Jetzt

Ich fühle mich wie in einem Glaskasten. So laut ich auch schreie, niemand wird mich hören. Mein Weinen, die Schreie sind nur ein Strudel, in dem ich untergehe. Am Boden überall Wörter, Ströme von Buchstaben, die aus meinem Hirn quellen. All die Fragen, die ich nicht stellen kann, all die Antworten, die ich nicht geben werde.

»Erinnern Sie sich an das, was passiert ist?«

Das fragt man mich fast jeden Tag, und obwohl in meinem Inneren etwas brennt, schmerzt, mich verzehrt, bleibt mein Äußeres reglos. Nicht nur aus Angst; es ist auch eine körperliche Reaktion. Wenn man mir diese Frage stellt, wird mein Hals eng, meine Stimmbänder erstarren und mein Gehirn fühlt sich wie Eis an.

Heute kommt Sam wieder, und das tut mir gut. Die Kinder sind dabei, und Joe trägt einen neuen Pulli, dunkelgrau mit blauen Ärmeln. Nicht sein Stil, wahrscheinlich hat Sams Mutter ihm den Pulli gekauft.

Sam wirkt dünner als beim letzten Mal und braungebrannt, obwohl ich an dem Baum draußen erkennen kann, dass der Frühling erst am Anfang ist.

»Ich habe angefangen, für einen Marathon zu trainieren«, erzählt Sam.

Joe, der sonst selten spricht, sagt: »Er hat sich sogar schon angemeldet, Mum. Und jetzt liest er stundenlang Prospekte über Kompressionssocken.«

Ein winziges Lächeln, um Joe zu zeigen, dass ich ihn verstanden habe. Ich lächle und sehe ihn kurz an, wie Greg es mir beigebracht hat. Sam bemerkt es natürlich und sieht überglücklich aus.

»Du machst so tolle Fortschritte«, sagt er. »Greg sagt, die Therapie hat jetzt wirklich Erfolg.«

Das sagt Greg? Ist das so? Wie soll das helfen, dieses unentwegte Wühlen in der Vergangenheit, der tägliche Marsch mitten hinein in den Schmerz?

Ich spüre wohl, wo diese Sitzungen hinführen sollen. Weiß, dass wir früher oder später mit einer Axt die Tür einschlagen werden, die seit fünfzehn Jahren fest verriegelt und verrammelt ist. Die Regeln dieses Spiels durchschaue ich. Ganz am Anfang steht der Tod meiner Mutter, fangen wir damit an. Greg redet über meine Mutter, als hätte er sie gekannt. Ihre Haare zum Beispiel, zum Zeitpunkt ihres Todes noch immer dunkelbraun, kein bisschen grau, und sie blieben immer glatt und platt, sosehr meine Mutter sich auch mit Föhn und Produkten abmühte. »Ich gebe auf«, sagte sie eines Tages und feuerte den Föhn quer durchs Zimmer. »Dann ab jetzt eben nur noch Haarhelm.«

Aber Greg kann nicht wissen, dass meine Mutter auf ihre ganz eigene Art schön war. Sie brauchte weder Make-up noch Föhnfrisur. Ihr einziges Zugeständnis an Schönheitspflege bestand darin, sich vor dem Weg zur Arbeit ein bisschen Feuchtigkeitscreme ins Gesicht zu schmieren. Und Greg weiß auch nicht, wie viel sie lachte. Er kann ihr Lachen nicht hören wie ich, schallendes tiefes Gelächter, lauthals, in verblüffendem Kontrast zu ihrer zierlichen Erscheinung. Durch Greg allerdings denke ich an sie, das muss ich ihm zugutehalten. Und ich muss zugeben, dass ich etwas Neues gelernt habe. Es ist gut, ein bisschen von diesem Licht meiner Mutter in mir zuzulassen; es schmerzt nicht so schlimm, wie ich immer befürchtet habe.

»Bald bist du wieder zu Hause, Mami«, sagt Daisy, und meine Gedanken kehren zu meiner Familie zurück. »Dann backen wir Kuchen und gehen zum Strand und fahren mit unserem Boot, und alles ist wie vorher, du wirst sehen.«

Sie umarmt mich, mein süßes zuversichtliches kleines Mädchen, und drückt mich ganz fest, ihre Kobra-Umarmung, als könne sie ihre Hoffnung so auf mich übertragen.