»Gehört das Suv'batlh mir? In jeder Beziehung?« Kor sah sich um und entdeckte verärgert seinen Techniker, der Sisko zu Füßen lag. Doch erst als sein Blick weiter zum dritten Kämpferpaar schweifte, nahm sein Gesicht die Farbe einer Gewitterwolke an. »Kitold! Bei den toten Göttern, wie konnte das passieren?«
Sein taktischer Offizier trat vor und strauchelte, als erneut ein Komet am Heckschild zerschellte. Mit einer Hand hielt er seinen ausgerenkten Arm fest. Seine grüne Gesichtsfarbe verriet Sisko, dass er sich bestimmt nicht mehr lange auf den Beinen halten konnte.
»Es war Hinterlist«, sagte er heiser. »Der Gestaltwandler täuschte größere Erschöpfung vor, als er tatsächlich verspürte, um mich in einem unerwarteten Moment anzugreifen.«
Sisko sah von dem verwundeten Klingonen zu Odo hinüber, dessen pseudoklingonische Rüstung sich vor seinen Augen wieder in seine makellose Constable-Uniform verwandelte. »Stimmt das?«, fragte er.
Odo nickte ihm steif zu. »Es schien mir ein legitimes Manöver zu sein. Ich gebe zu, dass ich meine Erscheinung ein wenig geändert habe, um ihn zu täuschen. Aber ich kann ja gar nicht blass werden und vor Angst schwitzen. Keine meiner Gestaltveränderungen hat meinen Gegner gefährdet.«
»Es war Betrug!«, gab der junge Klingone nicht nach.
»Ich würde es eher als Strategie bezeichnen.« Kor riss mit einem Ruck sein Bat'leth von Worfs Hals zurück, woraufhin der Starfleet-Offizier zurücktaumelte und sich den verletzten Arm hielt. »Sie sind auf die älteste Kriegslist überhaupt hereingefallen, Kitold! Sie haben es verdient, den Arm zu verlieren, aber ich habe keine Lust, Ihre stinkende Leiche riechen zu müssen, bis wir zurück auf der Heimatwelt sind. Begeben Sie sich in eine medizinische Stasiskammer. Sofort!«
Der verwundete Klingone knurrte undankbar, bevor er sich an Sisko vorbeizwängte und zu den Stasiskammern am hinteren Ende des einzigen Decks ging. Worf sah ihm nach und drehte sich dann verwirrt nach Kor um. »Wej Heghehugh vay', SuvtaH SuvwI'? Wie kann ein klingonischer Krieger aufhören zu kämpfen, wenn noch niemand gestorben ist?«
Kor rümpfte herrlich wütend die Nase. »Nur ein Narr lässt einen bedeutungslosen Tod zu. Und ein Narr wird nicht Dahar-Meister.« Kor stützte Worf, der taumelte, vielleicht aufgrund der schwunghaften Ausweichmanöver, vielleicht auch, weil er erst jetzt den Schmerz bemerkte, den die zahlreichen Verletzungen ihm bereiteten. Sisko stellte nüchtern fest, dass die Flecken auf Kors Kleidung allesamt nur von Blutwein herrührten. »Dujeychugh jagh nIv yItuHOo'. Es ist keine Schande, einem stärkeren Gegner zu unterliegen. Durch das Glück Ihres Captains und die List ihres Gestaltwandlers haben Sie das Suv'batlh gewonnen, zu dem Sie mich herausgefordert haben, Worf, Sohn des Mogh. Was verlangen Sie von mir?«
Worf öffnete den Mund, doch noch bevor er etwas sagen konnte, wirbelte die Pilotin mit funkelnden Augen herum. »Captain! Alarm! Die Kometen, die auf uns treffen … Ich glaube, dass sie von einem Schiff abgelenkt werden, das in das System gekommen ist!«
»Was?« Kor fluchte, schubste Worf beiseite und stürzte sich auf seinen Kommandosessel. »Was ist das für ein Schiff?«
»Das kann ich nicht feststellen!« Der junge klingonische Techniker hämmerte auf die Konsolendisplays, die jedoch den Dienst verweigerten. »Meine Instrumente können noch nicht einmal die Kometen durchdringen, die sich vor dem Schiff angesammelt haben! Die Trümmerwolke ist hundertmal dichter, als sie sein sollte. Wer es auch ist, sie müssen der Flugbahn des Eisgiganten auf der ganzen Strecke bis ins System gefolgt sein und auf dem Weg mit ihrem Traktorstrahl Trümmer eingesammelt haben.«
»Cardassianer!«, sagte Kor mit angewiderter Gewissheit. »Wer würde sonst so eifrig eine derart feige Strategie verfolgen?« Er warf Sisko einen zynischen Blick zu. »Gul Hidret sucht bestimmt schon das ganze System nach den verkohlten Überresten unserer beiden Schiffe ab.«
»Möglich.« Sisko trat näher an den Monitor heran, als könne er das unbekannte Schiff damit dazu verleiten, plötzlich aus dem Dunst aufzutauchen. Das tat es nicht, doch als die Pilotin einer besonders großen Kometentraube auswich, erschien der stille, trübe Horizont Armageddons auf der Anzeige. Eine üble Vorahnung ließ seinen Magen verkrampfen. »Wie viele Kometen schiebt dieses unbekannte Schiff vor sich her?«
»Zehntausend, vielleicht noch mehr«, sagte der Techniker grimmig. »Alle auf einem Raum von nur neunzehn Kubikkilometern zusammengedrängt und auf ein Viertel Impulsgeschwindigkeit beschleunigt.«
Kor keuchte entsetzt auf. »In welche Richtung?«, fragte er. »Auf uns zu?«
»Nein.« Die Pilotin betrachtete mit mitleidigem Blick das blutrote Abbild Armageddons auf dem Schirm. »Auf den Planeten zu.«
Sisko und Odo sahen sich entsetzt an. »Das Außenteam«, sagte Worf heiser. »Wir müssen es sofort davon unterrichten.«
»Damit sie sich auf einen ehrenvollen Tod gefasst machen können.« Kor nickte ernst. »Das ist eine verständliche Bitte. Verstärken Sie das Signal ihrer Kommunikatoren mit unseren Sendern, Bhirq.«
Sisko schlug sich mit der Hand auf die Brust, ohne auf eine Antwort des klingonischen Technikers zu warten. »Sisko an Kira, Sisko an Dax.«
»Hier Dax.« Die ruhige Stimme der Trill ließ Kor kurz nostalgisch lächeln, bevor das Bedauern ihn wieder ernst werden ließ. »Schießen Sie los, Benjamin.«
»Ein cardassianisches Kriegsschiff hat gerade zehntausend Kometen zusammengefegt und auf Armageddon geschleudert«, sagte Sisko in schonungsloser Offenheit. »Sie müssen sofort zurück auf die Defiant gebeamt werden!«
»Verstanden.« Der Vorteil einer Soldatin mit dreihundert Jahren Erfahrung war, dass sie genau wusste, wann sie Details und Erklärungen erbitten sollte und wann nicht. »Wie viel Zeit bleibt bis zum Einschlag?«
»Vierzig Minuten«, erwiderte die klingonische Pilotin. »Höchstens.«
»Dann könnten wir es noch schaffen, jeden auf dem Planeten in Sicherheit zu bringen. Julian und die Überlebenden des Absturzes haben in einem tiefen Höhlensystem Unterschlupf gefunden. Wenn wir sie erreichen, müssten wir sogar den Einschlag von zehntausend Kometen überleben.« In Dax' Stimme lag die stählerne Entschlossenheit, die bedeutete, dass sie kein ›nein‹ akzeptieren würde. »Bitte um Erlaubnis, auf dem Planeten zu bleiben, Captain.«
»Erteilt«, sagte Sisko bedrückt. »Aber seien Sie auch bestimmt in einer halben Stunde in dieser Höhle, alter Knabe, und nicht draußen, um noch ein paar DNS-Proben von einer vom Aussterben bedrohten Pflanzengattung zu sammeln.«
Die Wissenschaftsoffizierin gluckste amüsiert. »Machen Sie sich keine Sorgen, Benjamin. Die Pflanzen hier unten können sich auch ohne meine Hilfe ganz gut um ihre DNS kümmern. Dax Ende.«
Kor sah Worf an, der sich stark blutend an der freien Waffenkonsole festhielt. »Sie könnten mich als Preis für das Suv'batlh darum bitten, diese cardassianischen Kometen mit dem Phaser zu zerstören. Für jedes Bruchstück, das wir abschießen …«
»… erhalten Sie mehrere kleine, die noch mehr Verwüstung anrichten werden«, sagte Sisko geradeheraus. »Und es sind viel zu viele, um sie mit unseren Schilden abzulenken, auch wenn wir unsere beiden Schiffe einsetzen.«
Odo sah den älteren Klingonen zynisch an. »Würden diese Handlungen nicht sowieso das ehrbare Exil Ihrer Landsleute da unten verletzen?«
Kor spuckte auf den mit Kometen übersäten Monitor. »Darum haben sich die Cardassianer schon gekümmert, Wechselbalg.«
Der Bildschirm flackerte auf und zeigte nur noch Rauschen, bevor eine erzwungene Übertragung von der Defiant erschien. O'Brien blickte düster vom Monitor. Da die Klingonen den Ruf nicht erwiderten, konnte er sie nicht sehen. »Captain, unsere Sensoren haben die Ankunft der Olxinder auf Ihrer Seite des Planeten registriert. Sie schiebt eine Welle von zwölftausend Kometenbruchstücken vor sich her. Das Außenteam hat mir gesagt, dass Sie Bescheid wissen. Ich werde zehn Minuten auf Ihre Befehle warten, dann werde ich durch das Feld fliegen und versuchen, die größten und gefährlichsten Bruchstücke abzuwehren. O'Brien Ende.«
Worf stöhnte, nicht ausschließlich vor Schmerz. »Die Schutzschilde der Defiant können unmöglich zwölftausend Kometen überstehen!«
»Zehntausend«, widersprach der klingonische Techniker gereizt.
»Was fordern Sie also für Ihr gewonnenes Suv'batlh, Worf, Sohn des Mogh?«, wiederholte Kor ungeduldig. »Sollen wir Ihre Kameraden retten, indem wir unser eigenes Schiff opfern?«
»Nein«, sagte Sisko, bevor der taktische Offizier etwas erwidern konnte. »Wir bitten Sie darum, dieses System von jetzt an als gemeinsames Protektorat der Föderation und des Klingonischen Imperiums zu betrachten. Nicht wahr, Mr. Worf?«
Sein taktischer Offizier nickte mit dem absoluten Vertrauen in seinen Befehlshaber, das Sisko vom ersten Tag an bei ihm bewundert hatte. »Und dass alle Rechte, die ich mit dem Suv'batlh erkämpft habe, auf Captain Sisko übergehen.« Worf fiel auf die Knie, und Sisko konnte die Erschütterung noch am anderen Ende des Decks spüren. »Ich fürchte, ich werde nicht lange genug bei Bewusstsein bleiben, um sie auszuüben.«
»Die zweite Bitte ist vernünftig, und ich akzeptiere sie«, sagte Kor verbittert. »Aber welchen Sinn macht die erste?«
»Sie ermöglicht uns, dieses System gemeinsam gegen die Cardassianer zu verteidigen«, erwiderte Sisko. »Und der ganzen Galaxis zu beweisen, dass sie nicht nur verbotenes Nervengift schmuggeln, sondern auch ein ganzes Ökosystem vernichten, auf das sie keinen Anspruch haben, nur um dieses Gift zu erhalten.«
Kors zorniges Gesicht wurde nachdenklicher. »Dann glauben Sie, dass sie sich nicht nur hinter diesen Kometen verstecken? Dass sie tatsächlich planen, alles Leben auf diesem Planeten zu vernichten, nur um die letzten Tropfen Drevlocet in die Finger zu bekommen?«
»Das klingt mir eher nach einer rhetorischen Frage«, bemerkte Odo sarkastisch.
Sisko trat vor, ohne seinen schmerzenden Schultern Beachtung zu schenken. »Ihr Schiff ist genau wie die Defiant getarnt, und wir wissen, dass die Cardassianer nicht besonders gut im Aufspüren von Ionenemissionen sind. Sie können nicht wissen, ob wir hier sind, bis wir entweder auf sie oder auf die Kometen feuern. Wenn wir sie glauben machen, was ihnen am liebsten wäre … nämlich, dass wir uns gegenseitig im Streit um diesen Planeten vernichtet und ihnen damit freie Bahn gelassen haben … werden sie sich in genau vierzig Minuten bestimmt selbst belasten.«
»Wir stellen uns also tot, während der Planet unter uns stirbt?«
Sisko verzog das Gesicht. »Mir gefällt das auch nicht, aber unsere Leute müssten alle in Sicherheit sein, und ich vertraue meiner Wissenschaftsoffizierin, wenn sie sagt, dass der Planet sich erholen wird. Und wir retten immerhin den Rest des Alpha-Quadranten. Also, arbeiten Sie jetzt mit uns zusammen, oder müssen wir als Suv'batlh-Bitte die Selbstzerstörung dieses Schiffes fordern?«
Kor strafte dieses Ultimatum mit der Verachtung, die es verdiente, da Sisko überhaupt nicht vorhatte, es durchzusetzen. »Was ist mit dem Haus von Vrag? Sollen wir sie gegen ihren Willen retten, falls es nach dem Kometenschauer Überlebende gibt?«
»Die Föderationsvorschriften erlauben uns nur, Bewohner eines Planeten zu evakuieren, die dies auch ausdrücklich wünschen.« Sisko hätte nie gedacht, dass er einmal für diplomatische Mehrdeutigkeit dankbar sein würde. »Das Haus von Vrag wird über sein eigenes Schicksal entscheiden und seine Ehre erhalten können.«
Der Dahar-Meister dachte darüber nach und nickte dann ruckartig auf typisch klingonische Art. »Das wird den Hohen Rat zufriedenstellen, solange keine weiteren Vertreter auftauchen wie dieser Garg-Kadaver, den Sie uns zur Entsorgung überstellt haben. Wenn wir wieder auf der Heimatwelt sind, werde ich meine Stasiskammer dekontaminieren lassen müssen, nur um seinen Gestank zu entfernen.«
In diesem Augenblick fiel Worf mit einem lauten Scheppern seiner Rüstung ohnmächtig zu Boden. Sisko fluchte und hastete zu ihm, damit er nicht auch noch über das Deck rollte.
»Wir müssen ihn zur Behandlung zurück auf die Defiant beamen«, teilte er Kor mit. »Und ich muss O'Brien befehlen, nicht in den Kometensturm zu fliegen. Akzeptieren Sie unsere Suv'batlh-Bedingungen? Ist Armageddon ab jetzt ein gemeinsames Protektorat der Klingonen und der Föderation?«
»Nein.« Kor grinste verschlagen, als er Odos überraschten Blick sah. »Aber Cha'Xirrac ist es.«
Sisko sah den alten Klingonen entnervt an. Langsam wurde ihm klar, warum Kor und Curzon Dax so gut miteinander ausgekommen waren. »Dann ist meine erste Bitte als Mitbeschützer von Cha'Xirrac, dass Sie uns zurück an Bord der Defiant beamen. Wir werden auf gegenüberliegenden Seiten des Planeten Wache schieben – wer die Cardassianer als erster dabei erwischt, wie sie sich nach dem Kometenschauer auf den Planeten beamen, darf sie stellen. Einverstanden?«
»Einverstanden.« Kor sah auf den Bildschirm, der nun nicht mehr von frostigem Glitzern überzogen war, da sie den von den Cardassianern eingesammelten Kometenschwarm mittlerweile verlassen hatten. In der staubverhangenen Atmosphäre des Planeten leuchtete ein schwaches Licht auf, die harmlose Explosion eines Kometen in der oberen Atmosphäre. Nichtsdestotrotz zog Siskos Magen sich vor Schreck zusammen, als er diesen Vorgeschmack auf das bevorstehende Inferno sah. »Falls es dann noch einen Planeten gibt, auf den sie sich beamen können.«
»Und das haben Sie wirklich für eine gute Idee gehalten? Nicht zu fassen.«
Kira bückte sich so tief, wie sie es ihrem schmerzenden Rücken zumuten konnte, und tat so, als wären die Protestschreie ihrer Oberschenkel, Knie und Fußgelenke nicht laut genug, um jedes in letzter Zeit auf Armageddon getötete Lebewesen aufzuwecken. »Eins müssen Sie zugeben«, schnaufte sie, als sie Dax' Arme ergriff und mit aller Kraft daran zog. »Es verschafft uns gewisse Vorteile.«
Sie fielen übereinander auf das versengte Laubdach des tuq'mor. Dax betrachtete mit gerunzelter Stirn die Klingonen, denen es noch immer nicht gelungen war, an dem dichten Gebüsch emporzuklettern. Sie löste sich von Kira und rollte ungeschickt auf den Rücken. »Hoffentlich reichen diese Vorteile aus.«
Wenn nicht, waren sie auch in keiner schlechteren Lage als auf dem Boden. Von ein paar Sturzverletzungen vielleicht abgesehen. Wenigstens ruderten sie und Dax nicht wild mit den Armen und schlichen auch nicht vorsichtig gebeugt über das tuq'mor. Sie sah, wie die beiden Sekundanten Rekans zweimal in die verkohlte Oberfläche einbrachen, als sie die traditionelle Dreiecksstellung des Suv'batlh einnahmen. Falls es Dax und K'Taran gelang, ihre Gegner auf vom Feuer geschwächte Bereiche zu locken, konnten sie darauf hoffen, den Halt nicht zu verlieren, während die schwereren Klingonen einbrachen. Doch Kira hatte das Gefühl, dass Epetai Vrag um einiges schwieriger loszuwerden sein würde als ihre nicht ganz so motivierten Mitstreiter. Ehe sie herunterfiel, würde sie sich mit den Zähnen in Kiras Kehle verbeißen.
Aus irgendeinem Grund sah die Matriarchin größer aus, als sie mit erhobenem Haupt stolz, wenn nicht sogar entspannt auf dem tuq'mor stand. Kaum war die Herausforderung ausgesprochen, als sie den Rhodiumkamm herausgezogen hatte, der ihr Haar oben hielt. Die schneeweißen Locken, die sich über ihren Rücken ergossen, leuchteten auffallend hell in der aschfahlen Umgebung. Eine wilde Mähne eiskalten Feuers. Als sie den Kamm nun wieder in das Haar steckte, fand Kira, dass er wie eine schmale, silberne Tiara aussah, die ihren Hinterkopf einrahmte – eine passende Ergänzung ihrer exotischen Schönheit.
Kira stellte sich mit der vorgeschriebenen Entfernung von drei Schritten vor der Epetai auf und hob resolut die müden Schultern. »Das tuq'mor ist das Schlachtfeld«, verkündigte sie so laut, dass es auch die Klingonen hören konnten, die sich nun am Boden versammelten. »Wer vom tuq'mor hinunterfällt, hat die Schlacht verlassen und somit verloren. Einverstanden?«
Rekan nickte ruckartig. »Einverstanden. Qapla'!«
Kira hatte mit einer etwas formelleren Eröffnung des Kampfes gerechnet, obwohl ihr nun klar war, wie naiv das gewesen war. Klingonen waren in erster Linie eins: direkt. Rekan stürzte sich wie eine Felsenkatze auf Kira, so dass beide unter dem größeren Körpergewicht der Klingonin auf das tuq'mor stürzten. Zweige zerbrachen und bohrten sich wie gebrochene Rippen in Kiras Rücken, bevor sie nachgaben und Kira gut dreißig Zentimeter tief ins Unterholz absackte. Rekan drückte von oben gegen sie und hatte die Hand unter Kiras Kiefer verklemmt.
»Wäre dies ein echtes Suv'batlh«, fauchte sie, »wären Sie jetzt tot, und ich die Siegerin. Geben Sie auf!«
Kira atmete unter Schmerzen ein und fand im tuq'mor über ihrem Kopf Halt für die Arme. »Krieger geben niemals auf!«, rief sie und trat mit beiden Füßen zu, bevor Rekan etwas erwidern konnte.
Zweige zersplitterten überall und schlossen sich mit einer Elastizität, die im krassen Widerspruch zu ihrer Sprödigkeit standen, um Kiras schlanken Körper. Rekan verfing sich in der oberen Schicht, als ihr Oberkörper sich schlagartig nach unten neigte, und Kira verhedderte mit beiden Händen absichtlich weiße Haarsträhnen im Dornengestrüpp, bevor sie sich seitlich außer Reichweite der alten Klingonin zog.
Es fühlte sich so an, als kröche sie auf dem Rücken durch einen eingestürzten Wartungsschacht. Dicke Stränge aus Ranken versperrten ihr den Weg, und die dürren Finger des Gestrüpps zerrten an ihrer Uniform und hackten nach ihren Augen. Als sie endlich eine Öffnung zur Oberfläche gefunden hatte, schoss sie wie eine Eisschwimmerin nach oben, die endlich einen Durchbruch zur Luft gefunden hatte. Das Laubdach des tuq'mor schien ihr plötzlich keine so sichere Spielwiese mehr zu sein. Mit jedem Schritt schoss ihr mehr Adrenalin ins Blut, ebenso bei jedem kleinen Geräusch, das auf nachgebendes Holz hindeutete. Sie streckte in dem verzweifelten Bestreben, das Gleichgewicht zu halten, beide Arme aus und versicherte ihrer Furcht, dass das Laufen auf dem knarrenden Buschwerk sich nicht sonderlich vom Besteigen eines Gerüsts oder eines Baums unterschied. Das trockene Gefühl in ihrer Kehle ließ darauf schließen, dass ihre Furcht sie nicht besonders überzeugend fand.
Halb hüpfte Kira, halb stolperte sie im Kreis, als sie herausfinden wollte, wie es um den Kampf bestellt war. Rekan war verschwunden und hatte nur ein paar ausgerissene Strähnen ihres weißen Haars zurückgelassen, die im heißen Wind wehten. Fauchen und schweres Atmen rechts hinter ihr halfen Kira, K'Taran zu finden. Die junge Klingonin kämpfte mit einem fast dreimal so alten Mann in der Nähe der Überreste einer großen Baumhütte. Sie wird verlieren, wurde Kira schlagartig klar. Es war ein Wunder, dass sie überhaupt bis jetzt durchgehalten hatte. K'Taran befreite sich aus dem Griff des Erwachsenen, sprang fast auf seine Schulterhöhe und kletterte auf den ausgebrannten Baumstumpf, um von dort hinabzuspringen. Ihre Landung war wenig elegant, verschaffte ihr aber Abstand zu dem großen Klingonen. Dieser schlich wie ein betrunkenes Mugato keuchend und fluchend über das Laubdach. So wird's gemacht, dachte Kira. Wenn man sie nicht besiegen kann, muss man sie ermüden.
Sie nahm sich dieses Beispiel zum Vorbild und entfernte sich etwas weiter von der Stelle, an der sie Rekan zurückgelassen hatte. Dann suchte sie das düstere Schlachtfeld nach den restlichen Kämpfern des Suv'batlh ab und entdeckte dabei beunruhigend wenige Umrisse vor dem brennenden Himmel. »Dax?«
»Hier unten!«, schwebte die Stimme der Trill aus der Tiefe empor. Sie klang entschieden verärgert und unglaublich weit entfernt. »Ich bin in Ordnung! K'Daq ist mit mir gestürzt, also sind wir beide disqualifiziert.«
Kira bückte sich so tief hinab, wie sie es wagte, und starrte zwischen ihren Füßen hindurch auf Schatten, die sich in den Schatten bewegten. »Sind Sie ganz bestimmt in Ordnung?«
»Nur mein Stolz ist verletzt. Passen Sie auf sich auf!«
Guter Rat. Wäre er doch bloß ein bisschen früher gekommen.
Eine schwarze Hand schoss so schnell und brutal wie eine Spinne aus dem tuq'mor hervor. Kira legte den Rückwärtsgang ein und riss die Knie hoch, um ihre Füße außer Reichweite zu bringen, war aber nicht schnell genug. Rekans kräftige Finger schlossen sich um einen Knöchel der Bajoranerin, und noch bevor die Epetai das Bein nach unten zerrte, wusste Kira, dass ihr nicht mehr viele Möglichkeiten offenstanden. Nun gab es kein Entrinnen mehr.
Kira fiel rücklings auf das Laubdach des tuq'mor. Ihre Schultern fingen den Großteil des Aufpralls ab, dicht gefolgt vom Hinterkopf. Sie spürte das tuq'mor unter sich ächzen und beben wie eine Wiese, über die ein peitschender Wind fegte, und dachte: So hart bin ich doch nicht aufgeschlagen? Bin ich wirklich so hart aufgeschlagen? Dann hörte sie den Donner und begriff, dass diese durch Mark und Bein gehenden Erschütterungen nicht von ihrem Sturz auf das tuq'mor herrührten. Sie kämpfte sich mühsam auf alle viere.
Zuerst versperrte Rekans Oberkörper ihr den Blick auf die Lichtung und die darauf stehenden klingonischen Zuschauer. Die Epetai hatte sich wieder halbwegs zurück an die Oberfläche gehievt. Die Kratzer in ihrem Gesicht und das leuchtende Blut in ihrem Haar unterstrichen ihre furchterregende Wildheit. Sie sah die Bajoranerin mit unverhohlenem Hass an, und in diesem Augenblick wusste der Major, dass dieser Kampf nicht zwischen Epetai Vrag und Kira Nerys ausgetragen wurde, sondern zwischen dem, was früher einmal war, und dem, was nie wieder sein würde.
»Hören Sie«, sagte Kira lediglich.
Erschütterungen fuhren wie zornige Faustschläge durch den Busch. Asche von der Farbe zermahlener Knochen stieg wie Rauch aus dem tuq'mor auf. Kira musste sich an sämtlichen Zweigen in ihrer Reichweite festhalten, um nicht zu Boden geschüttelt zu werden. Rekan kniete einfach mit erhobenem Haupt und ausdruckslosem Gesicht nieder, wo sie gerade stand. Sie erinnerte Kira an eine der toten Göttinnen der Klingonen. Selbst verwundet und auf den Knien strahlte sie immer noch eine atemberaubende Würde und Anmut aus.
Auch die anderen Klingonen gerieten nicht in Panik. Kira kam der Gedanke, dass dieses Volk vielleicht gar keine Panik verspüren konnte, dass die Gene, die Angst zuließen, vielleicht schon vor Urzeiten aus ihrer Rasse von Kriegern, die derlei Schwäche nicht tolerierten, ausgemerzt worden waren. Als K'Tarans Banchory einen gedehnten Warnschrei stöhnte, gingen ihm sogar die jüngsten Kinder einfach nur ruhig aus dem Weg. Dann brachen berittene Banchory auf die Lichtung, und das Brüllen dieser tapsigen Neuankömmlinge übertönte die überraschten Schreie der Klingonen fast vollständig.
Rußverschmierte Primaten drängten sich auf den Rücken der großen Dickhäuter. Es waren die kleinen Maki-Äffchen, die von Anfang an um das Lager herumgespukt waren. Einer von ihnen krabbelte über den gepanzerten Schädel des Banchory und hockte sich auf die breite Schnauze des Ungetüms. Die Bewegungen seiner Hände schienen Kira eindeutig ›Kommt her!‹ zu sagen. Eins der am Fuß des tuq'mor versammelten Kinder schien das genauso zu sehen. Der Junge ging einen einzigen Schritt nach vorn, bevor eine Erwachsene ihn zurückhielt. »Die Epetai sagt, dass wir bleiben müssen«, sagte sie nur.
Die hilflose Loyalität in dieser Familie jagte Kira einen kalten Schauer über den Rücken. Einige von ihnen – die meisten noch recht jung, obwohl einige alt genug waren, um die Eltern von K'Taran und ihren rebellischen Jugendlichen zu sein – richteten die Blicke auf Rekan. In ihren Augen lag kein Vorwurf, kein Flehen. Es war, als träfen sie alle lediglich eine Feststellung, während die Epetai für das stand, was sie sowieso alle längst akzeptiert hatten.
Pflichterfüllung, dachte Kira. Ehre. Das bedeutete ihnen so viel, dass sie alles andere dafür bereitwillig aufgeben.
Rekan ließ sich langsam auf die Fersen sinken und sah auf ihre Kinder und deren Kinder hinab. »Muss Ehre immer so grausam sein?«, fragte sie leise. Kira wusste, dass sie eigentlich nicht mit ihr sprach, wenn auch sonst niemand in Hörweite war. »Ich weiß in meinem Herzen, was die Ehre von uns verlangt … doch jetzt, im Angesicht der letzten Augenblicke … will ich meine Kinder nicht sterben sehen …«
Kira starrte auf ihre Hände und wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie spürte, dass es ohnehin eine rhetorische Frage gewesen war.
»Ich will nicht, dass Liebe und Ehre immer auf getrennten Wegen gehen.« Die Epetai richtete sich auf, und ihre Stimme war deutlich über dem Dröhnen der explodierenden Kometen und der unruhigen Banchory zu hören. »Geht. Nehmt die Kinder mit – sie sind die Zukunft des Hauses. Bringt euch in Sicherheit, bis der Himmel nicht mehr brennt.« Als niemand sich bewegte, sprach sie sanfter weiter. »Die Ehre schreibt nur vor, dass wir für immer auf Cha'Xirrac bleiben. Nicht, dass wir sterben müssen.«
Als die erste Erwachsene ein Kind in die wartenden Arme eines der Primaten drückte, wandte sie sich an Kira. »Das Suv'batlh ist beendet«, teilte sie ihr fast unhörbar leise mit. »Gehen Sie.«
Als Rekan sich wieder umdrehte, berührte Kira ihren Arm. »Sie sollten uns begleiten.«
Rekan starrte unbeweglich auf den brennenden Horizont.
»Sie können sie jetzt nicht im Stich lassen«, sagte Kira. »Wenn der Kometenschauer vorbei ist, wird Ihr Haus Sie brauchen.«
Die Klingonin schüttelte den Kopf, und ein geisterhaftes Lächeln huschte über ihre Augen, ohne ihre restlichen Gesichtszüge zu berühren. »Dieses Haus gehört nun zu Cha'Xirrac. Es wird auch eine Epetai von Cha'Xirrac brauchen.« Sie verstummte eine Zeitlang und beobachtete K'Taran, die mit ihrem Gegner aus dem Suv'batlh zusammenarbeitete und Kinder auf die Rücken der Banchory packte. Dann sah sie Kira aus dem Augenwinkel an und lächelte mit offenbar ehrlicher Zuneigung. »Wie Sie mich ansehen! Es ist keine Schande, wenn man zugibt, dass seine Dienste nicht mehr benötigt werden.« Sie deutete ein letztes Mal auf die anderen und erhob sich. »Ich gehe zufrieden mit meiner Ehre nach Sto-Vo-Kor«, versicherte sie Kira. »Heben Sie sich Ihr Mitleid für die Überlebenden auf.«