Kira beugte sich gefährlich weit zurück, als sie dem Bat'leth ihres Gegners auswich, und schabte mit der Ferse an der Kante einer aus Knochen geschnitzten Stufe vorbei. Sie stolperte und tastete sich mit der nach hinten ausgestreckten Hand die ungleichmäßigen Stufen hinauf. Von oben wie von unten schallten ihr auf dem altklingonischen Schlosshof die Klänge einer wilden und blutigen Schlacht entgegen: das Scheppern von Metall, dumpfe Aufschläge, die den Boden erzittern ließen, und gelegentlich wütende Flüche in den zwölf Sprachen, die Dax beherrschte. Mindestens einer davon war ein bajoranischer gewesen, und das atemlose Anflehen prophetischen Beistands ließ Kira annehmen, dass die Schlacht unten im Hof alles andere als gut lief. Genau wie der Kampf auf dem bebenden Balkon über ihr – das Donnern von Stiefelschritten explodierte urplötzlich im Zersplittern der Knochenbalustrade und der Kristallfliesen. Der herabfallende Trümmerregen erschreckte Kira so sehr, dass ihr fast das Schauspiel des in flüssiger Form herabstürzenden Odo entgangen wäre.
Sie hätte mit so etwas rechnen sollen. Der Constable war praktisch dazu gezwungen worden, sich an Dax' holographischer ›Verteidigung der Ehre‹ zu beteiligen. Während der vorangehenden Bewaffnungszeremonie hatte er die ganze Zeit über gemurrt, dass die Forderung der Trill nach authentischen, mittelalterlichen klingonischen Rüstungen seine gestaltwandlerischen Fähigkeiten erschöpfen würde, noch bevor er an jenem Abend den Dienst antrat. Odo hatte sich Dax' Überredungskünsten ebenso wenig entziehen können wie Kira, aber seine Beteiligung nur unter der Bedingung zugesagt, dass er kein Bat'leth benutzen musste; doch er war pragmatisch genug, um die erstbeste Gelegenheit beim Schopfe zu packen, sich aus dem Kampfgeschehen zurückzuziehen.
Unglücklicherweise hatte Kira nicht die Möglichkeit, sich ebenfalls auf glorreiche Art in einen blutigen Tod zu stürzen. Sie riss den Blick von dem sich noch immer kräuselnden Beleg für Odos Ableben los und wandte ihre Aufmerksamkeit gerade rechtzeitig wieder dem Kampf zu, um einen gepanzerten Ellbogen ins Gesicht zu bekommen. Die Programmierung des holographischen klingonischen Kriegers mochte zwar von Worf sorgfältig auf ihre Kampfkünste abgestimmt worden sein, doch er konnte im Gegensatz zu ihr nicht abgelenkt werden. Und er teilte auch nicht ihren unterschwelligen Unwillen über diese lächerliche rituelle Herausforderung.
Der Krieger hatte nicht mit voller Kraft zugeschlagen – wenn sie aufgepasst hätte, hätte Kira ihm ausweichen können –, doch die Wucht des Schlages ließ sie immerhin die Treppe hinab und zurück auf den Hof taumeln. Sie versuchte gerade, mit zwei Schritten rückwärts das Gleichgewicht wiederzufinden, als sie spürte, wie ihre Ferse in etwas Glattem, Gummiartigem versank. Kurz bevor ihr der Fuß weggezogen wurde, erkannte sie, um was … um wen es sich handelte.
Odo hatte eher ihr zuliebe glibberig gezuckt, als dass er irgendeinen Vorteil dadurch gehabt hätte. Kira wirbelte herum. Der schmerzhafte Schlag, der durch ihr Rückgrat fuhr, ließ sie einen Fluch ausstoßen, und der war so derb, dass sogar der über sie gebeugte Klingone sie überrascht anblinzelte.
»Jetzt reicht's.« Sie schleuderte ihr Bat'leth in den Hof. »Programm, lösche ›Kira‹«, rief sie und sah zu, wie die Waffe verschwand, noch bevor sie auf dem Boden aufschlagen konnte. »Ich mache Schluss.«
Dax, deren kastanienbraunes Haar offen und wüst auf ihre gepanzerten Schultern herabhing, knurrte Kira verärgert an, während sie herumwirbelte, um Odos ehemaligem Gegner auszuweichen, wobei sie diesem gelenkig in die Zähne trat. »Sie können nicht Schluss machen!«, beschwerte sie sich sowohl bei Kira als auch bei ihrem eigenen ursprünglichen Gegner, der sich nun hinabbeugte, um Kira aufzuhelfen. »Was ist denn mit meiner beleidigten Ehre?«
Odo kräuselte sich, was wohl ein verächtliches Schnauben gewesen wäre, hätte er die dazu nötige Nase und Lunge gehabt. Er streckte einen rudimentären Kopf hervor, mit dem er aber immerhin etwas sagen konnte. »Die muss entweder nicht so dringend verteidigt werden, wie Sie denken, oder Sie haben sich die falschen Krieger dafür ausgesucht.« Die Geleefläche unter Kiras Hand zuckte gereizt. »Major, würde es Ihnen etwas ausmachen …?«
»Ach … Entschuldigung.« Kira trat aus der glibberigen Masse. Die Ausbeulung am Ende der Gelatinepfütze floss rasch zu einer humanoiden Gestalt zusammen und nahm Odos vertraute Farbe, Struktur und Form an.
»Kommt schon, Leute.« Dax' Bat'leth warf holographische Funken auf eine holographische Rüstung, als sie herumfuhr und Kiras Gegner angriff. Da der Computer der Holokammer sie ihrer zugewiesenen Gegner beraubt hatte, konzentrierten sich nun beide Sekundanten Worfs auf die Trill. Das schien Dax weniger einzuschüchtern als zu verärgern. »Sie können unserem Suv'batlh nicht einfach so den Rücken kehren!«
Worf schloss eine riesige Hand um Kiras Ellbogen. »Es ist gar nicht unser Suv'batlh.«
Es war für Kira nicht ersichtlich, ob Dax Gefallen an der Wut in Worfs dunklem Gesicht fand. »Das ist aber auch nur Ihre Meinung«, entgegnete diese und warf den zweiten holographischen Klingonen mit einem Hieb ihres Bat'leth zu Boden, bevor sie die runde Seite der Waffe Worf ins Kreuz drückte. »Ich lasse mir nicht einfach so von Ihnen vorschreiben, wohin ich gehen darf. Ich bin schließlich nicht eine Ihrer Kurtisanen.«
Worf fuhr herum, knurrte mit dem Zorn eines Ghar-Wolfes und packte sein Bat'leth mit beiden Händen. In diesem Augenblick war Kira dankbar dafür, dass er normalerweise rund um die Uhr einen Großteil seiner klingonischen Natur vor ihnen verbarg. »Computer, Programm beenden!«
Ein höfliches, unaufdringliches Signal erklang in der brennenden Luft der DuHoH-Wüste, kräuselte die Kanten der MeO-Bäume und der nach klingonischer Art behauenen Steine, bis die ganze Welt in der Hitze zu schmelzen schien. Als der Computer sie informierte, das Programm sei beendet, hatte ihr spezifischer Ausschnitt der klingonischen Geschichte vier schwarzen Wänden und einem Gitternetz Platz gemacht. Kira überkam das Gefühl bedrückender Klaustrophobie, das sie immer empfand, wenn die Illusion von Offenheit, die die Holokammer erzeugt hatte, beendet war.
»Sie verspotten eine ehrbare Tradition.« Die Worte waren vorwurfsvoll, doch Worf klang eigentlich eher enttäuscht als wütend. Fauchend ließ er Dax' Waffe los. »Ich hätte Ihre Herausforderung nicht annehmen sollen.«
Dax schüttelte sich die Haare aus dem Gesicht, wodurch man das sehr unklingonische Fleckenmuster auf den Schläfen sehen konnte. »Gar nichts will ich verspotten.« Sie wirkte im Panzer der klingonischen Rüstung groß und schlaksig. Nun, da nur noch die Wände der Holokammer sie umgaben, fielen die reichhaltige Struktur des Rantou-Lackes und das Bat'leth noch mehr auf. »Sie wussten genau, dass es mir viel bedeutet hätte, mit der Victoria Adams mitzufahren.« Kira hatte diesen Streit in den zwei Tagen, seit das terranische Schiff die Station verlassen hatte, schon in jeder möglichen Variante mitgehört. Aber die Entrüstung in Dax' Stimme klang nichtsdestotrotz noch frisch und unverbraucht. »Können Sie sich überhaupt vorstellen, wie viele Jahrtausende vergehen werden, bis sich mir wieder die Gelegenheit bietet, so einen Kometenschauer zu erleben?«
»Die Seltenheit eines astronomischen Ereignisses macht es nicht zwingend notwendig, dass jeder Wissenschaftsoffizier bei Starfleet es zu sehen bekommt«, teilte Worf ihr undiplomatisch mit. »Ich habe als taktischer Offizier dieser Station entschieden, dass Sie dringender hier benötigt werden. Auf DS Nine.«
Kira öffnete seufzend die Kniegurte ihrer Rüstung und setze sich auf den Boden, um von dort aus das Ende der Debatte abzuwarten.
Dax stieß ihr Bat'leth auf den Boden, und der dumpfe Aufschlag hallte von den leeren Wänden der Holokammer wider. »Auf DS Nine, Commander Worf, werde ich vor allem dafür benötigt, alle wissenschaftlichen Phänomene in diesem Sektor des Weltraums und um ihn herum zu dokumentieren.«
»Nicht, wenn ein Starfleet-Forschungsschiff schon genau dafür bereitgestellt worden ist, dieses Phänomen zu begutachten«, fauchte Worf zurück. »In diesem Fall ist es Ihre Pflicht …«
»Ja, ja, ich weiß.« In der Stimme der Trill brodelte ein Zorn, der nicht ganz zu dem verschlagenen Funkeln in ihrem Blick passen wollte. »Dafür zu sorgen, dass die Station auf alle denkbaren wissenschaftlichen Notfälle vorbereitet ist. Notfälle, die Sie unbedingt in einem vierseitigen Bericht auflisten mussten, wodurch Benjamin davon überzeugt wurde, dass er mich nicht entbehren kann!«
»Für einen befehlshabenden Offizier ist es wichtig, über alle strategischen Bedenken informiert zu sein, die seine Entscheidung beeinflussen können. Und bei der momentanen Situation mit den Klingonen …«
»Ganz egal, wie viele Klingonen die Neutrale Zone verletzen oder auch nicht – ein Angriff auf die Victoria Adams ist kein bisschen weniger wahrscheinlich, nur weil gerade ich nicht an Bord bin.« Eine Spur jugendlicher Ungeduld schlich sich in Dax' Stimme ein. »Außerdem wollte ich diese Kometen herunterkommen sehen.«
Worf sah sie finster und unnachgiebig an. »Um die Gefahr für die Victoria Adams geht es hier überhaupt nicht. Als hochrangiger Wissenschaftsoffizier sind Sie für die Station zu wichtig, als dass Sie Ihr Leben leichtfertig bei unnötigen Exkursionen aufs Spiel setzen dürfen.«
»Und wie steht es mit unnötigen Ehrenkämpfen?«, hielt Dax dagegen und ließ ihr Bat'leth kreisen.
Der taktische Offizier brummte, und Kira glaubte fast, ihn erröten zu sehen. »Genau deshalb hätte ich Ihre Herausforderung nicht annehmen sollen.«
Dieses mürrische Eingeständnis schien Dax zu genügen. Ihr unverwüstlicher, schelmischer Sinn für Humor kehrte mit einem wilden Grinsen zurück. »Geben Sie es zu«, sagte sie schmeichelnd und tänzelte einen Schritt vor, um ihm mit ihrem Bat'leth sanft auf den Arm zu schlagen. »Da der Tag der Ehre vor der Tür steht, kam Ihnen ein kleines Suv'batlh gerade recht, um den Feiertag zu begehen.«
Worf erstarrte, wich aber nicht zurück. »Ehre soll keinen Spaß machen. Und Batlh Jaj ist kein Feiertag. Es ist für echte Klingonen die Gelegenheit, sich auf ihre Ehre zu besinnen und der Ehre ihrer würdigsten Feinde zu gedenken.«
»Wie Captain James T. Kirk von der ersten Enterprise«, bemerkte Dax mit durchtriebenem Grinsen. »Mein alter Freund Kor hat Kirk immer gewürdigt, indem er zu Batlh Jaj ein zusätzliches Fass Blutwein getrunken hat.«
»So«, brachte Worf mühsam hervor, »wird der Tag der Ehre eigentlich nicht gefeiert.«
»Aber auch nicht, indem man weitere provokative Vorstöße in die klingonisch-cardassianische Neutrale Zone vornimmt, wenn Sie mich fragen.« Odo verschränkte die Hände vor den angezogenen Knien. »Das lässt mich irgendwie bezweifeln, dass Ihr Volk noch immer daran glaubt, die Ehre seiner Feinde zu feiern, Commander.«
»Nicht alle Feinde haben Ehre«, knurrte Worf. »Die Klingonen schulden ehrlosen Feinden kein Gedenken zu Batlh Jaj.«
Odo schnaufte verächtlich. »So, wie die Leute hier auf Ihren Feiertag reagieren, könnte man annehmen, dass die Menschen die Klingonen genauso sehen.«
Dem konnte Kira beim besten Willen nicht widersprechen. Bei all ihren eigenen Vorbehalten gegen das Begehen klingonischer Feiertage innerhalb der Föderation und trotz aller Spannungen, die sich in letzter Zeit zwischen den ehemaligen Feinden ergeben hatten, war sie doch von der offenen Ablehnung erstaunt, die sich im gesamten Alpha-Quadranten ausbreitete, je näher der Tag der Ehre rückte. Auf DS Nine – wo der Feiertag eingehalten wurde, seit die Föderation dort vertreten war – war auffallend mehr rassistisches Murren zu hören. Als dieses Murren immer lauter wurde, hatten sie nach und nach die Pläne aufgegeben, klingonische Kunst aus örtlichem Privatbesitz auszustellen, ein klingonisches Festmahl und schließlich sogar die Inszenierung der traditionellen Ehrenschlacht Suv'batlh zu veranstalten. Sie wollte das Stationspersonal nicht durch klingonische Kostüme und Waffen provozieren.
Worf riss sich die lackierte Kampfmaske vom Gesicht und entblößte sein schweißüberströmtes, grimmiges Gesicht. Dax mochte den Zweikampf zwar nicht gewonnen haben, doch hatte sie ihn auf jeden Fall bis zum Äußersten gefordert. »Ich habe Captain Sisko darauf hingewiesen, dass es nicht ratsam ist, so kurz nach der cardassianischen Invasion den Tag der Ehre zu begehen.«
»Ich glaube nicht, dass die Cardassianer das Problem sind.«
»Nein«, stimmte Dax zu. »Das Problem ist, dass der Tag der Ehre an eine Zeit erinnern soll, als Menschen und Klingonen sich gegen einen gemeinsamen Gegner zusammengeschlossen haben, obwohl sie sich damals gegenseitig bekämpften. Und jetzt, da wir von einem Feind bedroht werden, der gefährlicher ist als alle anderen, auf die wir je gestoßen sind …«
»Mein Volk«, warf Odo mit der bitteren Resignation ein, die ihn immer überkam, wenn er diese Worte aussprach.
»… haben die Klingonen den gesamten Alpha-Quadranten in Gefahr gebracht, indem sie ihn gespalten haben. Damit machen sie den Tag der Ehre …«
Sie verstummte und sah Worf vorsichtig an. Doch der klingonische taktische Offizier vollendete den Gedanken mit dem rücksichtslosen Mangel an Selbstmitleid, den Kira als charakteristisch für seine Rasse empfand.
»… zu einer Verballhornung all dessen, wofür er eigentlich stehen soll.« Seine dunklen Augen verengten sich zu zornigen Schlitzen. »Weswegen ich mich noch nicht einmal gegen diejenigen wehren kann, die mit ihren Gesten und Flüchen auf meine Ehre spucken!«
Kira fuhr zusammen, als sie die unterdrückte Wut in seiner gefauchten Aussage hörte. Sie fragte sich plötzlich, ob diese holographische Schlacht nicht von Anfang an ein trillschlauer Plan Dax' gewesen war, um Worf ein ungefährliches Ventil für seinen angestauten Ärger zu geben. Dass ihr diese Möglichkeit erst jetzt eingefallen war, schien ihr zu zeigen, wie naiv sie angesichts des drohenden Konflikts zwischen der Föderation und den Klingonen doch war.
Bis zum Ende der cardassianischen Besatzungszeit hatte Kira keinen einzigen Menschen gekannt und eigentlich noch nicht einmal gewusst, was ein Klingone überhaupt war. Der Name der Spezies und ihre Gebräuche waren ihr nur aus cardassianischen Flüchen geläufig gewesen. Als sie in den Jahren des Wiederaufbaus nach der Besatzung zum ersten Mal gezwungen gewesen war, mit Menschen zusammenzuarbeiten, hatte sie diese unverständlich diplomatisch gefunden, nervtötend ausgeglichen und so schwer von Begriff, dass es sie in die Raserei treiben konnte. Die Klingonen schienen damals schon seit Ewigkeiten treue Verbündete der Föderation zu sein. Kira hatte sie noch weniger verstehen können als die Menschen, obwohl ihnen menschliche Manieren auf erfrischend offene Art abgingen. Und nach vier Jahren auf Deep Space Nine war es ihr gelungen, Menschen zu akzeptieren, sogar zu mögen, auch wenn sie sie noch immer nicht vollkommen verstand. Doch mit Klingonen konnte sie auch jetzt noch überhaupt nichts anfangen.
Es war ein hartes Volk, das im Grunde sehr viel komplizierter war, als sein schlichtes Verhalten es verriet. Kira konnte die Abkehr von der Föderation und damit von allen Vorteilen, die ihre Freundschaft bringen konnte, nicht nachvollziehen. Für sie war das plötzliche, aggressive Vordringen der Klingonen in jedes angrenzende Sternsystem, das sie nicht abwehren konnte, keinen Deut besser als das Verhalten der Cardassianer in der Vergangenheit. In den letzten Monaten hatte sie die Menschen von Dingen reden gehört, von denen sie vorher niemals etwas geahnt hatte. Sie sprachen von ausgerotteten Völkern, von verwüsteten Sternbasen, von Großeltern oder Onkeln oder sogar älteren Geschwistern, die von einem Feind zu Tode gefoltert worden waren, der zu fremdartig und zu barbarisch war, als dass man ihm jemals vertrauen konnte. Sie schienen über dämonische Wesen von derart übernatürlicher Bosheit zu sprechen, dass sie die Existenz des gesamten Universums bedrohten. Doch sie sprachen von Klingonen. So erfuhr Kira von der Welt vor den Abkommen von Khitomer.
Die Föderation hatte aus Höflichkeit nie darauf hingewiesen, dass sie erheblich länger mit den Klingonen verfeindet als befreundet gewesen war. Man hatte ihnen großzügig ihre kulturellen Eigenheiten zugebilligt, hatte gelernt, mit der Aggressivität zu leben, die Klingonen stets wie Spucke verspritzten, war stolz auf den eigenen Respekt vor klingonischer Geschichte und Tradition gewesen. Im Gegenzug hatten die Klingonen sich bemüht, ihre Abneigung gegen die Bürokratie der Föderation nicht ganz so offen zur Schau zu tragen und keine Starfleet-Offiziere mehr herumzuschubsen. Dies wurde damals offenbar gemeinhin als großer Fortschritt angesehen.
Doch Kira hatte schon immer befürchtet, dass dieser Fortschritt mehr auf Toleranz als auf Respekt basierte und somit zum Scheitern verurteilt war. Vergleichsweise kurz hatte es so ausgesehen, als hätten die Föderation und die Klingonen einander gebraucht – zwei Riesen, die endlich einsahen, dass auch der gewaltigste Hüne Hilfe braucht, um die äußersten Ecken seines Reiches zu hüten. Wenn der Frieden zwischen ihnen länger vorgehalten hätte, wäre ihnen vielleicht ein erfolgreicheres Zusammenleben möglich gewesen. Doch ihre flüchtige Liebschaft hatte noch nicht einmal den ersten kulturellen Krach überstanden. Grenzen wurden verbarrikadiert, Familien erinnerten sich an die unzähligen Vergehen und Ängste, von denen ihnen ihre Vorfahren und Geschichtsbücher berichteten. Und so schlossen sich die bequemen Fesseln des Hasses wieder, als wären sie nie gelockert worden.
»Es liegt nicht an Ihnen.« Sie hatte eigentlich gar nichts sagen wollen – sie wusste immerhin, wie sehr Worf auf seinen Stolz und seine Privatsphäre Wert legte. Doch die Worte waren ihr einfach so herausgerutscht. Als er sie finster anblickte, wusste sie, dass sie nun dazu gezwungen war, ihre Aussage unabhängig von Worfs Begeisterung darüber zu beenden. »Die Leute hier sehen nicht Sie. Sie sehen politische Schlachten, die die Post ihrer Familien oder Ersatzteile für die Klimakontrollgeräte aufhalten.« Sie zuckte in einer irgendwie entschuldigend wirkenden Geste mit den Achseln, wobei sie sich gleichzeitig fragte, wofür gerade sie sich eigentlich entschuldigen sollte. »Nehmen Sie es nicht persönlich.«
Worf funkelte sie grimmig an, als hätte er ihre Worte nicht als freundlichen Rat, sondern als Drohung aufgefasst. Was wieder bewies, dass Kira Klingonen noch immer nicht durchschaut hatte. »Hass ist stets persönlich«, teilte er ihr nüchtern mit. »Nur das Gesicht des Feindes ändert sich.«
Darauf wusste sie nichts zu erwidern. Kira war froh, als ihr Kommunikator ertönte und ihr eine Entschuldigung gab, zur Seite zu schauen. »Sisko an Kira.«
Sie nestelte mit einer Hand an den Schnallen ihrer Rüstung und antwortete dann erwartungsvoll. »Hier Kira.«
»Major …« Siskos tiefe Stimme war durch die lauten Hintergrundgeräusche des OPS schwer zu verstehen. »Ich nehme an, Commander Dax und Constable Odo sind bei Ihnen?«
Kira sah die anderen Offiziere an. »Commander Worf auch«, sagte sie. »Stimmt etwas nicht?«, fragte sie dann, als sie die Anspannung in seiner Stimme bemerkte.
»Vielleicht sollten wir das besser hier im OPS besprechen?« Es konnte sie auf die Palme treiben, dass der Captain immer dann am ruhigsten klang, wenn die Lage besonders brenzlig wurde. »Momentan erwartet uns entweder eine schwierige Rettungsaktion oder der totale Krieg mit den Klingonen. Ich wollte erst noch ein paar andere Meinungen hören, bevor ich meine Entscheidung fälle.«
Benjamin Sisko konnte sich noch genau erinnern, was er vor drei Monaten empfunden hatte, als er vom Bruch des Abkommens von Khitomer erfuhr. Erst ein eiskaltes, ungläubiges Stechen, dann ein wütender Ausbruch seiner Frustration darüber, dass das Dominion mit seiner Spaltungstaktik Erfolg gehabt hatte. Trotz all der anderen Emotionen, die sich später in das Wirrwarr seiner Gefühle gegenüber den Klingonen eingeflochten hatten – Enttäuschung über ihren Verrat, Verärgerung, sogar Mitleid für Worf in seiner schwierigen Lage bei Starfleet –, war die klare Erinnerung an seine erste Reaktion nie verblasst. Bedeutende Ereignisse in der Geschichte hinterließen eben solche Eindrücke bei den Menschen, die sie miterlebten. Sie erzeugten vereinzelte scharfe Bilder in den flüchtigen Nebeln der Erinnerung, wie eine Supernova eine dauerhafte Singularität im Gefüge von Raum und Zeit hinterließ. Sisko fragte sich manchmal, ob diese vom Schock eingebrannten Erinnerungen nicht die beste Art von Geschichtsschreibung waren, genauer und unvergänglicher, als die Videoaufzeichnung eines Datenchips es je sein konnte.
Leider war seit jenem Tag noch nicht genug Zeit vergangen, um seine tiefsitzende Wut in den Bereich der Erinnerung zu verbannen. Die Glut war noch nicht erloschen und schwelte unter den Sorgen und Problemen, die sich in den letzten einhundert Tagen darüber angehäuft hatten. Und die von Interferenzen überlagerte Notfallmeldung, die im OPS gerade über den Hauptbildschirm geflackert war, hatte sie ganz bestimmt nicht gelöscht.
Zischend erschien die Plattform des Turbolifts. Sie schien sich viel zu langsam zu heben, wie stets, wenn die Situation so angespannt war. Als sie endlich angekommen war, stürmte ein mittelalterlicher klingonischer Stoßtrupp in die Zentrale. Einer der jungen Offiziere dort keuchte erstaunt auf, ein anderer unterdrückte ein Lachen. Sisko runzelte überrascht die Stirn, als er unter dem Schweiß und den klappernden, lackierten Rüstungen seine ranghöchsten Offiziere erkannte. Kira sah ihn entschuldigend an, während Worf gänzlich ausdruckslos blieb. Dax begab sich an ihre Konsole, als wäre sie schon oft in antiker klingonischer Kampfkleidung zum Dienst gekommen. Und das war bei Curzon noch nicht einmal so abwegig.
»Hat sich die Victoria Adams schon gemeldet?«, fragte sie nach einem Blick auf die Erkennungsfrequenz auf ihrer Anzeige, noch bevor Sisko etwas sagen konnte. »Aber sie hatten doch kaum Zeit, um Daten über das Kometenereignis zu sammeln. Sie haben das System KDZ-E25F doch erst vor ein paar Stunden erreicht.«
»Es handelt sich nicht um einen wissenschaftlichen Bericht.« Sisko durchquerte die Zentrale, trat neben sie an das Pult und starrte finster auf den digitalen Datensalat, der auf dem Bildschirm erschien. »Das ist derzeit leider das einzige, was ich mit Sicherheit weiß. Die Botschaft war so schwer gestört, dass wir nur verstehen konnten, dass Captain Marsters auf Klingonen getroffen ist und sich dann eine Notsituation ergeben hat. Können Sie das Rauschen durchkämmen und das Signal deutlicher machen, alter Knabe?«
»Ich kann's versuchen.« Dax reichte ihm ihr Bat'leth und strich sich die störrische Mähne aus dem Gesicht, bevor sie sich mit der unnachahmlichen Konzentration an die Arbeit machte, die nur ein Trill-Symbiont in Kooperation mit seinem Gastkörper aufbringen konnte. Sisko trat einen Schritt zurück und unterdrückte mühsam seine brodelnde Ungeduld. Hätte er Dax jetzt zu schnelleren Ergebnissen gedrängt, hätte sie das nur gebremst.
Statt dessen schloss er die Finger fest um die traditionelle klingonische Waffe, die sie ihm gegeben hatte, und fühlte durch den verschwitzten Ledergriff die Wärme der Metallklinge. Was für ein archaisches klingonisches Ritual auch immer seine Offiziere in Quarks Holokammer nachgestellt hatten, sie hatten die Kampfausrüstung nicht nur der Authentizität wegen angelegt. Nur ein langer und schwieriger Kampf konnte bewirken, dass die Waffe so viel von Dax' Körperwärme aufnahm. Sisko sah Kira fragend an, und die ließ fast schon schuldbewusst die Hand sinken, mit der sie sich eine schmerzende Schulter massiert hatte.
»Konnten Sie die Koordinaten der Victoria Adams zum Zeitpunkt der Sendung rekonstruieren?«, fragte die Bajoranerin, womit sie eindeutig von der Frage ablenken wollte, ob sie nun diensttauglich war oder nicht. »Wenn sie aus Versehen in ein Gebiet geraten sind, das die Klingonen für sich beanspruchen …«
Sisko schüttelte den Kopf. »Das Signal kam eindeutig aus dem System E25F. Das ist von den umstrittenen Gebieten weit entfernt.«
Worf sah ihn über die Schulter hinweg ernst an. »Es hat in den letzten Monaten aber trotzdem einen merklichen Anstieg an klingonischen Vorstößen in der gesamten entmilitarisierten Zonen gegeben«, sagte er zu Sisko. »Erinnern Sie sich, dass ich Sie vor den möglichen Gefahren dieser wissenschaftlichen Mission gewarnt habe?«
Sisko zuckte zusammen. Es hatte sich beim Start der Victoria Adams angeboten, Worfs Warnungen als klingonische Paranoia zu verwerfen. In diesem Teil der klingonisch-cardassianischen entmilitarisierten Zone hatte es außer ein paar Kriegsschiffen und Schmugglern nicht Beunruhigendes zu melden gegeben. Und im System KDZ-E25F gab es außer dem bewussten auseinanderfallenden Riesenkometen nichts, was die Aufmerksamkeit der Klingonen oder der Cardassianer hätte erregen können. »Nur wenig Festland, keine nennenswerten Bodenschätze und absolut undurchdringliche Vegetation«, hatte die Beschreibung des einzigen Planeten der Klasse M in diesem System auf den alten Starfleet-Übersichtskarten gelautet. Die Gegend schien so sicher zu sein, dass man durchaus ein paar Planetologen und Starfleet-Offiziere im Ruhestand dorthin schicken und ein kosmisches Feuerwerk bewundern lassen konnte.
»Das ist keine absichtliche Signalverzerrung«, sagte Dax plötzlich und ersparte Sisko somit die Antwort auf die Frage des taktischen Offiziers. »Die Störung deckt das gesamte Subraumspektrum ab.«
»Könnte das Rauschen nicht von all den Kometeneinschlägen herrühren, die die Victoria Adams beobachten wollte?«, fragte O'Brien.
Dax schüttelte den Kopf. »Nur, wenn die Kometenfragmente in diesem Schauer aus Dilithium statt aus Eis bestünden. Das elektromagnetische Rauschen normaler Einschläge auf einem Planeten der Klasse M würde das Spektrum zwar in den Bereichen der Radiowellen und des sichtbaren Lichts stören, aber nicht den Subraum beeinflussen. Noch nicht einmal zum Verbergen von …«
Sie verstummte ohne Vorwarnung, und ihre Finger huschten über die Eingabefläche ihres Computers. Sisko blickte finster auf ihren Anzeigeschirm, doch er konnte keine sichtbare Veränderung an dem Datendurcheinander erkennen.
»Was ist los, alter Knabe?«
Dax sah auf, und in ihrem Blick knisterte plötzliche Erkenntnis. »Die Störungen, die wir hier sehen, sind gar kein Signal, weder ein natürliches noch ein künstliches. Sie fügen zu keiner Wellenlänge der Subraumbotschaft der Victoria Adams etwas hinzu, dämpfen sie nur mehr oder weniger. Wo die Botschaft fast vollkommen gelöscht ist, gibt es keine Störungen – einfach gar nichts!«
»Und was bedeutet das?«, wollte Kira wissen.
»Dass die Subraumbotschaft der Victoria Adams durch ein starkes depolarisierendes Feld gefiltert worden ist.«
Tief in Worfs Brust ertönte ein Grollen, das für ein Stöhnen zu wild und für einen Fluch zu wortlos war. Als Sisko ihn fragend ansah, erkannte er an den gefletschten Zähnen des taktischen Offiziers, dass ihm das, was er zu sagen hatte, nicht im geringsten gefiel.
»Es gibt im freien Raum nur eine Möglichkeit, so ein Feld zu erzeugen.« In seiner Stimme, die nun noch tiefer als sonst klang, schwang eine Mischung aus Bestätigung und Bedauern mit. »Massiver klingonischer Intervallerbeschuss.«
»Ja«, stimmte Dax zu. »Die Victoria Adams muss von Klingonen angegriffen worden sein, als sie diese Botschaft geschickt hat.«
Eine Zeitlang hörte man im OPS nur das Piepen und Summen der Computer, die die Routinevorgänge in der Raumstation steuerten. Die Maschinen waren die einzigen, die sich von der politischen Krise, die über sie hineinbrach, nicht beeindrucken ließen. Dann schnaubte Sisko und ließ den in drei Monaten angestauten Ärger in einem Schwall von Befehlen entweichen.
»Dax, rekonstruieren Sie die Botschaft, so gut es geht. Ich will möglichst viel darüber herausfinden, was dort draußen geschehen ist.« Er dreht sich zum Rest seiner Besatzung um. »Major Kira, schicken Sie eine höchst dringliche Meldung an Starfleet und unterrichten Sie Admiral Nechayev vom Angriff auf die Victoria Adams. Commander Worf, verschaffen Sie mir einen aktuellen Bericht unseres Geheimdienstes über alle bekannten und vermuteten klingonischen Streitkräfte in der entmilitarisierten Zone. O'Brien, bereiten Sie die Defiant für den sofortigen Start vor und sagen Sie Dr. Bashir, er soll ein medizinisches Notfallteam zusammenstellen.«
»Jawohl, Sir.« Als seine ganze Besatzung ihm wie junge Kadetten antwortete, wurde Sisko klar, dass seine Stimme etwas zu viel von seinem Gemütszustand verriet. Er atmete tief durch, aber das baute seine Anspannung auch nicht nennenswert ab. Die Klingonen hatten nicht nur der Föderation ins Gesicht gespuckt, indem sie irgendein ziviles Schiff angegriffen hatten. Es war ausgerechnet die vollkommen wehrlose Victoria Adams mit pensionierten Starfleet-Offizieren an Bord gewesen. Darüber brannte in Siskos Bauch eine Wut, die keinerlei Zurückhaltung zulassen wollte.
Das Räuspern einer vertrauten Reibeisenstimme ließ ihn zu dem einzigen Offizier hinüber schauen, dem er keine Befehle erteilt hatte. Odo sah mit einem fragenden Blick in seinen nicht ganz menschlichen Augen zurück.
»Stimmt etwas nicht, Constable?«
»Ich weiß nicht. Sie scheinen das jedenfalls anzunehmen.«
Kira schnaubte verächtlich, ohne von ihrer Konsole aufzublicken. »Die Klingonen haben der Föderation gerade den Krieg erklärt, Odo. Da kann man ja wohl durchaus sagen, dass etwas nicht stimmt.«
»Haben sie das tatsächlich getan?«, fragte der Gestaltwandler nüchtern. »Die Victoria Adams war zum Zeitpunkt des Angriffs schließlich nicht im Föderationsgebiet. Maquis und cardassianische Schiffe werden schon seit drei Monaten mit Waffengewalt aus der klingonischen entmilitarisierten Zone gedrängt. Wir wussten, dass so etwas auch mit der Victoria Adams passieren könnte. Hat nicht gerade deshalb Commander Worf empfohlen, dass unser Wissenschaftsoffizier sich der Expedition nicht anschließt?«
»Das mag sein«, gestand Sisko ein. »Aber das heißt noch lange nicht, dass die Föderation einfach zusehen kann, wie ein unbewaffnetes Forschungsschiff auf einer wissenschaftlichen Mission mutwillig zerstört wird.«
»Oder, dass wir den Hilferuf eines Föderationsschiffes ignorieren und die Überlebenden im Stich lassen, nur weil wir Angst vor einem Gegenschlag der Klingonen haben«, fügte Worf grimmig hinzu.
»Ach.« Odo neigte den Kopf, und in seinen blassen Augen lag ein ironisches Glitzern. »Sie haben an der Akademie bestimmt alle diese Lektion gelernt, bei dieser Manöverübung … dem Kobayashi Maru-Test.«
Sisko und sein Taktischer Offizier sahen sich düster an. »Hierbei handelt es sich nicht um eine Situation, in der es keinen Sieger geben kann, Constable«, sagte er endlich. »Wenn wir das System E25F rechtzeitig erreichen, um die Besatzung der Victoria Adams zu retten, können wir eine diplomatische Krise vielleicht noch verhindern …«
»… was genauso leicht durch Verhandlungen zwischen der Föderation und dem Klingonischen Imperium geschehen kann«, behauptete Odo mit genau der Logik, die aus ihm einen so unparteiischen Schiedsmann bei Handelsstreitigkeiten auf der Promenade machte. »Der Verlust eines kleinen Forschungsschiffs …«
»… könnte verschmerzt werden«, gestand Sisko ein. »Aber der Verlust der beiden letzten überlebenden Offiziere des Langstrecken-Explorers Glimmerglass, des einzigen Captains, die ihr Schiff erfolgreich durch die Chienozen-Passage manövriert hat, des Wissenschaftsoffiziers, der als erster Kontakt mit einem …«
Odo hob die Hand und nickte Sisko steif zu, womit er üblicherweise Fehler eingestand. »Sie wollen sagen, dass wir etwas tun müssen, weil die Starfleet-Veteranen an Bord außergewöhnlich wichtige Leute sind …«
»Nein, sind sie nicht«, polterte Sisko. »Mit ein oder zwei Ausnahmen sind es ganz normale Starfleet-Pensionäre. Der Verlust eines jeden, der Starfleet so lange und so ehrenvoll gedient hat, wird unsere Beziehungen mit den Klingonen auf Jahre hinweg vergiften. Und da ist es ganz egal, was die Föderationsdiplomaten sagen oder tun.«
»Die aufbereitete Botschaft wird gleich auf dem Hauptbildschirm erscheinen«, unterbrach Dax die Diskussion formlos. »Es ist mir gelungen, aus den Fragmenten zusätzliche siebzig Prozent der Nachricht zusammenzusetzen. Passen Sie genau auf – das Ende werden wir trotzdem nicht verstehen.«
Der Hauptbildschirm des OPS verdunkelte sich, bevor er ein Bild zeigte, das so grell überverstärkt war, dass Sisko blinzeln musste, um die Umrisse der Brücke der Victoria Adams zu erkennen. Dax runzelte die Stirn und änderte ein paar Einstellungen an dem Standbild, bis es eine etwas erträglichere Helligkeit hatte. Doch die Farben der Uniformen und Konsolen auf der Brücke blieben seltsam eintönig und sahen mehr nach Rekonstruktionen des Computers als nach dem Schattierungsreichtum der Wirklichkeit aus. Eine robuste Gestalt saß im Sessel des Captains. Dax' Aufbereitung ließ weder das kantige Kinn des Mannes weniger verspannt aussehen, noch hatte sie seine finstere Miene aufgehellt. Nur die Schweißperlen auf der Stirn traten nun deutlicher hervor. Er starrte mit bohrendem Blick über Raum und Zeit hinweg und gab Sisko wieder das Gefühl, als sähe er ihn unmittelbar an.
»Hier spricht Captain Charles Marsters vom Föderations-Forschungsschiff Victoria Adams«, ertönte seine knappe, präzise Stimme. Sisko konnte fast keine Ähnlichkeit mehr zu dem knisternden, rauschenden Nuscheln erkennen, das er vor einer Viertelstunde kaum hatte verstehen können. »Bitte um dringenden Beistand von Deep Space Nine. Wir sind am Planeten KDZ-E25F auf eine bewaffnete klingonische Blockade gestoßen.« Eine Explosion erschütterte das Forschungsschiff und brachte den Captain ins Taumeln. Das Bild auf dem Monitor wurde umgehend wieder von weißem Nichts ersetzt.
»Blockade?«, fragte Kira ungläubig.
Sisko gab ein kehliges Geräusch von sich. »Ich hatte vorher schon vermutet, dass er das sagte, war mir aber nicht sicher. An der Stelle war der Ton abgebrochen.«
Dax berührte einige Sensorflächen auf ihrer Konsole, und auf dem Bildschirm setzte sich die Brücke der Victoria Adams langsam wieder zusammen. »… haben sie uns angegriffen, weil wir uns nicht schnell genug zurückgezogen haben«, sagte Marsters, der immer noch gefasst klang, obwohl man im Hintergrund das Knistern eines an Bord ausgebrochenen Feuers hören konnte. »Rumpf und Warpkern halten noch durch, aber wir haben beim ersten Angriff alle Lebenserhaltungssysteme verloren. Uns steht nur eingeschränkte Reserveenergie zur Verfügung. Alle Passagiere und die nicht notwendigen Besatzungsmitglieder haben …« Die Botschaft wurde wieder unterbrochen, wahrscheinlich erneut aufgrund eines Intervallerbeschusses aus nächster Nähe. Als das Bild danach wieder erschien, war es geisterhaft und grobkörniger als vorher. Und obwohl Marsters Lippen sich noch immer bewegten, war kein Ton mehr zu hören.
Sisko fluchte wütend. »Geht das nicht besser, alter Knabe? Wir wissen noch immer nicht genau, was passiert ist.«
»Das Audiosignal war von der zerstörerischen Wirkung des Intervallerbeschusses am stärksten betroffen. Ich kann auch nicht zaubern, Benjamin.«
»Sie haben die restliche Besatzung und die Passagiere mit einem Shuttle für Exkursionen in Sicherheit gebracht«, meldete Odo sich unerwartet zu Wort. »Die Victoria Adams wird ihnen Rückendeckung geben, indem sie die Klingonen soweit wie möglich aus dem System lockt.«
Sisko drehte sich verblüfft um. Der Chef seiner Sicherheitsabteilung starrte so gebannt auf den Bildschirm, dass ihn noch nicht einmal die blendende Explosion am Ende zum Blinzeln brachte. Bei diesem Anblick wurde Sisko – wie so oft – klar, dass Odos menschliche Gestalt nur eine Maske war, die nicht an biologische Regeln gebunden war.
»Constable, woher wollen Sie das wissen?«
»Ich kann von den Lippen lesen.« Odo sah Sisko an, und Ironie huschte wie ein kalter Hauch über seine blassen Augen. »Das ist sehr praktisch, wenn man in einer lauten Kneipe Ferengi bei illegalen Geschäften beobachtet.«
Sisko runzelte die Stirn, doch die Geste drückte nicht Skepsis, sondern Respekt aus. Er wusste aus jahrelanger Erfahrung, dass der Constable niemals Fähigkeiten für sich beanspruchte, über die er nicht auch verfügte. »Hat Captain Marsters etwas über das Ziel des Shuttles gesagt?«
»Die Oberfläche des Planeten«, erwiderte Odo prompt. »Ich glaube, dass er etwas von einer antriebslosen Landung gesagt hat. Sie wollen den Sensoren der Klingonen wohl vortäuschen, dass es sich um ein Fragment des Kometen handelt, das auf dem Planeten einschlägt.«
Dax runzelte die Stirn. »Aber in der dichten Atmosphäre eines Planeten der Klasse M könnte ein zu steiler Einflugwinkel das Shuttle abstürzen lassen. Es ist riskant …«
»Nicht so riskant, wie an Bord der Victoria Adams zu bleiben, die von Klingonen verfolgt wird und keine funktionierende Lebenserhaltung mehr hat.« Als er die nächste Frage stellte, bemerkte Sisko, wie angespannt er war. »War die letzte Explosion die Zerstörung des Schiffes, Dax?«
Sie überraschte ihn mit einem Kopfschütteln. »Das glaube ich nicht. Gegen Ende nahm die Signalstärke im Vergleich zur Depolarisation durch die Intervaller stark ab. Ich vermute, dass sie ihren Verfolgern tatsächlich entkommen sind.«
»Ich hoffe nur, dass sie alle Klingonen hinter sich her gelockt haben«, sagte O'Brien. »Dann könnten wir uns ohne Probleme in das System vorwagen.«
»Ja.« Sisko sah Kira scharf an. »Gibt es schon eine Antwort von der Starfleet-Zentrale?«
Kira verzog das Gesicht. »Das regionale Hauptquartier hat den Erhalt unserer Meldung bestätigt, aber Admiral Nechayev sitzt in einer wichtigen Besprechung mit Vertretern der Vorta. Sie hat Anweisungen hinterlassen, alle Notfälle von den Sektorencommandern regeln zu lassen.«
Das war gar nicht so ärgerlich. Sisko pfiff zufrieden durch die Zähne. »Mit andere Worten: Zumindest momentan ist es unsere Entscheidung. Vorschläge?«
»Tun wir's«, schlug O'Brien knapp vor.
»Tun wir's«, stimmte Dax ihm zu.
»Tun wir's sofort!«, knurrte Worf.
Damit hatte die Starfleet-Hälfte seiner gemischten Besatzung genauso reagiert, wie er erwartet hatte. Durch den Mehrheitsentscheid war die Frage eigentlich geregelt, doch Sisko zwang sich dazu, zu seinem bajoranischen Ersten Offizier zu sehen, um sich zu versichern, dass seine militärische Loyalität nicht seinen gesunden Menschenverstand überstimmte. Er sah in Augen, in denen knisternde Ungeduld schwelte.
»Natürlich müssen wir es tun«, sagte Kira. »Wenn man den Klingonen ein Forschungsschiff in der entmilitarisierten Zone gibt, nehmen sie sich als nächstes ein Starfleet-Schiff im Alpha-Quadranten. Wenn wir sie jetzt nicht aufhalten, verschieben wir das Problem nur auf später.«
»Constable, was sagen Sie dazu?«
Wieder schnaubte Odo verächtlich. »Ich glaube, dass wir gerade den Krieg beginnen, den wir verhindern wollen. Aber da ich hier offenbar der einzige bin, der dieser Meinung ist, werde ich mir jetzt die Mühe sparen. Ich sage Ihnen lieber in ein paar Tagen, dass ich Sie gewarnt habe.«
»Und dafür bin ich Ihnen dann sehr dankbar«, bemerkte Sisko nüchtern. »Könnten Sie in der Zwischenzeit wohl ein knapp bemessenes Sicherheitsteam für die Defiant zusammenstellen? Ich möchte die Besatzung so klein wie möglich halten, damit wir Platz für alle Überlebenden haben.« Er sah zu Dax hinüber. »Wissen Sie noch, wie viele Passagiere und Besatzungsmitglieder die Victoria Adams an Bord hatte?«
»Fünfzehn Wissenschaftler, zehn Mann Besatzung und zwölf Passagiere«, kam Worf der Wissenschaftsoffizierin zuvor.
»Wenn sie auf die Notaggregate für die Lebenserhaltung angewiesen waren, kann der Captain nicht mehr als vier Mann an Bord behalten haben, als sie die Klingonen in die Irre führten«, fügte O'Brien hinzu.
»Dann müssen wir für mindestens zweiunddreißig Passagiere Platz haben.« Sisko fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht, als er im Kopf die Besatzungsmitglieder strich, auf die er verzichten konnte. »Wir werden trotz allem Dr. Bashir mit einem kompletten medizinischen Team benötigen, so dass wir noch weitere fünfzehn Mann mitnehmen können, stimmt's?«
Dax sah ihn ernst an. »So sparsam müssen wir wahrscheinlich gar nicht sein. Sie gehen davon aus, dass alle Überlebenden, die wir retten werden, gesund sind. Wenn die Krankenstation voll belegt ist, bleiben fünf Plätze für Besatzungsmitglieder übrig.«
»Na gut, dann eben zwanzig. Besetzen Sie alle Stationen entsprechend und versammeln Sie sich in fünfzehn Minuten in Andockbucht fünf.« Sisko hastete auf den Turbolift zu, der ihn zu seinem Schiff bringen sollte. Er geduldete sich gerade noch lange genug, um seine fünf Führungsoffiziere mit ihm einsteigen zu lassen. »Promenade«, befahl er dem Computer, da er sicher war, dass Bashir und seine Assistenten ihn bereits erwarteten. »O'Brien, bitte informieren Sie den Doktor darüber, mit welchen Verletzungen er bei den Überlebenden des Absturzes rechnen muss.«
Sein Chefingenieur sah ihn verwirrt an. »Warum gerade ich?«
Sisko sah ihn erwartungsvoll an. »Ich nehme an, dass Sie am besten darüber Bescheid wissen, was für eine Art von Antrieb das Shuttle hat, damit Dr. Bashir weiß, ob er Strahlenschäden oder Plasmaverbrennungen behandeln muss.«
»Der Absturz ist wahrscheinlich die kleinste Sorge der Überlebenden, Captain«, brummte O'Brien.
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Na ja, schließlich hat niemand diesen riesigen Kometen darum gebeten, nicht mehr auseinanderzufallen, nur weil die Klingonen unser Forschungsschiff beschossen haben. Die Überlebenden der Victoria Adams haben sich auf einem Planeten in Sicherheit gebracht, auf dem Feuer vom Himmel fällt und dessen Tage so finster wie die Nächte sind …«
»Und jeder Einschlag im Ozean erzeugt riesige Flutwellen.« Dax' Stimme klang eher fasziniert als besorgt. »Es ist wie …«
»Die Hölle«, schlug Worf vor.
»Nein, nicht die Hölle. Sylshessa.« Kira bemerkte die fragenden Blicke und schüttelte so heftig den Kopf, dass ihr Ohrring klimperte. Offenbar gelang es ihr nicht, das bajoranische Wort zu übersetzen. »Es ist eine alte Legende aus der Provinz Tal. Sie handelt von einer Zeit in der Zukunft, in der der Himmel brennt, die Erde explodiert und die Meere übereinander herfallen …«
»Armageddon«, sagte Sisko leise. »So heißt die menschliche Version dieser Prophezeiung.«
»Und ist dieses Armageddon das Ende von allem?«, fragte Odo verächtlich.
»Nein«, erwiderte Sisko grimmig. »Es ist der Anfang eines Krieges.«