Er wusste nur, dass er hustete. So heftig und atemlos, dass er befürchtete, sein Körper würde zerreißen. Kein oben. Kein unten. Als er »Halt! Lass mich runter!«, krächzte, wusste er nicht, mit wem er sprach. Trotzdem gehorchte man ihm. Und obwohl der Schmerz nicht von ihm abließ und ihn in so unbarmherzigen Wellen durchfuhr, dass er fürchtete, sich übergeben zu müssen, erkannte er, dass tatsächlich Dunkelheit ihn umgab und keine Bewusstlosigkeit. Starke klingonische Hände setzten ihn aufrecht an eine kühle, unebene Wand.
Ferner Donner – oder vielleicht die Explosion primitiver Granaten – erschütterte den harten Boden und seinen Magen. Er stand unter Schock. Gar kein Zweifel. Was auch immer mit ihm passiert war, schon der Schmerz reichte aus, um seinen Blutdruck in den Keller zu bringen, und er hatte den Verdacht, dass die seltsame Feuchtigkeit, die sich in seinem Stiefel sammelte, kein Wasser war.
Ein vager sechster Sinn verriet ihm, dass sich noch weitere Personen in dem geschlossenen Raum befanden. Bashir bewegte sich nur ein wenig, und schon schoss unerträglicher Schmerz von dem Bein hoch zum Magen. Doch er spürte, wie in seiner Nähe jemand auf das Stöhnen reagierte. Er grub die Finger in den Ärmel dieser Person. »Wo sind wir?«, flüsterte er.
Wieder dröhnte ein markerschütterndes Grollen durch die Welt. Dann ertönte K'Tarans unpassend laute Stimme. »Unterirdisch.«
Das sagte ihm gar nichts. Doch eins wusste er: Alle Regeln hatten sich geändert. »Die Xirri … Die, die ich dir gegeben habe …«
»Der geht es gut. Sie ist bei den anderen.«
Damit schien es ihr besser zu gehen als ihm. Er schloss die Augen und lehnte sich zurück an die Wand.
Ein warmes, verschwommenes Licht schien auf seine Augenlider. Er blinzelte und zwang sich zu größerer Aufmerksamkeit. Eine Handvoll klingonischer Jugendlicher tauchte auf; sie schienen das Licht vor sich herzujagen. Die verrußten und schmutzigen Klingonen brachten Feuer. Die meisten trugen einfach Bündel brennenden tuq'mors in feuchten Tragetüchern, die sie aus ihren Umhängen gefertigt hatten. Als sie umhereilten, um die Lichtquellen überall zu verteilen, schienen in der großen Höhle Glühwürmchen zu schwirren. Und mit dem Licht kamen auch Stimmen in die Höhle, manche klingonisch, manche nicht.
»Das Feuer draußen erlischt.« Einer der Jungen kam mit einem wüst Funken sprühenden, eingewickelten Stamm näher, der fast so dick wie sein Arm war. »Doch aus dem Himmel fällt mehr Feuer. Wir werden länger hier bleiben müssen.« Er kniete neben K'Taran nieder. Die Flammen loderten auf, als er stehenblieb, und ihre plötzliche Helligkeit schmerzte in Bashirs Augen. »Wird er sterben?«
K'Taran nahm dem Jungen die Fackel ab. Ihre Augen leuchteten hellgrau im flackernden Lichtschein. »Er ist der Menschenarzt. Er wird es uns selbst sagen.« Dann hielt sie das Licht über seine ausgestreckten Beine. Als ob sie ihm damit einen Gefallen täte.
Dank seiner jahrelangen Erfahrung mit Unfallpatienten ließ er sich seinen Schrecken nicht anmerken. Doch konnte er die Panik, die seine Gedanken ergriff, ebenso wenig aufhalten wie das Pochen seines Herzens. Seine Uniform war durchnässt und schmutzig, so dass Jacke wie Hose stahlgrau aussahen. Risse im Stoff gewährten Einblick auf etwas Dunkelrotes, und an der Innennaht seines rechten Hosenbeins zog sich ein glänzend roter Blutfilm hinauf. Er folgte dem Fleck nach oben, zu einem schon von Schwellungen verformten Knie. Doch dann wurde ihm klar, dass es keine Ödeme waren, die den Stoff der Hose nach oben ausbeulten, sondern der Knochen.
Seine Hände zitterten, als er den Tricorder aus dem Etui nahm. Das sonst so beruhigende Piepen des Gerätes hallte durchdringend von den glatten Steinwänden wider. Wenigstens gab es halbwegs vernünftige Messwerte aus. Der Blutdruck war besser, als er erwartet hatte, obwohl ihm sein Puls und seine geringe Atemtiefe überhaupt nicht gefielen. Als er las, wie viel Blut er verloren hatte, wurde ihm schwindlig. Immerhin waren keine Arterien beschädigt worden, und die Blutungen ließen nach. Er klappte den Tricorder zu, legte ihn auf den Schoß und fuhr sich mit einer zittrigen Hand über die Augen.
»Und …« K'Taran sah mit bedrückend jugendlicher Tapferkeit von seinen Beinen zu seinem Gesicht. »Werden Sie sterben?«
Typisch Klingonin. Sich immer nur an die grundlegendsten Dinge halten. »Nicht sofort.« Aus irgendeinem Grund fand er das witzig. Er beschloss, nicht zu lachen, um sie nicht zu erschrecken. »Wo ist der Rest meiner Ausrüstung?«
Wie aufs Stichwort ertönte an der Seite das Poltern und Scharren eines herbeigezerrten Metallcontainers. Bashir drehte den Kopf und lächelte den bemalten Xirri-Arzt an. »Danke schön«, sagte er und nahm den Gurt des Medo-Kits entgegen. Als hätte er ein Zeichen erhalten, ging der klingonische Junge plötzlich weg und machte dem Xirri Platz.
Immer nur zwei Wachen gleichzeitig bei jedem Todgeweihten, musste Bashir denken, als er am Verschluss des Köfferchens nestelte. Er öffnete ihn ungeschickt, und die vordere Klappe des Tornisters schepperte auf den Steinboden. Nur eine von vielen reizenden klingonischen Traditionen. Er fand eine Ampulle mit einem Stimulans und setzte sie vorsichtig in den Injektor ein. »Die ganze Sache tut mir sehr leid«, sagte er, als er die Dosierung einstellte.
Ein flüchtiger, schwer zu deutender Gesichtsausdruck huschte über K'Tarans Gesicht. »Es ist nicht Ihre Schuld.«
»Ich hätte auf dem Pfad bleiben sollen. Die erste Regel der Notfallmedizin besagt, weitere Verletzte zu vermeiden.«
Als er sich die Injektion verabreichen wollte, ergriff sie seine Hand. »Es ist nicht Ihre Schuld!«, betonte sie, als er sie fragend anblinzelte. »Es ist meine Schuld«, fuhr sie beschämt fort. »Sie waren im tuq'mor hängen geblieben, und das Feuer kam näher …« Sie ließ ihn los und rang verzweifelt die Hände. »Ich wusste nicht, dass Sie so leicht zerbrechen würden.«
Er fragte sich, was sie wohl sagen würde, wenn sie wüsste, dass er viel robuster als die meisten anderen Menschen war.
Doch im Endeffekt war es sinnlos, über die Details der Schuldfrage zu streiten. Bei einem Kometeneinschlag sterben, verhungern, an einem offenen Beinbruch verrecken – eigentlich war es doch egal, welches Ende einen ereilte. Er nahm den Behälter mit sterilisiertem Wasser aus dem offenen Medo-Kit und hielt die fast leere Flasche dem Xirri-Arzt hin. Bashir hatte den Großteil des Inhalts zum Reinigen von Xirri-Wunden verwendet und erinnerte sich, dass sein eingeborener Kollege ihm von einem Patienten zum anderen gefolgt war und die Prozedur mit großem Interesse beobachtet hatte. Nun musste Julian die Flasche nur einmal vor dem Xirri schütteln, bevor der sie ihm abnahm und – hoffentlich auf der Suche nach Wasser – davonhuschte.
K'Taran sah ihm wortlos zu, wie er in seiner beschränkten Reiseapotheke nach etwas suchte, das mit dem Schmerz eins Splitterbruchs fertig würde. Die wirksamen Mittel hätten ihn so außer Gefecht gesetzt, dass er sich selbst und anderen Verwundeten nicht mehr helfen konnte. Er entschied sich für ein milderes Schmerzmittel und war noch damit beschäftigt, die Wirbel von seinem Kreuzbein aus abzuzählen, als K'Taran ihn ansprach. »Ist es wahr?«
Bashir zählte zu Ende und injizierte die größte Dosis, die er sich zutraute, in sein Rückenmark. »Ist was wahr?«
Sie schluckte trocken, wandte den Blick aber nicht ab. »Dass Sie sterben werden.«
Ach – da war er wieder, der unsterbliche klingonische Pragmatismus. Bashir bewegte sich ganz langsam, um dem Medikament Zeit zu geben, seine Wirkung zu entfalten. Er drehte den Injektor auf und warf die leere Ampulle zurück in das Medo-Kit. »Ich weiß nicht«, gab er erschöpft zu. »Ich habe eine Menge Blut verloren, und da ich der einzige Mensch weit und breit bin, kann ich auch keine Transfusion bekommen, um es zu ersetzen. Und immer, wenn gebrochene Knochen Kontakt mit der Luft haben …« Schon die Erwähnung ließ den Schmerz in der Erinnerung wieder auflodern, doch das Analgetikum dämpfte die Realität bereits ab. Es gelang ihm, den Phantomschmerz zu verdrängen. »Na ja, das ist sogar schlimm, wenn man auf einer gut ausgerüsteten Krankenstation liegt. Wenn wir wirklich hier unten festsitzen und ich keine bessere Behandlung bekomme …« Er sah ihr geradewegs in die Augen und versuchte, seine große Angst zu verbergen. »Ja«, sagte er endlich. »Sehr wahrscheinlich werde ich sterben.«
Der Xirri kehrte mit dem Wasser zurück. Bashir war sehr dankbar für die Ablenkung von K'Tarans beunruhigendem Interesse für sein baldiges Ableben. Er führte eine Schnellsterilisation an dem ganzen Behälter durch und schraubte den Wundreinigungsaufsatz auf, wobei er sich geschickter verhielt, als er erwartet hatte. Um sich vorzubeugen, hätte er das Gelenk des vorstehenden Knochens bewegen müssen, also schnitt er das Hosenbein nur direkt über dem Bruch und nicht komplett auf, wie er es bei einem anderen Patienten getan hätte. Die gnädige Betäubung erlaubte ihm, die Prozedur mit professionellem Abstand durchzuführen. Die Fraktur eines Patienten, das Blut eines Patienten. Es war egal, wer der Patient war. Er zeigte dem Xirri, wie man die Flasche hochhielt, um die Schwerkraft auszunutzen, und benutzte beide Hände, um während der Spülung den Bruch zu untersuchen. Nur einmal ertappte er sich bei dem Wunsch nach Handschuhen und sterilen Wundauflagen. Doch es hatte keinen Zweck, sich nach Dingen zu sehnen, die man im Notfall einfach nicht hatte, also verbannte er den Wunsch aus seinen Gedanken und konzentrierte sich wieder auf seinen Patienten.
Er hatte fast drei Flaschen sterilisiertes Wasser verbraucht, als jemand ihm beruhigend die Hand auf die Schulter legte. »Wissen Sie, die hiesige Flora begeistert mich immer weniger«, sagte eine warme Stimme.
Es war die Menschlichkeit in dieser Stimme, die Julian aufschrecken ließ. Die schnelle Kopfbewegung ließ ihn Sterne sehen. Er drückte sofort eine Hand auf den Boden, um sich zu stützen, und blinzelte hektisch, um nicht das Bewusstsein zu verlieren. Der schlanke, alte Asiate, der neben ihm hockte, rollte sich geschmeidig auf die Knie und legte beide Hände schützend um den Oberarm des Arztes. »Keine Bange, ich halte Sie fest.«
Und die Klingonen halten uns beide fest. Trotzdem bekämpfte es sein Schwindelgefühl. Er überließ dem Xirri die Wundreinigung, und der alte Herr von der Erde half ihm, sich wieder an die Steinwand zu lehnen. Als seine Wahrnehmung sich beruhigte und schärfte, konnte er praktisch spüren, wie das Blut zurück in sein Gehirn strömte. Na, Gott sei Dank, dachte er müde und drehte sich um, damit er den Mann, der neben ihm kniete, genau betrachten konnte. Wenigstens haben wir die Überlebenden der Victoria Adams gefunden.
Die offensichtliche Fitness und Gelenkigkeit des schlanken Körpers standen im krassen Widerspruch zu der großen Weisheit in den dunklen Augen des Mannes. Bashir schätzte ihn auf mindestens einhundert Jahre, obwohl er keinen Tag älter als siebzig aussah. Er gehörte nicht zu den Wissenschaftlern. Sein bunter Overall wies ihn als Mitglied der Interplanetaren Weltraumstiftung aus, einer gemeinnützigen Organisation von Freiwilligen, die sich als enthusiastische, wenn auch ungelernte Hilfskräfte für Forschungsprojekte zur Verfügung stellten. Obwohl die Stiftung in ihrer Werbung von ›Abenteuern und unvergesslichen Erlebnissen‹ sprach, ging Bashir davon aus, dass sie damit nicht meinte, von Klingonen abgeschossen zu werden. Trotzdem verriet irgend etwas an den hohen Wangenknochen und dem kurzen, stahlgrauen Haar, dass der Mann ein ›hohes Tier‹ bei Starfleet war. Bashir wünschte sich plötzlich, sich aufsetzen zu können, um seinen Respekt kundzutun. »Captain …« Er war sich gar nicht sicher, ob er es wirklich ausgesprochen hatte. Es schien angesichts der selbstverständlichen Kompetenz, die der Asiate ausstrahlte, einfach die angemessene Anrede zu sein.
Ein Anflug von Panik huschte über den Blick des alten Mannes. »Hier nicht, mein Sohn«, sagte er sanft. Sofort war sein ansteckendes Lächeln wieder da. »Hier sind wir nur zwei Menschen, die im gleichen Schlamassel stecken.« Er hielt dem verwundeten Arzt die Hand hin. »Warum nennen Sie mich nicht einfach George?«
Der scharfe Blick, der diese Vorstellung begleitete, machte deutlich, dass es sich sowohl um eine Lüge als auch um einen Befehl handelte. Bashir nickte, um zu zeigen, dass er verstanden hatte. Er hob nun selbst die Hand. »Ich …« Blut bedeckte ihn wie ein zerrissener Handschuh. Er zog die Hand zurück, bevor ihre Finger sich berührten. »Ich heiße Julian, Julian Bashir.«
»Dr. Bashir.« Er sah kurz auf Bashirs Arztuniform und nickte anerkennend. »Unsere Gastgeberin sagte mir, dass Sie ein paar großzügige Spender gebrauchen könnten.«
Das Blut. Auf seiner Hand, seinem Hosenbein, dem Boden. Nur nicht da, wo es hingehörte. »B Rhesus negativ«, sagte er, »mindestens zwei Einheiten.« Das würde ihm mehr Zeit und einen etwas klareren Kopf geben, aber sein Problem auch nicht aus der Welt schaffen. Abgestorbenes Gewebe blieb abgestorbenes Gewebe, egal, wie viel Blut das Herz hindurchpumpte.
»Ich bin A positiv«, teilte George ihm mit. »Aber wir können auf noch mindestens siebzehn andere Menschen zurückgreifen.« Er stützte eine Hand auf das linke Knie, um sich zu erheben, doch Bashir hielt sein Handgelenk fest. George verharrte mit wachem Blick.
»Keine Verwundeten«, sagte Bashir nachdrücklich. Er sah dem anderen Offizier in die Augen, um seine Entschlossenheit in dieser Angelegenheit zu unterstreichen. »Wenn sie nicht vollkommen gesund und unverletzt sind, will ich ihr Blut nicht.« Die erste Regel der Notfallmedizin besagt, weitere Verletzte zu vermeiden.
George nickte aufrichtig. »Alles klar. Halten Sie die Ohren steif, bis ich zurückkomme.« Dann ging er zügig tiefer in die Höhle hinein und ließ Bashir fröstelnd und unerklärlich einsam zurück.
»Die Ehre gewährt Ihnen das Recht auf Wiedergutmachung.« K'Taran wartete, bis er sie ansah, bevor sie fortfuhr. »Der Tradition nach erbt Ihre Familie dieses Recht, wenn Sie … nicht mehr in der Lage sein sollten, es selbst auszuüben. Aber da Sie hier keine Familie haben … werde ich tun, was Sie von mir verlangen. Eigenhändig.«
Bashir nahm dem Xirri die leere Wasserflasche ab und schüttelte den Kopf, um dem kleinen Eingeborenen mitzuteilen, dass er sie nicht noch einmal auffüllen musste. »Wovon sprichst du da?«, fragte er K'Taran.
»Wenn Sie mich darum bitten, werde ich mich töten.« Sie nahm ihm die Flasche aus der Hand und wickelte sorgfältig den dazugehörigen blutverschmierten Schlauch herum. »Ein Leben für ein Leben.«
Bashir steckte die Flasche mit dem Schlauch zitternd ins Medo-Kit zurück. Ihm war übel. »Rede keinen Blödsinn. Ich will nicht, dass du dich umbringst.«
»Sondern? Soll ich mich gleichermaßen verstümmeln?«
»Hör auf«, sagte er bestimmt. Es war nur noch eine Dosis des Stimulans übrig, und die wollte er sich lieber für später aufheben.
K'Taran überraschte ihn, indem sie das Medo-Kit zuklappte und beinahe seine Finger einklemmte. »Nein!«
Bashir wich ein Stück von ihr zurück und drückte sich fester gegen die Wand. Irgendwo in seinem Unterbewusstsein wusste er, dass er sein Bein wieder bewegt hatte, doch dank der Betäubung und der Verblüffung spürte er keinen Schmerz.
»Sie können diese Entehrung nicht an meinem Namen haften lassen!« Er spürte ihren heißen Atem auf dem Gesicht, als sie sich wütend über ihn beugte und ihn mit Augen anfunkelte, in denen sich Schmerz spiegelte, der dem seinen gleichzukommen zu schien. »Ich habe Ihnen schreckliches Leid angetan. Ich kann von Ihrem Gesicht ablesen, dass auch Menschenblut es nicht wieder gutmachen wird. Bitte … erlauben Sie mir, meine Schuld zu begleichen.«
Er überlegte, ob er mit vierzehn Jahren für irgend etwas sein Leben geopfert hätte. Dann fielen ihm Dax und Kira ein, die wer weiß wo festgesteckt hatten, als ihnen der Himmel auf den Kopf gefallen war, und er fragte sich, ob es sich lohnte, derart leidenschaftliche Kinder großzuziehen, wenn aus ihnen doch nur störrische, leidenschaftliche Erwachsene wurden.
»Ich will nur eins.« Er zwang sich, sich ein wenig zu entspannen, hielt sich aber gerade noch davon ab, ihre Hand zu berühren. »Suche nach meinen Freunden. Hier unten ist genug Platz für alle, auch die Gruppe deiner Großmutter. Aber ich kann jetzt nicht zu ihnen. Tu das für mich.«
Zuerst dachte er, sie würde sich weigern. Die Erwähnung ihrer Großmutter ließ die Höcker auf ihrer Stirn dunkel anlaufen, und ihre Kiefermuskeln schwollen verspannt an. Doch dann glitt ihr Blick nur kurz über sein verdrehtes, blutiges Bein, und ihre erwachsene Entschlossenheit kehrte mit der Anmut einer Löwin zurück. »Ich werde diese Aufgabe annehmen«, verkündete sie feierlich. »Werden Sie dies als ehrenvolle Wiedergutmachung für mein Verbrechen akzeptieren?«
Die Angst, die Bashirs Herz in einem eisigen Griff gehalten hatte, löste endlich auch den letzten Finger. »Ja, das werde ich.«
Sie nickte kurz und grimmig und sprang mit dem Elan einer Kriegerin auf, die in eine fast sicher verlorene, aber sehr ehrenvolle Schlacht zog. Vielleicht traf das ja auf ihre momentane Situation auch zu. Als sie hinausstürmen wollte, streckte Bashir die Hand nach ihr aus. »Um eins möchte ich dich noch bitten.«
K'Taran zögerte und sah ihn misstrauisch an. »Meine Ehre ist zu keiner weiteren Wiedergutmachung verpflichtet …« teilte sie ihm mit.
Der Arzt schüttelte den Kopf. Plötzlich war es ihm furchtbar peinlich, falsch verstanden worden zu sein. »Es geht um keine Ehrenschuld«, versicherte er ihr. »Eher um einen Gefallen.« Dann schluckte er trocken, setzte sich so aufrecht hin, wie er konnte, und verschränkte die Hände hinter dem Rücken. »Würde es dir etwas ausmachen, einen gebrochenen Knochen zu richten?«
Dax autistischem Tricorder zufolge hatten sie die Hälfte des Strecke zurück zum Lager der Klingonen zurückgelegt, als ihre Kommunikatoren wieder piepten. Diesmal konnte Dax das Signal tatsächlich nicht nur spüren, sondern auch hören, wenngleich der schrille Ton auch noch ein wenig metallisch klang. Sie wartete darauf, dass Kira auf ihren Anstecker drückte und antwortete. Als das nicht geschah, sah sie die Bajoranerin überrascht an.
»Wollen Sie den Ruf des Captains nicht beantworten?« Dax stellte fest, dass es eine Sache war, Befehle zu missachten, wenn diese zur Folge hatten, dass sie Julian zurücklassen mussten, aber eine ganz andere, einfach die Befehlshierarchie zu ignorieren.
»Das Signal kommt gar nicht von der Defiant«, behauptete Kira. »Die Frequenz stimmt nicht.«
Dax schnappte überrascht nach Luft, als ihr klar wurde, dass ihre schmerzenden Ohren den Ton doch nicht falsch wiedergegeben hatten. »Wer sonst sollte Kontakt mit uns aufnehmen?«, fragte sie, um sich schon mit dem nächsten Atemzug selbst die Antwort zu geben. »Die Klingonen.«
»Von Kors Schiff?« Kira schüttelte den Kopf. »Wenn die wüssten, dass wir hier sind, würden sie uns entweder hochbeamen oder mit Phasern beschießen. Nein, das muss jemand sein, der etwas von uns will …«
Der Kommunikator piepte erneut eigentümlich schrill und aufdringlich. »Sollen wir sie einfach ignorieren?«
»Das wäre wohl am besten«, sagte Kira. Sie und Dax sahen sich nachdenklich an. »Aber was, wenn es die Gruppe ist, die Bashir entführt hat?«
Dax antwortete, indem sie ihren Kommunikator betätigte. »Hier spricht Jadzia Dax«, sagte sie ruhig. »Identifizieren Sie sich.«
»Ich schicke Ihnen Koordinaten.« Der Schock, Gordeks raue, grobe Stimme zu hören, wurde nur noch von dem übertroffen, den seine nächsten Worte auslösten. »Kommen Sie uns zu Hilfe, oder ich bringe die Cardassianer dazu, Ihr Schiff und seine Besatzung zu vernichten.«
Dax nahm die Hand weg, um die Verbindung zu unterbrechen. »Cardassianer?«, fragte sie Kira verblüfft. »Wie sollte einer von Epetai Vrags Exilklingonen Kontrolle über Cardassianer ausüben können?«
»Er hat immerhin einen Subraum-Kommunikator«, fauchte Kira. Ihr Gesicht verhärtete sich zu dem der hartgesottenen Guerilla-Anführerin, die sie einmal gewesen war. »Weil er von Anfang an mit den Cardassianern gemeinsame Sache gemacht hat.«
Dax blinzelte sie eine ganze Minute lang ungläubig an. »Welche gemeinsame Sache denn? Armageddon quillt ja nicht gerade vor galaktischen Schätzen über.«
»Wir werden es herausfinden.« Die Bajoranerin aktivierte ihren Kommunikator. »Schicken Sie Ihre Koordinaten, Gordek«, sagte sie knapp. »Wir kommen.«
Der Klingone brummte und betete eine Reihe von Koordinaten herunter, woraufhin er die Übertragung so rüpelhaft abbrach, wie er sie begonnen hatte. Dax hatte gar nicht mehr die Gelegenheit, ihm mitzuteilen, dass sie aus diesen Zahlen nicht schlau wurde. »Er muss cardassianische Orientierungsdaten verwenden«, teilte sie Kira frustriert mit. »Ich habe keine Ahnung, was für eine Position er meint.«
»Könnten wir das Signal seines Kommunikators zurückverfolgen, wenn wir ihn dazu brächten, ihn wieder einzuschalten?«
Dax starrte verbittert auf ihren Tricorder. »Nur wenn O'Brien sich vorher auf den Planeten beamt und das Ding repariert.«
»Ich glaube kaum, dass der Captain das erlaubt«, ertönte eine vollkommen unerwartete Stimme mit irischem Akzent aus ihrem Kommunikator. »Aber wenn Sie wirklich ein herzliches Gespräch mit Ihrem Freund Gordek führen wollen, kann ich Sie zu ihm bringen.«
»Chief?«, fragte Dax. »Haben Sie Gordeks Botschaft mitgehört?«
»Seit die elektromagnetische Strahlung des Kometeneinschlags zurückgegangen ist, haben wir auf sämtlichen Frequenzen auf Ihr Signal gewartet, alter Knabe.« Das war die vertraute, tiefe Stimme Benjamin Siskos. »Warum haben Sie sich so lange nicht gemeldet? Konnten Sie sich nicht denken, dass wir uns Sorgen machen?«
Kira und Dax sahen sich leicht schuldbewusst an. »Wir wollten erst nachsehen, wie es den klingonischen Verbannten im Hauptlager geht, Sir«, sagte Kira endlich.
»Und Dr. Bashir noch etwas Zeit geben, um wieder aufzutauchen, bevor Sie ihn im Stich lassen?« Es war nie einfach, Sisko anzulügen. Erst recht nicht, wenn er das, was man vorhatte, am liebsten auch getan hätte. »Geht es Ihnen beiden gut?«
Kiras Antwort darauf klang selbstbewusster, war aber auch nicht viel zutreffender. »Nur ein paar Kratzer und blaue Flecken, Sir. Ich bitte um Erlaubnis, auf dem Planeten zu bleiben, um Gordeks Verbindungen mit den Cardassianern zu überprüfen.«
»Erlaubnis wird gern erteilt, Major«, sagte Sisko grimmig. »Wir befinden uns momentan außerhalb von Kors Schussweite, also können wir die Schutzschilde lange genug deaktivieren, um Sie und Dax zum Ausgangspunkt von Gordeks Signal zu beamen.«
»Können Sie abschätzen, wie viele Klingonen bei ihm sind, Captain?«
Sie hörte im Hintergrund eine ihr unbekannte Stimme auf der Brücke. »Die Langstreckensensoren geben mindestens ein Dutzend verschiedener Biosignaturen an, auch wenn manche davon sehr schwach zu sein scheinen«, sagte Sisko schließlich. »Passen Sie auf sich auf, alter Knabe.«
»Jawohl, Sir.« Dax nahm die Hand vom Kommunikator und bereitete sich auf den Ruck des Beamens vor. Im nächsten Augenblick verschwanden der Rauch und die umgestürzten Bäume des tuq'mor und wurden von einem knisternden, rotgoldenen Inferno ersetzt. Dax blieb gerade noch Zeit, die Augen zuzukneifen, bevor zwei brutale Hände ihre Schultern packten und sie näher ans Feuer zerrten.
»Das ist Ihre Schuld!« Gordeks schwarzer Haarschopf war auf einer Seite halb versengt, doch in seinem Gesicht voller Brandblasen stand nicht Schmerz, sondern Zorn. »Ihr Schutzschildgenerator hat uns nicht beschützt, als der Komet kam! Sehen Sie nur, was geschehen ist!«
»Es ist nur geschehen, weil Sie uns nicht die Wahrheit gesagt haben!« Kira mochte zwar nur halb so groß wie der Klingone sein, doch ihr entschlossener Stoß und ihr wütender Gesichtsausdruck reichten trotzdem aus, um ihn einen Schritt von Dax zurücktreten zu lassen. Nachdem sich ihre Augen nun an das grelle Licht gewöhnt hatten, erkannte Dax die Holzkohlegerippe von drei in Flammen stehenden Pfahlbauten. Am Rand des Feuers lagen die Leichen mehrerer Klingonen, als hätte man sie nur weit genug gezerrt, um sie auf Lebenszeichen zu überprüfen, und dann dort liegen lassen, um nach weiteren Opfern zu suchen. Die Verwundeten waren in das letzte noch erhaltene Gebäude gebracht worden, das durch die feuchte Wand des tuq'mor vor der Explosion geschützt worden war. Eine Handvoll klingonischer Jäger blickte dort hervor und kam dann herüber, um Gordek, Kira und Dax in einem tödlichen Kreis einzuschließen.
Dax atmete tief durch und drehte sich um, damit sie nicht von hinten überraschend angegriffen werden konnten. Sie achtete darauf, dass der Phaser an ihrem Gürtel in Kiras Richtung hing und von keinem der Verbannten erreicht werden konnte. »Warum ist das unsere Schuld?«, fragte sie, wobei sie die Frage eher an die feindseligen Zuschauer als an Gordek richtete. »Wir haben nie behauptet, dass dieser Schild Sie vor einem direkten Treffer schützen wird. Und wir haben Ihnen angeboten, Sie auf unser Schiff zu evakuieren. Sie wollten doch unbedingt hierbleiben!«
Die Worte lösten unruhiges Tuscheln in dem Zuschauerkreis zorniger Klingonen aus. Dax nutzte die Gunst der Stunde und zeigte auf den cardassianischen Kommunikator, den Gordek noch immer in der Hand hielt. »Wenn Sie lieber von den Cardassianern als von der Föderation gerettet werden wollen – na schön. Aber wo bleiben sie jetzt, wo Sie sie so dringend brauchen? Bekämpfen sie die klingonische Blockade? Haben sie auf Ihre Hilferufe reagiert?«
Sie hatte blind geschossen, aber ins Schwarze getroffen. Zwei der Jäger sahen Gordek wütend an. »Warum sind die Cardassianer nicht hier?«, fragte einer von ihnen. »Wir haben ihnen schon vor Tagen gesagt, dass wir das restliche Geset haben. Haben sie nicht versprochen, uns zu retten?«
»Das war, bevor das Schiff von Starfleet hierhergekommen ist«, knurrte Gordek zurück.
»Na und? Wenn unsere Heimatwelt sterben würde, wie sie es von ihrer behaupten … würden wir dann nicht sogar die Hölle erobern, um an des Heilmittel zu gelangen?«, fauchte ein älterer, von vielen Schlachten gezeichneter Klingone. Er zog aus einer zerrissenen Tasche ein Fläschchen mit einer goldbraunen Flüssigkeit und hielt sie ins Licht des Feuers. Die künstliche Polytex-Oberfläche des Gefäßes glänzte in der primitiven Umgebung unpassend hell. »Wie ist die Ehre dieser Cardassianer beschaffen, an die du uns gebunden hast, Gordek? Sie lassen sich durch ein einzelnes klingonisches Schiff von dem Medikament fernhalten, das angeblich das Leben ihrer Kinder retten kann! Dann finde ich, dass wir ihre Kinder ruhig verrecken lassen können!«
Er ließ das Fläschchen verächtlich zu Boden fallen und entlockte Gordek einen Protestschrei, als er es dann mit seinem schweren Stiefel zertrat. »Das ist unsere Fahrkarte weg von hier!«, rief der Anführer des klingonischen Klans, während die schäumende, gelbe Flüssigkeit unter ihren Füßen zu Pfützen zusammenfloss. Ein unangenehm beißender Geruch stieg von ihr auf, den Dax zwar nicht kannte, der sie aber an etwas erinnerte. Mit einem Stirnrunzeln zückte sie den schlammverkrusteten Tricorder und analysierte diskret die Flüssigkeit zwischen ihren Stiefeln. Die Anzeige flackerte auf und würgte dann eine Antwort in rätselhaftem vulkanischem Maschinenkode heraus.
Der älteste Jäger machte aus seiner Meinung zu dem verschütteten Geset keinen Hehl und spuckte hinein. »Ich sehe hier keine cardassianischen Schiffe, die uns retten könnten«, sagte er plump. »Ich sehe nur einen Ausgestoßenen aus einem ehemals angesehenen Haus. Ein erbärmliches Wesen, das noch nicht einmal den Himmel grüßen kann.«
Diese Beleidigung ließ Gordek in wortloser Wut fauchen und zu einem weiten Schlag ausholen, der auf halber Strecke von Kiras drohend gehobenem Phaser aufgehalten wurde. Der große Klingone trat einen Schritt zurück, stierte mit gefletschten Zähnen auf sie herab und atmete schwer. »Unsere Verwundeten sterben, während wir hier Zeit vergeuden! Sie sollten sie zu den Stasisgeneratoren auf Ihrem Schiff beamen, wie Ihr Arzt es schon einmal tat.«
»Nein.« Dax' strenge Stimme zog den wütenden Blick des Klingonen auf sich. »Ich weiß zwar nichts über die Beschaffenheit der cardassianischen Ehre, Gordek, aber ich kenne den Charakter Benjamin Siskos. Er wird der Blockade trotzen, um unschuldige klingonische Flüchtlinge zu evakuieren, aber er wird keinem einzigen klingonischen Verräter Schutz bieten.«
Ihre Anschuldigung provozierte bei den Jägern den tosenden Protest, den sie erwartet hatte. »Wer nennt uns Verräter?«, fragte ein junger, dunkelhäutiger Klingone. »Wir haben nichts getan, um das Imperium zu verraten!«
»Sie verkaufen aber das hier an die Cardassianer.« Dax hob den Tricorder, um den verwirrten Klingonen die vulkanischen chemischen Symbole auf dem kleinen Monitor zu zeigen. »Diesem Gerät zufolge ist das der wirksame Bestandteil des Geset, das Sie gerade verschüttet haben. Und wenn einer von uns ein Mensch wäre, wäre er jetzt tot.«
Kira sah angeekelt auf das gelbe Rinnsal, das auf sie zufloss, und trat einen Schritt zurück, damit es ihre Stiefel nicht berührte. »Was ist es?«
»Drevlocet«, sagte Dax lediglich.
Sogar die Klingonen keuchten bei diesem Wort auf. »Das Nervengift, mit dem die Jem'Hadar Hunderte von Menschen in der Kolonie Hjaraur ermordet haben?«, knurrte Kira.
»Ja. Eins der hier ansässigen Tiere – das Banchory, nehme ich an, da sie so viele davon abgeschlachtet haben – scheint es als natürliche Abwehr gegen Insektenstiche zu produzieren. Es wurde in jeder Militärkonvention verboten, die nach Hjaraur im Alpha-Quadranten unterzeichnet worden ist.« Dax hielt Gordek mit einem eiskalten Blick gefangen. »Aber Sie haben es aufgearbeitet und für die Cardassianer gelagert. Was haben sie Ihnen versprochen, um Sie dazu zu bringen, dieses Gift herzustellen? Was war so großartig, dass Sie dafür unser Rettungsangebot ausgeschlagen haben?«
»Die Rückkehr auf die klingonische Heimatwelt?«, fragte Kira vorwurfsvoll.
Gordek knurrte und spuckte ihnen vor die Füße. »Als würde ich dem Narren Gowron den Gefallen tun, mich noch einmal verbannen zu können. Nein, sie wollten uns ein eigenes Schiff geben und durch das Wurmloch in den Gamma-Quadranten schleusen. Das war ein großzügiger Preis, doch sie sagten, sie bräuchten dringend ein Mittel, um auf ihrem Heimatplaneten das Ptarvo-Fieber zu heilen.«
»Ptarvo-Fieber?« Kira schnaubte verächtlich. »Das ist ungefähr so gefährlich wie ein Krampf im Bein!«
Wieder grollte Aufruhr durch den Kreis der überlebenden klingonischen Jäger. »Warum ist den Cardassianern diese Substanz dann soviel wert?«, wollte einer der jüngeren wissen, der misstrauisch die Stirnhöcker anspannte.
»Weil sie chemisch so modifiziert werden kann, dass sie bei fast jeder humanoiden Rasse toxisch wirkt: Romulaner, Vulkanier, Trill, Klingonen und natürlich Menschen«, sagte Dax nüchtern. »Genaugenommen sind die Cardassianer die einzige Rasse, deren Nervensystem dagegen immun ist.« Sie richtete ihren eiskalten Blick wieder auf Gordek. »Wussten Sie, dass dieses Gift gegen Ihr eigenes Volk Verwendung finden wird, als Sie sich bereit erklärten, es herzustellen?«
»Nein!« Der Schrei des Verbannten war ohrenbetäubend laut, doch der schuldbewusste Unterton, der darin mitschwang, war für Dax nicht zu überhören. »Wie konnte ich das ahnen? Wir hatten gar nicht die Geräte, um festzustellen, dass sie uns belogen haben.«
»Nein«, sagte der ältere, vernarbte Jäger. »Aber wir waren uns durchaus bewusst, dass sie dadurch, wie sie uns gezwungen haben, unser Leben mit diesem Gift zu erkaufen, unsere Ehre beleidigt haben. Wir hätten uns von Anfang an auf keinen Handel mit ihnen einlassen sollen.« Er blinzelte Dax misstrauisch an. »Wir sind schon vor vielen Monaten verbannt worden. Führen die Cardassianer gerade Krieg gegen die Menschen?«
»Noch nicht«, sagte Dax. »Aber ganz bestimmt gegen die Klingonen.«
»Dann werden sie dieses Gift gegen das Klingonische Imperium einsetzen?«
»Das ist sehr wahrscheinlich«, stimmte Kira in eiskaltem Tonfall hinzu. »Im Krieg legen die Cardassianer keinen großen Wert auf ethische Konventionen.«
Der ältere Klingone atmete tief durch und schloss einen langen, bitteren Moment lang die Augen. »Epetai Vrag hatte recht. Wir hätten uns mit diesem neuen Leben abfinden und jede Hoffnung auf ehrenvolle Wiederherstellung unseres Namens aufgeben sollen. Nun haben wir mit unseren ehrlosen Bemühungen unsere gesamte Rasse gefährdet.«
»Und wenn schon?«, fauchte Gordek zornig. »Hat sich der Hohe Rat darüber Gedanken gemacht, wie sehr wir auf dieser Todesfalle von einem Planeten gefährdet sind? Unser Verbrechen war fehlgeleitete Loyalität, mehr nicht! Verdammt uns das dazu, dem Zorn der Sterne ausgesetzt zu sein und unter diesem Himmel sterben zu müssen, nur um unserer Ehre wegen?«
Diesen Worten folgte eine Stille, in der nur das traurige Knistern der sterbenden Flammen zu hören war. Dann spuckte der vernarbte ältere Jäger erneut, diesmal direkt auf den Anführer des Klans. »Batlh potlh law'yIn potlh puS.« Dann zückte er sein langes Jägermesser und trieb es sich tief in die Kehle.
Kira stöhnte auf und wich dem plötzlich spritzenden klingonischen Blut aus. Dax war darauf gefasst gewesen. Sie kannte diese stolze Kriegerrasse fast so gut wie ihre eigene. Und ihr war völlig klar gewesen: Sobald die Klingonen herausfinden würden, was Geset wirklich war, konnte keiner von ihnen, der noch einen Rest von Ehre hatte, damit leben, das Verderben über das eigene Volk gebracht zu haben.
Der Ring der Jäger sah zu, wie der Älteste unter ihnen mit unerschütterlicher Stille in die Knie ging und dann langsam mit dem Gesicht in das schäumende, gelbe Gift fiel. Dann sahen die Klingonen sich stumm an, und alle außer Gordek zückten ihr Messer. »Bevor ich sterbe, werde ich den Verwundeten, die bei Bewusstsein sind, das Messer halten«, sagte der dunkelhäutige Jüngste, und die anderen nickten. Er sah Dax aus seinen schmalen Obsidianaugen an. »Sie dürfen die anderen zur Behandlung auf Ihr Schiff bringen, aber Sie müssen versprechen, ihnen danach die Wahrheit zu sagen. Und ein Messer zu geben.«
»Ich verspreche es«, erwiderte sie ernst auf Klingonisch. »Und ich verspreche außerdem, in jedem großen Haus des Imperiums von der Ehre Ihrer Taten zu singen.«
»Dann ist es ein guter Tag zum Sterben.« Der junge Mann nickte seinen Gefährten zum Abschied zu, drehte sich dann auf dem Absatz um und ging zu den Überlebenden in der verbliebenen Hütte. Kira sah ihm verzweifelt nach, dann schaute sie Dax eindringlich an.
»Müssen wir …«
»Ja.« Dax zuckte nicht zusammen, äußerte nicht den geringsten Protest, während sie beobachtete, wie sich die beiden letzten Jäger vom Hause Gordeks in gleichsam würdevoller Stille das Leben nahmen. Ihr fiel nun die Rolle des cha'DIch zu, des Ehrenzeugen, auch wenn die Schlacht hier nur eine der inneren Prinzipien war. Sie senkte den kalten Blick wieder auf Gordek. Er stand noch immer mit geballten Fäusten über den gefallenen Jägern und starrte sie wutschnaubend an, als wäre ihr Freitod eine Beleidigung für ihn gewesen, über die er mit ihnen streiten konnte. »Gordek«, sagte sie leise. »Auch Sie haben ein Messer.«
In seinen vom Feuer beschienenen Augen leuchteten Hass und frustrierte Wut. »Ja«, sagte er gedehnt, »und ich werde es gegen Sie einsetzen!«
Dax hastete einen Schritt zurück, als er vorstieß, und griff verzweifelt nach ihrem Phaser, während ihre Augen die Entfernung abschätzten und der Schlag ihres Herzens die Worte zu spät, zu spät, zu spät!, zu rufen schien. Sie hörte das wohlbekannte Pfeifen, doch erst, als der riesige Klingone in sich zusammensackte und quer über die Leichen seiner Krieger fiel, wurde ihr klar, dass Kira ihre Waffe viel früher gezogen hatte.
»Ist er tot?«, wollte Dax wissen.
»Natürlich nicht.« Kira rollte ihr Opfer auf die Seite, wobei sie darauf achtete, seine Kleidung nicht mit dem Geset in Berührung kommen zu lassen. »Er wird uns auf die Defiant begleiten.«
Dax runzelte die Stirn. In ihrem Magen brodelte die Ungerechtigkeit, dass vier ehrenvolle Klingonen tot vor ihr lagen und dieser selbstsüchtige Verräter mit dem Leben davonkam. »Sie wollen ihn wirklich von Armageddon evakuieren?«
»Ganz genau.« Kira zeigte ein kaltes bajoranisches Lächeln. »Ich werde ihn gerade so lange aufwecken, bis Odo ein Geständnis aus ihm herausgeholt hat, in dem er die Cardassianer als seine Käufer angibt. Und dann werden wir ihn ausliefern, und zwar direkt auf das Schiff von Dahar-Meister Kor.«