schwerste Prüfung.