Kapitel 12

 

Armageddon war seinem Namen auf schreckliche Weise gerecht geworden.

Der Kometenschauer hatte mit den rauchverhangenen Leuchtfeuern von Explosionen in Bodennähe begonnen. Innerhalb von zehn Minuten hatte sich die Atmosphäre überall verdunkelt, wodurch sie im unbeteiligten, safrangelben Sonnenlicht seltsam trüb aussah. Sisko saß in seinem Kommandosessel und begriff, dass er den Einbruch der Kometennacht beobachtete, eine vom Staub verursachte Dunkelheit, die Tage, wenn nicht gar Wochen andauern konnte.

»Das erste große Bruchstück tritt nun in die Atmosphäre ein.« Fähnrich Farabaugh trug eine ordentliche Bandage um die Stirn und sah Sisko mit klarem Blick an. »Einschlag in zwei Minuten.«

»Wird die Explosion in der Atmosphäre stattfinden?«, fragte Odo. »Wie bei den anderen, nur heftiger?«

»Das glaube ich nicht«, sagte der junge Wissenschaftsoffizier. »Es sieht so aus, als sei dieser hier tatsächlich so groß und stabil, dass er die Oberfläche erreichen wird. In dem Fall wird er einen ein bis zwei Kilometer tiefen Krater erzeugen.«

»Soviel zur Sicherheit der Höhle.« O'Brien bemerkte Siskos gereizten Blick und zuckte mit den Schultern. »Optimismus ist etwas für befehlshabende Offiziere, Captain. Ingenieure bevorzugen Pessimismus, weil man damit das Leben der Besatzung nicht aufs Spiel setzt, sondern rettet. Sind Sie sicher, dass wir das Außenteam nicht einfach hochbeamen können? Wir haben seit zehn Minuten ihre Kommunikatoren im Visier, und sie haben sich kaum von der Stelle gerührt.«

»Nicht, solange die Cardassianer noch auf unserer Seite des Planeten sind«, sagte Sisko. »Chief, wenn Sie unbedingt pessimistisch sein wollen, könnten Sie Farabaugh die Koordinaten der Kommunikatoren geben. Dann kann er uns warnen, wenn ihnen ein Einschlag zu nahe kommt.«

»Gute Idee.« Der Chefingenieur beugte sich über seine Konsole und verpasste damit knapp den gewaltigen, stahlblauen Lichtblitz, der über der oberen Hälfte des riesigen östlichen Ozeans Armageddons aufleuchtete. Eine gigantische Feuersäule erhob sich langsam darüber, deren gezackte Aschewolken so hoch in die Stratosphäre aufstiegen, dass ihre obersten Bereiche der Schwerkraft des Planeten gänzlich entkamen und in den Weltraum abdrifteten. Alle auf der Brücke keuchten entsetzt auf, was O'Brien dazu brachte, sich so hektisch wieder nach dem Sichtschirm umzudrehen, dass er sich beinahe den Kopf an der Konsole gestoßen hätte. »Allmächtiger! Ist das irgendwo in der Nähe des Außenteams?«

»Der Einschlag nicht«, versicherte Farabaugh ihm. »Und ich glaube nicht, dass der Tsunami so weit ins Inland …«

»Der Tsunami?«, fragte Fähnrich Frisinger, der Ersatzpilot. Seit Beginn des Kometenschauers hatte er den faszinierten Blick noch kein einziges Mal vom Hauptmonitor genommen. Sisko hoffte, dass er seine Instrumente auch blind bedienen konnte. »Was ist das denn?«

»Die Druckwelle im Ozean, die vom Einschlag erzeugt wird«, erklärte Osgood. »Explosionen in höheren atmosphärischen Schichten erzeugen sie in der Regel nicht, da sie statt Wasser Luft verdrängen.«

Farabaugh gab ein paar schnelle Berechnungen in seinen Computer ein. »Die größte Flutwelle wird wohl in etwa drei Stunden die Küste erreichen. Rückströmung und kleinere Wellen werden wahrscheinlich bis morgen Abend anhalten.«

»Hoffentlich wissen die Cardassianer das nicht«, sagte Sisko und verzog das Gesicht. »Ich habe keine Lust, so lange auf die Konfrontation mit ihnen zu warten.«

Das Dauerfeuer von Explosionen in der oberen Atmosphäre schwoll zu einem fast kontinuierlichen Dröhnen an, als hätte der Einschlag im Ozean eine Art Schleuse geöffnet, durch die nun der ganze Rest des Schwarms strömte. Die wachsende Aschekonzentration in der Luft ließ jede Explosion in einem dunkleren Schwarzrot aufleuchten, wie Rosen, die in einer himmlischen Flamme verbrannten. Von der Brücke der Defiant aus konnte man nur schwer nachvollziehen, dass dieses Feuerwerk eine planetenweite Verwüstung anrichtete.

»Empfangen Sie das Signal des Außenteams noch, Chief?« Sisko konnte diese Frage nicht mehr zurückhalten. Ein zweiter Einschlag war sichtbar geworden, diesmal auf dem dunklen Fleck, von dem er annahm, dass sich dahinter der Hauptkontinent verbarg. Diese Pilzwolke aus Trümmern stieg sogar noch höher auf als die letzte, so dass ein Glühwürmchenschwarm von Nordlichtern aufflackerte, als der Staub den magnetischen Pol des Planeten überquerte.

»Mal ja, mal nein, es ist von der elektromagnetischen Aktivität abhängig. Wenigstens scheint es nicht schwächer zu werden.« O'Brien schaute zurück. »Es fliegen doch keine größeren Kometen auf die Höhlen zu, Fähnrich?«

»Nein, Sir.« Farabaugh sah Sisko an. Sein blasses, schweißnasses Gesicht widersprach seiner Behauptung, vollkommen genesen zu sein. »Genaugenommen kommen gar keine großen Brocken mehr. Der ganze Schauer lässt langsam nach. In zehn Minuten müsste auf Armageddon wieder alles ruhig sein.«

Sisko richtete sich auf, und sein Puls beschleunigte sich. »Suchen Sie nach dem cardassianischen Schiff. Maximale Auflösung.«

»Ich habe es.« Thorntons Hand flitzte über die Konsole des Wissenschaftsoffiziers und justierte die Empfindlichkeit der Sensoren genauer. Sisko stellte fest, dass es durchaus sinnvoll sein konnte, einen Ingenieur an seine eigenen Geräte zu lassen. »Das Bild kommt sofort, Sir. Es ist die Olxinder, da gibt es gar keinen Zweifel.«

»Das sehe ich.« Der scharfkantige Umriss des cardassianischen Kriegsschiffs stieg gerade über den Horizont Armageddons, womit sie sich aus Kors Zuständigkeitsbereich in den der Defiant begab. Sisko hätte sämtliche antiken Bälle seiner Baseball-Sammlung darauf verwettet, dass der Klingone ihnen folgte, wahrscheinlich sogar in nicht allzu diskretem Abstand. »Informieren Sie mich, sobald Sie feststellen, dass sie ein Shuttle starten, sich auf die Oberfläche beamen oder …«

»Oder den Planeten mit ihren Scannern abtasten?« Thornton sah Sisko mit einem unerwarteten Lächeln an. »Das tun sie gerade, Captain. Sie scheinen mit ihren Sensoren nach eingeborenen Lebensformen zu suchen.«

»Können ihre Instrumente bis in die Höhlen vordringen?«, wollte Odo wissen. »Die Cardassianer könnten die ganze Sache fallen lassen, wenn sie Hinweise auf überlebende Klingonen finden, ganz zu schweigen von Menschen, Trills und Bajoranern.«

Der junge Techniker schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht mal, dass sie mit ihren Instrumenten die verbliebene elektromagnetische Strahlung durchdringen können. Sie werden runter auf die Oberfläche müssen.«

»Und zwar in einem Shuttle, wenn sie wissen, was gut für sie ist.« O'Brien fuhr erst fort, als er Odos fragenden Gesichtsausdruck sah. »Ich würde mich nie trauen, durch diesen elektromagnetischen Schlamassel zu beamen.«

»Dann bereiten Sie bitte einen Traktorstrahl vor, Chief«, brummte Sisko. »Frisinger, sorgen Sie dafür, dass wir stets in Reichweite des Strahls bleiben. Aber stoßen Sie dabei nicht mit Kor zusammen.«

»Jawohl, Sir.«

»… an Defiant.« Das statische Knistern aus den Lautsprechern des Kommandosessels konnte das Beben in Dax' Stimme nicht verbergen, genauso wenig wie ihre wissenschaftliche Begeisterung. »Dax an Defiant. Können Sie …«

»Ich arbeite daran«, sagte O'Brien und nahm damit Siskos unausgesprochenen Befehl vorweg. »Signalverstärkung kommt sofort.«

»Stellen Sie die Verbindung auf einem sicheren Kanal zu Kor durch«, sagte Sisko leise. »Er wird wissen wollen, dass Dax noch am Leben ist.«

»Dax an Sisko. Können Sie uns schon empfangen, Benjamin?«

»Hier Sisko. Wie ist es um Sie bestellt?«

»Vollkommen sicher, Captain.« Das war Kira, die zwar erschöpft, doch so kompetent wie immer klang. »Sämtliche klingonischen Flüchtlinge sind bei guter Gesundheit, genau wie alle einunddreißig Überlebenden von der Victoria Adams. Es ist uns gelungen, auch eine überraschend große Menge der Eingeborenen zu retten, sogar die großen Dickhäuter. Sie scheinen einen Instinkt zu haben …«

»Bei manchen ist es mehr als Instinkt.« Sisko runzelte neugierig die Stirn. Er wusste, dass Dax niemanden so unhöflich unterbrechen würde, ginge es nicht um eine bahnbrechende wissenschaftliche Entdeckung. »Benjamin, einige der Eingeborenen sind vernunftbegabt!«

»Nicht nur das«, behauptete eine Stimme, die Sisko schon zu lange nicht mehr gehört hatte. Der erschöpfte britische Akzent mit der präzisen Wortwahl löste einen verspannten Knoten in ihm, dessen er sich überhaupt nicht bewusst gewesen war. »Die Xirri sind eine Klasse-Zwei-Zivilisation, Captain: mündliche Geschichtsüberlieferung, Medizin, Langstrecken-Funkübertragung …«

»Die Eingeborenen haben Technologie?« Sisko tauschte mit Odo und O'Brien erstaunte Blicke aus. Wenn die Klingonen wissentlich die Erste Direktive verletzt hatten, als sie diesen Planeten als Verbannungsort ausgewählt hatten, würde es ungleich schwerer werden, die Föderation davon zu überzeugen, dass sie nun Anspruch auf die Hälfte davon hatten.

»Die Fähigkeit der Xirri, mit Funkwellen zu kommunizieren, ist nicht technologischer Natur, Benjamin.« Diese Tatsache schien Dax gleichermaßen zu verblüffen und zu begeistern. »Es handelt sich um eine biologische Anpassung an isolierte Fortpflanzung und die Belastung durch die Kometeneinschläge. Soweit wir wissen, haben alle eingeborenen Wirbeltiere die Veranlagung dazu, aber …«

Sisko bemerkte, dass Thornton ihn eindringlich ansah, und unterbrach rücksichtslos die Ausführungen seines Wissenschaftsoffiziers. »Sie können mir die Einzelheiten später erklären, alter Knabe. Ein cardassianischer Gul hat seine Hände da, wo sie nicht hingehören, und ich muss ihm auf die Finger klopfen.«

»Verstanden.« Hinter Kira konnte man ein unterdrücktes Brummen hören, als wäre jemand auf den Fuß getreten worden. »Außenteam Ende.«

»Ich empfange eine Spannungserhöhung in den Schaltkreisen an der Shuttleschleuse der Cardassianer«, teilte Thornton dem Captain mit, noch bevor das statische Knistern auf der Brücke verklungen war. »Sie werden wohl gleich eine Expedition auf den Planeten schicken.«

»Schutzschilde auf volle Kraft, Tarnvorrichtung auf bevorstehende Deaktivierung vorbereiten«, befahl Sisko. »Greifen Sie mit dem Traktorstrahl aber erst zu, sobald das Shuttle einen Kilometer von der Schleuse entfernt ist.«

»Die entsprechenden Koordinaten sind eingegeben«, bestätigte O'Brien. »Traktorstrahl bereit.«

»Schleusentür öffnet sich«, sagte Thornton. Die Olxinder drehte sich langsam auf ihrer Umlaufbahn um den ascheschwarzen Planeten, bis der Shuttlehangar an ihrer Unterseite in brillanter Klarheit zu sehen war. »Shuttle ist startbereit.«

»Alarmstufe Rot. Quantentorpedos entsichern und abschussbereit machen.« Sisko rechnete eigentlich nicht damit, dass Hidret ihm allzu großen Widerstand leistete, doch man wusste nie, wozu eine in die Enge getriebene Ratte fähig war. Es wäre dumm gewesen, nicht auf alles vorbereitet zu sein. »Position des Shuttles, Mr. Thornton?«

»Vierhundert Meter bei wachsender Beschleunigung. Sechshundert, achthundert …«

»Tarnung fallen lassen und Traktorstrahl aktivieren«, rief Sisko in Erwartung der Tausend-Meter-Marke. O'Brien musste ebenso einsatzbereit gewesen sein: Der Traktorstrahl schoss schon hervor, bevor Sisko seinen Befehl beendet hatte, und durchdrang den silbrigen Kometendunst, um das cardassianische Shuttle zu packen. Ein unerwarteter Ruck erschütterte die Defiant. Sisko sah O'Brien fragend an, der seine Instrumente anknurrte.

»Wenn ihr sie ebenfalls festhalten müsst, obwohl wir zuerst da waren, passt die Stärke eures Strahls wenigstens unserem an … verdammte, arrogante Klingonen!«

Sisko sah überrascht auf den Monitor. Jetzt, da O'Brien es erwähnt hatte, bemerkte auch er das Flimmern eines zweiten Traktorstrahls, der sich über dem Horizont des Planeten brach. Im nächsten Augenblick tauchte über der grauen Atmosphäre der Umriss des ungetarnten klingonischen Schiffes auf, das sich von seinem Traktorstrahl ziehen ließ.

»Rufen Sie die Cardassianer auf einem offenen Kanal.« Siskos Mundwinkel bogen sich verschlagen nach oben. »Und bereiten Sie alles für eine Dreierkonferenz vor, Mr. Thornton.«

»Jawohl, Sir.«

Armageddons versengtes Abbild machte zwei zornigen, faltigen Gesichtern Platz. Doch Kors Gesicht drückte militärischen Eifer aus, während Gul Hidret eindeutig von Schock und Unschlüssigkeit gezeichnet war.

»Ist das eine Kriegserklärung, Sisko?«, fragte er. Dabei sollte es sich wohl um eine präventive Verteidigung handeln. »Arbeiten Sie jetzt doch mit diesen klingonischen Grobianen zusammen?«

»Ja, das tue ich.« Sisko gönnte sich ein frostiges Lächeln. »Ich bin rechtlich dazu gezwungen, Gul Hidret, da dieser Planet nun ein gemeinsames Protektorat der Föderation und des Klingonischen Imperiums ist.«

»Was?« Das zornige Gesicht des Cardassianers verlor zusehends an Contenance. »Wann wurde dieser Vertrag unterzeichnet?«

»Vor einer Stunde, mit klingonischem und menschlichem Blut«, erwiderte Kor. »Jetzt fehlt der Vollständigkeit halber nur noch ein bisschen cardassianisches.«

»Unfug!« Hidret schien an seiner eigenen Ungläubigkeit zu ersticken. »Sie wollen mich mit solchen abwegigen, weit hergeholten Behauptungen nur hereinlegen!«

»Ich muss zugeben, dass Sie es waren, der diese Allianz als erster vorgeschlagen hat«, sagte Sisko durchtrieben. »Und je länger ich darüber nachdachte, desto besser gefiel mir die Idee.«

Hidret schüttelte den Kopf. »Sie lassen es zu, dass dieser Starfleet-Offizier sich in die Angelegenheiten Ihrer entehrten Verbannten einmischt, Kor?«

»Nein«, sagte der Dahar-Meister finster. »Wir werden dafür sorgen, dass meine entehrten Verbannten den vernunftbegabten Eingeborenen nicht mehr schaden, deren Zivilisation wir soeben entdeckt haben. Natürlich können sie auf keinen Fall ökologische Schäden angerichtet haben, die an die herankommen, die Sie gerade vor unseren Augen verursacht haben.«

»Was?« Gul Hidret sah aus wie ein Mann, dessen furchtbarste Albträume soeben zu schrecklichem Leben erwacht waren. »Sie lügen! Es gibt gar keine vernunftbegabten Lebewesen auf diesem Planeten …«

»Und woher wollen Sie das wissen, Gul, wenn Sie noch nie im Leben auf Cha'Xirrac waren?«, fragte Sisko mit samtweicher Stimme.

»Das … Das hat das medizinische Team berichtet, das in dieser Region nach einem Heilmittel für das Ptarvo-Fieber gesucht hat.«

Kor zog verächtlich die Nase hoch. »Wenn Sie jemals eine Heilung für jugendliche Lüsternheit gesucht haben – was ich stark zu bezweifeln wage –, haben Sie sie hier ganz bestimmt nicht gefunden.«

»Hier haben Sie nur eins gefunden«, fuhr Sisko fort. »Eine billige und einfache Drevlocet-Quelle. Stimmt das etwa nicht, Gul Hidret?«

»Drevlocet, das das cardassianische Zentralkommando so modifizieren möchte, dass es gegen Klingonen eingesetzt werden kann«, vollendete Kor die Anschuldigung. »Stimmt das etwa nicht, Gul Hidret?«

Der alte Cardassianer verzog das Gesicht, wodurch die Furchen in seinem Gesicht tiefer und dunkler wurden. »Ich weigere mich, zu derlei Beschuldigungen an diesem … diesem unangemessenen Ort Stellung zu nehmen! Ich kam hierher, um auf einen willkürlichen Angriff auf das cardassianische Volk zu reagieren, nur um festzustellen, dass es eine Falle war!«

Sisko erlaubte sich einen finsteren Blick. »Unsere Diplomaten können sich darüber einigen, wer in diesem System die Fallen gestellt hat, Gul Hidret. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass der Planet unter uns nun ein souveräner Staat ist, in dessen ökologisches Gleichgewicht und innere Angelegenheiten sich keine fremde Macht einmischen darf.«

»Aber da bin ich doch der erste, der Ihnen zustimmt«, behauptete der alte Cardassianer nachdrücklich. »Und sobald sie das Shuttle mit dem Sanitätspersonal freigeben, werde ich mich von Ihnen verabschieden.«

»Gut«, sagte Kor. »Ich sage Ihnen das ja nicht gern, alter Feind, aber Ihr Schiff scheint eine unglückselige Anziehungskraft auf Kometen auszuüben. Es wäre doch eine Schande, wenn einer davon tatsächlich Ihre Schilde durchbrechen und ein Leck in ihren Rumpf schlagen würde.« Auf sein Grinsen wäre ein Krokodil neidisch gewesen. »Und je länger Sie hierbleiben, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass genau das passiert. Würden Sie dem nicht zustimmen, Captain Sisko?«

»Ganz bestimmt.«

Gul Hidret schlug auf die Bedienung seines Kommunikationssystems und beendete die Verbindung ohne ein weiteres Wort. Kor brach sofort in schallendes Gelächter aus.

»Dieser alte Targ wird von hier bis Cardassia um jedes Staubkorn einen Bogen machen, weil er denkt, dass ein Photonentorpedo darin versteckt ist«, frotzelte er. »Vielleicht sollte ich ihm folgen und wirklich einen verstecken, nur um ihn von seinem Leiden zu erlösen.«

»Meinetwegen.« Sisko gab Thornton und O'Brien das Zeichen zur Trennung der Verbindung. Auf dem Schirm der Defiant erschien gerade rechtzeitig wieder das Bild der von Kometen umgebenen Raumschiffe, um das Verschwinden des Traktorstrahls zu bestätigen. Kurz darauf löste sich auch der blassere Strahl der Klingonen auf, und das cardassianische Shuttle schoss so hastig zum Mutterschiff zurück wie ein Fisch, der sich in einem Korallenriff versteckte. Schon bald leuchteten die Warpgondeln des Kriegsschiffs auf, und es verschwand. Die Nähe zu dem Sprung auf Lichtgeschwindigkeit erschütterte die beiden anderen Schiffe. Kors Schiff kräuselte sich im selben Augenblick und wurde unsichtbar. Dann spürte Sisko die Vibrationen einer zweiten Welle von Ionenentladungen.

»Endlich allein«, sagte O'Brien seufzend.

»Nicht ganz.« Sisko hob den Blick zur Darstellung des verdunkelten Himmels Armageddons – nein, Cha'Xirracs – und sah den verbrannten, doch lebendigen Planeten unter dem Ascheschleier. »Wir müssen noch unsere neuen Freunde kennenlernen, Chief. Hoffentlich sind sie umgänglicher.«

»Als die Klingonen und Cardassianer?«, fragte Odo sarkastisch. »Captain, das würde Quark wohl als ohrensichere Sache bezeichnen.«

 

Als Kira aus dem Höhlensystem gekrochen war, hatte sie sich verbraucht, alt und so mitgenommen wie die Oberfläche Cha'Xirracs gefühlt. Sie hatte in Erwartung des grellen Tageslichts nach Stunden im Schoß der Dunkelheit die Augen halb geschlossen gelassen. Doch die Welt war in ein weiches Grau gehüllt, und die verhüllte Landschaft ließ sie an eine Zeit denken, die zwölf Jahre zurücklag.

Bevor die Föderation gekommen war, um Bajor zu schützen – also bevor die Cardassianer zum Schluss gekommen waren, dass der Planet bis auf die Knochen ausgeplündert und der Mühe nicht mehr wert war –, hatte Kira so eine Armageddon-Landschaft unter einem anderen Namen kennengelernt. Vierzig Tage und vierzig Nächte lang war die Provinz Rota mit jedem Sprengkopf beschossen worden, der den Cardassianern auf Bajor zur Verfügung stand. Keine atomaren – die Cardassianer waren viel zu geizig, um teure Massenvernichtung an bajoranische Schafe zu verschwenden, die keine Möglichkeit zu Widerstand oder Flucht hatten. Nur aufgrund vager Gerüchte, dass Salbhais Zelle der Widerstandsbewegung in den Häusern und Dörfern der wohlhabenden Provinz Zuflucht gefunden hatte, war Rota mit langsam wirkenden, konventionellen Waffen dem Erdboden gleichgemacht worden.

Sie hatten Salbhai und ihre Kämpfer erwischt, zusammen mit elftausend Bauern, Holzfällern und Peng-Hirten. Hinterher hatte es dort genauso ausgesehen wie nun auf Cha'Xirrac: Der Boden bis aufs Grundgestein weggefegt, Bäume wie Kinderspielzeug umgeknickt, Flüsse und Sümpfe voller Kadaver, Schlammlawinen und Trümmer. Man hatte sich nur schwer vorstellen können, dass in Rota je wieder etwas wachsen würde. Und wie sollte Cha'Xirrac nach dieser apokalyptischen Verwüstung wieder zum Leben erwachen?

Vom Dach des Shuttles aus war die Aussicht auch nicht besser geworden. Kira saß mit angezogenen Knien da und starrte auf einen weit entfernten Rauchvorhang, der einen Himmel verhüllte, der erst jetzt langsam die Farbe der natürlichen Morgendämmerung annahm. Keine Bäume ragten mehr über das Laubdach des tuq'mor hinaus. Keine Banchory brachen sanftmütig durch das Buschwerk. Nur Asche bewegte sich durch das noch stehende Gebüsch und trug den bitteren Geruch ferner Feuer mit sich.

»Suchen Sie jemanden?«

Sie sah hinab. Siskos plötzliches Auftauchen hatte sie erschreckt. »Eigentlich nicht.« Ihr gezwungenes Lächeln kam ihr nicht besonders überzeugend vor, und sein amüsierter Gesichtsausdruck bestätigte diesen Verdacht. Sie kroch seufzend zum vorderen Teil des kleinen Raumschiffs, um an seiner Nase hinabzurutschen. »Wie laufen die Verhandlungen?«

»Ausgezeichnet.« Der Captain trat umsichtig zur Seite, als sie auf den Boden sprang. »Genaugenommen scheint es nicht viel zu verhandeln zu geben. Die Xirri sind noch immer rückhaltlos bereit, Cha'Xirrac mit ihren klingonischen Freunden zu teilen, und die Klingonen können immer noch nirgendwo anders hin.« Sein kurzes Schulterzucken bedeutete vielleicht, dass er die Situation akzeptierte. Kira war sich da nicht ganz sicher. »Ich glaube, das Haus von Vrag ist erleichtert darüber, eine Aufgabe zu haben. So können sie sich eine andere Bezeichnung geben als ›Verbannte‹.«

Kira nickte und verdrängte den Gedanken, dass bestimmte Klingonen diesen Titel mit Stolz tragen würden. Sie sah wieder auf das verwundete tuq'mor hinaus. Wenn sie ihre Augen sehr anstrengte, konnte sie ein paar widerspenstige grüne Flecken in den Trümmern entdecken.

»Wir werden wohl mehrere Fährflüge mit den Leuten von der Victoria Adams machen müssen. Ich will das Shuttle nicht zu voll packen, aber auch nicht häufiger fliegen als unbedingt nötig. Unser Freund George teilt die Überlebenden in Transportgruppen ein, während die Klingonen mit Dax an den Bedingungen für eine wissenschaftliche Langzeitstudie arbeiten.«

Kira nickte leicht abwesend. »Er ist Ihr geheimer Würdenträger – der, der den Klingonen nicht in die Hände fallen durfte.« Als Sisko dies nicht abstritt, lächelte sie ihn erschöpft an. »Er heißt eigentlich auch nicht George, oder?«

Ihr Captain wechselte das Thema so reibungslos, als hätte sie es niemals aufgebracht. »Wie macht sich denn Dr. Bashir?«

»LeDonne sagt, dass er es überleben wird. Sie hat ihm ein Mittel gegeben, das ihn schlafen lässt, bis wir die Station erreicht haben.« Sie schaute unwillkürlich zum Shuttle zurück, obwohl sie nicht hineinsehen konnte. »Sie hat mit ihm zusammen Patienten behandelt, als er entführt wurde. Sie fühlt sich wohl schuldig, weil sie nicht früher erkannte, was geschah, und nichts dagegen unternahm.«

Sisko folgte ihrem Blick kurz, doch dann sah er Kira kritisch an. »Und was verursacht Ihre Schuldgefühle?«

Sie hatte auf diese Frage keine richtige Antwort parat. »Ich weiß nicht. Gar nichts.« Alles. Sie entfernte sich ein paar Schritte, hielt inne und ging dorthin zurück, wo sie vorher gestanden hatte. »Ich kann wohl einfach nicht begreifen, wozu diese klingonische Ehre gut sein soll«, stieß sie schließlich hervor. »Was nutzt es, die besten, edelsten Mitglieder ihrer Gesellschaft einfach zu … zu opfern! Warum kann es keinen Kompromiss zwischen vollkommener Ehre und dem Tod geben?«

»Weil die Vollkommenheit manchmal der Tod ist.« Sisko erwiderte ihren zornigen Blick mit einer Ruhe, die verdeutlichte, dass er sich nicht über ihr Dilemma lustig machte. »Curzon hat mir einmal gesagt, er würde nie vollständig begreifen können, was die Klingonen ›Ehre‹ nennen, selbst wenn er ein Dutzend Leben damit verbrächte, sie zu studieren. Auf die eine oder andere Weise lernen die Klingonen sicherlich auch noch jeden Tag und verändern ihre Vorstellungen. Das ist ein Teil dessen, was eine Kultur lebendig und anpassungsfähig macht. Aber es ist nicht einfach«, sagte er ernst. »Sie haben sich einen strengen Lehrer ausgesucht. Und uns steht die Entscheidung nicht zu, ob die Ergebnisse es wert sind.«

Föderationsrhetorik – Nichteingreifen, Respekt für fremde Kulturen. Was noch schlimmer war: Kiras Kopf glaubte an diese Rhetorik, auch wenn ihr Herz sich nach etwas Einfacherem, weniger Tragischem sehnte.

»Ich habe oft das Gefühl gehabt, dass Ehre unter Klingonen eher eine religiöse als eine gesellschaftliche Erscheinung ist«, fuhr Sisko fort, lehnte sich gegen das Shuttle und kreuzte die Arme. »Wie Schicksal bei den Menschen, av'adeh'dna bei den Vulkaniern und Pagh bei Ihrem Volk. Ehre ist für Klingonen nicht nur eine Liste von Regeln, an die man sich hält wie an ein Kochrezept. Sie formt sie, führt sie und bestimmt die Beschaffenheit ihrer Seele.« Er deutete auf den Kreis von Klingonen und Xirri, die am Höhleneingang saßen, und Kira wurde plötzlich von der Widersprüchlichkeit dieser Szene überwältigt. Welch wundervolles Potenzial lag in dieser Handvoll erschöpfter Krieger und den kleinen, graugrünen Primaten, die sich ihrer angenommen hatten! »Ehre hat sie hierhergeführt, um die Beschützer Cha'Xirracs zu werden. Bessere Beschützer, als die Kombination von Raumschiffen und Kometen es jemals sein könnte. Sie sind wiedergeboren worden, im Feuer und im Eis.« Die Dramatik seiner Worte ließ ihn lächeln. »Ohne Verlust gibt es keine Wiedergeburt. Epetai Vrag wusste das.« Er sah Kira in die Augen. »Vielleicht verlangte die Ehre ein Opfer, um die Waagschalen auszugleichen. Leben um Leben. Sie können ihr nicht vorwerfen, dass sie diese Entscheidung willentlich gefällt hat.«

Vielleicht nicht. Doch Kira wünschte sich trotzdem eine Lösung, bei der kein Blutvergießen nötig war, um die Saat neuen Lebens zu wässern.

»Dax behauptet, dass der Planet sich erholen wird«, sagte sie plötzlich. Das war ein gewisser Trost. Sie musste an die Provinz Rota denken, wie sie sie vor wenigen Monaten gesehen hatte. Weich und grün und mit zarten Prärieblumen übersät, die in den Schatten der alten Wälder nicht hätten existieren können. Neues Leben, das seine Existenz mit einem Lied aus Farben feierte. Eines Tages würde dieser Planet auch so aussehen.

»Also nicht nur ein neues Leben für die Klingonen«, bemerkte Sisko. »Eine ganz neue Existenz. Eine ganz neue Welt.«

»Ja.« Kira erhob sich mit plötzlicher Entschlossenheit. »Und wenn sie Glück haben, vielleicht auch eine ganz neue Bedeutung von Ehre. Eine, bei der Zusammenarbeit wichtiger ist als Kampf, und Überleben wichtiger als Aufopferung.«

Sisko räusperte sich nüchtern. »Ich weiß nicht, ob sie dann wirklich noch Klingonen wären«, sagte er. »Und irgendwie glaube ich schon, dass der Tag der Ehre auf Cha'Xirrac immer gefeiert werden wird.«

»Das geht schon in Ordnung.« Kira sah zurück auf die vom Wasser geschützten Flecken der Vegetation. Sie waren so unnachgiebig wie die Klingonen und so überraschend in ihrer Stille wie die Xirri. »Solange danach immer ein Tag der Wiedergeburt folgt.«