Vor fünfzehn Jahren
Du hattest nicht damit gerechnet, dass ich wirklich kommen würde, das sah ich dir an. Lässig hast du an deinem hellblauen Wagen gelehnt, dein Erstaunen dann aber schnell in den Griff bekommen.
Und ich habe über deine altmodische Höflichkeit gelacht, als du mir eilig die Beifahrertür aufgehalten hast.
Die Fahrt zu diesem geheimnisvollen Überraschungsort dauerte über eine Stunde. Ich schaute zum Fenster raus, auf die hügelige Landschaft der Quantock Hills, die dann überging in die hohen Hecken und schmalen Landstraßen im Süden von Devon. Wir hörten die ganze Zeit Rolling Stones, deine Lieblingsband aller Zeiten, wie du sagtest.
»Entführst du mich?«
Dieses umgekehrte Clownlächeln trat auf dein Gesicht, das Lächeln mit den heruntergezogenen Mundwinkeln.
»Bin mir noch nicht ganz sicher. Warten wir mal den Lunch ab.«
Dann schwiegen wir. Ich dachte daran, wie angewidert Sam wäre, wenn er mich mit dir in diesem Sportwagen sähe. Gegensätzlicher konnten zwei Männer nicht sein. Zu den wenigen Dingen, in denen die beiden sich einig waren, wenn auch aus verschiedenen Gründen, gehörte die konsequente Verachtung der Oberschicht.
Dann hielten wir auf einem kleinen Schotterparkplatz mit Blick aufs Meer. Ich erinnere mich genau an meinen ersten Eindruck von Beach House, dem verwitterten alten Holzgebäude, an dem die blaue Farbe abblätterte, direkt oberhalb von South Milton Sands. Doch als wir dann das Restaurant betraten, kam es mir vor, als seien wir plötzlich in deiner Zeichnung; dieser Moment hatte einen einzigartigen Zauber. Die Holzwände mit den Filmplakaten, die rot-weiß karierten Tischdecken, die Blumen in den Einmachgläsern. Draußen war es kalt und grau, aber innen warm und behaglich. Im Kamin loderte ein Feuer, auf den Tischen leuchteten Kerzen. Einen besseren Ort für ein geheimes genüssliches Mahl konnte es nicht geben.
Außer einer Mutter mit Tochter, die aber aufbrachen, als wir kamen, gab es keine anderen Gäste. Im Nachhinein denke ich, dass die Betreiber vielleicht sogar schließen wollten. Aber nachdem du mit großer Geste verkündet hattest: »Wir probieren alles«, brachte der Wirt uns Austern, Krabben, Sprotten und gegrillte Seezunge. Wir tafelten stundenlang, und ich habe nie wieder köstlicheren Fisch gegessen. Dazu tranken wir eine Flasche kalten goldgelben Wein, und du hast dafür gesorgt, dass unsere Gläser immer fast randvoll waren, wie auf der Zeichnung.
Während der Fahrt hatte ich dich manchmal verstohlen angeschaut; deine langen schmalen Hände auf dem Lenkrad, die leicht ausgefransten Ärmel deines dunkelblauen Pullis. Am Tisch nun konnte ich dein Gesicht, beleuchtet vom Kerzenschein, unverhohlen betrachten. Ich fand, es war das schönste Gesicht, das ich jemals im Leben gesehen hatte.
Du hast meinen Blick bemerkt und gelächelt.
»Ich hatte nicht vermutet, dass du tatsächlich kommen würdest. Was hat dich umgestimmt?«
»Die Zeichnung.«
»Die gefällt dir?«
»Ich finde sie wundervoll. Sie erinnert mich an meine Kinderbücher. Weißt du, diese alten Tuschezeichnungen, die so lebendig wirkten, als könne man drin leben? Genau so hat es sich angefühlt.«
Du hast erfreut genickt. Und mir gesagt, dass Zeichnen und Malen für dich das Wichtigste im Leben waren.
»Aber wieso studierst du dann Englisch?«
»Weiß nicht«, hast du mit einem Lachen geantwortet. »Vielleicht ein allerletzter Versuch, es meiner Mutter recht zu machen. Funktioniert aber ohnehin nicht.«
Dann hast du erzählt, dass dein Vater gestorben ist, als du ein Kind warst. Dein Tonfall klang leichthin, geübt, aber ich spürte schon damals, wie sehr dieser Verlust dich geprägt hatte.
»Erzähl mir von deinem Leben«, hast du dann gesagt.
Ich dachte zurück, aber mir fielen nur Idylle und Harmonie ein. Als hätte es bei mir zu Hause immer nur Sonntage gegeben, mit Desert Island Discs im Radio, Zeitungen auf dem Tisch, dem Duft von Brathuhn. Unterhaltungen, in denen mir die uneingeschränkte Aufmerksamkeit meiner Eltern, Wärme und Ruhe einer Dreierkonstellation zuteilwurden. Ich war das Wunderkind meiner Eltern, geboren nach neun Jahren vergeblicher Versuche, und ich wurde bedingungslos geliebt.
»Mein Leben hat noch gar nicht richtig angefangen«, sagte ich damals, und zum ersten Mal bogen sich deine Mundwinkel nach oben.
»Vielleicht fängt es genau jetzt an«, hast du gesagt.