Vor vier Monaten: Catherine

Mit hämmernden Herzen und ineinander verschlungen, so wie jetzt, lagen wir auch damals vor fünfzehn Jahren im Bett. Du warst verblüfft, mein erster Mann zu sein, und wohl auch stolz darauf. Aber du wolltest auch wissen, warum ich nicht mit Sam geschlafen hatte.

»Wir haben uns eben Zeit gelassen, uns näher kennenzulernen. Aber dann kamst du, und alles ist durcheinandergeraten.«

»Ist das schlimm?«

Schlimm? Ich war ekstatisch, euphorisch, fieberhaft und besessen von dir. Wollte nur noch deinen Körper spüren, die Hitze deiner Hände, deinen Mund, deine Zunge auf meiner Haut. Und nun liege ich wieder in deinen Armen, verstrickt in eine bizarre Wiederkehr der Vergangenheit.

»Was sollen wir jetzt tun?«, sagst du nach einer Weile.

Auf diese Frage gibt es keine einfache Antwort. Ich will nur, dass dieser Zustand ewig andauert; dass wir zusammenbleiben und alle düsteren Gedanken für immer außer Reichweite sind. Es gibt so vieles, an das ich nicht denken will, allem voran natürlich Sam, dessen Untreue ich als Entschuldigung dafür benutze, mir nun das zu gönnen, was ich immer schon haben wollte, auch wenn es nur für ein paar Stunden ist. Mir ist bewusst, wie schlimm das Sam verletzen würde. Und dennoch habe ich vom ersten Moment an, als ich dich am See erkannte, nichts anderes gewollt als genau das, wonach ich mich all die Jahre gesehnt habe: dich in meinen Armen, Haut an Haut, endlich.

»Nur das«, murmle ich, und du verstehst mich sofort.

»Wunderbar.«

Deine Lippen auf meinem Haar, deine Hand auf meinem Oberschenkel, dein Duft, Zitrusnoten, unverändert nach all den Jahren.

»Es gibt da ein Problem«, sagst du. »Ich muss heute nach Hause, nach Somerset. Am Wochenende habe ich das große Sommerfest, und ich muss mich um allerhand kümmern. Aber du könntest doch mitkommen, oder?«

Die Wirklichkeit bricht wieder über uns herein, wie zu erwarten war. Ich setze mich auf und ziehe die Decke um mich.

»Nein, das geht nicht.«

Die Reaktion ist unüberlegt, meine Stimme klingt schroffer als beabsichtigt. Spürst du nicht, ahnst du nicht, wovor ich mich fürchte? Du betrachtest mich, den Kopf schräg gelegt, und auf deinem Gesicht liegt wieder der Ausdruck von vor wenigen Stunden im Hyde Park: Resignation und Enttäuschung. Was mich nicht erstaunt nach dem, was wir gerade gemeinsam erlebt haben: Das war kein Sex, sondern eine fünfzehn Jahre alte Sehnsucht, die sich explosiv entlud.

»Die Kinder«, versuche ich eine Erklärung. »Ich kann nicht einfach verschwinden.«

»Aber sind sie nicht mit Sam in Cornwall? Sie müssten das doch gar nicht wissen. Es geht nur um einen Tag oder so. Würdest du Shute nicht gerne mal wiedersehen? Dort ist fast alles beim Alten. Sogar Mary, meine Haushälterin, ist noch da. Erinnerst du dich an Mary?«

Natürlich erinnere ich mich an Mary und an dein wundervolles Haus. Nie zuvor und nie danach habe ich mich auf einem so großartigen Anwesen aufgehalten. Erinnerungen brechen über mich herein; wir beide und Jack und Alexa, an diesem zauberhaften Wochenende.

Sam und die Kinder sind in Mevagissey, einem verschlafenen Hafenstädtchen, das Joe und Daisy toll finden. Schmale Gassen mit Kopfsteinpflaster, Läden, in denen man Angelruten, Karamellbonbons und allerlei Nippes kaufen kann. Es gibt keinen Grund, nicht mit nach Somerset zu fahren. Außer dem wahren Grund, und den versuche ich seit vielen Jahren mit aller Kraft tief in mir unter Verschluss zu halten, ist er doch ein gefährliches Geschoss aus Schuld und Scham. Doch jetzt hier, in deinem eleganten Zimmer in London, dem luxuriösen Bett, zeigt er sich wieder, und ich denke nicht mehr an dich und mich. Sondern an Jack.

Schon in meiner ersten Woche an der Uni lernte ich ihn kennen; das ging allen so. Jack sah umwerfend aus, und die Mädchen waren scharenweise in ihn verliebt. Er war so gut gekleidet wie du (in mancher Hinsicht saht ihr aus wie Zwillinge) und wirkte mit seinen blonden Haaren und leuchtend blauen Augen wie aus einem Hollywoodfilm. Er war auch ungeheuer nett zu mir, als du und ich zusammenkamen; Rachel verhielt sich oft schnippisch und eifersüchtig, aber Jack versuchte mich immer einzubeziehen. Oft unterbrach er ein Gespräch, damit ich verstehen konnte, worum es ging.

»Wartet mal«, sagte er dann zu Rachel oder Alexa. »Catherine hat doch keine Ahnung, worüber ihr redet. Erklärt mal ein bisschen.«

Galant rückte er mir den Sessel ans Feuer, besorgte Eis für meinen Drink, bot mir die erste Portion eines gelieferten Essens an. Er war charmant, aber nicht im Übermaß, und sein Humor sorgte immer für Ausgleich. Ich fühlte mich geachtet und geehrt.

Und dennoch erfüllt mich der Gedanke, ihn nach fünfzehn Jahren wiederzusehen, mit einem Grauen, das ich dir nicht erklären kann.

»Kein Problem«, sagst du, sichtlich verstimmt, obwohl du versuchst, es dir nicht anmerken zu lassen, »war nur eine Idee. Vergiss es einfach wieder.«

Du schlägst die Decke beiseite und stehst auf. Dein Körper, schlank, muskulös, sonnengebräunt, erinnert mich an die perfekte Harmonie griechischer Statuen, die ich meinen kichernden Kindern im Museum gezeigt hatte.

»Wohin gehst du?«

»Ich mach uns Kaffee. Bleib ruhig liegen.«

Es fühlt sich so seltsam intim an, dir beim Anziehen zuzusehen, als hätte ich kein Recht darauf. Deshalb rolle ich mich auf die Seite und betrachte die Bücher auf deinem Nachttisch. Der große Schwindel von Jake Arnott. Diesen Krimi hatte Sam auch mal gelesen, als wir in Frankreich im Urlaub waren. Daneben ein hellblaues Buch mit dem Titel Die Kunst der Achtsamkeit. Das erstaunt mich.

»Meditierst du?«, frage ich.

Du drehst dich um und siehst, dass ich die Bücher inspiziere.

»Ach so.« Ein Lächeln. »Das da ist nicht meines.«

Als du rausgehst, frage ich mich, wem dieses Buch wohl gehört, Rachel oder einer anderen Frau, und die heftige Eifersucht, die ich sofort empfinde, erschüttert mich. Ich laufe Gefahr, von der Vergangenheit eingeholt zu werden. Rachel, Alexa, Harry und Jack … ich kann deine Clique nicht wiedersehen. Das darf nicht passieren. Denn wenn ich mit dir nach Somerset käme – ich sehne mich danach, auch wenn es nur für ein paar Stunden wäre –, würdest du früher oder später herausfinden, was für ein Mensch ich in Wirklichkeit bin.