Kapitel 5

 

Bashir war sich nicht sicher, worüber er sich mehr aufregen sollte: Dass man ihm wie einem politischen Gefangenen die Augen verbunden und ihn gefesselt hatte, oder dass er jedes Mal mit dem Kopf auf den Boden schlug, wenn das holpernde Transportmittel seiner Entführerin unebenes Gelände überquerte oder sich einen neuen Weg durch das Unterholz brach. Er war sich allerdings vollkommen sicher, dass der Knoten aus Angst, der sich in seiner Magengrube bildete, seine anderen Gefühle nur noch schneller an die Oberfläche trieb: Sorge um das Wohlergehen der noch immer vermissten Besatzung der Victoria Adams, Sorge um seine beiden Assistenten, die sich nicht allein um so viele klingonische Verwundete kümmern konnten, und auch Sorge um sein eigenes Schicksal, da er von seinem Außenteam getrennt worden war und sie alle einen ganzen Himmel voller Damoklesschwerter über sich hängen hatten. Ganz allein in einem fremdartigen Urwald, während ein Komet das ganze Ökosystem sterilisierte – so hatte er sich seinen romantischen Heldentod nicht ausgemalt.

Er fühlte das sanfte Zittern des piependen Kommunikators, der zwischen seinem Körper und dem schwankenden Untergrund eingeklemmt war. Über ihm rutschte die Klingonin, die ihm seit Beginn der Reise das Knie ins Kreuz drückte, unbehaglich hin und her und brummte.

»Also, das ist doch lächerlich.« Bashir wartete angespannt auf einen Schlag oder einen Schubs, vielleicht auch einen Knebel, der ihn zum Schweigen bringen sollte. Als nichts dergleichen kam, schluckte er trocken und versuchte, sich so weit zusammenzureißen, dass seine Stimme wenigstens einigermaßen gefasst klang. »Das ist mein Außenteam. Wenn Sie mich nicht mit ihnen sprechen lassen, werden sie einfach dem Signal meines Kommunikators folgen und mich finden.«

Eine starke Hand zwängte sich unter ihn und hob ihn nicht annähernd so grob hoch, wie er befürchtet hatte. Dann wurde ihm mit der Gelassenheit eines Insektenforschers, der einen krabbelnden Käfer einfängt, der Insignienkommunikator von der Uniform gerissen. Danach glaubte er zu spüren, wie die Klingonin ihr Gewicht verlagerte und den Oberkörper drehte, als werfe sie etwas weg, doch er konnte das leise Pfeifen des fortfliegenden Kommunikators aufgrund des Rumpelns und Krachens ihres Fortbewegungsmittels nicht hören.

»Na gut. Der Kommunikator ist weg. Sehr schön.« Er stützte sich auf ein Knie und einen Ellbogen und drehte sich mühsam um. Das einzig Gute an Hoffnungslosigkeit mochte sein, dass sie Angst zügig in Ärger verwandelte, der zum Überleben sehr viel hilfreicher war. »Könnten Sie mich jetzt bitte losbinden?«

Als er sich gerade auf die Knie kämpfen wollte, wurde er vorn an der Uniform gepackt. »Hinsetzen!«

Das war das erste Wort, das er hörte, seit ihn dieser weibliche Lockvogel auf der Suche nach angeblichen Verwundeten ins Gebüsch gelockt hatte. Die Stimme klang verdächtig nach derselben Person. »Sagen Sie mir doch nur, wohin …«

»Hinsetzen!«

Dieses Mal wartete sie nicht darauf, dass er ihr Folge leistete. Sie zerrte heftig an seiner Jacke, um ihn wieder auf den Boden zu zwingen. Er wollte sich eigentlich gar nicht wehren. Sein Zurückweichen vor ihrem Griff war einfach eine instinktive Reaktion darauf, dazu gezwungen zu werden, sich blindlings irgendwo hinzusetzen. Doch er wusste, dass er einen Fehler gemacht hatte, als sein Schwerpunkt sich plötzlich um dreißig Grad verlagerte. Als er zurücktaumelte, packten zwei Hände ihn erst an den Schultern, dann am Gürtel, und ließen ihn schließlich fallen.

Der Untergrund, auf dem er landete, war weicher, als er befürchtet, und viel näher, als er angenommen hatte, nachdem er vor einiger Zeit mehrere Meter hochgehoben und auf die offene Ladefläche des Fahrzeugs geworfen worden war. Er piekste und stach ihn wie ein Reisigbündel, gab aber gerade soweit nach, dass er nicht verletzt wurde. Kribbelndes Vibrieren deutete hektische Aktivität um ihn herum an, doch es war die Stimme des jungen Mädchens, die ihn am meisten überraschte. »Tretet zurück! Menschen sind empfindlich … lasst ihn atmen!« Vielleicht war er ja doch kein so unbedeutender Gefangener.

Dünne, raue Finger lockerten die Fesseln um seine Handgelenke und lösten an seinem Hinterkopf den Knoten in dem Tuch, mit dem seine Augen verbunden waren. Das grelle Licht ließ ihn blinzeln …

O mein Gott, zu Hause bricht gerade erst der Tag an!

… und als sein Blick sich klärte, betrachtete er die Gesichter, die ihn umgaben.

Auf einmal nahm der Begriff ›heimisch werden‹ eine ganz neue Bedeutung für ihn an.

Dann bemerkte er, dass die spitzen grauen Gesichter, die sich über ihn beugten, gar nicht Klingonen gehörten, und das nahm ihm wenigstens einen Teil seiner Verwirrung. Ihre Augen wirkten nur im Vergleich zu den restlichen Zügen groß und funkelten schmutzig grün über einer nagetierartigen Stupsnase und einem Mund, der so winzig war, dass er nur einem Insektenfresser gehören konnte. Das bestätigte sich, als eins der Tiere sich mit einer langen Greifzunge über die Augen wischte. Bashir hätte die Tiere problemlos hochheben können – sie wogen jeweils höchstens fünfzehn Kilo –, aber in ihrer angestammten Umgebung hatten sie seine Hilfe bestimmt nicht nötig. Sie liefen wie Maki-Äffchen auf allen vieren und trugen ihre schlanken, fragezeichenförmigen Schwänze verspielt über dem Rücken. Sie bewegten sich mit einer Anmut durch die Höhen des Urwalds, von der sogar ein Null-G-Tänzer nur träumen konnte.

Als die junge Klingonin in ihre Mitte sprang, liefen sie weder auseinander, noch schrien sie. »Sind Sie beschädigt?«, fragte sie Bashir leicht gereizt.

»Ich … äh …« Er riss seinen Blick mühsam von den pelzigen Primaten los, nur damit er sofort an dem riesigen, gepanzerten Ungetüm hängenblieb, das in aller Seelenruhe an sämtlichen Büschen und Zweigen nagte, die es erreichen konnte. Es hatte ohne das geringste Anzeichen von Anstrengung einen eindrucksvollen Pfad durch das dichte Unterholz gebrochen. Plötzlich war Bashir sehr froh, dass ihn der Baldachin aus Laub aufgefangen hatte. Der Boden befand sich zwei oder drei Meter tiefer und sah sehr viel härter aus. »Äh … nein …« stammelte er endlich. Eine Klingonin … ach ja, da war ja eine Klingonin, und die sollte er wohl besser anschauen, wenn er mit ihr sprach, statt sich an ihrem seltsamen Zoo zu ergötzen. »Nein, ich bin in Ordnung, danke schön.«

»Gut.« Sie packte ihn mit beiden Händen an der Uniform und zog ihn sehr vorsichtig auf die Beine, als befürchtete sie, er könne zerbrechen, wenn sie ihn erneut fallen ließ. »Werden Sie sich benehmen?«

Bashir wagte einen raschen Blick nach rechts und links. Außer dem gewundenen Pfad, der wie eine in das Unterholz geschnittene Narbe wirkte, war nichts zu sehen als eine kilometerweite wogende, zugewucherte Ebene. Es war, als hätten die Pflanzen sich sechs Meter nach oben gekämpft und einen neuen Boden jenseits des Schlamms und der Berührung wühlender Tiere geschaffen. Zwar schützte ein lichtes Laubdach die feuchte Erde vor einem Großteil der Sonnenstrahlung, doch von den riesigen Bäumen, die das Lager der Klingonen gesäumt hatten, war weit und breit nichts zu sehen.

»Werden Sie sich benehmen?«, fragte das Mädchen erneut, diesmal lauter.

Wie viele Tage würde man brauchen, um die Distanz zu bewältigen, die dieses Tier gerade in einer Stunde zurückgelegt hatte? »Ja«, ergab er sich matt. »Ja … ich denke schon.«

 

Der Ritt auf dem wuchtigen Pflanzenfresser war gemütlicher, als Bashir erwartet hatte. Auf jeden Fall bequemer als vorher, als er geglaubt hatte, der breite Rücken des Tieres sei die Ladefläche eines Lastwagens. Er kniete unmittelbar hinter den Schultern des Ungetüms, wie das Mädchen es ihm gezeigt hatte, und achtete darauf, sich keinen Körperteil zwischen der knochigen Schädelplatte und dem Rückenpanzer einzuklemmen. Da er jetzt sehen und ausgleichende Körperbewegungen machen konnte, war das Schwanken der großen, langsamen Schritte beinahe entspannend.

Das Monstrum brach mit solch geduldiger Kraft durch den dichten Urwald, dass Bashir unwillkürlich lächeln musste. Mit einem zögerndem Schritt nach dem anderen vernichtete es, das Kinn über die grünen Wogen erhoben, lässig Dickichte und zertrampelte Farne, so wie ein Schiff, das sich den Weg durch arktisches Eis bahnte. Es schien die Äffchen gar nicht zu bemerken, die in seiner Nähe umhertollten, wie Delphine, die hinter einem Riesenwal herschwammen.

Bashir verdrehte den Kopf, um das stille Mädchen hinter sich anzusehen. »Dieses … Tier …«

»Sie heißen Banchory

Das war das erste Wort, das sie nicht auf Standard sagte. Er machte sich eine gedankliche Notiz von diesem interessanten Detail, obwohl er ihm keine große Bedeutung zuschrieb. »Diese Banchory also. Als wir uns gerade auf den Planeten gebeamt hatten, entdeckte ich Kadaver von ihnen. Am Strand, in der Nähe von Gordeks Lager.« Das Gefühl des lebendigen und majestätischen Tiers unter ihm machte die Erinnerung daran nur noch grauenhafter. »Sie sind eindeutig nicht klingonischen Ursprungs. Ich hätte nicht gedacht, dass ihr genug Zeit hattet, auf Armageddon Tiere zu domestizieren.«

Das Mädchen schaute ihn noch immer nicht an. Es sah starr geradeaus, als lenke sie das Banchory mit den eigenen Augen. »Die Klingonen haben hier gar nichts domestiziert. Die Banchory gehören den Xirri

»Den …?« Er verstummte, als sie nach hinten zeigte. Er konnte sich unmöglich weiter umdrehen, ohne aufzustehen, und dann würde er doch nur wieder vom Banchory fallen. Außerdem konnte er sich denken, worauf sie gedeutet hatte. Sie umschwärmten das Banchory wie Schmetterlinge mit Affenschwänzen.

Die zierlichen, stummen Primaten fingen mit Händen und Zungen Insekten aus der Luft, während das Banchory im Vorbeigehen den Urwald erschütterte. Ein oder zwei Mal tauchte eine Schar von Jungtieren mit Händen voller zerbrochener Nüsse und Samenkapseln auf. Bashir konnte nicht erkennen, ob sie mit ihren geschickten Zungen in den Schalen nach Insekten suchten oder nach zermalmter pflanzlicher Nahrung, um ihren Speiseplan zu bereichern. Doch wie sie hinter den Schwärmen verstörter Eidechsen herjagten und nach schwirrenden Fliegen griffen, sahen sie kaum nach Meistern im Zähmen von Banchory aus. Sie schienen ihm eher Schmarotzer zu sein, die von einem größeren Wesen profitierten.

Angesichts seiner Situation entschied er sich, diese Beobachtung besser für sich zu behalten.

Er schaute zurück, streckte die Hand über die Schulter aus und bemühte sich um ein charmantes Lächeln. »Ich heiße übrigens Dr. Julian Bashir. Vielleicht interessiert es dich ja, wen du hier gerade entführst.«

»Ich weiß.« Trotzdem ergriff sie zu seiner Überraschung die Hand und schüttelte sie mit aufrichtigem Eifer. »K'Taran.«

»Vom Haus von Vrag?«

Ein warmer, violetter Schein verdunkelte ihr Gesicht, und sie knirschte leise mit den Zähnen. »Von meinem eigenen Haus.«

»Ach so …« Besser ließ sich dieses Gespräch offenbar nicht beenden. Er drehte sich wieder nach vorn und beobachtete, wie die Welt sich mit jedem vernichtenden Schritt des Banchory hob und senkte. »Dürfte ich fragen, wo die Reise hingeht?«

»Sie sind Arzt«, sagte K'Taran hinter ihm schlicht. »Wir haben Verwundete.«

Zuerst wollte er nachfragen, wer denn wohl ›wir‹ sein mochte. Dann sah er aus dem Augenwinkel etwas Samtenes, Kakifarbenes aufleuchten, als drei verspielte Xirri an ihnen vorbeiliefen, und ihm kam ein Verdacht. »K'Taran …« Er zögerte, sich umzudrehen und sie anzusehen. »Ist dir klar, dass aller Wahrscheinlichkeit nach in ein paar Tagen alles auf diesem Planeten – auch die Xirri und Banchory – tot sein wird?«

Er konnte ihre Weigerung, das zu glauben, fast als kalten Schauer auf seinem Rücken spüren. Vielleicht war es aber auch nur der drohende Regen, der über jedem taufeuchten Blatt hing, an dem sie vorbeikamen. »Klingonen geben den Kampf nicht auf, nur weil die Lage hoffnungslos erscheint.«

»Das ist bestimmt richtig. Aber die Absturzopfer, die ihr als Geiseln haltet, sind nicht Teil eures Kampfes. Wenn ihr zulasst, dass wir sie evakuieren, können wir es bestimmt einrichten, jeden mitzunehmen, der …«

»Meine Großmutter würde niemanden gehen lassen. Niemals.« Diesen kurzen Augenblick lang klang sie wie ein kleines Mädchen: bockig, wütend und sich nach etwas sehnend, was ihr die Erwachsenen nie gegeben hatten. »Außerdem«, fuhr sie noch etwas trotziger fort, »würden meine Schildgefährten und ich die Xirri niemals zurücklassen. Sie sind unsere Freunde. Sie haben genauso wenig wie Ihre Wissenschaftler einen Todeseid abgelegt.«

Das habe ich aber auch nicht, hätte Bashir ihr am liebsten gesagt. Doch ein fernes Donnergrollen lenkte ihn ab.

Bashir bemerkte, dass sie in einen zerstörten Landstrich gelangt waren. Nackte, verkohlte Baumstümpfe ragten aus einem schlammigen Ödland aus Holzkohle und verbrannten Knochen hervor. Das Gebüsch war auch schon zuvor angesengt gewesen, aber das war Julian in dem dichten Gestrüpp aus Holz und Blättern nicht sofort aufgefallen. Nun bemerkte er jedoch die Handschrift einer alles vernichtenden Hitze, die eine große Fläche des Waldes in ein Stoppelfeld verwandelt hatte. Die einheimischen Pflanzen hatten bereits damit begonnen, sich ihre Rückkehr zu erkämpfen. Sie wucherten schneller und zäher als die berüchtigte britische Heide. Wie ein grüner Hauch lag ein fingerbreiter Teppich über Stoppeln, Steinen und halbtotem Unterholz. Er unterstrich jedoch eher noch die endlose Leere. Es war, als hätte jemand hastig eine Decke über ein paar Leichen geworfen, damit niemand sie entdeckte.

Das Banchory trug sie ein Stück ins Ödland hinein. Seine Schritte wurden von dem jungen Grün zu einem kaum hörbaren Knirschen gedämpft, aber der Dickhäuter füllte die Luft mit einem leisen Stöhnen, das in der Leere fast wie ein Schluchzen klang. Bashir wurde klar, dass er das Verhalten des Tieres anthropomorphisierte. In Wirklichkeit begrüßte es nur die Gruppe anderer Banchory, die um ein paar verstreute Felsen trotteten. Diese antworteten mit gleichsam beredtem Murmeln, rümpften ihre beweglichen Oberlippen und wedelten mit den unbehaarten Stummelschwänzen. Doch es fiel ihm schwer, sich von seinem ersten Eindruck zu trennen, als er in ein oder zwei Kilometer Entfernung ein halb ausgetrocknetes Binnenmeer entdeckte. Aus allen Richtungen strömte brackiges Wasser hinein, der ablaufende Schlamm eines von einem Laubdach bedeckten Kontinents. Bashir bezweifelte, dass es jemals genug sein würde, um diese unendliche Leere zu füllen.

»Habt ihr hier gelebt?«, fragte er K'Taran, die an ihm vorbeikletterte, um an der Schnauze des Banchory hinabzugleiten.

»Nein.« Sie winkte ihm zu, ihr zu folgen, und stellte sich wie eine Mutter, deren Kind auf einer Rutschbahn spielte, mit offenen Armen vor das Banchory. »Aber wir sind gekommen, als sie uns brauchten.«

Die Schnauze des Lasttieres war so stabil wie sein restlicher Körper, und es schien Bashirs Gewicht kaum zu bemerken, als er vorsichtig daran hinunterstieg. Er landete knöcheltief in rußigem Schlamm und fügte im Kopf einen weiteren Tag zu der für eine Suchmannschaft nötigen Reisezeit hinzu. Falls überhaupt jemand die Gelegenheit hatte, ihn zu suchen.

Sie wateten mühsam zu einer langgezogenen Reihe von Unterkünften am äußeren Rand des Kraters. Lange, steife Palmwedel waren als erbärmlicher Schutz gegen Sonne und Regen über das verbliebene Unterholz gelegt worden. Die Klingonen, die zwischen den verwundeten Xirri auf und ab gingen, prüften und verbesserten die Stabilität der Unterkünfte, während sie ihren Pflichten nachgingen. Auf dem Schlammboden war eine dickere Schicht aus Zweigen als Matratze für die Verwundeten aufgeschichtet. Bashir war froh, dass sie ihre Patienten wenigstens aus dem Dreck hoben, wenn sie sie auch nicht vollständig vor den Elementen schützten. Wenn er von dem ausging, was er in Gordeks Lager gesehen hatte, zeugte das für Klingonen von ungewöhnlicher Rücksichtnahme.

»Woher wusstet ihr, dass sie euch brauchen?« Da er nicht mit seinen schlammverschmutzten Schuhen auf dem Reisigteppich herumlaufen wollte, kniete er an dessen Rand nieder. »Sind die Xirri zu euch gekommen und haben um Hilfe gebeten?«

Zwei Klingonen, die ein paar Meter von ihnen entfernt standen und beide nicht viel älter als K'Taran waren, sahen auf, doch schließlich antwortete seine Entführerin. »Wir wussten, dass sie hier in der Nähe leben. Als Kreveth klar wurde, was hier passiert ist, wussten wir, dass die Xirri unsere Hilfe brauchen. Also sind wir gekommen.« Sie wartete hinter ihm, so dass sie ihm weder im Licht noch im Weg stand. Trotzdem spürte Bashir ihren Trotz. »Ich habe Ihnen schon einmal erklärt, dass sie unsere Freunde sind.«

Das hatte sie in der Tat. Er beschloss, die Sache auf sich beruhen zu lassen.

Ein Xirri ließ sich mit Bashirs Medo-Kit aus dem Gebüsch fallen. Der Arzt dankte dem kleinen Primaten geistesabwesend und errötete erst, als er die Tasche öffnete und den Tricorder und einen kleineren Geweberegenerator daraus hervorzog. K'Taran hätte ihn zwar kaum wegen dieser automatische Höflichkeitsfloskel ausgelacht. Im Grunde genommen war sie wahrscheinlich begeistert, dass er ihre Erklärung so ernst nahm. Aber er wollte sie nicht anlügen, auch nicht implizit. Er hatte ein mageres, krankes Äffchen vor sich, in dessen Gesicht ebenso wenig Vernunft und Intelligenz lag wie im Greifschwanz. Doch er war deshalb nicht weniger bereit, alles für die Heilung des Patienten zu tun, was in seiner Macht stand, auch wenn er nicht vergessen konnte, dass es irgendwo in diesem Dschungel intelligente Lebewesen gab, die seine Hilfe genauso dringend nötig hatten.

Er hatte die Voruntersuchung mit dem Tricorder fast zur Hälfte durchgeführt, als er bemerkte, dass keiner der Messwerte Sinn ergab. Er runzelte die Stirn, begann die Sequenz von neuem und tastete den unbeweglichen Körper des Xirri erneut mir dem Gerät ab. »Was ist los?«, fragte K'Taran erst, als er die Untersuchung vollständig abgebrochen hatte.

Es lag wahrscheinlich an der unmittelbaren Nähe zu einem Einschlagsort. Störungen, für die Dax sicherlich eine gute Erklärung gehabt hätte, die ihm jedoch nur eine Tasche fast nutzloser Geräte ließ. Er hatte keine Ahnung, wie man sie reparieren konnte. Da ihm nichts Besseres einfiel, gab er den Befehl zur neuen Eichung in den Tricorder ein. »Irgend etwas stimmt mit meinen Geräten nicht«, erklärte er ihr, ohne von dem wachsenden Chaos aufzusehen, das auf dem kleinen Bildschirm erschien. »Ich erhalte keine aussagekräftigen Messwerte.«

»Auch gut.« Sie beugte sich plötzlich von hinten über seine Schulter und nahm ihm den Tricorder aus der Hand. »Dann können Sie jetzt ja aufhören, mit Ihren Spielsachen herumzumachen, und ihnen helfen.«

Bashir unterdrückte den Drang, ihr das Gerät wieder abzunehmen, und sah sie statt dessen wütend an. »So einfach ist das nicht. Ich bin mit der Physiologie der Xirri überhaupt nicht vertraut. Wenn es mir nicht gelingt, Daten über ihre Körperfunktionen zu sammeln, kann ich auch nicht entscheiden, welche Medikamente sie vertragen oder was für eine Behandlung sie benötigen. Ich weiß noch nicht mal, wie ich den Geweberegenerator einstellen muss!«

»Die Xirri werden Ihnen sagen, ob Sie es richtig machen.«

Der Frust pochte dumpf hinter seiner Stirn. Er ließ den Kopf hängen und rieb sich die Augen. Plötzlich wollte er nur noch nach Hause zurück und sicher in seinem cardassianischen Bett liegen, ohne sich über Klingonen und seltsame Äffchen Sorgen machen zu müssen. »K'Taran«, seufzte er, »können die Xirri überhaupt sprechen?« Er hatte noch keinen Ton von ihnen gehört. Nicht einmal ein Grunzen.

»Sie machen überhaupt keine Geräusche«, bestätigte K'Taran seine Beobachtung nüchtern.

Natürlich. Sprache, Worte, echte Kommunikation … Das wäre alles zu einfach gewesen für diese Mission. »Es sind Affen«, hörte Bashir sich sagen. Es schockierte ihn irgendwie, diese Worte über seine Lippen kommen zu hören. »Wie sehr sie euch auch ans Herz gewachsen sein mögen, was für Gefühle sie euch auch entgegenbringen, es hat mit Sprache nichts zu tun. Wenn man sich nur auf seine Instinkte verlässt, kann man das wohl kaum als ›Kommunikation‹ bezeichnen.« Er sah auf und erwartete, Zorn in ihrem Gesicht zu sehen. »Es tut mir leid«, fügte er hinzu.

Sie erwiderte den Blick mit einem für ihr Alter überraschenden Maß an erschöpfter Frustration. Dann winkte sie dem Xirri, der zuvor Bashirs Medo-Kit gebracht hatte, knapp zu und griff wortlos in ihre Tasche. Das magere Äffchen flitzte zu ihr und sah sie aus grünen Augen eifrig an. K'Taran schnippte ihm mit dem Daumen eine kleine, vieleckige Scheibe zu. Diese fing der Xirri mit seiner Zunge und spuckte sie sich auf die blanke Handfläche. Sie sah aus wie ein herausgebrochenes Stück Siegelwachs oder ein Splitter von einem größeren Stein. Der Xirri steckte sich die Scheibe wieder in den Mund, sprang in das verkohlte Gebüsch und war verschwunden.

Die Neugierde brannte Bashir in den müden Augen, aber er hatte gelernt, dass es keinen Zweck hatte, K'Taran nach Dingen zu fragen, die sie nicht von sich aus erklärte. So blieb er mit seinem verbliebenen Medo-Kit sitzen und wartete.

Als der Xirri zurückkehrte, hatten das Stillsitzen und die Müdigkeit Bashir fast einnicken lassen. Zuerst dachte er, er würde sich den knallbunten Begleiter des Primaten nur vorstellen, es sei eine widersinnige Traumkarikatur, die irgendwie zum Leben erwacht war. Doch als das Tier nur noch eine Armeslänge von ihm entfernt war, konnte er die Pollen riechen, die in sein Fell eingerieben worden waren. Er sah auch den matten Glanz des langsam trocknenden farbigen Schlamms, der in Streifen auf dem Schädel, Gesicht und den Schultern aufgebracht war. Der bemalte Xirri hockte sich so aufrecht hin, dass er fast auf Augenhöhe mit Bashir saß, und musterte aufmerksam zunächst die Hände des Arztes, dann den besinnungslosen Patienten auf der Pflanzenliege vor ihnen.

K'Taran warf Bashir einen Geweberegenerator in den Schoß. »Los, Heiler. Heile.«

Es war sinnlos. Bashir wusste genau, dass es sinnlos war: Er was zu müde, der Xirri war zu schwer verletzt, und er hatte ganz einfach nicht die Zeit, alles Notwendige zu lernen, um diesen Tieren ein angemessener Arzt sein zu können. Doch selbst, wenn er es übers Herz gebracht hätte, einem Patienten die Behandlung zu verweigern, wenn auch nur eine winzige Aussicht auf Linderung seines Leids bestand, hätten K'Taran und die anderen Klingonen, die sich mittlerweile um ihn versammelt hatten, sicherlich wenig Verständnis für seine ethischen Grundsätze gehabt. Hatte er nicht eben noch gesagt, dass der ganze Planet in wenigen Tagen so oder so sterben würde? Was spielte es also für eine Rolle, wenn er, selbst mit vollem Einsatz, einen einzigen Xirri nicht retten konnte? Sein voller Einsatz konnte schließlich niemanden hier retten. Dafür musste er sich auf Dax und den Captain verlassen.

Er untersuchte den kleinen Xirri, so gut es ging, nach Augenschein und durch Abtasten. Er stellte Vermutungen über seine Körperchemie auf Basis solcher unsicheren Anzeichen wie der Beschaffenheit der Schleimhäute und der Farbe des Blutes an. Wo sich unter aufgerissener Haut Muskeln zeigten, überprüfte er mit sanftem Druck deren Elastizität und tat so, als würde dies ihm irgend etwas Nützliches verraten. Dann stellte er zögerlich den Regenerator ein.

Er hatte das Vorderteil des Gerätes kaum auf den Patienten gerichtet, als der bemalte Xirri seine klammen Fingern auf Julians Handgelenk legte. Der Arzt zögerte, schaltete reflexhaft den Regenerator aus und blinzelte den kleinen Primaten an.

Der Xirri leckte sich über die Augen, was möglicherweise Aufregung ausdrückte, und steckte sich eilig einen Finger in den gespitzten Mund. Als er ihn wieder herauszog, war er mit den gleichen farbigen Pollen verschmiert, mit denen sein Fell gefärbt war. Er malte langsam und vorsichtig um den Rand der Wunde herum. Ganz innen hellrot, umgeben von safrangelben und umbrafarbenen Ringen, die von grünen Sprenkeln unterbrochen wurden. Augenscheinlich mit seiner Arbeit zufrieden, setzte er sich wieder auf das Hinterteil, schnalzte ein letztes Mal mit der Zunge und sah Bashir mit undurchdringlichem Blick an.

Julian wusste nicht, was er tun sollte. Das laute Hämmern des Herzens in seinem Brustkorb übertönte alles rationale Denken und überließ ihn den Strömungen seiner Gefühle. Er veränderte die Einstellungen des Gerätes praktisch nach dem Zufallsprinzip und bewegte sich wieder auf den Patienten zu.

Als der Xirri ihn diesmal unterbrach, war der bemalte Primat schon damit beschäftigt, das hässliche Grün zu betonen und die harmonischeren Farben mit groben, hektischen Strichen zu verwischen. Bashir korrigierte die Einstellungen des Geräts in die andere Richtung, und diesmal mischte der Xirri sich nicht ein.

Während er zusah, wie sich nach und nach Muskelstränge erneuerten und Haut langsam die offene Wunde verschloss, kam ihm der Gedanke, dass es wahrscheinlich besser war, dass der Großteil seiner diagnostischen Geräte zur Zeit den Dienst versagte und er kaum Behandlungen vornehmen konnte. So wie seine Hände zitterten, hätte er so oder so guten Gewissens keine Operationen durchführen können. Und selbst die zuallerletzt entdeckte vernunftbegabte Rasse des Universums hatte etwas Besseres verdient als die flatternden Nerven eines schockierten Erdenarztes.

 

Siskos Glück hielt vier der fünf Stunden lang an, die er für seine Ruhepause eingeplant hatte. Durch seine unruhigen Träume tobten getarnte klingonische Raumschiffe, die sich als cardassianische Kriegsschiffe entpuppten und Kometen auf die Defiant abschossen. Als aus dem Donnern einer Kollision plötzlich Odos Reibeisenstimme wurde, versuchte Sisko zunächst, sie zu ignorieren, und vergrub sich tiefer in sein Kissen.

»Captain Sisko, melden Sie sich auf der Brücke. Ein cardassianisches Schiff ist soeben in das System eingeflogen.«

»Verdammt!« Sisko rollte sich aus der Koje und hatte noch immer nicht die Bilder des Traumes abgeschüttelt. Er zog hektisch Uniform und Stiefel an. »Haben die Klingonen schon irgendwie darauf reagiert?«

»Nein, aber womöglich warten sie nur auf einen günstigen Zeitpunkt. Das cardassianische Schiff ist noch nicht in Schussweite.«

»Ich bin unterwegs.« Er ging zur Tür, ohne auf eine Bestätigung zu warten, und traf Worf auf dem schmalen Gang, der an den Unterkünften der Besatzung vorbeiführte. Der Klingone sah sehr viel wacher aus, als Sisko sich fühlte. »Brücke!«, sagten sie im Chor, nachdem sie den Turbolift betreten hatten. Der Aufzug hob sich summend.

»Gibt es etwas Neues vom Außenteam?«, fragte er seinen taktischen Offizier.

Worf musterte ihn neugierig. »Sie wissen, dass ich den sicheren Kanal des Außenteams in meine Kabine geleitet habe?«

»Ich habe nur gut geraten. Was haben Sie in Erfahrung gebracht?«

»Wenig Gutes«, sagte der Klingone düster. »Nachdem Commander Dax zum letzten Mal mit uns gesprochen hat, ist Dr. Bashir verschwunden. Sie haben die Position seines Kommunikators erfasst und sind zur Zeit auf der Suche nach ihm, aber Dax schätzt, dass sie seinen mutmaßlichen Aufenthaltsort erst in mehreren Stunden erreichen werden.«

»Wie ist er verschwunden?«

»Das ist unklar, Sir. Major Kira nimmt an, dass er von derselben Gruppe entführt wurde, die die Überlebenden von der Victoria Adams als Geiseln hält.«

»Reizend.« Sisko fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht und fragte sich, was auf dieser Mission wohl noch alles schiefgehen konnte. Die Turbolifttüren öffneten sich zischend, noch bevor er weitere Fragen stellen konnte.

Als sie hereinkamen, drehte Odo sich nach ihnen um. Er stand wachsam hinter dem Kommandosessel. Soweit Sisko wusste, setzte der Gestaltwandler sich niemals, wenn er das Kommando auf der Brücke der Defiant hatte.

»Das cardassianische Schiff bereitet sich auf den Eintritt in den hinteren Bereich des Kometengürtels vor«, teilte Odo ihnen in knapper Starfleet-Manier mit. Sisko sah zum Monitor auf, doch Farabaughs Computersimulation war von einer Übertragung der Ansicht des Planeten Armageddon vor einem von Kometen wimmelnden Sternenfeld ersetzt worden. Eine rot blinkende Markierung zeigte nun die Position des getarnten klingonischen Schiffes an, das sich in einer geostationären Umlaufbahn über dem vernarbten Hauptkontinent zu befinden schien. »Mr. Thornton erstellt gerade auf Basis vorläufiger Ergebnisse unserer Langstreckenmessungen ein angenähertes Sensorbild des cardassianischen Schiffes.«

»Gut.« Sisko setzte sich und nickte dem schwarzhaarigen Techniker zu, der Farabaugh an der Wissenschaftskonsole ersetzt hatte. »Bringen Sie es auf den Schirm, sobald es fertig ist.«

»Jawohl, Sir. Hochgerechnete Abbildung ist schon fertig.«

Das Bild auf dem Monitor verzerrte sich schlagartig. Armageddon schrumpfte zu einer fernen, staubigen Kugel in der oberen Ecke, während sich ein gleichmäßiges Blinken im Hintergrund zu einem riesigen Raumschiff mit Kriegspanzerung vergrößerte, das um ein vielfaches größer war als die Defiant. Sisko pfiff durch die Zähne, als er die wohlbekannten militärischen Hoheitsabzeichen sah. »Sieht so aus, als ob uns ganz hoher cardassianischer Besuch ins Haus steht«, bemerkte er.

»Meine Datenbanken identifizieren dieses Schiff als den cardassianischen Kampfkreuzer Olxinder«, sagte Odo von seiner Konsole aus. »Unter dem Kommando unseres Freundes Gul Hidret.«

»Warum überrascht mich das nicht?« Als das cardassianische Schiff sich in das Kometenfeld begab, lehnte Sisko sich stirnrunzelnd im Sessel zurück. Im Gegensatz zu den Klingonen flogen sie keine Ausweichmanöver. Sie schienen aber auch nicht abzubremsen und ihre Schutzschilde zu rekalibrieren. Sisko fragte sich, ob Hidret sich der Gefahr bewusst war, in der er schwebte. Im Gegensatz zur kleinen Defiant und dem nicht größeren klingonischen Schiff der Jfolokh-Klasse musste die Olxinder bei dieser Geschwindigkeit fast zwangsläufig von Kometen getroffen werden. Kurz darauf beantwortete blauweiß aufflackerndes Phaserfeuer auf dem Bildschirm seine unausgesprochene Frage. Gul Hidret reagierte auf die Kometen mit typisch cardassianischer Arroganz, indem er ohne viel Federlesens jedes größere Bruchstück in seinem Weg zerschmetterte. Sisko vermutete, dass die schwere Panzerung des Schiffes mit dem Rest fertig würde.

»Für jemanden, der sich um eine klingonische Aggression Sorgen gemacht hat, versucht er nicht gerade, sich anzuschleichen«, stellte Odo fest.

»Wirklich nicht«, stimmte Worf zu. »Ich dachte, Gul Hidret hätte uns nicht geglaubt, als wir behaupteten, hier wären keine Klingonen.«

Sisko schüttelte den Kopf. »Commander, ich weiß aus Erfahrung, dass das, was die Cardassianer angeblich glauben, mit ihren tatsächlichen Annahmen etwa so viel zu tun hat wie die Preise der Ferengi mit dem tatsächlichen Wert ihrer Waren.« Er beobachtete, wie die Olxinder plump und effizient die Richtung änderte, wobei ihre Aura aus Phaserfeuer eine leuchtende Spur aus erhitztem Gas zurückließ.

»Aber warum ist er dann überhaupt gekommen? Er muss doch wissen, dass er keins der beiden Schiffe entdecken kann, solange wir und die Klingonen getarnt sind«, bemerkte Worf. »Warum sollte Hidret ein so verführerisches Ziel aus sich machen?«

»Vielleicht, um uns dazu zu provozieren, das Feuer zu eröffnen«, vermutete Sisko.

»Wohl eher, um die Klingonen dazu zu provozieren«, brummte Odo.

»Womit die Cardassianer guten Grund hätten, einen Krieg zu beginnen«, fügte Sisko grimmig hinzu.

»Die Klingonen haben das cardassianische Kriegsschiff soeben gerufen, Captain«, meldete Thornton. »Ein offener Kanal.«

Sisko, Worf und Odo sahen sich verwirrt an. Zuerst reden und dann schießen – das hätten sie von den Klingonen nicht erwartet. »Legen Sie es auf den Hauptbildschirm. Geteilter Kanal.«

»Jawohl, Sir.« Das Bild der vor Phaserfeuer glühenden Olxinder verschwand und wurde auf der einen Seite von Gul Hidrets zerfurchtem Gesicht und auf der anderen von einem noch vertrauteren klingonischen Antlitz ersetzt. Es waren nicht die stolze graue Mähne und die breite Stirn, die Siskos Erinnerung auf die Sprünge halfen. Es war vielmehr der unübersehbare Sinn für Humor, der unerwarteterweise in den faltigen Augen funkelte. Er biss mit einem überraschten Fluch die Zähne zusammen. Was, um Gottes Willen, hatte Curzon Dax' alter Saufkumpan bloß mitten in der cardassianischen Entmilitarisierten Zone verloren?

»Ach, Hidret«, schnurrte Kor in dem gleichen Tonfall berückender Erinnerung, mit dem er auch eine alte Geliebte begrüßt hätte. »Wie schön es ist, Ihr Gesicht wiederzusehen und sich daran zu erinnern, wie ich Ihren letzten Kampfkreuzer schrottreif geschossen habe. Wie nett vom cardassianischen Zentralkommando, Ihnen einen neuen zu geben.«

»Dahar-Meister Kor, auch ich freue mich, dass Ihre legendären Saufgelage Sie noch nicht sämtliche Titel und Privilegien im Klingonischen Imperium gekostet haben«, erwiderte Hidret mit gleichsam giftiger Freundlichkeit. Eine starke Gefühlsregung ließ das faltige Gesicht des alten Gul erstarren, doch Sisko konnte nicht erkennen, ob es sich um Wut oder Zufriedenheit handelte. »Obwohl man Sie offenbar dazu verdammt hat, einen obskuren Auftrag in einem unbedeutenden System zu übernehmen.«

»Ganz so unbedeutend kann er wohl nicht sein, wenn ein so großartiges Schiff wie Ihres auf einen Sprung vorbeikommt«, entgegnete Kor. »Obwohl die Begrüßung von Gästen zum klingonischen Brauchtum gehört, glaube ich kaum, dass Ihnen meine besondere Form von Gastfreundlichkeit gefallen wird.«

Hidret riss in gespielter Ungläubigkeit die Augen auf. »Wollen Sie etwa sagen, dass ich mich verabschieden muss? Und ich dachte, Sie sind mir dankbar, wenn ich Ihnen dabei helfe, den Planeten zu evakuieren.«

»Was?« Jeglicher Humor verflüchtigte sich aus Kors Gesicht, was Sisko einen Blick auf den herausragenden Krieger gewährte, für den Jadzia Dax einst bereit war, ihr Leben zu riskieren. »Wovon sprechen Sie?«

Etwas mehr Selbstzufriedenheit leuchtete durch Hidrets rätselhaften Gesichtsausdruck. »Sind auf jenem Planeten etwa keine Klingonen gestrandet, die von Kometen bedroht werden? Ich bin gekommen, um Ihnen bei ihrer Rettung behilflich zu sein.«

Sisko sah Worf und O'Brien überrascht an. »Ich dachte, Hidret glaubt, dass diese Verbannten dort nur zum Schein sind, um den Klingonen einen Grund zu geben, Anspruch auf den Planeten erheben zu können.«

»Alles cardassianische Lügen«, knurrte Worf.

»Alles cardassianische Lügen!«, rief auch Kor fauchend. »Ich weiß nicht, woher Sie Ihre Informationen beziehen, aber sie treffen nicht zu. Hier muss niemand gerettet werden.«

»Sie wollen mir also sagen, dass auf diesem Planeten keine Klingonen sind?«

Der Dahar-Meister fletschte die fleckigen und verfallenen Zähne. »Ich will Ihnen sagen, dass niemand gerettet werden muss. Die Klingonen auf diesem Planeten haben ihr Schicksal selbst gewählt, und als Dahar-Meister muss ich verhindern, dass sich jemand einmischt. Es ist eine Frage der Ehre.«

Hidret zeigte anklagend auf den Bildschirm. »Und Sie wollen keine Ausnahme für die Cardassianer machen, die an Ptarvo-Fieber sterben und ein Medikament benötigen, das man nur auf jenem Planeten finden kann?«

Kor zog die Nase hoch. »Bringen Sie mir einen Cardassianer mit Ptarvo-Fieber, und er darf sich meinetwegen gern auf Cha'Xirrac hinunterbeamen, um geheilt zu werden. In der Zwischenzeit mache ich nur eine Ausnahme, alter Feind: Sie dürfen wenden und fliehen, bevor ich das Feuer eröffne.«

»Aber …«

»Kein Aber!« Das plötzliche Brüllen des Klingonen erschreckte sogar Sisko. »Und wenn Sie noch eine einzige Frage stellen, wird ein Photonentorpedo die Antwort sein!«

Gul Hidret brummte scheinbar angewidert, doch bei dem triumphierenden Glitzern in seinen Augen zog sich Siskos Magen vor Unbehagen zusammen. Ihm kam ein Verdacht, aus welchem Grund der Cardassianer diese ungewöhnliche Konfrontation in die Wege geleitet hatte. »Und wer schießt den Torpedo ab? Sie oder Ihre Verbündeten?«

»Verbündete?«, fragte Kor.

»Das getarnte Schiff von Starfleet, mit dem ich vor ein paar Stunden gesprochen habe. Die Sendung kam aus diesem System.«

»Sie haben mit einem getarnten Schiff von Starfleet gesprochen?« Kors Augen verengten sich. »Das bedeutet, dass die Defiant hier ist.«

»Und sie hat sich noch nicht einmal die Mühe gemacht, Ihnen Bescheid zu sagen?« Gul Hidret entblößte seine Zähne für ein böse triumphales Lächeln. »Wie unfreundlich von ihr …« Die Explosion eines Photonentorpedos dröhnte über den offenen Kanal, und der Cardassianer hörte auf zu grinsen. »Ist ja schon gut, ich verziehe mich, verdammter Kerl! Stellen Sie das Feuer ein!«

Hidrets Seite der Verbindung flackerte und wurde schwarz, doch Kors zorniges Gesicht verschwand nicht. »Ich weiß, dass Sie mithören, Benjamin Sisko. Wenn nicht, tut Dax es ganz bestimmt. Hören Sie auf mich, Sie beide, und folgen Sie diesem alten cardassianischen Trottel. Wenn Sie das nicht tun, befiehlt mir die Ehre leider, Sie zu jagen und zu töten.«